Mi 6. Jan 2016, 23:25
Es waren nun bereits einige Tage die ins Land gegangen waren und Alyssa hatte sich inzwischen soweit erholt, dass sie ihre Arbeit wieder aufgenommen hatte. Alida fand Ihre Verwandte in einem der Lagerhäuser der Familie wo sie einmal mehr zwischen Pergamenten, Tinte und allerlei Tabellen vergrabenen war. Sie blickte schließlich von ihrer Arbeit und lächelte der Tzimisce zu. "Alida." Die dunkelhaarige Frau wirkte erfreut und legte den Federkiel beiseite. "Wie kann ich dir helfen?"
Alida setzte sich ohne lange zu überlegen auf eines der Fässer und ließ die Füße nach unten baumeln. Sie lehnte den Rücken an die Wand, betrachtete mit einem groben Blick das Lagerhaus und die Arbeit, die Alyssa gerade verrichtete. Sie schenkte ihrer Großnichte ein Lächeln.
„Es freut mich, dass es dir wieder besser geht. Ich habe mir große Sorgen gemacht.“ Ihre Stimme wurde leiser und im Kopf sah sie erneut die schrecklichen Bilder der letzten Wochen.
Auch Alyssa lehnte sich ein wenig zurück und atmete einmal tief ein. "Ja es geht mir in der Tat besser Alida. Ich wollte einfach nicht mehr auf der faulen Haut liegen und ein bisschen Arbeit tut wahrlich gut. Leider oder vielleicht doch eher glücklicherweise, kann ich mich eigentlich an nichts erinnern was genau passiert ist. Ich kann mich nur noch einmal bedanken, dass du mich aufgelesen hast." Sie schwieg kurz und es war offensichtlich, dass sie abwägte. Sollte sie nach etwas fragen, von dem sie nicht wusste ob sie die Antwort hören wollte? Es schien nicht so. "Ich hoffe lediglich, dass mir so etwas nie wieder passiert... Ein… Ein solcher Ausfall meine ich." Sie biss sich auf die Lippen.
Alida schüttelte den Kopf. Alyssa war Ghul, Teil der Familie und zu viele Geheimnisse, das hatte sie längst begriffen, waren in der Lage alles zu zerstören. „Du hattest keinen Ausfall. Du wurdest angegriffen und schwer verwundet. Das ist etwas das sich nur teilweise auf dich bezieht. Ich schätze, es ging der Unholdin, die dazu in der Lage war, darum mir zu zeigen, wozu sie fähig ist. Ich war nicht in der Lage sie aufzuhalten…“ Alida biss die Zähen aufeinander.
Alyssa nickte nur. Sie verstand. "Offensichtlich haben wir es aber wenigstens mit unserer beider Leben davon geschafft." Dann schüttelte sie den Kopf. "Aber ich kann mich an eigentlich an nichts erinnern. Alles was du erzählst klingt, als wäre es jemand anderem und nicht mir passiert...vielleicht sollte ich zumindest dafür dankbar sein."
Alida nickte. „Ja, du hast schlimme Kopfverletzungen davon getragen. Woran erinnerst du dich?“
Sie wusste nicht, ob sie die Antwort wirklich hören wollte, aber sie wusste, dass die Frage notwendig war.
"Eigentlich an nichts Besonderes Alida." Sie seufzte. "Ich weiß es klingt komisch, aber alles was in den letzten Tagen und Wochen passiert ist wirkt ein wenig wie weggefegt. Ich weiß das ich mich an etwas erinnern müsste, aber da ist einfach nur weiß. Diese eine Nacht wo wir angegriffen wurden ist sogar völlig weg. Es ist als hätte die Nacht nie existiert
Und die Unholdin von der du sprichst könnte ich nicht einmal beschreiben."
Die blonde Händlerin beließ es dabei. Manche Dinge waren vielleicht besser. Alyssa ging es besser. Sie selbst wusste, sie war, wer sie war durch ihre Erinnerungen, durch das, was sie erlebt hatte. Und jede einzelne gehörte dazu. Egal ob schlecht oder gut.
„Alyssa? Ich wüsste gerne etwas von dir und ich möchte, dass du ehrlich antwortest, falls du dich erinnern kannst. Du hast damals gesagt, ich soll vorsichtig sein, wenn es um deinen Neffen Karl- Christian geht und dass er eine Menge weiß und Geheimnisse hat. Was genau hast du damit gemeint?“
Der Ghul wirkte plötzlich ein wenig verwirrt, beinahe überwältigt. "Was...was soll ich gesagt haben? Er hat mich besucht...aber ich kann mich an nichts erinnern was mich solche Dinge sagen lassen würde. Ich mag meinen Neffen..." Sie schaute Alida ein wenig unsicher an.
Alida trat ein paar Schritte auf die braunhaarige Frau zu und legte ihr aufmunternd die Hand auf die Schulter. „Ist schon gut, Alyssa. Das war vielleicht ein Missverständnis und ich hab dich einfach falsch verstanden. Wir hatten damals keine Zeit darüber zu sprechen und jetzt können wir es auch nicht mehr klären. Karl-Christian scheint ja ein anständiger Kerl zu sein.“
Alida nickte ihrer Großnichte zu. Das Gespräch brachte ihr in dieser Hinsicht keine Erkenntnisse und sie wollte die junge Frau nicht weiter verwirren. „Ist bei dir sonst alles in Ordnung?“
Alyssa schien sich aus der Ruhe bringen zu lassen. Eine ganz andere Reaktion als man von ihr wohl noch vor ein paar Wochen erwartet hätte. "Ich wünschte ich könnte dir helfen." Sie hob die Schultern. "Ansonsten geht es mir wirklich gut. Alles scheint voran zu gehen und ich bin mehr als motiviert und entschlossen mein neues Buchungssystem für Geld und Waren auszuprobieren." Sie lächelte Alida zu. "Kann ich dir sonst noch irgendwie helfen?"
Die Kainitin schüttelte den Kopf. „Danke, dass du Zeit hattest. Ich hoffe, du stellst das System demnächst mal allen vor. Ich bin gespannt.“ Sie erhob sich.
"In Ordnung Alida. Ich werde auch bald nach Hause." Sie lächelte der Händlerin zu. "Das System lege ich dir ganz oben auf den Arbeitsstapel sobald ich die letzten Fehler ausgemerzt habe."
Alida nickte noch ein letztes Mal bevor sie das Gebäude verließ. Sie unterdrückte ein Aufseufzen, pfiff nach ihrem Hund (sofern der noch lebt
) und ging zu ihrem Pferd. Eines war ihr klar. Alyssa war eine fähige Händlerin und ausgesprochen begabte Verwalterin, aber die Welt der Dunkelheit war etwas, dem sie nicht gewachsen war. Das Dasein als Ghul hielt für sie nur Nachteile und keine Vorteile bereit. Sie würde die Angelegenheit demnächst mit Frederik und Georg erörtern.
Früher hätte Alida den Heiler den sie nun aufsuchen wollte wahrscheinlich im Hospital gefunden. Aber das war einmal, denn er suchte es nur noch zu seltenen Gelegenheiten auf. Sie musste sich ein wenig durchfragen und wurde schließlich in die Richtung der Schmiede von Brunhild geleitet. Die Arbeitsstätte der blonden Frau schien zu einer Art Sammelpunkt für Leif und die Seinen geworden zu sein wenn sie sich in der Stadt aufhielten. Alida bog schließlich in die saubere und gut gepflegte Straße ein in der sich das Gebäude befand. Das Viertel selbst war weder sonderlich arm noch reich. Es beherbergte eher die immer größer werdende Mittelschicht von Handwerkern, kleinen Händlern und Angestellten mit gutem Einkommen. Schließlich fand sie das gesuchte Gebäude. Ein großes Eckhaus mit angebauter Esse und Schmiede. Die Glut war schon heruntergebrannt, aber der Duft von Asche und Rauch lag noch immer in der Luft.
Alida zog den Mantel ein wenig enger um die Schultern und trat näher heran. Sie klopfte fest an die Eingangspforte.
Ihr Klopfen wurde recht schnell gehört und ein bekanntes Gesicht öffnete der Tzimisce die Tür. Es war Leif. "Alida." Das Wort kam im überraschten Unterton. "Habe ich oder irgendwer etwas verbrochen? Oder ist das hier ein unerwarteter Höflichkeitsbesuch?" Der dunkelhaarige Mann lächelte Alida zu und lud sie mit einer fließenden Handbewegung in das Haus ein.
Alida war durch die Frage etwas überrascht. „Guten Abend, Leif.“ Sie sah sich ein wenig um, hatte sie doch eher mit dem Anblick von Brunhild gerechnet. Dann schenkte sie Leif ein schiefes Grinsen. „Ob du etwas verbrochen hast, kannst du wohl selbst am besten beantworten.“ Sie trat ein. „Danke.“
"Wie wahr, wie wahr Alida" Der Salubri schloss die Tür. Der große Raum der gleichzeitig als Wohnstube und Küche diente war gut erleuchtet mit Kerzen und einem Kaminfeuer. Über letzterem brodelte ein Topf aus dem ein würziger Duft die Luft des Raumes erfüllte. Wahrscheinlich irgendein Eintopf. "Setz dich bitte Alida. Wie kann ich dir weiterhelfen?"
Alida sah sich um, ließ den Blick über den Wohnbereich gleiten. „Was machst du hier, Leif? Ich hab‘ eine halbe Ewigkeit gebraucht bis ich dich gefunden hab. Musste mich ziemlich durchfragen. Ich dachte, das hier wäre das Haus von Brunhild.“
Der Salubri schaute sich um und zuckte mit den Schultern. "Das ist auch das Haus von Brunhild. Aber jetzt wo ich außer meiner Tätigkeit als Ratsmitglied des kleinen Rates nichts mehr zu tun habe, muss ich mich ja irgendwie beschäftigen." Er grinste und ging zu dem Topf mit dem Eintopf um darin zu rühren. "Wusstest du, dass es gar nicht so einfach ist, einen ordentlichen Eintopf zu kochen?" Er warf ein paar Kräuter und Salz in den Topf. Dann ging er wieder zum Tisch um sich selber zu setzen. "Ich genieße ein wenig Ruhe und Frieden, insbesondere nach all dem Wahnsinn der letzten Jahre."
Alida grinste. „Wenn einer von uns das hinbekommt, dann wohl du. Zumindest stimmt dann die Kräutermischung. Wobei sich Lucien auch als recht fähiger Koch bewiesen hat. Jean hat erfolgreich und gut genährt das Erwachsenenalter erreicht.“ Sie verzog das Gesicht zu einer Grimasse. „Ich war darin schon zu Lebzeiten miserabel und wurde regelmäßig mit dem Kochlöffel aus der Küche verscheucht wenn ich auf die Idee kam selbst Hand anlegen zu wollen.“
"Ich kann mehr schwer vorstellen, dass du dich aus der Küche verscheuchen lassen würdest, wenn du dir es wirklich in den Kopf gesetzt hättest das Kochen lernen zu wollen" Er lächelte ein wenig. "Aber wahrscheinlich war es eine gute Ausrede um mehr Zeit mit spaßigen und aufregenden Dingen verbringen zu können. Zumindest habe ich es immer so gemacht als ich noch ein Kind war." Er schien in Gedanken. "Aber das ist einer der Vorteile von all der zusätzlichen Zeit die man als Kainit genießt. Man kann sich eine Menge Gaben antrainieren von dem man nie glaubte sie je meistern zu können oder bereits bestehende Fähigkeiten weiter verfeinern. Komm mal mit ich will dir etwas zeigen." Er zeigte auf die Hintertür des Raumes und ging auf diese zu.
Alida nickte und folgte ihm. „Ich war eine miserable Köchin und hab schnell eingesehen, dass es für die Gesundheit von allen von Vorteil war, wenn ich mich anderen Tätigkeiten gewidmet hab. Aber du hast Recht. Man ist in der Lage Fähigkeiten zu erlernen von denen man nicht einmal in seinen kühnsten Träumen eine Vorstellung von gehabt hätte. Mein Vater hätte sich wohl nie ausgemalt, dass ich einmal von einem ehemaligen Räuber, einem der sein Geld damit verdiente unsere Handelszüge auszurauben, im Schwertkampf unterrichtet werden würde.“
"Oh ich weiß was du meinst. Als mein Vater herausgefunden hatte, dass ich für den Rest meines Lebens Verbände wechseln wollte und Kräutertränke mische, bin ich nur um Haaresbreite drumherum gekommen, dass er mich mit Schimpf und Schande von Hof jagte." Schließlich erreichten sie die Hintertür die Leif entriegelte und mit einem leisen klicken öffnete. Beide Kainiten konnten auf einen kleinen Balkon treten von dem eine Treppe in einen mit Fackeln erleuchteten Hof führten. Auf diesem Hof fand gerade ein Schwertkampf statt. Karl-Christian war einer der Kämpfer und Brunhild deren blondes Haar etwas unter dem Helm hervorquoll der andere. Sie schenkten sich nichts und keiner der Beiden schien den Kampf bereits für sich entschieden zu haben, auch wenn schiere Kraft und Größe Karl wohl einen Vorteil einräumten.
Alida hielt sich etwas im Hintergrund, blieb in den Schatten des Türsturzes. Sie hatte nicht die Absicht sich bemerkbar zu machen bevor der Kampf beendet war. Sie selbst hasste Ablenkung während den Übungsstunden auch wenn Lucien sie immer damit aufzog, dass ein Kämpfer gerade in solchen Situationen bewies, was er wirklich konnte. Sie sah Leif fragend an, dann betrachtete sie weiter das Schauspiel.
Beide Parteien schenkten sich nichts. Karl griff mit einer Reihe Schlägen seines Schwertes an, die Brunhild allesamt mit einem Rundschild abwehrte, dabei aber immer mehr in die Defensive geriet. Mit einem beherzten Sprung, kam sie schließlich außerhalb der Reichweite des Jungen und konnte sich neu in Stellung bringen. Sie schienen ihre Zuschauer nicht einmal bemerkt zu haben. "Lust auf eine kleine Wette Alida um zu sehen wer gewinnt? Oder liegt dir Glücksspiel nicht so sehr, wenn es nicht mit Schiffen und Waren zu tun hat." Er lachte ein wenig.
Alida lächelte verschmitzt und sah den zwei Kontrahenten beim Übungsgefecht zu. Beide verfügten über ausgezeichnetes Können, waren meisterliche Kämpfer und schienen die Stärken und Schwächen bis ins kleinste Detail zu kennen. Ein Lehrer und sein Schüler.
„Karl- Christian!“ Sie musste für ihren Kandidat nicht lang überlegen. „Ich folge unserer Familientradition: Familie, Ehre, Verpflichtung. Und ein Van de Burse setzt immer zuerst auf die Familie.“ In Gedanken ging sie ihre letzte Schiffsladung durch, überlegte woran Leif Interesse haben könnte. „Ich setze je 2 Pfund getrockneten roten Fingerhut, Johanniskraut, Beinwell und Zaubernuss. Und eine Abschrift des dritten Kanons der Medizin Avicenna sofern du niemals durchblicken lässt, dass dieses Werk eines heidnischen Arabers mal in meinem Besitz war.“ Sie hielt ihm grinsend die Hand hin.