So 14. Okt 2018, 21:32
Lilliana nahm das intensive Aroma des Blutes wahr noch bevor der Tropfen auf ihre Zunge schlug. Es war als würde die Zeit langsamer vergehen, wie ein schwacher Windhauch im Abendlicht.
Der Tropfen wurde Teil von ihr, ohne dass sie ihn schlucken musste. Das Aroma war berauschend, intensiv und köstlich. Ihr erschien es wie die Essenz puren Lebens. Sie musste ein Zittern unterdrücken und schloss für einen Lidschlag die Augen.
Als sie die Augen wieder öffnete umspielte sanftes Sonnenlicht ihre Haut und zauberte einen rosenfarbenen Schimmer auf ihr Haar.
Sie konnte eine Bewegung im Augenwinkel wahrnehmen und erkannte die Gestalt, die sich mit unmenschlicher Anmut auf sie zu bewegte.
Es war Inanna, die ihr bereits vor Jahren im Traum erschienen war. Sie ließ ihre Augen auf Lilliana verweilen und lächelte. „Ihr seid meinem Ruf gefolgt… Das ist ein wunderbares Omen…“
Berauscht von den Eindrücken und sich der Gegenwart der anderen Frau voll bewusst, vollführte Lilliana im nächsten Moment ohne zu zögern eine tiefe Verbeugung. In dieser steckte kein Gefühl des Müssens, weil es die Etikette erforderte, eher eine aufrichtige Respektsbekundung vor einer Frau wie Inanna. In dieser Position verblieb Lilliana, erhob aber sachte und äußerst behutsam die Stimme: „Ich vernahm euren Ruf immer lauter werdend und so zog es meine Gefährten und mich hierhin, zurück an diesen Ort an dem die Zeit nicht stillstand.“
Sie half ihr sanft auf. „Erhebt euch, Lilliana, und habt dank für den Respekt, den ihr mir erweisen wollt.“ Das sanfte Lächeln umspielte ihre Mundwinkel. „Lässt man sich mit dem Puls der Zeit davontragen erkennt man Vergangenes und Zukünftiges… sieht es vor sich, ist Teil davon. So saht ihr bei unserer letzten Begegnung die Schönheit dieses Ortes vor vielen Jahrhunderten…“
Lilliana spürte die dezenten Berührungen, die ihr ohne weitere Mühe halfen sich wieder zu ihrer vollen Größe aufzurichten und sie erzitterte leicht. Erst jetzt begann sie neben Inanna auch die Umgebung wahrzunehmen und die Erinnerung an die letzte Begegnung, kehrte stärker zurück als je zuvor. „Und nun treffen wir uns in der Gegenwart, in der die Schönheit des Ortes vergangen aber nicht vergessen ist. Es bedarf nur einer weißen Rose, geboren aus zerstörtem Stein.“
„Ja, Schönheit ist überall zu finden. In einer weißen Rose…“ Die blonde, engelsgleiche Frau ließ die Hände in einer wellenartigen Bewegung durch die Luft gleiten und ihre Umgebung änderte sich. Die Sonne schien intensiver, warm und gleichmäßig und der Tempel in dem Lilliana noch vor wenigen Augenblicken gestanden hatte, war zu Ruinen zusammengefallen.
Innana seufzte, doch klang außer Wehmut auch Ruhe in diesem Klang mit. „So wird es einst sein… Aber dennoch liegt Schönheit in diesem Anblick, oder?“
Lilliana nickte sachte. „Alles ist vergänglich und doch sehen wir in der Vergänglichkeit auch eine Schönheit und“ sie hielt inne „eine Freude. Eine Freude darauf, was der große Schöpfer aus der Vergangenheit formt für die Zukunft, was unsere Augen, unsere Hände sehen und spüren dürfen.“ Lilliana drehte sich nun etwas seitlicher, sodass sie nicht mehr neben Inanna stand sondern seitlich so, dass sie sie direkt anblicken mochte. „Verzeiht mir meine Neugier, aber ihr spracht von einem Omen. Habt ihr eine Botschaft empfangen, die für unser aller Zukunft entscheidend sein mag? Als Warnung? Als Hinweis uns dabei zu helfen einen Plan zu erkennen?“
Ihre so melodiöse Stimme wurde eindringlich. „Lilliana? Ihr dürft niemandem je von unserem Treffen berichten. Der Ort, den ich zu meiner Zuflucht erkoren habe muss geheim bleiben! Koste es, was es wolle!“ Sie suchte in Lillianas Augen nach der Zustimmung und Gewissheit, die sie benötigte, bevor sie weiter sprach. „Ich komme mit einer Bitte zu euch. Einer Bitte von äußerster Dringlichkeit.“ Sie atmete tief ein. „Ich habe sie durchwandert- Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft… Ereignisse werden geschehen, die die Welt aus den Angeln zu reißen vermag und die dann selbst zu nichts als Geschichte werden… Ich habe das Ende von so vielen Kainiten gesehen und es war schrecklich…“ Ihr Gesicht sah von Lilliana fort in die Ferne und eine einzelne rote Träne lief über die marmorne Haut der Wange und fiel in das üppige helle Haar. Dann suchte sie wieder den Blick der Toreador. „Die Zukunft ist ein Geflecht aus Fäden, die nicht fest gezogen sind. Die Fäden liegen bereit, werden an ihre Position gebracht, aber sie sind nicht fest. Sie mag zu verändern sein…“
Die Augen der Toreador verrieten ihr Zustimmung zu ihrer Bitte, doch verblieb auch eine ungestellte Frage: Sie war nicht allein auf diese Insel gekommen. Ansonsten hörte sie weiter zu, schloss dabei jedoch die Augen. Ganz sachte und kaum wahrzunehmen, zeigte ihr Gesicht eine Form von Schmerz, hervorgerufen durch Erinnerungen and die Vergangenheit, welche längst schon zu Staub zerfallen war. „Gott, der Schöpfer, gewährt wenigen von uns diese Visionen. Wie ihr sagtet Inanna sind sie Fäden. Sie müssen nicht eintreffen, sie können. Doch manches Mal treffen sie ein, wenn der Bote versucht das Ziehen der unliebsamen Fäden zu verhindern.“ Lilliana öffnete die Augen und sah die Frau neben sich wieder an. „Wenn ich frage, was wir tun müssen, um das Ziehen des Fadens zu verhindern, den ihr gesehen habt und der euch Schmerz bereitet, dann… dann frage ich mich, ob ich fragen sollte.“
Innanas Mundwinkel verzogen sich zu einem wissenden Lächeln. „Ihr seid weise, Lilliana. So viele Schicksale erfüllten sich nur, weil man versuchte sie zu umgehen. Aber ich sehe mehr als eine einfache Priesterin in den Hallen von Delphi, die ihre Weissagungen von goldgierigen Priestern deuten lassen muss. Ich beobachte das Geflecht schon lange und ich sehe, wie es sich zu verdichten beginnt…“ Ihr Blick streifte erneut den fernen Horizont als suche sie nach etwas. „Einst, vor langer Zeit, liebte ich einen Mann. Für mich war er das schönste Geschöpf auf Gottes Erde, der vollkommenste Kainit von allen. Sein Name war Absimilard.“ Ein Gesicht erschien vor Lillianas innerem Auge. Das eines jungen, athletischen Mannes mit starken Armen, strahlenden Augen und dem erfüllensten Lächeln auf den Lippen. Die Präsenz, die von ihm ausging war gewaltig. Er lachte für sie, für Innana, und Lilliana, die es hörte, wusste, dass fast jeder Mensch den sie kannte, der hellblonden Frau zugestimmt hätten.
Sie sog die Luft in die untoten Lungen und es klang wie das sanfte Rauschen der Wellen. „Er beging ein Verbrechen und wurde bestraft. Ihr kennt den Fluch der Verborgenen, nicht wahr? Er wurde mit so abgrundtiefer Hässlichkeit gestraft, dass niemand mehr wagte ihn anzublicken.“ Ihre Stimme wurde leise, ein kaum hörbares Flüstern. „Auch ich wandte mich von ihm ab. Ich war nicht mehr in der Lage die Schönheit in ihm zu sehen und verließ ihn. Er versuchte mich zurück zu gewinnen, doch war sein Tun vergebens. So wurde Liebe zu Hass und so unbesiegbar wie einst seine Liebe brennt nun das Feuer der Vernichtung in ihm. Er empfindet unendlichen Hass für mich, die ich ihm doch einst Liebe geschworen habe, Hass auf seine Kinder, die tapfer an seiner Seite standen als er das Verbrechen beging für das er bestraft wurde und am meisten: auf sich selbst. Er verfluchte alle- seine Kinder, mich, sein eigenes Sein…“ In ihrem Seufzen lagen ein Bedauern und eine Traurigkeit, die kaum zu ertragen waren. „Er hat sich geschworen jedes einzelne seiner Kinder und deren Abkömmlinge zu vernichten. Ein Schicksal, dass sie nicht verdient haben.“
Sie hörte aufmerksam zu, jedoch ohne eine Regung der Zustimmung oder Abneigung gegen das Gehörte von sich zu geben. Es war eine private Geschichte, doch lag in ihr ein Schmerz verborgen, den die Toreador fühlen konnte. Der Name des Mannes sagte ihr erstmal nichts, aber der drauffolgende Hinweis war deutlich genug. „Seine eigenen Abkommen und deren Abkommen zu töten? Warum hat er solch einen Hass entwickelt, obwohl sie sogar an seiner Seite standen. Wohin dachte er wird das führen? Zu seinem Frieden, wenn er alle getötet hat? Oder zu seiner Erlösung?“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich bin nicht gut bewandert in der Geschichte der Kainiten. Es gibt weit bessere Freunde, die diese Fähigkeit besitzen, aber ihr sprecht wohl nicht umsonst von diesem Menschen, den ihr einst liebtet und der jetzt ein Angehöriger des Clans der Nosferatu ist.“
Innana nickte Lilliana voll Wehmut zu. „Ich weiß nicht, was ihn antrieb diesen Schwur zu tun: der Wunsch nach Erlösung, die Verdammung von allem, was er schuf, die Bestrafung, weil sie an seiner Seite standen und ihn nicht aufhielten? Dieser Schwur, den er tat, ist eine schlimme Angelegenheit und ich wünschte, ich könnte etwas daran ändern… Aber es wird etwas anderes geschehen. Etwas noch viel Folgenschwereres: In diesen Nächten erheben sich Kinder Kains, die nicht länger willens sind zu akzeptieren was sie sind. Sie sind nicht willens sich selbst zu achten und respektieren. Sie streben nach Macht um ihrer Selbst willen, getrieben von Blutdurst und Gier. Sie haben von der Macht unseres Blutes erfahren und hoffen durch die Vernichtung der Älteren aufzusteigen und ihren Willen zu bekommen. Welche Toren!“ Ihre Stimme verriet eine ungemeine Abneigung. Ihr anschließendes Flüstern war kaum hörbar, nur ein Wispern im Wind und Lilliana merkte, dass sie zu sich selbst sprach. „Als ob sich Saulot vernichten ließe… oder Tsimiske…“ Ihre strahlenden Augen suchten die von Lilliana. „Zwei von ihnen haben vom Geheimnis seines Aufenthaltsortes erfahren und werden sich in das Land begeben um ihn ausfindig zu machen. Wie immer sie auch vorgehen werden- ihr Ziel ist seine Vernichtung- Diablerie.“ Innana schüttelte sacht den Kopf. „Es würde ihnen nie gelingen. Seine Mächte übersteigen die Ihren um ein zehnfaches…“ Sie ließ den Satz in der Luft schwingen und schwieg eine lange, lange Zeit. „Einen solchen Frevel, eine solche Anmaßung und Herausforderung würde er nie dulden. Er würde erwachen und sich erheben. Sein Zorn wäre so unbarmherzig und hart wie die Rache Gottes an den Ägyptern und kein Kainit, der auf mehrere Meilen seinen Weg kreuzen würde, würde das Ende der Nacht erleben.“ Wieder schwieg sie lange. „Absimilard wird seine Rache und seinen Hass nicht nur über sein eigenes Blut, sondern über jedes Kind Kains ergießen.“