Do 11. Apr 2019, 20:38
Der breitschultrige Mann stieß mit einem Ruck die Tür zu dem kleinen Hinterzimmer des Elysiums auf, nur um sie im nächsten Augenblick mit der Ferse seines harten Lederstiefels wieder geräuschvoll hinter sich zuzuhauen.
Ausladend durchschritt er den Raum und warf seinen Mantel mit unnötiger Heftigkeit über eine Stuhllehne, die gefährlich ins Wanken geriet.
Vom anderen Ende des Raumes vernahm er eine Stimme. „Ich habe schon Zweifel bekommen, ob ich dich in dieser Nacht noch zu Gesicht bekommen würde.“
Seine Antwort war ein undefinierbares Schnauben, das einem Bären alle Ehre gemacht hätte.
Blasses Mondlicht fiel durch eines der aus teurem Glas gefertigten Fenster und ließ die Silhouette eines Mannes scharf davor abgrenzen.
Jan van Hauten ersparte sich nach wie vor jedwede Antwort und ließ sich schwer in eines der weich gepolsterten Möbelstücke fallen, zwischen denen ein Schachbrett aufgebaut war bei dem bereits einige Figuren aus dem Spiel ausgeschieden waren. Aus dem Sitzen heraus sah er zu dem so nur wenig größeren Frederik auf, der nach wie vor gegenüber dem Fenster verweilte. Seine Stimme war dunkel als er brummte. „Muss es wirklich wieder dieses Spiel sein? Wie wäre es mal mit einem vernünftigen Kartenspiel wie Poch, Bakkarat oder ‚21‘?“
Der schmaler gebaute Mann trat näher heran, stellte den mit einer roten Flüssigkeit gefüllten Pokal, den er in der Rechten gehalten hatte, ab und nahm ebenfalls im gegenüber stehenden Sessel Platz. „Ich lasse ein Spiel nicht gerne unbeendet.“
Erneut grummelte der breitschultrige Ventrue, möglicherweise zustimmend, in seinen Bart und beugte sich über das Brett um die Aufstellung der Figuren näher in Augenschein zu nehmen. Er schwieg, war aber offensichtlich gewillt, das Spiel fortzuführen.
Frederik musterte ihn eine Weile und nahm dann einen Schluck aus dem Becher. Das rote Blut blitzte einen kurzen Moment im Kerzenschein auf seinen Lippen auf. „Heute hätten wir ‚Bier‘, ‚Wein‘ und sogar ‚Schnaps‘ im Angebot. Was darf’s sein?“
Jan sah nicht von den Figuren auf. „Wie das?“
„Einer meiner Ghule, mein fähigster Vorarbeiter im Kontor, feiert mit seinen Jungs im offiziellen Teil des Elysiums seinen 40. Geburtstag. Der Alkohol wird heute von mir gesponsort. Einige der Männer sind bereits jetzt sternhagelvoll und werden dankenswerterweise im Krankenhaus zur Ader gelassen. Ich liebe Geburtstage.“ Der Toreador grinste zweideutig und trank erneut.
„Bier. Danke“, kam die einsilbige Antwort des Hünen. Er verschob einen Bauern nach vorne.
Frederik van de Burse klingelte nach einem Diener, orderte kurz ‚Speziallieferung Bier und Wein‘ und wandte sich wieder dem Spiel zu, während der offensichtlich eingeweihte Untergebene mit einer kurzen, nickenden Verbeugung zur Tür heraus verschwand.
Schweigend saßen sich die beiden Männer, auf das Spiel starrend, gegenüber bis nach einigen Minuten der Diener erneut erschien um die silbernen Pokale mit der verheißungsvollen Flüssigkeit vor ihnen abzustellen. Frederik nickte ihm dankbar zu. „Das war es für heute, Jakob. Danke. Grüß die Familie.“
Der Diener schien zu verstehen und verschwand genauso schweigend wie er hereingetreten war.
Während Frederik einen Läufer in Position brachte, griff Jan nach dem Becher und nahm einen viel zu tiefen Schluck. Mit dem dunklen Hemdsärmel wischte er sich das Blut von Kinn und Bart.
Der Toreador zog nachdenklich eine Augenbraue in die Höhe. „Vielleicht hättest du den Schnaps nehmen sollen? Du siehst aus als könntest du ihn gebrauchen.“ Als keine Antwort erfolgte, fuhr er fort. „Willst du nicht sagen, was los ist? Ist es wegen der blonden Brujah? Hat sie dich so aus der Fassung gebracht?“
Wohl eine halbe Minute war es still im Zimmer und nur das Kaminfeuer knisterte leise vor sich hin. Dann antwortete Jan. „Die Kleine ist sicher gut darin Männer aus der Fassung zu bringen. Das steht außer Frage.“ Er zögerte einen Moment. „Ich kann dir ebenso gut auch antworten, oder? Wer weiß, vielleicht übst du mittlerweile schon das Gedankenlesen bei mir um die Kräfte des Auspex zu perfektionieren?“
Frederik setzte eine übertrieben gelangweilte Miene auf. „Das würde mir bei Freunden nicht im Traum einfallen. Ich hoffe das weißt du?“
Der Ventrue sah ihn gespielt zweifelnd an, seufzte dann einlenkend und brummte in seinen Bart. „Ja, ja. Schon klar…“ Er verschob einen Turm. „Meine Familie hat bei der letzten Handelsmission zwei Schiffe verloren. Ein kleines Vermögen. Und da haben sich einige meiner Familienmitglieder gefragt, ob es nicht einfach wäre, mit einer kleinen Intrige das Vermögen der Van de Burse ein wenig zu erleichtern und es uns zuzuführen. Es ist alles andere als einfach diese Geister ruhig zu halten und zum Einlenken zu bewegen.“ Er seufzte erneut.
Frederik van de Burse, der eine nichtssagende Miene aufgesetzt hatte, die einem Pochkartenspieler zu Ehre gereicht hätte, verschob seine Dame um sie in Sicherheit zu bringen.
Jan van Hauten seufzte erneut. „Mach dir keine Sorgen. Ich bekomm sie schon in den Griff. Die Van Hautens und die Van de Burse arbeiten seit Jahrhunderten besser miteinander als gegeneinander. Das hat sich immer als gewinnbringend für beide herausgestellt.“
Frederik nickte. „Sag Bescheid, wenn du Unterstützung brauchst…“ Er ließ das Thema vorerst auf sich bewenden und schwenkte zu einem anderen über. „Was ist nun mit der hübschen Brujah? Sie hat dich aus dem Konzept gebracht, oder?“ Er grinste breit.
Jan van Hauten mied den Blick des Toreadors und griff nach einem Bauern um dann jedoch nach kurzer Überlegung den Turm seitwärts zu schieben. „Sie geizt nicht mit ihren Reizen und ist ungewohnt… ‚lebendig‘ für eine Kainitin.“ Man sah ihm an, dass ihm das Thema unangenehm war.
Frederik blickte ihn nachdenklich an.
„So, schieß mal los! Was weißt du wirklich über das Mädel? Und lass die oberflächliche Beschreibung weg, die du dem großen und kleinen Rat vorgetragen hast: ‚Von deinem Bruder empfohlene ‚Gelehrte‘, die in Brügge neue Aufgaben sucht…“ Er schien den Vortrag des breitschultrigen Mannes vor den Kainiten der Stadt zu zitieren.
Jan van Hauten zögerte, lenkte dann jedoch ein. „Das, was ich dir erzähle, bleibt unter uns? Kein Wort zu niemandem“ Seine Augen bohrten sich in die hellen des van de Burse, der wortlos, nur durch ein Schließen beider Lider sein Zugeständnis gab. „Carminus, mein Erzeuger, hat mich gebeten sie aufzunehmen. Er wurde wiederrum von einem Brujah namens Rodriguez de Avila, wahrscheinlich der Erzeuger des Mädchens, darum gebeten. Soweit ich mitbekommen habe, ein hohes Tier in der ‚See der Schatten‘, einer von den alten Philosophen, tugendhaft und stoisch. Carminus vertraut diesem Brujah und das Wort von jemandem wie Carminus allein reicht mir.“ Jan sah zu Frederik, der zustimmend nickte.
„Und warum dann diese Geheimniskrämerei?“
„Dieser Rodriguez de Avila will offensichtlich nicht, dass sein Schützling herausbekommt, dass er hinter der Sache steckt, ihre neue Zuflucht eingefädelt hat. Er meint, in seiner Obhut wird sie nie ‚selbstständig‘, nie in der Lage ‚richtig von falsch‘ zu erkennen, oder was auch immer er für richtig hält. Er ist der Meinung, dass sie das Potential zur ‚wahren Gelehrten‘ hat, aber erst ihre eigenen Erfahrungen machen muss.“
Frederik lachte freudlos auf. „Da bin ich ja fast froh, dass man mir damals nicht so viel Beachtung geschenkt hat. Dieser ‚Rodriguez‘ scheint bei aller ‚Tugendhaftigkeit ja ein Meister der Manipulation und Intrige zu sein.“
Jan van Hauten sah ihm an, dass der Gedanke an den Brujah ihn mehr als verstimmte und fuhr, um ihn auf andere Gedanken zu bringen mit seinem Bericht fort. „Sie baut bei der Jagd auf ihre weiblichen Reize…“
„… und perfektioniert diese Gabe anscheinend an jedem, der ihr über den Weg läuft“, beendete der Toreador den Satz des Ventrue.
Jan van Hauten zuckte mit den Schultern während Frederik mit seiner Dame dem schwarzen König gefährlich nah kam. Frederik kaute auf der Unterlippe. „Die Dienerin des Elysiums, Svantje, war vor zwei Stunden hier. Sie hat mir gemeldet, dass unser Gast sie unsittlich gemustert habe und zweideutige Fragen gestellt hätte. Daraufhin hat Svantje ihr anscheinend ordentlich die Meinung gesagt…“
Jan verzog das Gesicht. „Ungut… Svantje ist aus guter Familie und lässt sich nicht gerne etwas bieten. Allerdings ist Louisa Gast in der ‚blutigen Jungfrau‘…“
Frederik nickte. „Ich werde mich morgen offiziell als Hüter des Elysiums bei ihr entschuldigen. Svantje habe ich vorerst, so lange Louisa hier beherbergt wird, aus dem Elysium verwiesen. Ich verstehe, dass sie ihre Meinung kund tun wollte, aber ein etwas ‚diplomatischer Ton‘ wäre für einen Ghul wie sie angebracht gewesen. Mal schauen, ob Charlotte, Svantjes Meisterin, nun auch eine Entschuldigung verlangt…“ Frederik stöhnte und verdrehte die Augen. „Das Elysium, Ort der Ruhe, Eintracht und Geselligkeit…“
Jan grinste nun seinerseits. „Es ist ja wohl offensichtlich, dass Louisa und ihr Temperament in Brügge Spuren hinterlassen werden.“
Frederik schob das Spielbrett von sich. „Es ist genug für heute. Lass uns lieber die Karten auspacken. Ich hab heute schon genug gegrübelt und nachgedacht.“
Jans Grinsen wurde noch breiter. „Das ist ja schon mal die erste Veränderung: Du verzichtest freiwillig auf dein geliebtes Schachspiel.“