So 20. Dez 2020, 23:54
Der Ritt ging über trockene Ebenen und dunkelbraune Hügel im Mondschein. Vereinzelte Dörfer ließen erahnen, dass diese Gegend bewohnt und fruchtbar war. Die Gruppe mied jegliche Behausung und umritt Stall und Weide. Die beiden Magi ritten meist in der Mitte, was wohl daran lag, dass Henri immer wieder das Gespräch mit den beiden Kainiten suchte. Erst die in wütendem Ton gezischte Bemerkung von Baldric: ‚Es wäre auf der Reise wohl noch genug Zeit um sich auszutauschen‘, ließ ihn schließlich schweigen. Francesca gab ebenfalls keinen Laut von sich und behielt die Umgebung genauestens im Auge. Ab und an hatte man fast den Eindruck, sie wittere in der Luft nach Gefahr.
So vergingen die wenigen Stunden, die von der Nacht geblieben waren.
Leif und Lucien spürten den nahenden Sonnengang in den Knochen und in ihrem Blut und mit jedem Hauch an Dämmerung, die von Dunkelblau zu Grau wanderte, stieg ihre Nervosität, auch wenn die Fähigkeiten des Gangrel ein gewisses Maß an Sicherheit boten.
Schließlich lag zuallererst der leicht modrige Geruch von sumpfigem Wasser, dann das Geräusch von sanften Wellen in der Luft. Zuletzt sahen sie das dunkle Wasser, in dem sich die wenigen Wolken spiegelten.
Wenige Meilen entfernt erhob sich ein Hügel in den Himmel auf den Francesca mit ihrem Pferd direkt darauf zuhielt. Beim Näherkommen konnten sie Burgmauern und einen Graben mit nach oben gezogener Zugbrücke ausmachen, die zu einer einfachen Festung gehörten.
Als Francesca die Flaggen erkannte, die über dem Eingangstor befestigt waren, stieß sie einen scharfen sizilianischen Fluch aus, der jedem süditalienischen Strauchdieb zu Ehre gereicht hätte, und ritt noch härter an. Sie straffte die Schultern als würde sie sich auf einen anstehenden Kampf einstellen und setzte dann mit knirschenden Zähnen zu einer Erklärung an. „Die hätten erst nächste Woche hier Stellung beziehen dürfen.“
Sowohl Lucien als auch Leif hatten die Flagge in den letzten Monaten zuhauf zu Gesicht bekommen: Die Fahne des Tempelordens. Ebenso wussten beide, dass der mächtige Ritterorden dem Kaiser wann immer möglich den Gehorsam verweigerte und wahrscheinlich mehr als einmal so agierte, dass die Pläne Friedrichs zum Scheitern verurteilt waren.
Baldric hüstelte leicht und zog an den Zügeln um seinen Braunen zum Halt zu zwingen. „Signore de Valle, ich schlage ein dezentes Vorgehen vor. Natürlich kennen die Generäle der Templer euer Gesicht und wissen, dass sie euch eine gewisse Art von gehorsam schuldig sind, aber wir sollten so wenig Aufsehen wie möglich auf uns ziehen.“
Baldric musterte seinen Bruder und anhand des unterdrückten Schmunzelns, das um seine Mundwinkel zuckte, konnte man ablesen, dass er bereits ahnte, was Henri vorschlagen würde.
Henri fuhr fort, hatte den Gesichtsausdruck des Anderen jedoch bemerkt. „Ich könnte mich als Graf ausgeben, der mit seiner Gattin und seinen Wachen nach Damaskus pilgern will. Wenn Ihr, Francesca, euch ein bisschen verhüllt, was in diesen Landen ja nicht untypisch ist, fallt ihr nicht weiter auf.“
Baldric wirkte amüsiert: „Du machst den hochnäsigen Baron und wir die tumben Diener?“
„Jeder das, was er am besten kann, oder?“ Henri grinste noch breiter.
Der Heiler tauschte sich auf ihre Reise gerne mit Henri aus, auch wenn er genau darauf achtete, nicht zu viel über sich oder über Kainiten im Generellen zu verraten. Leif fühlte sich grundsätzlich sicher genug, im nichtssagenden Geplänkel und höflichem Palaver. Erst als Sie an der Burg des Templerordens angekommen waren, wurde er wieder vorsichtiger. Er kannte den Orden gut genug durch Karl und ihre Unterfangen in Flandern, was für ihn bedeutete, dass man diese Ritter immer gut im Auge behalten sollte. Sie hatten einfach viel zu viel Geld, Macht und Selbstüberzeugung um sie nicht mit Vorsicht zu betrachten und nach wie vor war der Salubri mehr als unglücklich darüber, dass Karl sich mit ihnen eingelassen hatte, auch wenn er die Gründe dafür zähneknirschend nachvollziehen konnte. Der Heiler räusperte sich um seine Meinung bezüglich des Problems kundzutun. „Ich denke wir sollte Henris List versuchen, so Signorina Lavalle zustimmt. Nicht nur wir Kainitien, sondern auch die Pferde könnten sicherlich eine Rast unter guten Bedingungen nutzen, um Kräfte für den Rest dieser zehrenden Reise zu sammeln.“
Lucien hatte sich zunächst ein wenig mit Leif unterhalten und ein paar Worte mit Francesca gewechselt. Die meiste Zeit jedoch hatte er sich dabei auf das Notwendigste beschränkt. Immerhin war er es, der mit seinen Augen die Finsternis der Nacht mit beiläufiger Gewohnheit zu durchdringen vermochte und so sah er es unaufgefordert als seine Aufgabe an dies auch zu tun. Als sie vor den Festungswällen halt machten und die Dämmerung nicht mehr lange auf sich warten ließ, verdichteten sich die unangenehmen Gefühle des Gangrels noch um ein Vielfaches, als er die wehenden Fahnen der Tempelritter auf den Zinnen gestochen scharf erblickte, als würden sie im hellsten Sonnenlicht erstrahlen. Das rötliche Glimmern in seinen Augen erlosch langsam und er verzog das Gesicht. „Na schön aber ohne mich. In eine Templerfestung mit all diesen Kreuzträgern kriegen mich keine zehn Pferde. Nehmt Ajax mit, ich werde etwas abseits der Festung mit der Erde verschmelzen und morgen Abend auf euch warten.“ Mit der Gewissheit, dass ihn nun alle Augen anstarren würden, führte er weiter aus. „Es ist im Übrigen vielleicht auch gar nicht unklug das jemand sich außerhalb der Mauern aufhält, falls es da drin zu… unerwarteten Komplikationen kommt.“
Es war tatsächlich so als hätte Lucien soeben verkündet, er würde sich wieder auf den Rückweg machen. Baldric zog fragend die Augenbrauen in die Höhe.
Francesca sah zu der Festung hinüber. „Wir müssen dort nicht hinein. Es gibt vielleicht auch hier draußen einen Ort wo wir bleiben und rasten können.“
Henri zuckte mit den Schultern. „Mag sein. Vielleicht aber auch nicht. Eine Gruppe, die sich abseits einer sicheren Festung aufhält, erregt wahrscheinlich allein durch diesen Umstand die Aufmerksamkeit der Leute drum herum.“ Er deutete zur Festung. „Da drin gibt’s warme Betten, Wasser, was zu essen, Stroh für die Pferde. Hier draußen brauchen wir unsere Vorräte auf, die wir vielleicht dringend brauchen. Dafür allerdings hätten wir wohl unsere Ruhe.“
Lucien biss die Zähne zusammen und das schwere Leder seiner Handschuhe knarzte als er sich am Zügel festhielt. „Nein, wartet. Ich… habe es mir anders überlegt. Alle übrigen Optionen setzen uns noch viel größeren, unkalkulierbareren Risiken aus. Hier wissen wir zumindest, womit wir rechnen müssen. Lasst uns euren Plan versuchen.“
Leif kannte Luciens unterschwellige Ablehnung gegen religiöse Symbole, sagte aber natürlich nichts zu dem Thema und beobachte nur mit Anerkennung, wie er sich durch das Problem kämpfte.
Henri nickte. „Einer von euch sollte sprechen. Ein französischer Adeliger lässt sich eigentlich nicht dazu herab mit einfachen Soldaten zu reden.“
Baldric wirkte ernst. „Und auf mich sollte man aus naheliegenden Gründen auch nicht soviel Aufmerksamkeit legen.“
„Ich kann für Euch sprechen, Compte Henri.“ Leif meldete sich ohne Zögern zu Wort und betonte seine letzten Worte besonders, so wie es der Diener eines französischen Adeligen tun würde. Es wäre doch gelacht, wenn sie alle an ein wenig linguistischem hin und her scheitern würden.
Lucien grinste. "Gut. Ich spreche zwar ein halbwegs brauchbares Französisch, aber ich gebe zu das man mir eher den grimmigen Leibwächter als den Mundschenk des Grafen zugesteht. Von dem her halte ich mich einfach ein wenig zurück und lasse dich machen." Er nicke Leif zustimmend zu.
Henri lachte. „Ihr gebt einen wunderbaren Leibwächter ab, Meister Sabatier. Und genau den braucht ein Adeliger, der sich in die Fremde begibt. Genauso wie ein treues Weib.“ Ein herausfordernder Blick ging zu Francesca, die mit den Zähnen knirschte, sich dann aber tatsächlich fügte. Sie zog ein Gewand aus einer ihrer Satteltaschen und legte es über ihrer Rüstung. Dann zog sie den Schleier tief in ihr Gesicht.
Henri streckte die Schultern und schien um einen halben Kopf zu wachsen. Sein Gesicht nahm einen hochmütigen Gesichtsausdruck an. Eine Geste seiner weißen Hand hielt sie an, weiter zu reiten.
Leif musste sich tatsächlich ein Grinsen unterdrücken. Er hatte vermutet, dass Francesca von der Idee das devote Weibchen zu spielen nicht sonderlich angetan war. Dennoch war Leif sofort bereit, auch seine Rolle einzunehmen und begab sich an die Spitze ihrer kleinen Reisegesellschaft.
Lucien wich nicht von der Seite des 'edlen Grafen' und versuchte besonders finster, grimmig und jederzeit zu einer blutigen Auseinandersetzung bereit zu wirken. Nicht das er sich dazu besonders anstrengen musste.
Die kleine Gruppe näherte sich dem heraufgezogenen Tor. Eine laute Stimme rief von oben in donnerndem Latein herunter: „Wer da? Es ist spät.“
Leif wusste, dass der Moment sich zu beweisen gekommen war und räusperte sich kurz. Er hoffte die richtigen Worte zu finden und sprach in seinem feinsten Französisch. „Wir sind hier als einfach Pilger, ich aber spreche für den Compte de la Salle und sein Weib die hoffen auf ihrer gottgefälligen Reise zumindest für eine Nacht, Zuflucht unter einem freundlichen Dach finden zu dürfen.“ Der Salubri sprang zusätzlich von seinem Pferd und verbeugte sich tief, in der Hoffnung, dass die Torwächter diese Gäste sehen würden.
Henri zuckte trotz seiner Selbstbeherrschung bei der Erwähnung seines Namens zusammen und Leif konnte hören, wie Baldrics Pferd plötzlich zu tänzeln begann. Offenbar spürte es die Anspannung seines Trägers.
Leif konnte erneut die Stimme von oben hören, die in Latein. „Wartet einen Moment!“ rief.
Eine Minute später war ein anderer Mann zu hören. „Ich bin Franzose. Wer seid ihr und was ist euer Begehr!“
Leif spürte die aufgebaute Anspannung und wiederholte seine Worte, ohne dieses Mal aber den Namen 'de la Salle' zu erwähnen. Sollte die Brüder doch selber für sich sprechen, wenn sie sich als französische Adelige ausgeben wollen, die sie eben NICHT waren.
Die annähernd perfekte Aussprache des Heilers ließen keinen Zweifel daran, dass es sich um einen Europäer und keinen Sarazenen handelte. Das Tor wurde nach wenigen Minuten hinunter gelassen und Zugriff wurde ihnen gewährt.
Der Torwächter warf einen Blick auf die Hereinkommenden. Offensichtlich war er zufrieden mit dem, was er sah.
ER wandte sich in leiserem Ton an Leif. „Es ist keine sehr gute Idee sich derzeit auf Pilgerfahrt zu begeben. Aber ich schätze mal, dabei seid ihr genauso überzeugt vom überall anwesenden Heil des Herren, das euch beschützen wird bei eurer edlen Mission wie die vier anderen Gruppen, die heute hier vorbei gekommen sind.“ Er deutete über den Hof. „Dort drüben ist so was wie eine Herberge, später kommt ein Händler vorbei. Braucht ihr etwas?“
„Ich – und ich denke da spreche ich auch im Namen meiner Herrschaft, wenn ich meine, dass es nie einen perfekten Moment gibt, unserem Herrn im Himmel zu dienen.“ Leif lächelte den Wächter jedoch freundlich an und fügte hinzu: „Dennoch schickt er uns einfachen Männern und Frauen dankbarer Weise Leute wie Euch, die unsere Reise ein wenig einfacher machen.“ Mit einem kurzen Blick über die Schulter sprach der Heiler schließlich weiter. „Mit selbst fällt nichts ein, aber sollte meine Herrschaft noch irgendwelche wünsche haben, wende ich mich an die Herberge und werde Eure kostbare Zeit nicht weiter in Anspruch nehmen. Habt Dank für Eure Hilfe Ritter.“
Lucien biss ein weiteres Mal die Zähne zusammen und versuchte sich an einem gequälten Lächeln. Paradoxerweise würde dieses ihn sogar in seiner Rolle als grobschlächtiger Wachmann unterstützen. Reden konnte Leif schon immer gut - was für ein Glück.
Erneut machte Henri eine gönnerhafte Geste mit seiner Hand als wäre eine Audienz beendet. Mit gelangweilten Augen sah er sich im Burghof um.
Die Unterkunft war ein heruntergekommener, windschiefer Bau, der vor Rauch und ranzigem Bratenfett nur so stank. Der Stall daneben sah genauso wenig vertrauenserweckend aus, allerdings schien der Stallbursche trotz seiner Jugend so motiviert zu sein, dass man ihm die Tiere anvertrauen konnte. Als sie die Stube betraten mussten sie sich durch bier- und soßenschweres Stroh kämpfen, das ihnen an den Stiefeln kleben blieb, bis sie einen Wirt erreichten. Zwei genauso schäbige Zimmer wurden ihnen schließlich überlassen. Henri protestierte selbstredend wie es seiner Rolle gebührte, aber er musste klein beigeben, da alle anderen Zimmer von Templern belegt waren.
Der Wirt führte sie selbst hinein: ein Zimmer für das edle Ehepaar, eines für die Diener.
Baldric trat als letzter nach den beiden Kainiten in den Raum hinein und blieb im Türrahmen stehen. Er wischte sich mit der Rechten über das Gesicht und schien so etwas wie einen Nebel fortzufegen. Erst jetzt konnten Leif und Lucien bemerken, dass er irgendeine Art von Zauber angewendet haben musste, der jegliche Aufmerksamkeit von sich abgewandt hatte. Der junge Magus schluckte während er die beiden Untoten ansah. „Ihr habt eure Rollen gut gespielt. Wir sind drin! Geschafft. Allerdings hat unser Plan den Haken, dass ich um nichts in der Welt mit euch in einem Zimmer nächtigen werde.“
Die Aussage des Magiers kam für Leif nicht einmal überraschend. Er hatte bereits am eigenen Leib erfahren, dass Balderic seine Meinung über Kainiten vor langer Zeit verfestigt hatte, aber die Situation war trotzdem nicht ideal. Leif meldete sich schließlich zu Wort. „Ich verstehe Eure Beweggründe, mein Herr Balderic, und werde Euch zu nichts überreden, was Ihr nicht selber wollt. Bedenkt jedoch, dass Ihr bereits kurz nach Sonnenaufgang mehr Einfluss auf unsere Existenz habt, als wir es jemals als Eure haben könntet. Ich bin bereit mich in Eure Hände zu begeben, um dieses Unterfangen zum Erfolg zu führen. Regeneriert Euch lieber so lange wir schlafen, dann seid Ihr ausgeruht, wenn wir wieder aufwachen und Ihr könnt mich und Lucien weiterhin im Auge behalten.“ Leif wusste, dass er auf emotionaler Ebene wahrscheinlich nicht zu dem Magus durchdringen konnte, aber vielleicht war er zumindest logischen Einwänden gegenüber offen.
Der Hauptmann klopfte dem Magier auf die Schulter. „Es verhält sich genauso wie Leif es euch sagt, werter Baldric. Die Sonne ist unser Feind und tagsüber sind wir nicht zu besonders viel zu gebrauchen; verwundbar für unsere Feinde und nicht für diese. Ich muss mich darauf verlassen können, dass ihr uns hier alle in diesem Dreckloch tagsüber beschützen könnt, während wir beide euch des Nachts zur Seite stehen werden. Unser Wachrhythmus ist einfach ein anderer. Also tut mir den Gefallen und ruht euch aus so gut ihr könnt. Ihr werdet eure Kraft und Energie noch brauchen.“ Der Hauptmann schloss die Tür hinter sich und fing an das Zimmer auf sonnendichte hin zu überprüfen. „Und was eure sonstigen Befürchtungen angeht, so kann ich euch mitteilen das keiner von uns beiden schnarcht oder euch zu nahekommen wird. Ihr werdet zu eurer großen Freude feststellen, dass wir tagsüber tatsächlich kaum mehr als herumliegende Leichen sind.“
„Wunderbare Aussichten!“ Er stöhnte unwillig. Hinter ihm wurde plötzlich die Tür geöffnet und das Gesicht von Francesca spähte hindurch. „Baldric, ich denke, ihr wollt euch mit eurem Bruder besprechen. Ich halte derweil die Stellung.“ Der junge Magus sah sie an als würde er eine Falle vermuten, schlich dann aber trotzdem zögernd hinaus.
Francesca schloss die Tür und deutete in Richtung Wirtsstube. „Keine Angst. Von Frauenbesuch hat hier weder der Wirt noch seine Bediensteten was mitbekommen.“ Sie überlegte sich auf einen Stuhl sinken zu lassen, ließ es dann aber nachdem sie die bröckeligen Stuhlbeine gesehen hatte, wieder bleiben und sank ohne weiteres Aufhebens an der Wand zu Boden. „Ich denke wirklich, die beiden müssen sich beraten.“