Die Katakomben unterhalb der Kirche wirkten im Gegensatz zum oberen Teil des Gebäudes noch gut erhalten. Natürlich war alles staubig, von Erde, Unrat, toten Ratten und wild wuchernden Ranken bedeckt aber die sorgfältig geschlagenen Steine hielten die Konstruktion aufrecht. Angeordnet waren die Katakomben kreuzförmig, mit kurzen Gängen die in kleinen Alkoven endeten. Immer noch roch es äußerst süßlich und zudem leicht modrig nach altem Moos.
Am Kopfende befand sich der größte Alkoven und beherbergte einen ausladenden Sarkophag, mit steinernem Deckel, der etwas verrückt worden war. Überall brannten kleine und größere Kerzenstummel. Unlängst des Sarkophags der wohl einmal einem wichtigen, kirchlichen Würdenträger gewidmet gewesen sein musste, war ein kleiner Schemel mit einer eisernen Waschschüssel aufgestellt worden. Daneben lag ein fleckiges Tuch. Offenbar schlief der oder die Fremde in diesem Sarkophag und hatte daneben geschmolzenen Schnee zur Körper- oder wohl besser Leichenpflege aufgestellt.
Der linke Gang endete an einer Mauer die mit horizontalen Aussparungen versehen war, in denen die offenbar gefrorenen Leichen mehrerer Menschen aufgebahrt lagen. Der Kleidung zu urteilen nach, handelte es sich wohl um Bauern. Erschreckender jedoch war die Tatsache, dass in einer der Aussparungen mehrere „Gesichter“ auf kleinen hölzernen Ständern standen. Es waren wohl tatsächlich Gesichter von Menschen, die jemand sorgfältig und besonders fachkundig abgeschnitten hatte, sodass sie derartig aufgestellt wie makabre Toten- oder Theatermasken wirkten.
Der rechte Gang endete in einem kleinen Laboratorium. Viele kleine Fläschchen und Phiolen, Tellerchen und Kräuterbündel, Salben, Tinkturen wurden dort zusammen mit Mörser, Stößel und allerlei anderen Bestecken, Messern, Zangen, Bohrern und einigen Pergamentrollen und Büchern aufbewahrt.
Auf einem kleinen, runden Holztisch, stand ein kleiner Käfig und darin saß ein Vogel, der wie ein Rabe aussah und finster krächzte, als er die beiden Kainiten entdeckte. Hinter ihr befand sich nach wie vor der Stiegenaufgang in die Kirche und dahinter wiederum war nur ein langer Gang auszumachen, der wohl die restliche volle Länge der Kirche erreichen mochte. Er war nur spärlich mit ein paar kleinen Kerzen ausgeleuchtet und nicht bis zu seinem Ende beleuchtet; verlor sich irgendwo in tiefster Schwärze.
Der oder die Kainitin, wandte sich nach wie vor in die lebenden Schatten gehüllt an ihren Gast und verzog keine Miene, die eine emotionale Regung hätte erahnen lassen. Nichts außer eine unstillbare Neugier spiegelte sich in den niemals blinzelnden Augen wider. „Es ist mir ein besonderes Vergnügen eine so rezende und hübsche Tzimisce hier bei mir beherbergen zu dürfen auch wenn ihr ganz sicher, selbst wenn ihr nicht den hiesigen Fürstentümern entstammt, ganz andere Annehmlichkeiten gewohnt seid. Ich habe nicht viel aber was ich habe, werde ich mit euch teilen.“ Die Schatten fingen langsam an wie eine kleine dunkle Rauchsäule nach unten zu laufen und gaben nach und die einfachen Roben eines Mönches oder Pilgers frei, die bereits bessere Tage gesehen hatten. Die dunklen Wogen, flossen wie dunkle Pfützen aus Pech über den Boden und verloren sich dann in den Ecken der Zuflucht ihres „Retters“ oder „Retterin“. Wenn der Name weiblich war, und „Dascha“ hörte sich danach an, dann handelte es sich wohl um eine Frau. Andererseits schien es ihm oder ihr auch nicht besonders wichtig zu sein ob man seine oder ihre Erscheinung einem bestimmten Geschlecht zuordnen konnte. „Ah, ihr seid also auf Verwandtschaftsbesuch, wie schön“, kommentierte Dascha dann mit dem leichten Heben eines Mundwinkels. „Eine Blutlinie von der ich vielleicht schon einmal gehört habe? Ein bekannter Name gar? Namen sind in diesen Landen so wichtig.“ Mit einem kurzen Blick in Richtung des Spinnenwesens, das Dascha mit einem kurzen Nicken wieder in das Obergeschoss beorderte, ruhte ihr Blick erneut ganz und gar auf ihrem Gast.
„Vsevolod nennt mich Dascha und ihr dürft mich gerne auch so nennen. Mit wem habe ich denn das Vergnügen?“