So 22. Mär 2015, 14:02
Belinkov führte ihn in das Zimmer, warf kurz einen Blick in Richtung einer gemütlichen Sitzgruppe dann zum Schreibtisch. Er entschied sich für den Schreibtisch, räumte einige der Papiere zur Seite und lud Lucien mit einer ausladenden Geste ein ihm gegenüber Platz zu nehmen.
„Ihr seid also Lucien Sabatier, Hauptmann der Brügger Stadtwache, wenn ich mich nicht irre. Es freut mich Euch heute als Gast begrüßen zu dürfen. Ihr seid schnell mit dem Schwert und schnell mit der Zunge habe ich gehört.“ Ein wissendes Schmunzeln breitete sich auf seinen Zügen aus. „Doch sagt: Ihr erwähntet gerade, meine Leute hätten euch keinen angenehmen Empfang bereitet. Was genau meint ihr?“ Er sah Lucien fragend an.
Lucien machte ein paar Schritte auf den Schreibtisch zu an dem Belinkov soeben Platz genommen hatte, rückte dort einen Stuhl zurecht und setzte sich ebenfalls hin. Sein Blick glitt über all die Kostbarkeiten und Habseligkeiten, mitunter wohl auch richtiger Plunder den der Russe angehäuft haben musste. Sein Nicken deutete eine gewisse Dankbarkeit an, obwohl ihm die Sache mit der ach so herzlichen Gastfreundschaft nicht wirklich koscher erschien. "Dem ist so ja. Und ihr seid Belinkov, geschickt im Handel aber noch geschickter wenn es darum geht Fleisch wie Ton zu formen...." Lucien grinste. "Hab ich gehört." Bezüglich der Wachen zog er lediglich die Schultern ein Stück an. "Ich wollte zu euch vorgelassen werden, scheinbar haben sprachliche Barrieren aber eine zivilisierte Konversation zunichte gemacht. Ich wurde ausgelacht, auf russisch verspotten und weder die Erwähnung eures Namens oder die von Girland konnten da etwas machen. Als die Schwerter schon blitzten, sah ich mich gezwungen zu handeln, Monsieur, aber keine Angst; eure Wachen leben noch. Ich habe sie nur ein wenig eingeschüchtert und ein paar hungernde Wildhunde rund ums Haus postiert, bevor ich mich zu euch schlich. Entschuldigt mein unangekündigtes Eindringen."
„Sie haben was?“ Ein wütender Zug legte sich auf sein perfektes Gesicht. „Ivan… Immer das gleiche mit diesem Kerl.“ Er erhob sich. „Verzeiht mir, Meister Sabatier, dass man Euch nicht herzlicher in meiner bescheidenen Behausung empfangen hat.“ Seine Lippen verengten sich zu einem Strich. „Der Mann ist leider der jüngste Sohn von einem meiner besten Männer. Das Ansehen, das sein Vater unter meinen Männern genießt macht den Jungen überheblich und nachlässig. Aber eine solche Dummheit ist nicht tolerabel.“ Er trat einige Schritte zur Wand und betätigte einen Mechanismus um sich dann wieder zu Lucien umzuwenden. Lucien war klar, dass es sich um eine Glocke handeln musste. „Er hat damit eindeutig seine Kompetenzen überschritten und mein Vertrauen missbraucht.“
Der Gangrel hob nur erneut die Schultern und machte eine abwehrende Geste; wirkte mehr als versöhnlich. Für ihn war die ganze Angelegenheit nicht weiter schlimm - bestenfalls eine lästige Verzögerung. "Wenn dies das erste Mal gewesen wäre, dass mich jemand verspottet und auslachte, Monsieur. Macht euch keine Sorgen, ich denke euer Ivan hat seine Lektion gelernt und schließlich und endlich bin ich ja nun dennoch hier. Er ist für eure Sicherheit verantwortlich und er kannte mich nicht - Vorsicht kann man ihm wohl kaum zum Vorwurf machen, höchstens seine Möglichkeiten nicht vollends ausgeschöpft zu haben. Aber wie gesagt, ich bin ja nun hier."
Es dauerte knapp eine Minute bis angeklopft wurde und sich die bekannte Gestalt von Girland durch die Tür zwängte. „Ihr habt gerufen?“ Der bärtige Mann trat näher und seine Augen wurden groß als er Lucien am Schreibtisch seines Herrn erkannte. Er öffnete den Mund um etwas zu sagen, schloss ihn dann jedoch wieder und sah Belinkov an.
„Danke Girland, dass du so rasch gekommen bist. Hol mir Ivan und seine Männer her! Sofort!“ Der Majordomus nickte und schluckte. Er deutete eine kurze Verbeugung an und verließ den Raum.
Belinkov sah wieder zu Lucien und er verschränkte die Finger. „Ivan wird von einem Kainiten angewiesen seinen Herren holen zu lassen und gibt weder Girland noch mir Bescheid? Zum Einen eine unverzeihliche Dummheit und zum Anderen verspottet und bedroht er einen Unbekannten ohne seinen Kopf zu gebrauchen. Für einen niederen Diener möglicherweise ein verzeihliches Benehmen aber das ist er nicht. Ivan wollte den Posten der obersten Wache. Und damit unterliegt ihm die Verantwortung für alle anderen. Von einem solchen Mann erwarte ich etwas mehr Führungsqualitäten, Potential und Gehirn.“ Er sah Lucien fragend an. „Würdet ihr ein solches Verhalten in Brügge bei euren obersten Wachmännern durchgehen lassen?“
Der Hauptmann der Brügger Nachtwache drehte leicht den Kopf als Girland den Raum betrat, schenkte ihm ein wissendes Lächeln: Natürlich war er überrascht. Draußen vor der Tür rotierte das Wachpersonal und der gesuchte Eindringling, von dem noch nicht einmal jemand wusste wer er war, saß hier mit seinem Herrn und unterhielt sich. Obwohl er hier selbstredend keine Befehlsgewalt hatte, nickte er dem Majordomus noch einmal bekräftigend zu, eine kleine Geste die ihm zu verstehen geben würde, dass wirklich alles in Ordnung war und er lediglich Belinkovs Anweisungen folgen sollte. An eben jenen gewandt, führe Lucien etwas überlegend weiter aus. "Wenn ein Kainit an die Tore von Brügge klopfen sollte so würden ihn meine Wachen, bis auf wenige Ausnahmen nicht sofort erkennen. Dennoch sind unsere Sicherheitsmaßnahmen entsprechend hoch und natürlich würde jede kleine, verdächtige Aktivität gemeldet werden bis der Kainit, als solcher erkannt werden würde." Lucien sah den Russen einschätzend an, nickte dann sachte als sein Blick sich etwas verhärtete. "Aber wenn solcherlei Dinge vorfallen dann ist die Befehlskette strikt einzuhalten. Es sind unverzüglich die entsprechenden Stellen zu informieren und laut Protokoll vorzugehen. Gerade Brügge kann sich Fehlgriffe nicht leisten. Von jemanden der die Wache in meiner Abwesenheit anführt oder den nächsthöchsten Posten inne hat, verlange ich nicht mehr als Perfektion… mein Unleben hängt mitunter davon ab."
Belinkov nickte zustimmend. Es dauerte rund fünf Minuten bis Girland mit den Männern erschien. Die Wachleute wirkten unruhig, sahen in alle Richtungen nur nicht zu ihrem Herren und wichen einen Schritt nach hinten als Girland dem arroganten gutaussehenden Mann, den Belinkov als Ivan bezeichnet hatte einen Schub nach vorn gab. Belinkov wechselte einige knappe Worte in der abgehackten Sprache die der Hauptmann nicht verstand mit den Wachleuten. Ivan sah die ganze Zeit zu Boden und war kaum wieder zu erkennen.
Schließlich trat Belinkov näher an ihn heran, drehte sein Kinn mit einer festen Bewegung in seine Richtung und zwang ihn den Blick seiner eisblauen Pupillen zu erwidern. Ivan begann zu zittern als sein Herr die Wahrheiten, die er ihm verschwiegen hatte, in seinen Gedanken suchte. Dann schlug Belinkov ihn mit einer knappen Handbewegung ins Gesicht und wandte sich wütend Lucien zu. Seine Stimme war laut und voller Zorn. „Er hat euch beleidigt, angespuckt, selbst als ihr euch als Kainit ausgegeben habt nicht adäquat reagiert und hat zusätzlich noch seine Wachmänner bedroht, sollten sie Girland oder mir Bericht erstatten.“ Er fuhr wieder herum. „Auf die Knie!“ Girland knurrte eine kurze Übersetzung für den Mann. Belinkov machte sich nicht die Mühe ins Russische zu wechseln.
„Ivan. Ihr habt mein Vertrauen missbraucht und meine Gunst verspielt. Kehrt zu eurem Vater zurück! Wenn er der Meinung ist, dass er euch genug Anstand, Wissen, Führungsqualitäten und ein wenig Hirn in euren hohlen Schädel geprügelt hat, kann er euch gern wieder der Obhut von Girland überstellen. Bis dahin will ich Euch nicht mehr sehen!“ Er streckte seine Hand aus und berührte den gutaussehenden Mann an der Schläfe. Als der Wachmann das nächste Mal aufschaute hing sein linkes Augenlid träge herab und entriss seinem Gesicht damit die Schönheit, die ihm zuvor inne gewohnt hatte. Die anderen Wachmänner wichen entsetzt zurück. „Er soll sich beeilen, sonst läuft er für den Rest seiner Tage so herum. Sag ihm das, Girland.“ Mit einer knappen Handbewegung gab er den Männern ein Zeichen sich zu entfernen und die Gestalten rannten fast aus dem Zimmer. Girland wartete einen Moment auf weitere Befehle, dann verabschiedete er sich mit einer angedeuteten Verbeugung. Belinkov nahm wieder Gegenüber von Lucien am Schreibtisch Platz. Er seufzte.
Lucien verfolgte die gesamte Szenerie mit unsicherem Schweigen. Er war hier Gast, was so viel bedeutete wie: Über die Art und Weise wie der Hausherr seine Zuflucht und Untergebenen befehligte, war nicht zu urteilen. Man konnte sich seinen Teil denken oder seine Meinung kund tun wenn man gefragt werden würde, doch das hier war die Domäne von Belinkov, es waren seine Männer, sein Gefolge und seine Anweisungen die nicht klar und präzise befolgt worden waren. Noch einen verstohlenen Blick, den beinahe rennenden Gestalten hinterher werfend quittierte er das kurze Seufzen seines Gegenübers mit einem bekräftigenden Nicken. "Es ist nicht immer leicht seinen Untergebenen klar zu machen, was Priorität hat. Ich hatte mal einen Wachmann, der kam ohne Bewaffnung zur Schicht. Wenn er nicht just einen Moment später nützlich gemacht hätte, hätte ich ihm an Ort und Stelle den Kopf abgeschlagen." Es war der vielleicht etwas unbeholfene lucientypische Versuch eine Art Beziehung zum Gastgeber aufzubauen. "Da wir aber gerade von Prioritäten reden, Monsieur. Verzeiht, dass ich so schnell zum Punkt komme aber ich bin kein Freund großer Worte. Ihr könnt euch sicher denken, dass jemand wie ich die Reise nach Genua nicht umsonst auf sich genommen hat. Weiters könnt ihr euch vielleicht schon denken, dass es einen besonderen Grund hat warum ich genau euch aufgesucht habe. In der Tat benötigt Brügge eure Hilfe."
Bei Luciens Worten huschte ein kurzes Lächeln über das Gesicht seines Gegenübers. „Nein, ihr seid kein Mann langer Begrüßungsfloskeln aber das ganze höfische Getue kann ich genauso wenig leiden. Auch wenn es mitunter erwartet wird…“ Die blauen Augen leuchteten kurz verschwörerisch auf. „Ihr kommt mir also durchaus entgegen.“ Er lehnte sich interessiert in seinem Stuhl zurück und nickte. „Ich gestehe, es hat mich überrascht zu hören, dass sich kurz nach meiner Abreise ein Tross von Brügge auf den Weg nach Genua gemacht hat. Wie anfänglich angekündigt habe ich eigentlich mit Alida van de Burse gerechnet. Ich bin mir sicher, sie hat euch berichtet, dass ich ihr ein Angebot unterbreitet habe, das sie ausgeschlagen hat. Auch wenn ich die Art und Weise wie sie…“ er suchte nach den richtigen Worten. „Geschäfte tätigt, kenne, habe ich doch gehofft, sie hätte es sich noch einmal anders überlegt. Nun denn. Das ist das Thema einer anderen Nacht und soll uns heute nicht weiter beschäftigen.“ Wieder richtete sich der fragende Blick auf Lucien. „So berichtet: Weshalb sucht ihr mich auf?“
Die Erwähnung, dass Belinkov schon bereits kurze Zeit nach seiner eigenen Abreise über die Brügger Reisegesellschaft und ihrem Ziel Genua informiert worden war, ließ Lucien kurz bedächtig inne halten. Wenn die hier im Süden schon Bescheid wussten, dann wüssten es mit hoher Wahrscheinlichkeit auch die anderen Domänen wie Frankreich oder England. Offenkundig konnte man nicht einmal mehr die eigene Stadt ungesehen verlassen. Er machte sich eine geistige Notiz, später noch mit Gerrit über diverse Sicherheitslecks zu diskutieren. Es mochte Vorteile haben der Anführer von Dieben und Halsabschneidern zu sein aber das war auch der größte Nachteil an der Sache. "Alida van de Burse wäre selbst gekommen Meister Belinkov, bedauerlicherweise ist sie aber mit anderen Dingen beschäftig denen sie sich voll und ganz widmen muss. Da ich eure private Unterredung mit ihr aber nicht mitverfolgt habe, kann ich zu irgendwelchen Geschäften oder Angeboten nichts sagen aber deshalb bin ich heute auch gar nicht hier." Der Gangrel suchte den Blick des Unholds. "Mir wurde mitgeteilt, ihr seid der bemerkenswerten Kunst des Fleischformens kundig, mein Herr, und wie ich an eurer Unterredung mit Ivan sehen konnte, scheinen diese Gerüchte zu stimmen. Die Frage ist: Reicht eure Kunst auch für mehr? Sagen wir: Für ein kleines... Wunder?"
Belinkovs blaue Augen verengten sich interessiert und nachdenklich. „Wunder sind wahrlich nicht mein Metier, Meister Sabatier.“
"Dann vielleicht lediglich große Taten, die einem alles abverlangen und das eigene Können auf die Probe stellen?" Lucien setzte absichtlich einen verschwörerischen Blick auf und versuchte diesen mit einem leichten Lächeln zu kompensieren. "Mir liegt es fern euch länger auf die Folter spannen zu wollen und mit um den Brei herum reden ist auch niemandem geholfen. Kurzum: Ihr seid versiert in den Künsten des Fleischformens und Brügge hätte eine dringende Aufgabe für die eure Talente, so wurde mir versichert, genau die richtigen wären. Leicht wird es nicht und vermutlich zeitaufwendig, kompliziert womöglich aber da bin ich kein Experte. Jedenfalls aber ist es wichtig." Der Gangrel ließ einige Sekunden verstreichen bevor er fortfuhr. "Ich bitte euch nicht nur im Namen von Brügge um eure Hilfe sondern auch im Namen von Alida van de Burse." Mit diesen Worten warf er ihm das kleine Stoffsäckchen mit dem Rest Brügger Erde, sowie dem kleinen Stein zu. "Werdet ihr uns helfen Monsieur Belinkov?"
Belinkov zog fragend eine Augenbraue hoch und griff nach dem Beutel. Vorsichtig öffnete er die Schnüre, blickte interessiert in die Schatten des Säckchens und ließ die Erde in seine bleiche Handfläche rieseln. Einzelne weiße Blütenblätter fielen zwischen die Pergamente auf den Schreibtisch. Er schloss die Faust und roch daran. Seine Stimme war nur ein Flüstern das von einem glücklichen Lächeln begleitet wurde. „Der Apfelgarten…“ Der Tzimisce wirkte mit einem Male viel lebendiger und jünger und seine Züge hatten fast etwas Kindliches an sich. Ein sehnsuchtsvoller Ausdruck lag auf seinem Gesicht. „Heimaterde. Ein gutes Geschenk der Frau van de Burse. Aber zugleich so unglaublich bitter.“ Er wurde sich wieder bewusst, dass er nicht allein im Raum war und schüttelte den Kopf als wolle er sich selbst ins Hier und Jetzt zurückholen. Er verstaute den Beutel in seinem Gewand und griff dann nach dem Stein. Er hielt den Jaspis näher an die Augen und musterte ihn lange mit einem wissenden Lächeln und für einen winzigen Sekundenbruchteil legte sich ein warmer rotbrauner Schatten über die kalten Pupillen. Belinkov blinzelte mehrere Male als hätte er etwas in die Augen bekommen und blickte Lucien dann wieder mit seinen eisblauen Iris an. Er legte den Stein zur Seite. „Worum geht es?“
Lucien betrachtete den Mann sehr eingehend, als dieser sich sehr intensiv und fast mit nostalgischer Hingabe dem Inhalt des kleinen Stoffsäckchens widmete. Er hatte sich schon bei seiner Abreise gefragt, wie ein wenig Erde, Blütenblätter aus Alidas Apfelgarten und ein kleiner, nicht besonders wertvoller Edelstein einen russischen Unhold besänftigen bzw. dazu bringen könnten, eine fremde Domäne so ohne weiteres zu unterstützen. Dies aber waren wohl Geheimnisse, die nur zwischen Alida und Belinkov selbst bestanden; möglicherweise eine Art Tzimisce Tradition oder Gepflogenheit, vielleicht aber verband die beiden bei weitem mehr, als die Brügger Kauffrau ihm anzuvertrauen gewillt war. Sei es drum, er würde sie wohl bei seiner Rückkehr danach fragen müssen denn für den Moment, schienen seine Worte und ihr Geschenk Wirkung zu zeigen. "Die Sache ist ein wenig... kompliziert, also nicht nur hinsichtlich dessen worum wir euch bitten, Belinkov. Es gibt einige... gefährliche politische Verwicklungen und Verbindungen, die mit dem worum wir euch bitten in Beziehung stehen. Sterblicher, womöglich aber auch kainitischer Natur. Im Grunde ist es ein Stück Djihad par excellence Monsieur und bevor ich euch mehr erzähle, muss ich euch erstens das Versprechen abringen, niemandem davon zu erzählen und zweitens..." Er pausierte kurz. "Zweitens müsst ihr bei eurer Ehre als Unhold versprechen, dass ihr zumindest versuchen werdet unserem Wunsch so gut wie möglich nachzukommen. Ich weiß es ist viel verlangt, doch viel steht auch auf dem Spiel. Habe ich euer Wort?"
Sein Gegenüber hob fragend eine Augenbraue. „Bei meiner Ehre als Unhold?“ Bei dieser Wortwahl musste er dann doch grinsen. „Ihr habt mein Wort als Tzimisce dass das, was unter uns besprochen wird dieses Zimmer nicht verlässt.“
Lucien nickte und rückte seinen Stuhl etwas näher an den Schreibtisch heran, lehnte sich etwas über die Ablage dabei und dämpfte die Stimme. "Wir sind nicht allein nach Genua gekommen. In meinem Tross befinden sich zwei Personen, dessen weitere Zukunft unmittelbar an eure Hilfe geknüpft ist. Bei dem einen handelt es sich um Balduin, den verstoßenen Sohn des Grafen Balduin von Flandern, der gerade in diesem Moment in den Kreuzzug aufbricht." Er wartete einen Moment bevor er fortfuhr. "Balduin, der Erbe von Flandern, wurde er von einem Feind unserer Domäne entführt und grässlich verunstaltet - allerhöchstwahrscheinlich durch eure Kunst. Währenddessen hat man einen fleischgeformten Doppelgänger von Balduin erstellt, dessen wahrer Name Martin ist. Der Knabe gleicht dem Original bis aufs Haar, Monsieur. Offenbar wollte man das Double benutzen um wie auch immer politischen Einfluss auf die Höfe von Flandern zu nehmen." Lucien grinste. "Dieser Plan konnte aber vereitelt werden und nunmehr haben wir den echten als auch den falschen Balduin in unserer Gewalt. Wir möchten, dass ihr eure Kunst anwendet um anhand von Martin, das Antlitz und die physische Erscheinung von Balduin wiederherstellt und danach Martin soweit verändert, dass er nicht mehr mit ihm verwechselt werden kann. Im Moment, ist der echte Balduin nicht mehr als ein Krüppel und Monster, einem Nosferatu bald würdig." Er setzte sich ein wenig auf und sah Belinkov fest in die Augen. "Es handelt sich also einerseits um eine recht einfache und dann wiederum um eine recht komplexe Aufgabe: Stellt Balduin anhand einer lebenden Vorlage wieder her und dann verändert die Vorlage sodass sie ihm nicht mehr gleicht - das war es im Grunde. Da uns der Prinz eine Aufenthaltsgenehmigung für einen Monat gab, habt ihr auch nur solange Zeit dafür. Könnt ihr das bewerkstelligen Monsieur?"
Belinkov ließ seinen Blick nachdenklich durch den Raum streifen um schließlich aus dem Fenster aufs weite Meer zu schauen. Mit den Fingern knetete er überlegend seine Unterlippe. „Ihr wollt, dass ich das Werk eines meiner Clansmitglieder ungeschehen mache? Ist es euch recht, wenn ich die Jungen herbeiholen lasse? Ich will wissen worum es sich handelt.“
Lucien nickte. "Schickt Girland zur Herberge 'La foresta', dort sind wir untergekommen. Fragt dort nach Frederik, Alidas Diener. Wenn ihr meinen Namen erwähnt sollten sie ihm genügend vertrauen um ihn zu begleiten. Doch seid vorsichtig, die Jungen müssen verborgen werden. Nicht nur weil der eine einem Monster gleicht, sondern weil der andere immer noch fälschlicherweise als Balduin erkannt werden könnte. Dieser Probleme mussten wir uns schon auf unserer Anreise widmen."
Belinkov nickte, rief erneut seinen Majordomus Girland herbei und gab ihm die Order die beiden Knaben herbeibringen zu lassen. Dann legte er die Handflächen übereinander und sah Lucien an. Eine lange Zeit schien zu vergehen. „Meister Sabatier. Da Frau van de Burse den Vorschlag, den ich ihr unterbreitet habe nicht in Betracht gezogen hat sind die meisten meiner Clansbrüder- und –schwestern nicht unbedingt hoch erfreut über diesen Umstand. Auch wenn nicht direkt offene Feindschaft entstehen wird, hätten sich die meisten doch über ein direktes Bündnis und nennen wir es „gegenseitige Unterstützung“ gefreut. Immerhin herrscht Krieg im Osten, wie ihr vielleicht wisst.“ Seine Stimme wurde leiser. „Und wie ihr bekanntlich wisst gibt es einige wenige Mitglieder der Tzimisce, die sich offen dazu entschlossen haben Lady Draga in ihrem Bestreben zu unterstützen ihr Voivodat auszubauen. Sollte ihr das gelingen ist es nur eine Frage der Zeit bis Brügge in die Hände dieser soeben erwähnten Tzimisce fällt.“ Er seufzte und fuhr sich mit der Hand über das Kinn. „Aber wie ich schon zu Beginn unseres Gesprächs erwähnte, das soll an diesem Abend nicht das Gesprächsthema sein…nur ist es nun einmal so, dass ich mich nicht unbedingt beliebt in den Reihen der Unholde machen würde, wenn ich eine Domäne unterstütze, die erst vor wenigen Wochen offen auf die Freundschaft der Tzimisce verzichtet hat.“ Wieder verstrich die Zeit und er fixierte Luciens graue Augen. „Lucien. Beantwortet mir bitte eine Frage… : In welcher Beziehung steht ihr zu Alida?“
Abermals nickte Lucien leicht, beobachtete Belinkov, wie er scheinbar mehrere Möglichkeiten, Optionen und allerhöchstwahrscheinlich auch seine eigenen Beziehungen in den östlichen Landen, gedanklich durchspielte. Alida hatte ihm vom Angebot des Tzimisce erzählt und er war nicht gerade begeistert davon gewesen. Für ihn waren alle freundlich gemeinten Angebote und Ratschläge in diese Richtung, nur ein typischer Versuch der hohen Clans sich den Geldbeutel Europas unter den Nagel zu reißen. Hohe Politik, Intrigen und Schmeicheleien - niemand wusste was der andere in Wahrheit vorhatte, welche Bündnisse, Gefallen und Vereinbarungen getroffen wurden. Was Brügge betraf, vertraute er Belinkov ungefähr genauso viel wie Draga Nevedof. Er schüttelte leicht den Kopf, lehnte sich etwas zurück und verfolgte die Schritte des Unholds während sie auf die Rückkehr von Girland warteten. "Ohne jetzt groß in Sachen Politik versiert zu sein Meister Belinkov aber ich glaube nicht das die Jungen und damit meine ich keinen von beiden, uns gerade in diesem Konflikt irgendeine große Hilfe sein könnten. Die beiden sind mehr eine Rückversicherung - lebendig nützen sie uns mehr als tot, mehr ist es auch nicht. Insofern unterstützt ihr uns schon, nur nicht auf die Art und Weise wie ihr fürchtet, dass man euch im Osten vorwerfen könnte." Seine Züge wurden misstrauisch als die Sprache auf Alida kam und er war sich unsicher was er antworten sollte. Das war in etwa als würde ihn Brunhild nach Leif fragen. "Nun, ich kenne Alida seit wir gemeinsam mit dem Rat die Führung der Stadt übernommen haben. Sie war bei allen wichtigen Entscheidungen und Herausforderungen dabei und ist geborene Brüggerin. Sie sieht die Stadt als ihre ureigene Domäne und wie immer sich die Dinge entwickeln werden, ich weiß das sie die letzte ist, die Brügge verlässt." Er kratzte sich am Kinn. "Ich würde sagen wir sind uns ein Stück näher gekommen. Wir hatten zu Beginn einige Differenzen was die.... Feinheiten des Unlebens betrifft aber mittlerweile ist sie jemand auf den ich zählen kann. Ich achte Alida van de Burse in ihren Fähigkeiten und Talenten. Sie hat sich den Platz im Rat mehr als verdient. Ohne sie wären selbst die Sterblichen nicht dort wo sie nunmehr sind." Lucien hielt den Blick etwas gesenkt. "Ich sage ihr das nie aber im Grunde zehren wir von dem was sie in Brügge bewerkstelligt. Ein großer Teil des wirtschaftlichen Aufschwungs ginge ohne sie unwiederbringlich verloren."
Belinkov legte die Stirn in Falten, lehnte sich in seinem Stuhl zurück und lauschte Lucien nachdenklich. Dann huschte ein schiefes Lächeln über seine Züge. „Ich werde euch ein kleines Angebot unterbreiten, Meister Sabatier, bei dem ich euch bitte es nicht zu hinterfragen. Solltet ihr einwilligen bin ich bereit, die Aufgaben, die ihr an mich gestellt habt nach bestem Wissen und Gewissen auszuführen. Ihr seid des Schreibens mächtig?“
Lucien versteifte sich etwas auf seinem Stuhl. Für einen Moment hatte er doch tatsächlich angenommen, Belinkov würde ihnen aus irgendeinem mysteriösen, im gänzlich unbekannten Grund doch noch ohne Gegenleistung helfen. Eine törichte Annahme und mitunter auch gefährlich - so wurde dieses Spiel nicht gespielt, das wusste er. Langsam nickte er. "Natürlich nahmen wir nicht an, dass ihr uns diese Gefälligkeit erweisen würdet ohne im Gegenzug etwas von uns zu verlangen. Ich bin des Schreibens mächtig, mittlerweile sogar recht passabel. Was also wollt ihr von mir?" Abwartend sah er ihn an.
Wieder erschien das schiefe Lächeln, das nicht die Augen erreichte. „Nur einen kleinen Gefallen… Ich möchte, dass ihr mir über meine Clansschwester berichtet ohne dass sie davon erfährt. Was immer euch beliebt sofern es der Wahrheit entspricht. Ich erwarte keine Geheimnisse über Brügge in jeglicher Art. Das würde euren eigenen Interessen in eurer Domäne selbstverständlich zu wieder laufen. Berichtet mir einmal im Monat über das Treiben der Alida van de Burse, was sie tut, mit wem sie handelt, wie sie ihre Zeit verbringt, den Namen ihres LIeblingsghuls… Eine kleine Gefälligkeit für den Erben von Flandern als Gegenleistung. Was haltet ihr davon?“ Das Lächeln war aus seinem Gesicht gewichen.
Der Gangrel sah ihn unverhohlen misstrauisch an und ließ den Kopf hin und er hergleiten, überlegend, abschätzen, abwägend. Das Lächeln, das nie die Augen erreicht hatte, hatte seinen Tiefpunkt erreicht und so 'herzlich' die Nacht begonnen hatte, so abrupt war sie an den Punkt angelangt, an dem alle kainitischen Unterredungen irgendwann angelangen mussten. Gefälligkeiten, Informationen, Intrigen und... Spionage. Er seufzte kurz. "Was erhofft ihr euch dadurch in Erfahrung zu bringen? Wollt ihr Alida wirtschaftlich in die Knie zwingen und somit den Weg für den Osten ebnen? Unterstützt ihr gar eine dritte Partei von der wir noch gar nichts oder viel zu viel wissen? Frankreich oder England? Vielleicht Deutschland? Oder geht es um eine alte Fehde die noch nicht bereinigt wurde? Warum sollte ich Alida für euch ausspionieren?"
„Ich habe euch gebeten meinen Vorschlag nicht zu hinterfragen und wie schon gesagt, worüber ihr berichtet, sei euch überlassen. Denkt ihr es wäre mir nicht möglich sie auch ohne eure Berichte wirtschaftlich in die Knie zu zwingen, wenn ich es tatsächlich darauf anlegen wollte? Sagt an: Seid ihr bereit es zu tun?“ Sein Gesicht zeigte keinerlei Regung und wirkte wie eine Maske.
Lucien schien überfragt. Das waren Entscheidungen, die er mit niemanden so schnell besprechen konnte und ihm war klar, das Alida davon wohl nichts wissen sollte. Der Rat war weit entfernt, ebenso jeder, der ihm in dieser Sache noch echte Unterstützung hätte leisten können. Im Grunde waren in diesem Moment nur zwei Kainiten anwesend, die ein Geschäft besiegelten. Es gab, zumindest auf den ersten Blick, keine Fürstentümer, Reiche oder Gruppierungen die im Hintergrund agierten. Es war die banalste, kainitische Sache der Welt - eine Hand wäscht die andere. Gefallen gegen Gefallen. Die Frage war nur: War Balduin das wert? Immerhin würde er selbst bestimmen können, was er dem Russen über Alida schrieb und wenn es sich nur um Nichtigkeiten handelte. Der Hauptmann hatte kein gutes Gefühl dabei, ganz und gar nicht und irgendwo hatte er den leisen Verdacht, dass diese nächtliche Unterredung zu keinem positivem Ausgang gelangen würde. War Balduin das wert? Nein, war er nicht. Er hatte es eigentlich schon zu Anbeginn der Reise gesagt: Wenn man mit Balduin noch etwas gewinnen konnte, war es gut. Wenn nicht, dann eben nicht. Tzimisce war Tzimisce, egal wie Belinkov mit Alida verbunden sein mochte. Es tat ihm Leid um den Jungen aber sie hatten erst kürzlich einen Verräter in ihren Reihen verloren, jemandem von dem sie nie geglaubt hätten, dass er dazu fähig gewesen wäre. Selbst wenn es nur lächerliche Kleinigkeiten gewesen wären, die Lucien an Belinkov schrieb, die Sache war zu heiß. "Nein", sagte Lucien schließlich. Allerdings klang es nicht sehr überzeugend. "Nein", wiederholte er dann entschiedener. "Es tut mir leid, Meister Belinkov, aber selbst wenn es Dinge sind die euch auch nicht einmal im Entferntesten nützlich sind. Ich lasse mich nicht instrumentalisieren. Nicht gegen Alida. Ich habe Politik in der Art immer verabscheut und solche Arbeit mache ich nicht. Entweder euch fällt eine andere Gefälligkeit in angemessenem Rahmen ein oder unser kleiner Handel ist bedauerlicherweise gescheitert."
Belinkov erhob sich aus seinem Stuhl und sah nach draußen aufs Meer. „Begleitet mich bitte ein Stück, Meister Sabatier.“ Er trat in den großen Raum der sich dem kleinen gemütlich eingerichteten Zimmer anschloss und ging zu einem der zerbrochenen Fenster. Er hob es aus den Angeln und verließ mit einem großen Schritt durch das offene Fenster die Halle und betrat die große zerfallene Terrasse, die zum Meer hinaus führte. Der Wind hatte sich ein wenig gelegt und blies nun die Wellen gegen den Strand. Die Brandung war laut und Belinkov erhob ein wenig die Stimme um von Lucien dennoch vernommen zu werden. Der Mond spiegelte sich in der Ferne am Horizont und die weißen Kronen der Wellen blitzen im hellen Licht auf.
Er ging zum Strand hinunter und blieb einige Meter vom Wasserspiegel entfernt an einer marmornen Balustrade stehen, die vor langem wahrscheinlich ein Bootsanlegesteg gewesen war. Er wandte sein Gesicht zu Lucien um und wieder legte sich das fast kindlich wirkende Lächeln darüber. „Es freut mich, dass Alida tatsächlich jemanden gefunden hat, der auf ihrer Seite kämpft, auf den sie sich verlassen kann.“ Er sah aufs Meer hinaus. „Sie neigt dazu allzu leicht zu vertrauen, den Mitgliedern ihrer Familie, Freunden… Ich habe ihr schon mehr als ein Mal geraten ihre Existenz nicht so leicht aufs Spiel zu setzen. Aber vielleicht hat sie auch recht wenn sie die Meinung vertritt unser Unleben wäre es nicht wert gelebt zu werden wenn wir unsere Nächte zerfressen von Zweifel und stetem Misstrauen verbringen.“ Er lachte kurz auf. „Wie ich vorhin schon sagte: Freunde kommen und gehen… aber vielleicht geht es um die, die bleiben. Es ehrt euch sehr, dass ihr mein Angebot abgelehnt habt.“
Er schwieg eine scheinbare Ewigkeit. „Ich werde euch so gut ich es vermag helfen. Seid euch dessen gewiss. Nichtsdestotrotz muss ich zumindest zum Schein einen Gefallen einfordern. Ich möchte, dass ihr versucht mir bei einer Kleinigkeit zur Hand zu gehen. Ich fordere nicht, dass es euch gelingt, aber es würde mich freuen, wenn ihr es versuchen würdet.“ Er deutete mit einer Handbewegung auf die Umgebung und das ferne Genua. „Diese Stadt ist eine wahre Perle hier am Mittelmeer, alt, mächtig, geführt von einer sehr potenten Frau, der Baronsessa. Genua herrscht über das westliche Mittelmeer und ihr könnt euch mit Sicherheit ausmalen was das für Möglichkeiten für einen Händler bietet.“ Er schmunzelte Lucien verschmitzt zu. „Ich treibe schon seit einigen Jahrzehnten hier in Genua Handel, bin auch bei der Baronessa ein gern gesehener Gast, aber leider ist es so, dass die Fürstin einen Groll gegen Tzimisce hegt. Sie hat vor langer Zeit ein Dekret erlassen, dass verhindert, dass sich Mitglieder vom Clan der Unholde hier niederlassen dürfen. Ich liege ihr schon seit langem in den Ohren damit dieses Dekret zu ändern aber ich vermute, sie liebt es mich zu necken und mich hinzuhalten.“ Wieder grinste er. „Sie weiß, dass ich ihr immer wieder erlesene Geschenke mitbringe um sie umzustimmen. Wahrscheinlich will sie nicht darauf verzichten. Vielleicht gelingt es euch bei eurer Audienz ein gutes Wort einzulegen. Ihr könntet mit den Handelsbeziehungen Alidas argumentieren…“ Ein fragender Blick ging in die Richtung Luciens.
Lucien folgte ihm langsam und etwas schwerfällig. Er war für einen Moment in einen wirklichen Gewissenskonflikt geraten ob der Tragweite der Entscheidungen, die er alleine an diesem Abend hatte fällen müssen. Beinahe wäre er bereit dazu gewesen auf Belinkovs Angebot einzugehen. Die Augen hatte er stets nur auf das Ziel der Reise gerichtet gehabt: Die Widerherstellung Balduins. Nur deshalb hatte er Vito mit ins Boot geholt, nur deshalb hatte er den weiten Weg und all die lästigen und teilweise gefährlichen Begebnisse auf sich genommen. Nur deshalb war er heute hierhergekommen ohne auch nur zu ahnen, was ihm ein einzelnes Menschenleben, dessen Wert für ihn oder die Stadt noch in den Sternen stand, tatsächlich wert wäre. Er hätte es getan... beinahe hätte er es getan und er hasste sich selber dafür. Nicht weil er es getan hätte, das wäre ein guter Schachzug gewesen, den niemand erwartet hätte. Beinahe hätte Lucien Sabatier Alida 'verraten' weil er seine Hoffnungen auf noch unvorhersehbare Wendungen legte. Der Gangrel musste sich besinnen. Balduin war ein Mensch, ein Krüppel, verstoßen und politisch vermutlich nicht mehr wert als jeder x-beliebige Bastard sonst. Er war es nicht wert, entschieden nicht wert, dass man dafür Briefe an den Osten schrieb über jemanden den Lucien mittlerweile zu einem innersten Vertrauenszirkel zählte. Als er mit Emilian durch das Fenster, die verfallenen Stufen hinab ans Meer schritt, lauschte er dessen Worten und wirkte plötzlich seinerseits äußerst kalt. "Ich hätte sie beinahe verraten, Belinkov, täuscht euch nicht. Mein Fokus lag auf der Aufgabe die mir anvertraut wurde, die mir nebenbei bemerkt ganz besonders von Alida selbst ans Herz gelegt wurde. Für den Bruchteil einer Sekunde war ich schwach und habe die Konsequenzen meiner Taten nicht bedacht. Ich hätte annehmen können und mir einreden können, das Alida den Jungen um jeden Preis haben wollte. Die Schuld dafür auf sie abladen… aber das wäre falsch. Ich bin hier, ich trage die Verantwortung. Das, mein Freund, ist die menschliche Schwäche... die werden wir auch im Untod nicht los."
Belinkov legte die Stirn kraus und er verstand für einen kurzen Moment den Gewissenskonflikt in den er den Hauptmann gestürzt hatte. Für eine Sekunde klopfte er ihm kurz aufmunternd auf die Schulter. „... Aber ihr habt sie nicht verraten. Ihr steht für das ein, was euch wichtig ist. In Versuchung geführt werden wir Kainiten in jeder einzelnen Nacht. Mehr als jeder einzelne Sterbliche durch die Macht die uns inne liegt." Er seufzte. "Ihr wisst auf welcher Seite ihr steht, Lucien. Seid stolz darauf das zu wissen."
Als ihm der Russe zu verstehen gab, dass er ihnen dennoch helfen würde, hellte sich seine Miene ein Stück weit auf. Ein knappes "Danke", begleitet von einem knappen Nicken kam als Erwiderung. Es hatte dennoch einen bitteren Beigeschmack, weil Lucien getestet worden war und den harten Konflikt mit der nächtlichen, politischen Realität beinahe verloren hätte. Das schwächste Glied... was die Politik der Nacht anging, war er das angreifbarste, schwächste Glied der Brügger Kette. Der Hauptmann schwor sich von nun an jeder politischen Aktivität fern zu bleiben. Das war wahrlich nicht sein Parkett. Mit einer einladenden Geste deutete er Belinkov an fortzufahren und nickte ab und an bestätigend als dieser ihm über Genua berichtete. Schließlich nickte er wohlwollend. "Ich selbst werde nicht mit der Baronessa sprechen. Wie ihr bereits festgestellt habt, bin ich für solcherlei Dinge gänzlich ungeeignet aber ich habe einen Mann vor Ort, der wie geschaffen für Audienzen und höfisches Auftreten scheint. Ein Mann, dem ich dahingehend volles Vertrauen gegenüber bringe." Lucien deutete eine knappe Verbeugung an. "Ich werde ihm nahe legen, bei der Baronessa ein gutes Wort für die Unholde der Stadt einzulegen, gerade auch mit dem Verweis auf Brügge, versprochen."
Wieder wanderte der Blick des künstlich wirkenden Mannes über den Ozean und er wirkte ein wenig gedankenverloren. „Ich halte große Stücke auf euch, Lucien. Ihr ward ein Junge von 12 Jahren, so habe ich vernommen, als ihr euren ersten Mord begangen habt. Wie hieß der Mönch den ihr in der dunklen Schreibstube abgestochen habt? Bruder Gregor? Ihr habt euch für das Leben als gejagter, ewig verfolgter Mörder und Gesetzloser entschieden um zu verhindern, dass er sich noch ein weiteres Mal an einem eurer Freunde vergehen konnte oder es bei euch versuchen konnte… Ich hätte genauso gehandelt. Wobei ich ihn wahrscheinlich bei lebendigem Leib in seine Einzelteile zerlegt hätte…“ Das Lächeln, das sich nun auf seinen Lippen ausbreitete hatte etwas Boshaftes.