Sa 28. Nov 2015, 17:08
Es war Januar 1216, bitterer Winter mit mehr Schneeverwehungen als Schnee, mehr Schlamm als Straße. Das Wetter schien schon seit einigen Wochen stets gleich zu bleiben und die Aussicht auf ein warmes Zimmer, geheizt durch einen mit Feuerholz geheizten Kamin hielt den ganzen Haushalt von Erzhausen fest in den Mauern des Anwesens zusammen.
Ein festes Klopfen an Lilianas privateste Gemächer schreckte die dunkelblonde Kainitin aus ihren Gedanken.
Noch eben war sie vertieft in einen Brief ihres Erzeugers gewesen. Er schrieb ihr von seiner Arbeit im Kloster, das dort ebenso wie überall die Menschen die Wärme des anderen genossen, um der Kälte zu trotzen. Ein neuer Bruder seines Klosters hatte aus fernen Ländern eine getrocknete Pflanze mitgebracht, welche vom kräuterkundigen Bruder Windfried gleich in Beschlag genommen worden war, nachdem er von ihrer Heilkraft gegen das Fieber erfahren hatte. Lilliana hatte sogleich daran gedacht Leif davon zu erzählen, womöglich wüsste er bereits von dieser Pflanze. "Herein."
Ihr Ghul Michel öffnete die Tür, verbeugte sich tief und schloß sie hinter sich wieder. ER trat näher an ihren Schreibtisch heran.
„Verzeiht die Störung, Herrin. Ein Händler hat kurz bei uns halt gemacht und diese Botschaft für euch abgegeben.
Michel überreichte ihr eine Pergamentrolle. Das Leder war fein gearbeitet, die Schrift mit gekonntem Schwung, die Feder, die dafür verwendet worden war, eine exklusive Arbeit.
Teuerste Liliana
Seit so langer, für mich schier unerträglicher Zeit nun, sind wir getrennt. Mein Aufbruch erfolgte unerwartet und ich hoffe aus tiefstem Herzen, dass du mir dies zu irgendeinem Zeitpunkt der noch kommen mag vergeben kannst.
Ich würde dir so gerne alles erklären…
Sollte es dir möglich sein, so such mich in der größten Stadt des westlichen Europas auf.
Dein Wille geschehe.
Eine kleine Taverne, genannt Claudettes silberne Fische, mag unser Treffpunkt sein. Frag dort in einer Vollmondnacht nach William und wir werden uns wieder sehen.
W.A.
Lilliana wusste eines mit Sicherheit. Dies war nicht die Handschrift des Engländers.
Lilliana entließ Michel mit einem Lächeln auf den Lippen, während sie ihn kurz begutachtet hatte. Ihr Ghul aber sah weder krank aus, noch anderweitig verletzt. Kurz erwog sie ihn zu fragen, ob er Auffälligkeiten bei anderen Personen ihres Haushaltes bemerkt hatte, da fiel ihr wieder ein, dass erst ihr Priester am gestrigen Tage ihr einen Bericht gegeben hatte, wobei nur Hans sich eine schwere Erkältung zugezogen hatte, sich bereits aber schon in Behandlung befand. Als sie das Leder öffnete und die ersten Wörter las, hatte der Brief ihre vollste Aufmerksamkeit. Ihre Finger fuhren über das Leder, zeichneten teilweise die Wörter nach und ein leichtes Stirnrunzeln zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab. Sie öffnete ein geheimes Fach in der Schublade ihres Tisches und holte von dort ein altes Dokument hervor. Es war der letzte Brief, den sie von Will am Tag seiner Abreise erhalten hatte. Gekrakelt und voller Rechtschreibfehler, sie legte das alte Dokument neben das neue und ließ ihre Kraft wirken.
Die Bilder, die die Rose vor ihrem inneren Auge erblickte waren dunkel, schattig und unscharf. Sie erkannte einen Mann, den Verfasser des Briefes, groß, breitschultrig, mit kurzem, dunklen Bart.
Sie seufzte lächelnd auf. Natürlich. Will war sehr vorsichtig und spätestens seit Jaques konnte er nicht sicher sein, wer diesen Brief alles in die Hand nahm. Andererseits konnte es natürlich immer eine Falle sein. Lilliana schüttelte entschieden den Kopf. Sie war schon zu lange in der Welt der Kainiten, irgendwie färbte dieses ungesunde Misstrauen langsam auf sie ab. Sie faltete vorsichtig das Leder wieder zusammen und verstaute es zusammen mit dem anderen Brief wieder in der Geheimschublade, ehe sie eine kleine Sitzung mit ihren beiden Ghulen organisierte. "Ich weiß, es kann so vieles sein, aber die Chance auf ein Wiedersehen war noch nie so groß. Doch ehe ich aufbrechen werde, denn dieser Entschluss steht fest, möchte ich euch versorgt wissen und ich möchte das auch ansonsten meine Entscheidung nicht zu negativen Folgen für die Stadt führt. Deswegen wird es auch kein übereilter Aufbruch, denn es ist keine Flucht." Es wurde noch viel gesprochen in dieser Nacht, aber am Ende sah Lilliana keine Hindernisse, sie wusste dass sie sich auf Michel verlassen konnte. Er hatte viel von ihr und auch vom Nosferatu Josef gelernt. Beide besuchten sich manches Mal noch gegenseitig und diese Männerfreundschaft half auch Lilliana besseren Kontakt zu Josef aufzunehmen. Zu ihrer Überraschung wollte sie Bruder Levikus nach Paris begleiten. Als Schutz, als Begleitung für die Reise offiziell, ansonsten schwieg sich der Priester über weitere Beweggründe aus. Lilliana hatte keinerlei Einwände. Briefe wurden verschickt. An Saliana und andere Kontaktpersonen, wie auch an ihre Freunde und Mitbewohner in Brügge. Die Tage und Nächte vergingen, während dessen Lilliana wartete.
Die Nachricht, die Liliana vom Hof von Paris 6 Wochen später erhielt war ausgesprochen förmlich und bürokratisch verfasst. Es erinnerte fast an ein Standartschreiben. Bei ihrer Ankunft habe sie eine Nachricht an einen Ghul namens Albert Cliquot zu schicken und sich im Anschluss binnen sieben Tagen beim Seneschall der Stadt, Monsieur Roussel, vorzustellen. Man bat sie des Weiteren die Traditionen einzuhalten.
Ebenso förmlich schrieb Lilliana im gleichen Ton zurück., das sie sich für die Antwort bedanke und sich an die Anweisungen halte. Mit Erreichen des Briefes gab es den Startschuss für ihren Aufbruch. Tarbas und Alster, sowie zwei weitere Packpferde wurden beladen und Lilliana hinterließ eine winkende Schar an Leuten zurück, als sie gehüllt in einen dicken Fellmantel mit Kapuze über dem Kopf am frühen Abend mit Bruder Levikus aufbrach. Das Ziel: Paris.
https://www.youtube.com/watch?v=7k_kdfaAq68Es war Anfang März als sie endlich aufbrechen konnten. Die Straßen waren von der Schneeschmelze überflutet, die Kanäle zu waren Flüssen angeschwollen und das Vorankommen mehr als schwierig. Sie brachten jeden Tag nur wenige Kilometer hinter sich, der Frost schien dem alten Ghul jede Nacht aufs Neue in die dicken, nassen Kleider zu kriechen und Paris schien in unerreichbarer Ferne.
Lilliana machte sich hin und wieder Gedanken um den Gesundheitszustand des alten Mannes, aber er schüttelte nur immer wieder stoisch das Haupt, hustete ab und an weißlichen Schleim, erklärte aber, das sei normal für einen Mann seines Alters. Der Herr wisse schon, was er täte.
Ende des Monats schließlich erblickte Liliana schließlich vor ihnen die hohen mächtigen Mauern von Paris. Weiße Türme waren dahinter zu erkennen, hohe Rauchsäulen und der Gestank, der mit jeder Großstadt einherging schlug ihnen entgegen. Sie waren da, sie hatten Paris erreicht.
Bruder Levikus verließ sie am Rande von Paris ins Kloster Saint Honoré, bei denen er sich als reisender Bruder angekündigt hatte. Das Kloster war noch jung und im Aufbau, weswegen helfende Hände oder auch Wissen gerne angenommen wurde. Lilliana hatte sich bereits in Brügge Kontakte zu den in der Nähe des Klosters liegenden Gasthäusern besorgt und mietete sich in einem der dortigen unter dem Namen Aurora von Hausen ein und meldete ihre Ankunft dem auf dem Brief angekündigten Ghul. Ehe sie in einfachen Gewändern und in Begleitung ihres Ghules die Stadt erkundete.
Lilliana schritt mit ihrem Ghul durch die breiten Straßen der Stadt, schlenderte über kleine Plätze, vorbei an Obst- und Gemüsegärten. Prächtige Paläste, alte Ruinen, notdürftig zusammen gezimmerte armselige Holzhütten wechselten einander ab. Schließlich erblickte Liliana auch die direkt an der Seine gelegene kleine Herberge „Silberne Fische“. Das Häuschen war etwas windschief, direkt an die Kaimauern der Seine gebaut. Eine breite hölzerne Terrasse befand sich direkt oberhalb des Wassers und Lilliana konnte sich vorstellen, dass es ein Vergnügen sein musste an lauen Sommerabenden dort zu sitzen und dem Plätschern zu lauschen. Eine weitausholende Linde spendete wohl tagsüber in den heizen Monaten Schatten und in den kalten Tagen brannte ein warmes Feuer im Kamin.
Nachdem sie das ein ums andere Mal von der Schönheit der schlichten Dinge stehen blieb und nur durch einen Ruck von Bruder Levikus sich wieder losreißen konnte, hielt Lilliana den Blick unter ihrer Kutte tief gesenkt, bis sie an der Hand von ihrem Ghul ergriffen wurde, der sie dann auch in die Taverne hineinführte. Innen gingen beide in eine der Ecken des Hauses an dem eine alte Platte vor einer Bank stand und Bruder Levikus bestellte für sich und Lilliana Wasser, während letztere kein Wort sagte und stattdessen vorsichtig die Gäste des Hauses sowie die Wirtsleute begutachtete.
Die Wirtsfrau, ein dicklicher mütterlicher Charakter mit blondem Haar und üppigem Busen, sah ihn irritiert an. „Wasser, Pater? Wollt ihr euch vergiften? Wenn ich euch einen Rat geben darf: Wir haben einen guten, etwas sauren Wein vom letzten Herbst oder einen Humpen Bier. Die werden euch vortrefflich munden. Und eurer Haushälterin ebenfalls.“ Sie klopfte Lilliana verschwörerisch auf die Schulter und schmunzelte.
Bezüglich der Gäste erkannte sie viele einheimische Pariser, die sich fröhlich unterhielten, einige griesgrämig dreinblickende Gesellen, die ihren Kummer im Weingeist vor sich ertränkten, eine Familie und ein junges Liebespaar.
Unter ihrer Kutte erkannte bis auf Levikus keiner, dass sie über die Anspielung nicht lachte, sondern ihn fragend ansah, während ihr Ghul den Wein bestellte. "Gute Frau, möge Gott mit ihnen sein, wie er seine schützende Hand auf uns alle, die wir hier sitzen legt. Befreit eure Gedanken und lasst den guten Geist, der in euch wohnt nach außen strömen." Levikus machte das Kreuzzeichen, während Lilliana sich etwas leicht von ihm weglehnte. In solchen Momenten spürte sie wieder seine innere Macht, die ihn für ihre Art auf eine gewisse Weise gefährlich werden konnte.
Die Frau lachte auf. „Na, das will ich aber hoffen, dass Gott mit uns ist. Wir spenden unsren Zehnten an die heilige Mutter Kirche in Rom und besuchen jeden Sonntag die Messe. Ich setz euch beiden jetzt mal nen guten Wein vor und dann breitet sich hier noch mehr guter Geist unter uns aus, nicht wahr?“ Wieder lachte sie laut und schallend. „Marie, die Baguette! Und zwei Wein für unsre neuesten Gäste.“ Dann machte sie sich daran am Nachbartisch abzuräumen.
Ein Schmunzeln des alten Mannes lenkte ihre Aufmerksamkeit von den Gästen wieder auf ihren Ghul. "Ihr habt durch euren tiefen Blick nicht sehen können, dass Gott euch heute Nacht dieses Zeichen geschickt hat. Der Mond erstrahlt heute heller als sonst." Lilliana war einen Moment sprachlos, ehe sie die Aufregung packte. "Claudette?" rief sie in Richtung der Wirtin.
Die Frau stellte das schmutzige Geschirr auf die Theke, nahm einen feuchten Lappen von einer jungen Frau entgegen sowie Brot und Wein und machte sich auf den Weg zum Tisch der Brüggerin und ihres Ghuls. Sie wischte die Tischplatte sauber, stellte Brot und Wein ab.
„Na, ihr zwei Hübschen. Dann lasst’s euch mal gut munden.“
Lilliana wartete bis ihr Ghul das Essen gesegnet und das Baguette gebrochen hatte, ehe sie wieder zu ihm sprach. "Ich denke, sie hat uns nicht gehört oder aber sie ist zu beschäftigt." Lilliana nahm das Weinglas und schwenkte die wenige rötliche Flüssigkeit darin, während ihre Nase den säuerlichen Geruch davon wahrnahm. "Übt euch in Geduld Lady von Hausen. Gottes Wille wird geschehen."
„Du hast ja Recht, wie immer Levikus, aber mein Herz, vermag es zu schlagen würde es aus meiner Brust springen wollen.“
Das Treiben im Wirtshaus nahm seinen üblichen Gang, Gäste kamen und gingen, es wurde aufgetischt und abgetragen. Die Wirtin kam schließlich um nach dem Rechten zu sehen.
„So heiliger Mann und Begleitung.“ Wieder folgte das verschwörerische Schmunzeln. „Was darf ich euch noch bringen? Sucht ihr des Weiteren ein Zimmer für die Nacht. Unsere Betten sind vorzüglich. Fast keine Flöhe und echte Gänsefedern. Hier ruht es sich wie in Abrahams Schoß.“ Sie senkte als wäre sie verlegen das Haupt um dann wieder schallend über ihren eigenen Witz zu lachen.
Bruder Levikus blickte auf zur Wirtin mit seinem üblichen leicht mürrisch aussehenden Gesicht. "Gute Frau, euer Essen, gemacht aus den Früchten dieser Erde hat uns gemundet und ich schätze eure Gastfreundschaft, würde sie aber ablehnen. Meine Begleitung die Lady von Hausen hat jedoch ein Anliegen an euch." Er sprach dabei in gleicher Tonlage, ihren Ausbruch ignorierend und schenkte Lilliana dann einen Blick, wenn die Wirtin sie mit Aufmerksamkeit bedachte. "Ich möchte euch gerne nach einem William fragen, sofern ihr Claudette seid, könntet ihr mir helfen ihn wiederzusehen. Vielleicht hat er auch etwas hier hinterlassen..." Ihre Stimme wurde leise gegen Ende immer wispernder und ihr Blick trauriger. Jetzt wo sie hier war, hing ihre Hoffnung daran, dass sein Name ihr etwas sagte. "Mein Name ist" eine kurze Pause" Aurora, aber er kennt mich noch als Lilliana." Ein Stirnrunzeln ihres Ghules folgte den letzten Sätzen, aber er sagte nichts weiter.