Di 9. Mai 2017, 21:29
Alida hatte sich ohne Zögern von Girland in die Schreibstube geleiten lassen. Ihr gelang ein kurzes, dankbares Nicken bevor der Major Domus bereits wieder aus dem Raum geeilt war. Der Herr des Hauses konnte froh darüber sein einen solchen Mann zum Vorstand seines Haushalts ernannt zu haben.
Sie legte nach der kurzen Umarmung den Mantel ab und über eine Stuhllehne und nahm in dem dargebotenen Sessel Platz. Sie wünschte sich das erste Treffen nach Monaten könnte unter anderen Umständen stattfinden. Sie hätte zu gern erfahren, was sich im Osten ereignet hatte, welche Auswirkungen Gebrüder Rustovich dem Friedensvertrag beimaßen, welche Konsequenzen im besten oder schlechtesten Fall für ihre Clansmitglieder folgen mochten. Aber das war nicht der rechte Zeitpunkt. Sie sah kurz zu Leif, dann in die wasserblauen Augen des Tsimiske.
„Ich hoffe, es ist kein allzu großer Umstand, dass wir zu so später Stunde angereist sind. Wir befinden uns auf der Durchreise nach Gerhardsbergen…“ Sie seufzte. „Es ist wohl wichtig, dass jeder Kainit in Brügge, Gent, Brüssel oder Antwerpen in nächster Zeit erfährt, was sich möglicherweise abspielen wird.“ Sie machte eine Pause um dem Gesagten die angemessene Bedeutung zukommen zu lassen. „Nach den Berichten des Brügger Hauptmannes, Lucien Sabatier, ist eine Seuche in Gerhardsbergen ausgebrochen, die derzeit dadurch in Schach gehalten wird, dass man die Tore verschlossen hat und jeden am Herauskommen hindert. Wir haben eine Erkrankte aufsuchen können, aber Leif Thorson hier, unser Heiler, vermag besser als ich zu berichten, wenn es um Krankheiten und Symptome geht.“ Sie nickte zu Leif.
Leif ergab sich seinem Schicksal und folgte Alida wie ein lautloser Schatten in das dunkle Anwesen ihres Clansmitglieds. Er konnte noch immer nicht sagen, dass er sich in der Nähe eines Tzimisce sonderlich wohl fühlte, aber gewöhnen konnte und musste man sich irgendwann an alles. Belinkov hatte eine ganze Menge Glück, dass Alida sich so für ihn verbürgte, denn ohne ihren Einfluss hätten wahrscheinlich ein paar Kainiten mehr ein Problem mit einem linientreuen Unhold so direkt vor den Brügger Stadttoren - ihm selbst eingeschlossen. Den Blick starr nach vorne gerichtet folgte der Nordmann der blonden Händlerin und unterdrückte dabei das Bedürfnis sich ständig umzudrehen. Er wusste nicht genau was er erwartete… eine perverse fleischgeformte Skulptur, Tormentoren oder Menschen, die wie Vieh in Ketten gebunden von der Decke hingen, aber er war froh nichts davon zu entdecken. Soviel zu deiner Paranoia und deinen Vorurteilen, Leif Thorson, dachte sich der Salubri im Stillen. Diese unangebracht dunklen Gedanken vertreibend, zwang er sich eine halbwegs freundliche Miene auf und folgte Alida und dem Majordomus schließlich in die Schreibstube. Er erwiderte den Händedruck, lehnte wortlos die angebotene Vitae ab und wartete darauf, dass Alida das Eis brach. Erst als Alida von der Seuche zu berichten begann, schob Leif seine streunenden Gedanken bezüglich fleischformerischer Vorlieben beiseite und war wieder ganz beim eigentlichen Problem und dem Grund ihrer Reise angelangt. Er trat einen Schritt vor, als er von Alida aufgefordert wurde zu sprechen und erklärte dem Tzmisce mit kurzen, knappen Worten was sich zugetragen hatte. “Ich bin erst von einem Fieber oder einer Art Vergiftung ausgegangen. Etwas, dass man sich zum Beispiel von verdorbenem Essen holt. Allerdings glaube ich inzwischen, dass eine übernatürliche Macht ihre Finger im Spiel hat. Das, was wir erleben mussten, war über alle Maßen ungewöhnlich und besorgniserregend.” Leif überlegte kurz ob er das schwarze Blut erwähnen sollte und entschied sich dann dafür. Lediglich sein eigenes Erbrechen erwähnte er nicht weiter. “Keine Krankheit, die ich in all den Jahren beobachtet habe, ging mit einem solchen Verlauf einher. Das Ganze lässt nur zwei Schlüsse für mich zu. Entweder jemand ist sehr vorsichtig, oder - und das wäre noch schlimmer - jemand greift die Bewohner Flanderns absichtlich an.” Er hatte während des ganzen Rittes über ihre Lage nachgedacht und beide Varianten schienen ihm am wahrscheinlichsten.
Sergej Belinkov, der wohl tatsächlich schon allein aufgrund seiner Abstammung des Öfteren den einen oder anderen kritischen Blick von Seiten sowohl der Genter, als gewiss auch der Brügger Gesellschaft der Nacht hatte über sich ergehen lassen müssen, machte zunächst lediglich eine wegwerfende Handbewegung. Es stand wohl tatsächlich außer Frage, dass der östliche Händler sich zunächst hatte mehrfach in der Stadt beweisen müssen und Alida wohl ohne Zweifel das eine oder andere gute Wort beim hiesigen Rat für ihn eingelegt hatte. Da er sich aber bis jetzt nichts Unredliches oder Verwerfliches hatte zu Schulden kommen lassen, war man mittlerweile sogar geneigt dem russischen Wirtschafter ein uneingeschränktes Bleiberecht einzuräumen. Das freundliche Lächeln und sein offensichtliches Interesse am Grunde des überraschenden Besuches der Ratsmitglieder, war nach wie vor ungebrochen. „Ihr macht überhaupt keine Umstände“, meinte Belinkov zuvorkommend und lehnte sich aufmerksam zuhörend in die Sitzgarnitur, als Alida zu erzählen begann. Ohne die Händlerin in ihren Ausführungen zu unterbrechen, folgte er ihrem Bericht und man konnte sukzessive beobachten, wie seine Mundwinkel sich mit jeder gesprochenen Silbe senkten und gegen Ende hin, gar nur mehr eine schmale, neutrale Linie bildeten. „Eine Seuche in Gerhardsbergen? Die Stadt der Tuchmacher und Feinweber? Und es gibt bereits eine Erkrankte in Brügge?“ Belinkov saß mit einem Mal aufrecht und lehnte sich mit ernstem Blick weiter nach vorne, während Alida das Wort an Leif übergab. Dessen Ausführungen zur Symptomatik und dem Verlauf der angeblichen Seuche, verfolgte er ebenso aufmerksam und stillschweigend. Der Drache wirkte nun in gewisser Weiser ernüchtert und sog tief die Luft in die toten Lungen. Kopfschüttelnd blickte er für einen Augenblick in die Leere und es war ihm anzusehen, wie seine Gedanken sich zu überschlagen schienen.
„Ich bin zwar in gewisser Weise mit dem menschlichen Körper vertraut; manche würden sogar behaupten, es gäbe niemanden, der sich intensiver mit der sterblichen Physis auseinandergesetzt hätte als ich, aber diese Symptomatik übersteigt völlig meine Kompetenzen und ist auch mir ein Rätsel.“ Er nickte Leif ernst und bekräftigend zu. „Hier ist kein Former gefragt, sondern ein Medicus, ganz ohne Zweifel. Gut, dass ihr euch gleich mit auf den Weg gemacht habt.“ Sergej Belinkov hob kurz den Kopf und starrte grübelnd an die sorgfältig weiß getünchte, hohe Decke. „Schwarzes Erbrochenes und ein krampfhafter, schmerzvoller Tod. Auch ich habe in meiner bisherigen Existenz nichts Vergleichbares gesehen, weder in den zugeschütteten Sickergruben der russischen Schlachtfelder, noch in den Höllennestern der Leichenschänder und Quacksalber von Prypjat.“ Seine wasserblauen Augen senkten sich allmählich wieder und fixierten nacheinander Leif und Alida. „Das erklärt allerdings auch, warum ein paar meiner bestellten Tuchlieferungen bereits überfällig sind. Eine Abriegelung der Stadt ist auf jeden Fall unvermeidlich. Denn wenn sich diese Pest weiter ausbreitetet, ist nicht absehbar welche Verwüstung sie anrichten wird, vor allem wenn wir davon ausgehen können, dass sie als widernatürliche Waffe missbraucht wird, die man gegen eure Domäne richtet. Eine große Hilfe werde ich euch wohl nicht sein und dennoch danke ich euch für die Warnung, geschätzte Ratsmitglieder; Madame Borluut wird selbstverständlich umgehend von mir unterreichtet werden, dessen seid euch gewiss. In dieser Notlage, muss der Städtebund stärker denn je zueinanderstehen. Alles was ich an Hilfe aufbringen kann, sollt ihr erhalten.“ Belinkov nickte entschieden und fest, bevor er eine kurze Pause machte. „Diese Seuche… wenn diese Krankheit dazu gedacht ist, uns und vor allem Brügge zu vernichten, also mit voller Absicht über unsere Landesgrenzen gebracht wurde, gibt es auch einen Urheber dieses Wahnsinns. Habt ihr einen Hinweis oder Verdacht? Gibt es Spuren, die nützlich sein könnten?“
Alida überlegte schweigend und begann wie so häufig gedankenverloren auf ihrer Unterlippe zu kauen. „Wir haben in Venedig gegen, hm, eine seltsame Gruppierung gekämpft. Ich bin mir sicher, dass Andrei Rustovich einen ausreichen informativen Bericht über die Vorfälle in Venedig während der Unterzeichnung der Friedensverträge abliefern konnte, oder? Während dieser Ereignisse kam es zu einem Gefecht mit einem Werwolf, der seltsam ausgezehrt, aufgefressen wirkte. Durch eine einzige Berührung zweier Krieger konnte er diese zu etwas Ähnliches wie Werwölfe ‚formen‘. Als wir sie vernichtet hatten, blieb nichts als eine ähnliche schwarze Blutlache übrig…“ Sie sog tief die Luft durch die Nasenflügel in ihre toten Lungen. Gedankenverloren hatte sie die Linke über ihren Rock fahren lassen und blieb an etwas Hartem hängen. Überrascht zog sie den seltsamen, silber-goldenen Anhänger aus ihrer Tasche hervor, den Leif ihr in den frühen Abendstunden gegeben hatte da er ihn auf den Stufen des Brügger Anwesens gefunden hatte. Sie hatte ganz vergessen, dass sie ihn eingesteckt hatte. Nachdenklich ließ sie die Finger über das kalte Metall streifen. Sie würde sich das kostbare Schmuckstück später ansehen. Wer deponierte so etwas auf einer Treppenstufe. Sie riss ihren Blick von dem Anhänger los um dem Gespräch weiter zu folgen.
Lediglich pure Willenskraft ließ Leif nicht zusammenzucken, als er den Namen Andrej Rustovichs hörte. Also hatte Belinkov auch mit diesem Scheusal zu tun. Leif war irgendwie nicht einmal überrascht. Er schaute zwischen den beiden Unholden hin und her, folgte aber trotzdem aufmerksam dem Bericht des anderen Brügge Ratsmitglieds. "Alida hat recht. Ich bin mir trotzdem unsicher, ob die Vorfälle in Venedig etwas damit zu tun haben. Es könnte sein, dass eine Gruppe Italiener, die an der Dombaustelle arbeiten, etwas mit all dem zu tun haben, allerdings erklärt das noch nichts warum die Krankheit in Gerhardsbeergen ausgebrochen ist." Leif fuhr sich mit der linken Hand über den leichten Bartschatten, während er nachdachte. "Es könnte auch immer noch ein Kollateralschaden sein. Jemand, der nicht einmal weiß, dass er diese übernatürliche Seuche verbreitet. Es gibt Kainiten, die zum Beispiel zu Pestträgern werden, ohne es überhaupt zu ahnen." Leif wollte sich dem Gedanken noch nicht hingeben, dass ihnen Venedig bis nach Brügge gefolgt sein sollte. Wenn das der Fall wäre, dann wäre das nur ein Vorgeschmack auf das, was da kommen würde. Nein, bevor er diese Wahrheit auch nur in Betracht zog, würde er sich selber ein Bild in der Stadt machen.
Der Drache nickte weiterhin nachdenklich und schien zeitgleich bereits die für ihn selbst notwendigen Schritte zur Gewährleistung der Sicherheit für sich und seine Dienerschaft zu überdenken. Gewiss wäre er nicht der Einzige in der Stadt sobald diese erschreckenden Neuigkeiten erst einmal den Weg zu Madame Borluut und dem örtlichen Rat gefunden hatten. Höchstwahrscheinlich war anzunehmen, dass Gent es Brügge bei der Handhabung zur Bekämpfung und Prävention der Ausbreitung der Seuche gleichtun würde. Dies war einerseits natürlich zu begrüßen, andererseits würde es das Aufrechterhalten der Scharade, der Umtriebe einer lokalen Diebesbande in Brügge, beträchtlich erschweren. Wenn nacheinander alle flandrischen Städte ihre Tore mit fadenscheinigen Argumenten für alle Welt schlossen und nicht einmal die Handelstransporte mehr durchließen, würden die drängenden Fragen und das Misstrauen der Bürger bei weitem schneller zu wachsen beginnen. Die Zeit arbeitete wie so oft gegen sie. Ein tiefes Seufzen unterbrach die Gedanken des Gastgebers. „Ja, Andrej Rustovich hat mir bereits eine kleine Zusammenfassung zukommen lassen. Bisher ist noch fraglich, wobei es sich bei diesem merkwürdigen Wofling gehandelt haben könnte. Genauso wie die Frage nach dieser schwarzen Galle, die offenkundig Sterbliche in schattenhafte Zerrbilder ihrer selbst verwandeln konnte. Es gibt Parallelen zu euren Begegnungen in Venedig, das stimmt. Aber soweit ich informiert bin, war die Gefahr in der Serenissima keineswegs eine ominöse Krankheit. Und doch scheinen diese südländischen Handwerker, irgendwie in die Angelegenheit verwickelt zu sein. Unwissend oder nicht.“ Sergej Belinkov erhob sich und rückte sein dunkles Wams zurecht. „Einer der unseren, der sich an den Italienern oder jemand anderem gelabt hat, könnte genauso gut aus Versehen diese Plage eingeschleppt haben… oder mit Absicht. Nach wie vor aber werde ich das Gefühl nicht los, dass diese Krankheit, selbst wenn sie Menschen nicht in Teerwölfe verwandelt, doch einem übernatürlichen und zutiefst unnatürlichen Entstehungsprozess zugrunde liegt. Schwarzes Erbrochenes ist selbst für eine ‚gewöhnliche‘ Seuche wirklich atypisch und ich möchte sogar sagen: ausgeschlossen. Möglicherweise gäbe es da jemanden in Gerhardsbergen, den man fragen könnte, falls ihr nicht ohnehin schon eure okkulten Gefährten um Rat gebeten habt…“ Der Drache Belinkov, tat es Leif gleich und rieb sich das Kinn, auch wenn es in dem scharf geschnittenen Gesicht wohl kein noch so kleines Haar mehr geben mochte, das sich Bart schimpfen durfte.
„Warum habt ihr im übrigen Hendrik mitgebracht? Ich hoffe doch nicht, er…“, der Tzimisce schluckte kurz und ließ den Blick vom einen zum anderen wandern. „… ist infiziert?“
Alida schüttelte rasch den Kopf. „Nein, Hendrik hätte keine Möglichkeit gehabt sich zu infizieren. Er wäre, da er ein Gespräch von uns belauschen konnte, in der Lage Unruhe in Brügge zu verursachen und dem möchte ich gerne zuvorkommen. Wenn er ein paar Tage hier verweilen dürfte, wäre ich sehr dankbar.“ Sie fuhr ein letztes Mal mit dem Finger über das Schmuckstück und steckte es dann zurück in die Tasche. Sie wechselte das Thema erneut zu dem zuvor Angesprochenen. „Wen könnte man in Gerhardsbergen befragen, der möglicherweise nähere Auskünfte zu geben bereit wäre?“
Leif mischte sich direkt in das Gespräch ein und antwortete Alida. "Zuerst einmal reden wir mit Balduin, da er die Stadt im Moment zumindest von außen unter Kontrolle hat. Vielleicht kann er uns schon bald ein paar Informationen geben. Sobald wir es in die Stadt g schafft haben, sollten wir uns einen Überblick verschaffen und dann Marlene und Frederik suchen. Wenn die beiden uns nicht mehr sagen können, dann bleibt uns immer noch die Möglichkeit die Stadtwache oder vielleicht ein paar Wirtsleute zu befragen." Leif schaute sich in der Stube ein wenig um und sog den Weg den erdigen Geruch von Holz und Pergamenten ein. Kein Blut, das war irgendwie beruhigend. Er schaute zu Belinkov und adressierte ihn mit ruhiger, höflicher Stimme. "Wir wollen noch einen Boten schicken, der unser Kommen für morgen Nacht ankündigt wenn es euch keine Umstände macht. Aber wir versuchen so viele Probleme wie möglich zu vermeiden um so schnell wie irgendwie möglich in die Stadt vordringen zu können. Eure Unterstützung in dieser Sache, wäre daher mehr als willkommen falls ihr einen geeigneten Mann zur Hand habt."
Ein wenig erleichtert stieß ihr Gastgeber die Luft aus seinen toten Lungen. Ob er sich tatsächlich Sorgen um den jungen Hendrik machte oder lediglich beruhigt zu sein schien, dass seiner eigenen Dienerschaft vorerst kein Unheil durch die Krankheit drohte, war schwer zu sagen. Wie immer man diese knappe Geste interpretieren mochte; es folgte ein bekräftigendes Nicken in Richtung der blonden Händlerin. „Euer Ansinnen ist verständlich, verehrte Gäste. Es dürfte ohnehin schwierig sein eine drohende Epidemie lange vor den Augen und Ohren der Bevölkerung zu verstecken, da ist niemandem geholfen, wenn ein kleiner Junge, der es aus jugendlichem Leichtsinn nicht besser weiß, zusätzlich Öl in den bevorstehenden Flächenbrand gießt. Hendrik kann solange bleiben, wie es erforderlich ist. Girland wird sich gut um ihn kümmern, das verspreche ich.“ Er wollte noch weiter ausholen, um Alidas Frage zu beantworten, da setzte aber auch bereits der Salubri an. Der Drache klappte den Mund wieder zu und zog die Augen fragend zusammen, während er dem Gespräch konzentriert folgte. Schlussendlich hob er erstaunt beide Augenbrauen. „Ah, dann ist der Fürst bereits dabei die Stadt unter Quarantäne zu stellen? Umsichtig und zügig reagiert, das muss man dem Herrscher von Zeebrügge lassen. Weitaus bedenklicher empfinde ich die Tatsache, dass eine eurer sterblichen Verwandten, genauso wie ein Mitglied eurer Domäne sich derzeit dort aufhalten. Der Kainit dürfte vorerst recht sicher sein, was man von Marlene wohl nicht behaupten kann. Doch selbst für ihn droht möglicherweise Gefahr. Eine ungute Situation.“ Mit einem festen Blick, hefteten sich seine hellen Augen auf den Heiler. „Ihr bekommt sowohl den Boten, den ich gleich entsenden lasse, als auch alles andere, das euch nützlich sein kann, sofern ich es euch in dieser kurzen Zeit zu beschaffen vermag, Meister Thorson. Darauf habt ihr mein Wort. Zwar bin ich nicht im Bilde, wie sich diese ‚Belagerung‘ oder Quarantäne gestaltet und ich selbst habe so niemanden direkt vor Ort. Eine gute Möglichkeit in die Stadt zu kommen, dürften aber vielleicht die Nahrungstransporte sein; schließlich glaube ich nicht, dass euer Fürst die Leute verhungern lässt, trotz des allgegenwärtigen Todes. Möglicherweise bekommt ihr aber auch einfach einen Freibrief ausgehändigt.“ Seine Schultern hoben sich kurz. „Soweit ich weiß, seid ihr ja gute Bekannte.“
Belinkov räusperte sich knapp. „Was die andere, mögliche Form der Hilfe angeht…“ Er sah zu Alida, dann zu Leif. „… so ist es mehr oder weniger nur Klatsch und Tratsch, den sich die Wachleute und Bediensteten erzählen. Als Händler und Reisender schnappt man ob gewollt oder ungewollt so einiges auf, aber es heißt, in oder um Gerhardsbergen lebe eine weise Kräuterfrau. Böse, christliche Zungen würden sie womöglich eher eine Hexe schimpfen. Angeblich ist sie recht beliebt bei der armen Dorfbevölkerung und auch einige Städter begeben sich zu ihr um Rat einzuholen oder Medizin zu erwerben, selbst wenn sie es nie offen zugeben würden. Der springende Punkt an der Geschichte ist: Die Leute schwören, dass sie tatsächlich über magische Kräfte verfügt. Das mag nun stimmen oder nicht, aber wenn sie in der Tat über Magie verfügt und das okkulte Handwerk erlernt hat, dann könnte so eine sterbliche Zauberin vielleicht eine große Hilfe sein. Unter der Prämisse natürlich, diese Plage ist handgemacht und kein unvorsichtiger Kainit.“
Alida nickte zustimmend. „Ist der Name dieser Kräuterfrau allgemein bekannt?“ Sie wartete die Antwort ab und sah dann zu Leif. „Dein Vorschlag bezüglich unseres Vorgehens in Gerhardsbergen ist sinnvoll und gut durchdacht. Balduin, Gerhardsbergen, Frederik und Marlene sofern wir sie hoffentlich ausfindig machen können und dann die Befragung der Bevölkerung. Vielleicht wäre es zielführend der Kräuterfrau zuvor einen Besuch abzustatten, da wir nicht sichergehen können, dass wir genauso schnell aus der Stadt hinaus wie hineinkommen können? Und vielleicht ist tatsächlich eine Untererdung mit ein paar der Infizierten nützlich um die Art der Ansteckung zu erfahren. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es sich um einen Kainiten handelt, der mittels Biss eine Krankheit überträgt… Carla hätte sicherlich irgendetwas Auffälliges berichtet so lange sie zum Sprechen in der Lage war…“
Leif schaute Alida lange an bevor er die nächsten Worte sprach: "Es gibt ein paar Krankheiten, die sich sogar über die Luft übertragen. Dann reicht ein Biss um jemanden zu infizieren und er steckt fast alle an mit denen er Kontakt hatte." Er wollte die Implikation in all dem ungesagt lassen und zum ersten Mal dachte Leif daran, was sie in der Stadt vorfinden mochten. Was wäre, wenn es den meisten Menschen dort ergehen würde wie Carla? Er bedachte die blonde Händlerin mit einem aufmerksamen Blick. Wie würde Alida reagieren, wenn sie Marlene vorfinden würde wie ihre letzte Patientin in der Waldhütte? Leif stellten sich bei dem Gedanken die feinen Haare im Nacken auf. Wahrscheinlich würde Alida Sinn und Verstand verlieren und ein solcher Kontrollverlust wäre gefährlich für alle Beteiligten. Er wandte sich an die beiden Unholde um das Thema auf etwas Anderes zu lenken. "Wenn wir diese Frau finden können, dann sollten wir in der Tat mit ihr reden. Wenn sie wirklich übernatürlich ist, dann hat sie die Krankheit bestimmt bemerkt, oder..." die Stimme des Nordmannes dunkel und verschwörerisch. "...oder vielleicht hat sie sogar etwas damit zu tun."
Belinkov wandte den Blick zwischen dem Gespräch der beiden Kainiten abwechselnd hin und her; wirkte dabei zunächst höflich interessiert, danach sogar ein wenig entsetzt, als der Salubri über tödliche Krankheiten berichtete, die sogar über die Luft übertragen werden konnten. „Der Besuch bei der Kräuterhexe ist zumindest einen Versuch wert, würde ich meinen. Was habt ihr zu verlieren? Im schlimmsten Falle etwas Zeit, im besten Falle bekommt ihr genau jene Hilfe, auf die wir alle hoffen.“ Der Unhold pausierte kurz. „Oder ja, so die sieben Höllen wollen, hat sie womöglich auch etwas damit zu tun. Wenn ihr nach der Hexe suchen wollt, so fragt nach Helena. Das ist zumindest der Name, der mir zugetragen wurde; selbst habe ich sie bislang auch noch nicht gesehen, fürchte ich.“ Mit eiligen Schritten, stapfte der Hausherr in Richtung seines Schreibtisches und zog ein frisches Stück Pergament von einem kleinen Stapel. Mit Blick zu den Gästen, tauchte er die Feder ins Tintenfass. „Ich werde noch heute Nacht an Madame Borluut schreiben und meine eigenen Vorbereitungen treffen. Vermutlich wird es daraufhin gleich morgen eine Ratsversammlung geben. Eure Pferde werden gestriegelt und gefüttert, wenn ihr möchtet, kann mein Waffenmeister noch einmal eure Waffen überprüfen. Ansonsten werde ich Girland bitten, euch zu euren Unterkünften zu geleiten, wo ihr auch Pergament und Feder finden werdet. Ein Bote wird sich um eure Nachricht kümmern und noch zu dieser Stunde den Weg nach Gerhardsbergen zum Fürsten Balduin einschlagen. Ich hoffe, dass wir uns allesamt dieser Bedrohung erwehren werden können, denn einen gepanzerten Gegner mit dem Schwert zu erschlagen ist eine Sache. Ein völlig unsichtbarer Feind, eine gänzlich andere. Benötigt ihr sonst noch etwas?“
Alida erhob sich zögernd, deutete eine kurze höfliche Verbeugung an. „Vielen Dank für die Gastfreundschaft und die Unterstützung. Derzeit fällt mir nichts weiteres ein… Ich denke, das was wir brauchen werden, erschließt sich uns wohl just in dem Moment in dem wir es vermissen.“