Sa 19. Sep 2015, 18:38
Sein jungenhaftes Schmunzeln wurde von einem ehrlichen, breiten Lächeln ihrerseits begegnet. „Für manches Vertrauen benötigt es eine gewisse Form von Mut und Glauben, Sebastian.“ Sie ließ sich von ihm danach auch ohne weiteres Aufheben aufhelfen und dachte kurz über sein Angebot nach, ehe Lilliana mit dem Kopf nickte.
„Ich würde mich geehrt fühlen, allerdings würde Mathias von Augsburg nicht Verdacht schöpfen, wenn ihr euch zu gut um mich kümmert?“ Lilliana trat an seine Seite, ließ aber einen gewissen respektablen Abstand zwischen sich und Sebastian.
Seine Augen verengten sich fragend. War Ironie oder Zweideutigkeit in ihren Worten?
„Aber nicht doch, Liliana. Hier in Augsburg kümmern wir uns um unsere Gäste, so wie es sich gehört. Das morgen ist eine reine Formsache, das weiß Matthias genauso gut wie ich. Dennoch ist es seine Aufgabe unseren Standpunkt klar zu machen, zu zeigen, dass wir uns von der Außenwelt nicht alles bieten lassen. Und ich weiß, dass ich mich auf ihn verlassen kann.“ Er schmunzelte.
Er ließ Liliana kurz warten, schritt vor die Tür um ein paar Worte mit der Geißel der Stadt zu wechseln. Dann kehrte er zu ihr zurück und führte sie durch einen Seitenausgang aus dem großen Thronsaal. Er ging durch so viele Gänge, Räume und Zimmer, dass sie schließlich den Überblick verlor. Er musste nach Norden gewandert sein. Das war ihr bewusst. Sebastian schwieg dabei und nur der Laut ihrer Schritt auf Stein, Holz und weichem Teppich begleitete die Bewegungen. Der Hexer öffnete schließlich am Ende eines Flures einen Geheimgang. Wie er das anstellte war der Brüggerin nicht bewusst, aber plötzlich erschien ein dunkles Loch vor ihr in der Wand.
Drinnen war es feucht, modrig und stickig. Sebastian nahm eine der Fackeln von der Wand
„Verzeiht die Unzulänglichkeiten und passt auf euer Gewand auf. Egal wie oft man hier säubern lässt. Der Schimmel erobert sich sofort sein Reich zurück.“
Schließlich gelangten sie ans Ende des Tunnels. Liliana merkte, dass ich Kleid trotz ihrer Bemühungen schmutzig geworden war. Es wäre zwar für die alltäglichen Verrichtungen in den Gassen der Stadt tauglich, nicht jedoch für einen offiziellen Anlass.
Sie kamen in einem Keller heraus, den Sebastian schnell verließ und über eine enge Treppe nach oben stieg. Er reichte ihr die Hand damit sie auf den steilen Stufen nicht stolperte. Sie befanden sich in einem kleinen Flur und Liliana wurde bewusst, dass es sich um ein Wohnhaus handeln musste.
„Wollt ihr euch zunächst frisch machen oder mir etwas Gesellschaft leisten bis die Dämmerung herein bricht?
Die Reise hinab und hinauf ging ohne weitere Kommentare seitens Lilliana. Sie konzentrierte sich darauf nicht zu stolpern oder sich zu verletzen. Die Wände waren das ein ums andere Mal dicht an ihr dran. „Wenn ich mich beginne frisch zu machen, ist die Dämmerung des neuen Tages eingebrochen und dann bliebe uns beiden keine Zeit mehr.“ Einer Erinnerung folgend fuhr sie fort. „oder zumindest mir bliebe keine Zeit mehr, ehe mich der ewige Schlaf des Tages fort trägt.“ Ihre Augen sahen an sich herunter, während ihre Hand parallel begann die erkannten Flecken leicht auszuklopfen. Schon bald ließ sie es sein, da es nicht wirklich von Erfolg gekrönt war. „Würdet ihr mich auch so zu einem Gespräch zulassen?“ sie drehte sich ein wenig nach links und rechts und kam dann aber wieder in der Ausgangsposition zum Stehen. „Ich sehe wahrhaft nicht wie eine Dame, zudem noch wie eine Adlige aus.“
„Weder Adel noch edle Kleidung führen in Augsburg zu Ansehen und Einfluss. Außer vielleicht bei unserem allzeits beliebten Ventrue Orsinius.“ Er grinste breit. Ein Scherz, den wohl nur er und die Bürger Augsburgs verstehen mochten. „Ich werde euch für morgen etwas Passendes heraus legen lassen, wenn das für euch in Ordnung ist.“
Sebastian öffnete eine Tür und ließ sie zuerst eintreten.
Der Raum war spartanisch eingerichtet. Ein großes Feuer brannte in einiger Entfernung im Kamin vor dem ein paar Hunde schliefen. Eines der großen Tiere kam auf Sebastian zugetrottet, ließ sich kurz von dem hageren Mann übers Fell streichen und verschwand dann wieder zum Rest seines Rudels. Sebastian beachtete die lange Tafel zu ihrer Linken nicht weiter sondern deutete nach Rechts zu einer Sitzgruppe, die mit weichem Stoff bezogen war. Er wartete bis sich Liliana gesetzt hatte, ging dann zum Ende des Raumes, schloss einen Schrank auf und kam mit einer Karaffe und zwei Gläsern zurück. Er schenkte das dunkle Getränk in die Gefäße und reichte sie seinem Gast damit sie eines wählen konnte.
„Ihr braucht keine Tricks zu befürchten. Wenn ich so etwas vorhätte, konnte ich euch wahrscheinlich auf andere Weise dazu gewinnen. Ihr habt mein Wort.“
Einen Moment war sie versucht etwas auf seine Worte zu erwidern, beherrschte sich aber und nahm dankbar eines der angebotenen Gläser und würde mit ihm sachte anstoßen, bevor sie aus dem Glas das Blut kostete. Es schmeckte köstlich und sie nahm einen weiteren Schluck, ehe sie das Glas auf dem kleinen Beitisch abstellte und dann den Raum in seiner Gänze betrachtete. „Ich nehme an wir befinden uns nicht in einem Gildehaus…? Dies scheint mir eher ein Haus zu sein, dass euch gehört Sebastian. Aber wo sind eure Farben? Eure Wärme?“
„Wovon sprecht ihr?“
"Ich spreche von dem, was euch ausmacht. Ein Haus ist in gewisser Art und Weise eine Visitenkarte. Nur seid ihr nicht spartanisch. Eure Hunde...?" sie stellte die Frage in den Raum und deutete auf mit einer offenen Hand auf das Rudel "sie sind ein Teil und geben hier Leben hinein. Sind es denn eure?"
Sebastian begann zu lachen. „Wollt ihr mich als neuen Kunden für eure Farben und Stoffe gewinnen?“ Er schüttelte den Kopf. „Wer geht davon aus, das ich nicht spartanisch wäre? Und die Hunde? Ja, wenn ihr so wollt sind das wohl meine. Aber ich habe mir angewöhnt mein Herz nicht zu sehr an das Lebende zu hängen. Es ist so vergänglich und der Verlust schmerzt mitunter…“ Die Worte waren leicht dahin gesagt, aber Liliana erkannte den Sarkasmus dahinter. Er beugte sich ein wenig zu ihr. „Und ihr? Ihr habt euer Herz an ein sterbliches Kind gehängt?“
Lilliana nahm beinahe andächtig das Glas wieder vom Tisch und trank einen weiteren Schluck, ehe sie fortfuhr und ihn dabei direkt ansah: „Ihr habt getrauert, so wie wir alle um manche Menschen, um manche Freunde trauern. Vergesst dabei aber nicht die glücklichen Momente, welche euch beschert wurden und hängt nicht an den traurigen Momenten. Irgendwann wird auch unser Unleben einst enden, wenn Gott bestimmt hat, dass es Zeit auch für uns ist. Dann Sebastian, dann werdet ihr sie wiedersehen.“ Ohne Hinzusehen, stellte sie das Glas ab und ihr Blick glitt über das Feuer, von dem aber in dieser Entfernung keine Gefahr für sie ausging. „Ich bin sicher, ihr durftet schon so manches Geheimnis erfahren, aber in diesem Fall muss ich euch enttäuschen. Mein Herz hängt an vielem und bietet Platz für viele. So ist das Mädchen ein Teil davon, genau wie Brügge und seine Bewohner ein Teil davon einnehmen.“ Ohne Vorwarnung drehte sich ihr Kopf wieder in seine Richtung: abschätzend, mitfühlend, etwas lag in ihrem Blick. „eure Last der Verantwortung Sebastian. Sie mag sehr hoch sein, genau wie euer Einsatz. Sagt mir, was ist die Quelle eurer Kraft? Wem habt ihr dies geschworen, dieses falsche Spiel zu spielen, um damit Personen zu schützen, die ihr leicht verraten hättet können, um eure Macht zu steigern? Jeden Tag Sebasstian, sich dieser Gefahr aussetzend?“ sie hatte Mühe seine Emotionen zu lesen, die Dunkelheit des Raumes zeigte nur wenig
Bei ihrer Ausführung zu Trauer und den glücklichen Momenten hörte sie ein verächtliches Schnauben. Er öffnete kurz den Mund um zu einer wohl heftigen Bemerkung anzusetzen, schloss ihn dann jedoch wieder und trank stattdessen einen Schluck. „Wir alle haben unsere Geheimnisse, Liliana. Da habt ihr Recht.“ Er lächelte leicht. „. Schätzt mich nicht falsch ein. Ich bin ein treuer Diener meines Clans, unterstütze, handle, mache, wann immer ich es für richtig halte alles für den Clan. In den Momenten in denen dies nicht der Fall ist… nun ja… Natürlich geht jeder ansonsten noch seinen eigenen Angelegenheiten nach. Ihr fragt nach meinem Antrieb? Eine interessante Frage, die noch nie jemand gestellt hat…“ Er überlegte einige Sekunden. „Mitgefühl, Reue, Schuld, Liebe, Vergeltung, Stolz, Rache.“ Das Lächeln auf seinen Zügen nahm einen zweideutigen Zug an. Wartete auf ihre Reaktion auf sein Geständnis. „Und ihr?“
„Wann immer ich es für richtig halte.“ Sie wiederholte einem leiseren Echo gleich einen Teil seiner Rede. „Ich bin bisher nicht soweit informiert über euren Clan. Ihr bergt viele Geheimnisse, aber eines Sebastian, weiß ich. Euer Clan duldet keine Individualisten. Alle haben einer Linie zu folgen. Deswegen stecht ihr auch hervor. Bislang zum Guten.“ Sie ließ weitere Sekunden verstreichen. „In dieser Aufzählung eurer Antriebe…es sticht keiner für euch hervor, den ihr als euren stärksten Antrieb bezeichnet? Vergeltung und Rache sind keine Antriebe sondern nur dunkle Pfade, die weiteres Leid verursachen. Reue und Schuld…?“ sie hob eine Augenbraue nach oben und sah ihn fragend an. „Es wiederholt sich die Frage nach einem Schwur“ Lilliana sah von ihm weg. „Ich habe weder geschworen noch will ich Rache nehmen. Mein Antrieb ist mein Mitgefühl für die Menschen dieser Welt. Darin bin ich meinem Erzeuger ähnlich.“
Wieder sah er sie fragend an. Ihre Wortwahl schien es nicht einfacher für ihn zu machen ihr zu antworten, da er zunächst den Sinn der Worte erfassen musste. Wieder zierte das leichte Lächeln seine Lippen.
„Ich habe meinem Clan Treue geschworen. Sonst niemandem. Und diese Treue halte ich. Wie ich dies tue ist Auslegungssache. Aber sofern es in meiner Macht steht versuche ich unser Einfluss und Ansehen zu steigern. Alle anderen, denen ich einst einen Schwur geleistet habe sind Asche…“ Er schüttelte den Kopf um das Thema zu wechseln. „Mitgefühl als einziger Antrieb?“ Er zuckte mit den Schultern, wusste darauf nur wenig zu sagen, dass eine Konversation weiter gebracht hätte. „Was hat euch nach Brügge geführt, Liliana? Hier in Deutschland ist eure Heimat, hier eure Wurzeln. Hier hört ihr den vertrauten Klang eurer Muttersprache, die Lieder, die ihr noch in eurer Kindheit vernommen habt…“
Seine Antwort brachte sie erneut dazu fragend ihre rechte Augenbraue hochzuziehen und zwei Finger ihrer rechten Hand unter ihr Kinn zu legen. Aber sie ging nicht mehr weiter darauf ein, sondern entspannte sich wieder im Gesicht und trank einen weiteren Schluck Blut. „Eine lange, lange Reise führte mich am Ende nach Brügge. Es stimmt zwar, dass meine Wurzeln in einem anderen Land dieser Welt liegen, aber…“ sie schüttelte den Kopf „am Ende können wir uns das Ziel der Reise nicht aussuchen, sondern nur mit unseren Augen die Wunder sehen. Wie sieht es in dieser Hinsicht bei euch aus Sebastian? Ist Augsburg das Ziel euer Reise?“
Er nahm einen weiteren Schluck. „Von welchen Wundern sprecht ihr?“
Lilliana schloss die Augen einen Moment und schüttelte erneut sachte den Kopf. „ Ich bedaure Sebastian, aber ein jeder sieht ein Wunder anders.“ Sie sah ihn wieder direkt an. „Ihr habt mir noch nicht meine Frage beantwortet.“ Es lag kein Vorwurf in der Stimme, sie wies ihn lediglich darauf hin.
Er lächelte sie an. „Und ihr mir meine auch noch nicht. Welche Wunder?“
Erneut ein Kopfschütteln ihrerseits. „Wenn euch gestattet wird Brügge zu betreten und ihr eine Zeit unter der Gesellschaft der dortigen Kainiten verbracht habt, dann Sebastian, dann werden wir uns womöglich noch einmal über dieses Thema unterhalten.“ Sie schloss den Mund. Abwartend, das Thema für beendet erklärt. Er war nun an der Reihe.
Er begann laut und schallend zu lachend. „Liliana? Wisst ihr, was passiert, wenn ich mich ohne besondere Vorkehrungen zu treffen, die mir ein gewisser Kainit nach wie vor, vielleicht zu recht, verübeln mag, in Brügge einfinden würde? Was würde dann wohl geschehen? Wenn ich über die schöne hohe Stadtmauer, die, welch Wunder! dank rechtzeitiger Verstärkung im Krieg, noch steht, schlendern würde??? Wenn ich über die Brücke zum Anwesen der Van de Burse gehen würde um dort an die Tür zu klopfen? Ich an einem der Geheimgänge zur Kanalisation entlang ginge? Ich im Hospital bei Leif um etwas Medizin für einen kranken Ghul bitten würde? Das einzige Wunder, das ich, wenn eure Worte von vorhin in Gottes Ohr Gehör finden mögen, noch sehen würde, wäre das himmlische Licht oder in meinem Fall wohl eher das brennende Fegefeuer. Lassen wir das mit Wundern für heute Nacht. Ich sehe es als Wunder an, dass ihr euch in dieser Stadt eingefunden habt und euch bereit erklärt habt mein Gast zu sein.“ Er hatte sich beruhigt, erhob sich und reichte ihr die Hand. „Es ist schon spät und morgen steht uns einiges bevor.“ Er sah sie mit seinen dunklen Augen an. „Ich weiß nicht mehr wo mein Ziel sein mag. Ich hatte eines, aber mich haben Zweifel befallen ob es das Richtige ist. Ich hatte meinen Weg klar vor Augen, nun weiß ich nicht mehr welche Richtung ich einschlagen werde. Aber wie sagte dereinst, lange bevor unser Herr auf Erden wandelte ein Philosoph im fernen Osten: Der Weg ist das Ziel. Vielleicht mag er recht haben.“
Er trat zur Tür. „ich werde euch zu eurem Zimmer bringen. Habt ihr noch einen Wunsch?
Sie ließ ihn lachen, sie ließ ihn grübeln ohne ihrerseits ein Wort dazuzugeben. Wieder hatte er sie nicht verstanden, dachte sich Lilliana und wieder vernahm sie etwas, dass sich anfühlte, wie ein Dorn, der tief in ihm steckte. Sie nahm feste seine Hand, teils auch um ihm Kraft zu geben und ließ sich von ihm führen, hinaus aus dem großen Raum und hin zu ihrer für die heutige Nacht gegebenen Schlafstätte in der sie ihre Sachen neu ordnete und aus dem Packsack etwas frischeres für den kommenden Tag zurecht legte. Seine Frage würde sie mit einem klaren aber leisen „Nein.“ beantworten, ihm im Anschluss aber noch eine geruhsame Nacht wünschen. Morgen war der Tag der Antworten.