Fr 24. Jul 2015, 18:18
Die Frau fixierte Lilliana mit ihren dunklen Augen während diese sprach und schien jedes Wort von ihr aufzusaugen wie verdurstender Wasser. Von Zeit zu Zeit nickte sie leicht, so als würde Lillianas Worte ihre eigenen Vermutungen nur bestätigen. "Es ist wie bei den meisten von uns, denn die wenigsten zeigen eine starke Tendenz in die eine oder andere Richtung. Reine Orakel, Propheten und Seher sind sehr selten. Doch in einem bin ich nicht deiner Meinung Schwester. Du bist eine Botin in der Tat, aber meiner Ansicht nach nicht von Gott oder irgendwelchen Göttern. Nein du bist eine Botin des Schicksals selbst - der einen Macht der sich auch Gott und alle Götter unterordnen müssen, denn auch ihr Schicksal wird gesponnen und irgendwo niedergeschrieben." Sie lächelte Lilliana an und senkte dann leicht den Kopf.
"Aber was deine eigentliche Frage angeht - Ein Teil von mir hat selbst einmal in der Stadt Brügge gelebt. Allerdings war dies lange bevor die Stadt zu ihrer jetzigen Blüte gelangte, in einer Zeit als Valerius noch über die Stadt herrschte." Die Frau ging ein paar wenige Schritte und betrachtete die Mauer die vor ihr aufragte. "Als ich die Stadt verlassen hatte, gab es noch nicht mal eine Stadtmauer." Sie lächelte und nickte kurz. "Im Übrigen war auch er einer von uns. Hast du ihn je kennen lernen dürfen? Er war so etwas wie mein Mentor."
Lilliana nickte nicht zu den Ausführungen, sondern erwiderte diese nur mit einem ruhigen höflichen Tonfall. „Ein jeder mag seinen Glauben haben meine Schwester. So lasse mir den meinen, denn ich glaube an Gott und das er nicht nur mein Schicksal, sondern das von uns allen hier bestimmt.“
Sie verstummte um zu zeigen, dass hier das Thema abgeschlossen war, ehe sie fortfuhr. „ Prinz Valerius, natürlich ist er mir ein Begriff, aber schon seit langer, langer Zeit habe ich nichts mehr von ihm gehört. Ihr sagtet, dass er euer Mentor war? Fürwahr eine Ehre. Seit ihr auf der Suche nach ihm?“ Lilliana blickte sie nun interessiert und neugierig an.
Sie blickte Lilliana kurz an und seufzte dann nur. "Wie du wünscht. Doch du verstehst mich falsch denn dies ist keine Frage des Glaubens. Es geht darum das Schicksal selbst als Meister und Mentor zu akzeptieren sonst wirst du nie in der Lage zu sein die Dinge zu beeinflussen die du siehst. Doch wie du wünscht vielleicht war unser Zusammentreffen ja zu früh. Alles nach deinen Wünschen Schwester." Die Frau ging einige Schritte von Lilliana weg und schaute weiterhin die Silhouette der Stadt an. "Valerius und meine Wege haben sich vor langer Zeit getrennt. Wenn sich unsere Pfade wieder kreuzen sollen so habe ich es bis jetzt noch nicht vorausgesehen." Dann drehte sie sich um und schaute Lilliana direkt in die Augen. "Ich bin hier um dich zu warnen Schwester. Vor was da kommen mag, denn dunkle Wolken brauen sich am Horizont zusammen die mehr als nur ein Schicksal betreffen. Du musst bereit sein voranzugehen um wie ein Licht in der Dunkelheit voranzugehen und anderen den Weg zu weisen. Doch dazu musst du deine Gabe lenken und verstehen lernen."
Da Lilliana noch immer die Hand deren anderen hielt, ging sie automatisch die wenigen Schritte mit, während dessen sich ihr Gesicht verdüsterte, als sie die Worte hörte. Ihr Blick streifte wieder unwillkürlich Brügge, wie es so vor ihr lag. Eine Stadt, umgeben von einer Mauer. Menschen darin, die sich langsam aber stetig erholten. Kainiten, die ihre Freunde und Vertraute wurden und sie alle…? Lilliana schloss ergeben die Augen. „Dann wirst du mir helfen meine Gabe endlich zu verstehen und sogar zu lenken?“ sie öffnete sie wieder und schaute zurück zu ihrer derzeitigen Weggefährtin, entschlossen und ernst.
"Genau deswegen bin ich hier." Das Gesicht der Frau die sich selber so viele Namen gab und doch keinen machte einen besorgten Gesichtsausdruck. "Vielleicht wäre deine Zeit noch gar nicht gekommen wieder zu erwachen aber wir müssen bereit, denn wir sind wenige und die Gefahren viele." Sie sprach nach wie vor kryptisch und schien bei ihren Worten gelegentlich an Lilliana vorbei zu schauen. "Der Schlüssel zu allem ist Kontrolle und Akzeptanz, Schwester. Du darfst deine Kräfte nicht fürchten und musst sie doch immer respektieren. Du darfst dich nicht vor den Bildern zurückschrecken die du vielleicht siehst sondern du musst sie verstehen und genau beobachten, auch wenn sie schmerzliche Dinge zeigen. Verbunden sind wir alle egal ob untot oder lebendig durch unsere Träume, Träume wie diesen hier." Die Frau ließ Lilliana los und hob wieder ihre Arme. Brügge verschwand und ein neues Bild baute sich um beide auf. Sie waren dieses Mal auf einem nächtlichen Marktplatz der mit Menschen überfüllt war die ihre exotischen Waren feilboten. Es war ein fremder Ort den die Toreador ganz sicher noch nicht gesehen hatte. Es wirkte alles echt, konnte sie doch die Gewürze riechen und die feuchtwarme Luft auf ihrer kalten Haut spüren doch Lilliana könnte nun sehen, dass die Menschen einfach durch sie hindurchgingen um ihren Abendwerk nachzugehen. Die Frau lächelte Lilliana aufmunternd zu. "Probiere es. Dies ist dein Traum du hast du Kontrolle darüber stell dir einen Ort vor der sicher ist und an dem du dich wohlfühlen kannst und bringe uns beide dahin!"
Lilliana ließ die Hand der anderen noch immer nicht los. „Akzeptanz ist inzwischen vorhanden. Wie ich dir schon sagte, ich lerne aus meinen Fehlern und sehe meine Gabe nicht als einen Fluch an. Aber Kontrolle? Wie soll ich die Visionen kontrollieren?“ Lilliana schnupperte, die Luft war erfüllt von diesen Gewürzen und sie meinte zwei, drei von diesen zu erkennen, weil sie sie als Zusatz für ihre Farben gebrauchte und erschrak im selben Moment, als ein schneller Laufbote den direkten Weg durch ihren Körper nahm. Immer in Eile und nur die Verbindung zur Hand hielt sie an Ort und Stelle. Lilliana sah fragend zurück zur Kainitin, nickte aber dann und begann sich zu konzentrieren.
Die erste Veränderung war der Geruch. Nicht mehr exotischen Gerüche beherrschten die Nasen der beiden, sondern Gerüche unterschiedlicher einheimischer Pflanzensorten. Davon stachen zwei ganz besonders heraus. Ein angenehmer Rosenduft und ein fruchtiger Pfirsichduft, aber nirgendwo war bislang die Ursache dafür auszumachen. Dann wurde das Treiben auf dem Marktplatz leiser bis es schließlich ganz verstummte. Stände verschwanden und wurden durch Mauern ersetzt. Der Boden vor beiden tat sich auf und aus der Erde krochen Wurzeln, die sich ineinander verschlangen, höher wuchsen, Äste gingen ab und an ihnen begannen Früchte zu wachsen. Wunderschöne Pfirsiche. Lilliana schlug die Augen auf und betrachtete kritisch ihr Werk. Es war der Grundzug ihres Gartens in ihrem Haus in Brügge bei Nacht, aber bei weitem noch nicht perfekt. Die Rosen fehlten, obwohl sie den Duft von ihnen in der Nase roch und sie konnte Pferde hören, viele und sie meinte eines davon als Tarbas zu identifizieren.
„Ein wahrlich schöner Ort.“ Sagte die Frau in Rot in ehrlicher Anerkennung. Sie sah sich ein wenig um, atmete tief ein und schien die Ruhe des Ortes auf sich wirken zu lassen. „Es steckt viel von dir selbst in diesem Ort das kann ich spüren. Setzten wir uns doch.“ Lillianas Begleiterin würde auf eine der Sitzgelegenheiten zusteuern die Lilliana geschaffen hatte und sich in einer grazilen Bewegung niederlassen. „Nun Kontrolle ist in der Tat schwierig zu erlernen, nicht aber unmöglich. Um es mit einfachen Worten zu formulieren, stell es dir ähnlich dem Schwertkampf vor. Nur weil du ein Schwert besitzt heißt das noch lange nicht, dass du dieses führen kannst. Du musst damit trainieren, solange bis die Bewegungen automatisch geschehen und du nicht über den nächsten Schritt nachdenken musst. Deine Gabe kannst du ähnlich trainieren. Die Bilder die du siehst, betrachte sie gut versuche sie dir zu merken und aus anderen Winkeln zu betrachten. Sie sind schließlich in deinem Geist, was bedeutet, dass du ebenso wie in diesem Traum eine gewisse Kontrolle darüber ausüben kannst. Versuche die Bilder erneut vor deinem inneren Auge zu sehen. Und dann, ja dann musst du nach Hinweisen suchen die dir helfen deine Bilder einzuordnen. Es sind Dinge wie Jahreszeiten, Wappen, vertraute Gesichter, Namen und Daten auf Papieren. Verstehst du was ich sagen will Schwester?“
Ein Nicken der Toreador erfolgte, nachdem die Wörter verklungen waren. „Du willst mir sagen, dass ich lernen soll die Bilder, die ich erhalte nicht nur aus dem Blickwinkel zu sehen, wie ich sie präsentiert bekomme, sondern sie zu drehen und auf die Kleinigkeiten zu achten.“ Sie seufzte lächelnd auf und erhob sich wieder von der kleinen Bank, auf der sie sich kaum hingesetzt hatte. Dann schritt Lilliana zwei Schritt wieder vorwärts und schloss erneut die Augen. Wiederum dauerte es ein wenig, bis sich vor ihren Füßen erneut die Erde auftat und von unten heraus eine der Größe für einen Menschen angemessene Sargplatte sich daraus erhob. Es war das letzte Bild ihrer Vision in der vergangenen Nacht mit einer friedlichen schlafenden Frau darauf zu sehen. Lilliana ging in die Hocke und berührte mit der rechten Hand die Platte. „Ich kenne sie nicht Schwester.“ Dann begannen ihre Augen die die Linien, die Figuren und die möglichen Schriften zu suchen. Sie drehte dabei auch den Kopf zur Seite oder ging um die Platte herum.
Lilliana konzentrierte sich und es kostete sie Kraft das Bild in seiner Gänze wieder heraufzubeschwören. Es war erheblich schwieriger sich in seiner Gänze an etwas zu erinnern, als einfach ein neues Bild zu schaffen aber es gelang ihr. Vor ihr konnte sie wieder die Grabplatte mit den feinen Gesichtszuügen einer Frau sehen die nach diesem Bild wohl einmal wunderschön gewesen sein musste. Dieses Mal jedoch schaute sie sich nicht nur den oberen Teil an sondern auch den unteren. Auch hier gab es die Blüten die wohl von einem nahen Baum hergeweht wurden und das ganze zwar schöner aber auch noch trauriger machte. Schließlich fand sie etwas. Eine Inschrift. In deutscher Schrift stand dort geschrieben:
Marie von Erzhausen
1204 - 1235
Geliebte Mutter und Tochter
Mögest du endlich in Frieden ruhen.
Lilliana stolperte zurück und fiel rückwärts auf ihren Hintern. Das Entsetzen ob ihrer Erkenntnis war ihr deutlich anzumerken, während das Grabmal wieder im Boden verschwand und die Fläche darauf wieder von glatter Erde überzogen wurde, die aus wunderschönen, erblühten Rosen bestand. Sie stützte sich mit beiden Armen auf dem Boden ab und starrte in die weite Ferne ihres selbst geschaffenen Traumes. Es dauerte einige Minuten, bis sie sich wieder beruhigte, dann rappelte sie sich wieder auf und ging die wenigen Schritte zurück zur Bank und setzte sich wieder neben die Fremde. In ihrem Gedächtnis ging sie die Jahreszahlen durch. Weniger als 20 Jahre, dann würde sich das Schicksal von Marie erfüllen, wenn sie nicht einschreiten konnte. „Valerius… er konnte es auch, oder? Ich meine er hat dir das hier auch beigebracht?“
Die Frau sah sie an - mit Mitleid und Sorge und antwortete dann auf ihre Frage. "Ja das hat er. Die Grundlagen und ich habe die Jahre und Jahrzehnte genutzt Techniken zu verfeinern und mir noch mehr Wissen über Omen, Träume und das okkulte zu erweitern." Sie seufzte. "Ich weiß nicht was du gesehen hast - aber du weißt das du dich davon nicht in die Knie zwingen lassen kannst, oder? Das Schicksal hat die die Gabe und Bilder nicht geschickt als grausamen Scherz - sondern als Warnung. Du bist in der Lage einzuschreiten und die Dinge die du gesehen hast zu verändern, denn das was wir sehen ist im Grunde nur die größte Wahrscheinlichkeit im Moment." Sie nahm Lilliana Hände in die ihren. "Glaubst du, du bist bereit dafür Schwester?"
Ein sachtes, aber sehr ernstes Schütteln ihres Kopfes seitens Lilliana und sie begann wieder zu wispern. „Wie ich es bereits sagte, ich habe gelernt aus dem was passiert, wenn ich nur danebenstehe. Du hast mir nun gezeigt, was ich noch tun kann, damit ich mehr Informationen bekomme und ich weiß, dass ich noch viel lernen muss Schwester, um all das Wissen verwenden zu können, dass mir von Gott gegeben wird.“ Es passierte ohne Vorwarnung. Etwas in ihrem Inneren erinnerte sie an die letzten Worte der anderen mit einem erhobenen Fingerzeig und ihr Mund öffnete sich voller Erstaunen. Dann sagte sie in klaren Worten. „Es ist also nur die größte Wahrscheinlichkeit, aber noch niemals fest geschrieben.“ Lilliana schloss die Mund und ein hoffnungsvolles leichtes Lächeln zierte ihren Mund, als sie die Hände der Kainitin drückte und die Augen schloss. „Ich bin bereit!“ feste, klar, so unnatürlich sicher im Tonfall.
Die Frau nickte nur und lächelte absichernd. "Der Faden des Schicksals besteht in der Vergangenheit, wird in der Gegenwart gewebt, besteht aber noch nicht für die Zukunft. Doch sei vorsichtig. Unbedachtes und rücksichtsloses Handeln mögen genau die Zukunft erschaffen die du zu verhindern gedenkst. Es ist die Strafe des Schicksals ihm unseren Willen aufzwingen zu wollen." Sie sprach plötzlich schneller. "Schwester dort wo ich bin wird es bald Nacht werden und dann werde ich erwachen. Wir können uns wiedersehen aber nicht wenn du in Brügge bist. Dort kann ich nicht zu dir durchdringen. Dann musst du mich finden." Sie suchte Lillianas Blick und würde erst weiter fortfahren, wenn sie sicher ist, dass sie alles verstanden hatte.
Lilliana hatte die Augen wieder geöffnet und hörte interessiert zu, nickte zum wiederholten Male zum Zeichen, das sie verstanden hatte, was gesagt wurde. „Und ich werde dich finden können, indem ich bei Tage, wenn ich schlafe nach dir Ausschau halte…?“ Es war als beides gestellt, sowohl als Frage als auch als Antwort. Hier war es wieder, der Funken Unsicherheit, der belehrt werden musste.“ Und kann ich damit auch andere unserer Art finden?“
"Nur jene mit der Gabe werden in der Lage sein dich zu sehen und auch nur jene die gelernt haben hinzuhören. Mich aber kannst du suchen und finden wenn du träumst indem du meinen Namen benutzt. Mein Name, mein eigener und mein Geburtsname ist Theresa Kymena. So wirst du mich finden können und ich werde tun was ich kann um dich zu unterstützen so ich denn in der Lage bin." Die Frau die sich selbst Theresa nannte, begann vor Lillianas Augen zu flackern, es schien als würde Flammen sie verzehren, aber es schien ihr keinerlei Unbehagen zu bereiten.
„Theresa Kymena“ Lilliana wiederholte leise für sich den Namen noch zweimal und sah dabei fasziniert zu, wie die Frau vor ihr langsam verschwand. Die Flammen bei ihr waren so ungewohnt, so warm und ohne Schmerzen…
„Theresa“ Lilliana’s Stimme erklang noch einmal etwas lauter, während sie die Frau mit festem Blick betrachtete und sich sicher war, dass dies ihre letzte Chance war ihr etwas zu sagen, ehe sie vollkommen verschwinden würde. „Mein Name ist Aurora. Aurora von Hausen.“ es fühlte sich fremd an, wie sie ihren eigenen, wahren Namen aussprach, aber sie war sich sicher. Hier war er sicher.
Die Frau vor verschwand schließlich, jedoch nicht ohne noch einmal mit aller Freundlichkeit und Energie zu lächeln. Dann war Lilliana allein aber sie wusste sie würden sich in naher Zukunft wiedersehen. Die Zukunft - welch flackerndes Geschöpf konnte sich Lilliana noch denken. Irgendwann schließlich würde Lilliana aufwachen. Sie war in einer Zuflucht, die die sie dachte verlassen zu haben, als sie in jener Nacht in den Wald ritt und Zuflucht in einer Höhle suchen musste. Jetzt war sie wieder hier. Draußen konnte sie das Beben eines Donners hören, der sicherlich kurz zuvor von einem Blitz begleitet wurde.