Mo 3. Dez 2018, 23:01
Das Geräusch kam eindeutig vom Eingangsbereich… von der schwer verriegelten Pforte. Es war das Schaben von Metall auf Metall. Im ersten Moment vermutete sie einen Schlüssel, aber dann war es eindeutig: Jemand bearbeitete das Schloss mit einem Dietrich. Ganz offensichtlich war das Schloss leicht zu knacken oder derjenige, der sich daran zu schaffen machte, ein Profi, denn bereits nach einer halben Minute sprang es auf.
Leise Schritte näherten sich der Kutsche und suchten zielgerichtet nach den Verschlussmechanismen um sie zu öffnen. Jemand warf ihr einen länglichen Beutel aus Schweinsleder durch das Fensterchen ins Innere der Kutsche. Das Flüstern kam ihr bekannt vor. „Hier. Das solltet ihr zu euch nehmen. Etwas anderes konnte ich, ohne Aufsehen zu erregen, nicht auftreiben.“ Louisa konnte an dem süßen, seltsam verführerischen und zugleich widerwärtigen Geruch erkenne, dass es sich um Schafsblut handeln musste.
Die Brujah erstarrte bei den leisen Geräuschen. Ihre Augen suchten die Dunkelheit weiter zu durchdringen und glitzerten leicht. Dann kroch sie beinahe lautlos auf das Gitter zu, wo sie angestrengt lauschend innehielt. Die schlanken Hände flach auf den Boden gelegt, wartete sie ab, zitternd vor Begierde, frei zu kommen und sich am Blut des nächstbesten Lebewesens zu laben, ehe das Unheimliche in ihr endgültig seine Ketten zerriss und sie ins Verderben führte... Obwohl sie keine Luft mehr zum Leben brauchte, holte sie tief Atem, als der lederne Beutel in ihr Gefängnis bugsiert wurde. Der Geruch, der davon aufstieg, ließ sie angewidert die Nase kräuseln, doch das Etwas in ihr ließ ihre Hände automatisch danach greifen. Die Finger waren zu Klauen gekrümmt, und sie riss das lederne Behältnis mehr auf, als sie es öffnete. Ohne eine Frage zu stellen, setzte sie den Beutel an, schloss die Augen und suchte an etwas anderes zu denken, während die Flüssigkeit durch ihre Kehle rann: Das Bild eines jungen, gutaussehenden Mannes. Sie suchte sich den Geruch seines Blutes vorzustellen, vital, männlich und unendlich sättigend in seiner schweren Süße... alles, nur nicht an den ekligen Ersatz denken, den sie mit der Gier eines verhungernden Wolfes in sich hineinschlürfte.
Lousia wusste, dass nicht mehr viel fehlte und sie würde frei sein. Die Stimme, die nun eindringlich flüsterte, schien ihr Verlangen nach Blut zu kennen. „Hört zu. Ich weiß, ihr habt fast eine Woche ohne Vitae ausharren müssen. Aber wenn ihr hier in einem Stück und nicht als Aschehaufen raus kommen wollt, dann müsst ihr euch zusammen reißen.“ Das letzte Schloss öffnete sich mit einem Schnappen und die Tür wurde nach außen geöffnet. Der Mann, der sie erwartete, war ihr bereits begegnet.
Ihre Brust hob sich unter tiefen Atemzügen – war es noch die Gewohnheit aus ihren sterblichen Tagen, nach so tiefen Zügen aus einem Beutel Luft holen zu müssen. Sie kniff die Augen zusammen, leckte sich mit der Zunge über die blutigen Lippen und beschwor das Tier in sich, um es in Zaum zu halten. Immer wieder hämmerte sie sich ein, dass der Ewige Durst nun für Erste gestillt sein müsse! "Wer seid Ihr?" flüsterte sie schließlich zurück und kroch auf die Öffnung zu. Dann erkannte sie ihn und stoppte ab. "Ihr..!" Die Stimme der jungen Frau war schwer zu definieren: klang sie zornig, überrascht, fragend? Ihre schlanke Gestalt verharrte auf Händen und Knien – unschlüssig? Oder doch eher sprungbereit?
„Jetzt ist nicht die Zeit für Fragen. Ginz verrichtet gerade zum fünften Mal in dieser Nacht seine Notdurft auf dem Abort. Hat wohl etwas Falsches gegessen, der Arme,… und sein Kumpan, der mit im Dienst schiebt, verträgt den Branntwein nicht, den jemand zufällig neben dem Kamin stehen gelassen hat, als er vom Abendmahl kam… Er schläft so tief, dass ihn wahrscheinlich nicht mal das Blasen von Fanfaren zum Gefecht nicht aufwecken könnten“ Louisa konnte ein winziges Zucken um die Mundwinkel wahrnehmen, das gleich wieder von den beherrschten Zügen überdeckt wurde. Er schüttelte den Kopf um zu zeigen, dass ihm wirklich nicht die Zeit für Erklärungen blieb. „Passt auf! Es gibt einen Geheimgang raus aus dieser Burg. Die Alternativen wären: zum Burgtor hinauszuspazieren, aber das wird euch so schnell nicht gelingen bei hochgezogener Zugbrücke und 3 Mann Bewachung oder euch den Burghang hinunter zu stürzen. Das sind wohl 50 Meter und ich glaube, ihr würdet es wahrscheinlich überleben, aber ob ihr euch dann noch irgendwo in Sicherheit bringen könnt bis die Sonne aufgeht, mag ich zu bezweifeln.“
Sie war sehr jung, und ihre Zunge und die Gefühle oft rascher als ihr Verstand. Aber sie war nicht dumm – Louisa begriff, was der Mann alles getan hatte, um ihr die Flucht zu ermöglichen. Sie drängte mit einiger Anstrengung das Wispern in ihrem Kopf zurück, dass sie dazu bewegen wollte, sich ihre Antworten zu holen, HIER und JETZT, und sei es mit Gewalt. "Also gut" nickte sie mühsam beherrscht. "Aber sowie wir in Sicherheit sind, will ich wissen, was hier gespielt wird!" Womit sie sich aufrichtete und den Kopf wie ein wildes Tier lauschend schräg hielt. Aus der Düsternis schienen die Geräusche mit einem Mal wie Gebirgsbäche in ihre Ohren hineinzurauschen, die unweigerlich ihrem Bett folgend den See im Tal finden: Das Scharren winziger Mäusefüßchen irgendwo in den Tiefen der Gewölbe, ein weit entferntes, unregelmäßiges Schnarchen, ja sogar das Klopfen von Herzen – oder bildete sie sich das letztere doch nur ein, weil in ihrem Hinterkopf noch immer der Hunger lauerte? Ohne Anzeichen von Scham ob ihrer halb zerrissenen Kleidung zu zeigen, durch die Haut im Mondlicht marmorweiß hindurch schimmerte, trat sie auf den Mann zu. "Wo ist dieser Fluchtweg?" verlangte sie in gedämpftem Ton zu wissen.
„Folgt mir.“ Auf leisen Sohlen schlich er sich zurück zur aufgebrochenen Eingangstür und deutete hinaus. Louisa konnte in zwei Metern Entfernung den Wachmann sehen, der sich am Feuer zusammen gekauert hatte und geräuschvoll vor sich hin schnarchte. In der neben ihm liegenden Flasche waren noch ein paar Schluck klare Flüssigkeit auszumachen.
„Seht ihr das kleine Fenster dort drüben? Mit dem Balkon?“ Er deutete mit einem Wink in eine im Schatten liegende Mauer. „Dort müsst ihr hinauf klettern? Gelingt euch das?“ Er zeigte höher, einen in etwa drei Metern Höhe gelegenen Balkon. Die grob gehauenen Steine würden ein Klettermanöver möglich machen.
„Ihr müsst es allein schaffen. Ich muss auf einem anderen Weg zurück gehen, sonst wird man misstrauisch werden. Ich kann euch dort oben erwarten und euch den Geheimweg zeigen.“
Geduckt schlich sie ihm nach. Den Wachmann streifte kurz ein verlangender Blick, doch das Tierblut, so scheußlich der Geschmack auch gewesen war, hatte sie so weit gesättigt, dass sie sich beherrschen konnte, dieses verlauste und alles andere als attraktive Exemplar der Gattung Mann als lohnende Beute anzusehen. Lieber noch ein wenig länger warten und dann, in den Armen eines wirklichen Edelmannes, ihren Durst auf die süßeste vorstellbare Weise stillen... "Wenn ich es schaffen muss, schaffe ich es" behauptete sie mit etwas mehr Selbstvertrauen, als sie tatsächlich empfand. Sie hatte keine Ahnung, wozu ihr Körper in der Lage war, nachdem in ihm die Kräfte aus der Vitae ihrs Meisters erwacht waren. Doch Louisa empfand Vertrauen zu ihnen. Warum sollte sie nicht zu einer Leistung in der Lage sein, die ein gewöhnliches Mädchen ihrer Statur vor ernste Probleme gestellt hätte? Sie wusste, dass im alleräußersten Notfall das Etwas in ihr handeln würde, um sie beide zu erhalten: Das Blut würde flammend durch ihre toten Adern schießen und ihren Leib mit unmenschlichen Kräften, Schnelligkeit oder Beweglichkeit versehen, ohne dass sie wusste oder wissen musste, wie ihr geschah. Eilig nickte sie ihrem Begleiter zu und huschte auf die Mauer unter dem Balkon zu.
Louisa hörte die Schritte mit denen sich der braunhaarige Mann rasch entfernte während sie auf den Balkon zulief. Der Balkon lag nicht allzu hoch, doch war es dunkel in dieser Ecke.
Sie legte den Kopf in den Nacken und spähte an der Mauer empor. Nach kurzem Zögern raffte sie ihre Röcke empor und stopfte die Säume unter ihrem Mieder fest, um mehr Beinfreiheit zu haben. Dann setzte sie einen nackten Fuß in eine Ritze zwischen zwei Steinen, griff nach einem vorstehenden Mauerstück und zog sich ein Stück in die Höhe. Stück für Stück kam sie weiter, jeden Moment damit rechnend, dass die Kräfte sie verlassen würden. Doch die unnatürliche Stärke des Untodes verließ sie nicht, und ihr Körper gehorchte: Kurze Zeit später schwang sie sich mit einiger Mühe über die Brüstung.
Die blonde Frau hatte es geschafft. Das Zimmer war dunkel und nur das schwache silbrige Mondlicht kroch durch die Ritzen eines aus Stein gehauenen Fensters in Form einer verschlungenen Blume. Louisa erkannte ein Bett in der Dunkelheit und einige weiche Pelze, die auf dem Boden ausgelegt waren um die Wärme in den Wänden zu halten. Auf einem Schreibtisch aus hellem und dunklen Nussbaumholz lagen Feder und Tinte und sogar ein paar kostbare ledergebundene Bücher. Der braunhaarige Mann war ganz offensichtlich nicht so schnell wie sie gewesen. Louisa war noch einige Augenblicke allein in diesem Zimmer.
Leise tappte sie auf ihren nackten Sohlen in den Raum hinein. Für einen Moment vergaß sie die Situation, ließ ihre Blicke bewundernd über die schöne Einrichtung schweifen, das weiche Bett, das sie in angenehmen Erinnerungen gefangen lächeln ließ... Lautlos trat sie näher, ließ die schmalen Finger bewundernd über die Laken gleiten, sog den Anblick der kostbaren Möbel in sich auf. Tand, weltliche Ablenkung von den wahrhaft wichtigen Dingen, würde der Hidalgo gesagt haben. Törichtes, den Äußerlichkeiten verhaftetes Mädchen, das sie war, das sich blenden ließ von Schmuck, schönen Kleidern, von reichen Männern! Und doch: War es nicht schön, töricht zu sein und zu genießen, was einem offenstand, nachdem man durch die eisige Nacht des Todes gewandert war, um die Augen vor einer neuen Welt zu öffnen, einer Welt der Schatten? Ihre Hände schmiegten sich an den weichen Stoff, begehrlich hing ihr Blick am Reichtum, der hier ausgestellt war...
Eine Tür öffnete sich hinter ihr und eine Gestalt schob sich durch die Tür, die gleich danach von innen verriegelt wurde. Der braunhaarige Mann drehte sich zu ihr um und nickte anerkennend. „Ihr ward rasch. Ich habe mit viel gerechnet, aber nicht mit einer solchen Schnelligkeit.“ Er holte einen Kienspan hervor und entzündete eine Kerze, die schwaches Licht spendete und die er hinter ienem Wanschirm auf dem Kamin positionierte. Er sah sie einen Moment an, musterte die zerlumpte Erscheinung und die nackten Füße. „Verzeiht den Teil, den ich bei all dem gespielt habe. Das ist unverzeihlich, aber ich vermag es leider nicht zu ändern.“ Er griff in die große Truhe am Fuß des Bettes und zog ein Bündel hervor. Er reichte ihr die einfache Gewandung einer Bürgersfrau und deutete auf den Waschzuber in einer Ecke und den tönernen Krug. „Wenn ihr wünscht…“ Er nickte und drehte ihr rücksichtvoll den Rücken zu. „Macht euch keine Gedanken. Hier seid ihr fürs erste in Sicherheit. Das hier ist mein ‚Reich‘. Niemand würde es wagen in diesen Teil des Gebäudes unaufgefordert einzudringen. Ihr könnt hier frei sprechen. Euer Fehlen wird nicht vor dem nächsten Sonnenaufgang bemerkt werden.“
Schlangengleich fuhr sie beim ersten Geräusch herum. Erst der Anblick ihres Helfers ließ sie sich wieder entspannen. Zunächst strich sie sich halb verlegen das honigfarbene Haar hinters Ohr, da sie sich so ertappt fühlte bei ihrer kindischen Bewunderung für den Glanz des Goldes. Die Worte ihres Meisters bewirkten gegen ihren Willen, dass sie sich dabei kindlich, jung und tölpelhaft vorkam. Dieser alte Bastard..! Hatte ihr jegliche Lust an den Freuden und Genüssen dieser Welt auszureden versucht! Doch, apropos... sie nahm das Kleiderbündel entgegen, trat auf die einfache Waschgelegenheit zu und spähte über die Schulter zu dem Mann hinüber. Ein amüsiertes Lächeln umspielte ihre Lippen. "So scheu, mein edler Retter..?" neckte sie ihn, während er das Rascheln von Kleidern hören würde. Sie löste Schnüre und Bänder, dann stieg sie mit katzenhafter Langsamkeit aus den Röcken, die sich ringförmig um ihre Knöchel auf dem Boden türmten. Streifte ihr Mieder beinahe zärtlich von ihrem milchigen Leib. "Oder meint ihr, dass mein Anblick zu abstoßend für Eure Augen ist?" Mit einem perlenden, leisen Lachen begann sie sich zu waschen, das Wasser plätscherte verhalten. Es war noch nicht einmal so, dass sie ihn sehr begehrte – nicht mehr als jedes andere stattliche Mannsbild in derselben Situation. Aber ihr Verhalten, das Spielen mit dem Feuer, kam wie von selbst, quasi natürlich.