Vampire: Die Maskerade

Alida beuget sich nach vorne. „Tut mir den Gefallen und berichtet, was ihr wisst. Ein unangemeldeter Kainit ruft in unseren Reihen in Brügge nicht automatisch eine Blutjagd aus, aber wir drängen doch darauf, die einfachen, bekannten Höflichkeitsriten zu wahren. Außerdem wollen wir wissen, wer durch unsere Domäne schleicht und welche Gründe er haben mag, denn kaum ein Kainit vergisst aus purer Nachlässigkeit die Traditionen.“

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"Alea iacta est." oder "Die Würfel sind gefallen." - Lateinisches Sprichwort

Louisa legte die Fingerspitzen aneinander und starrte diese an. "Völlig sicher bin ich tatsächlich nicht," gab sie schließlich zu, "doch vermute ich, dass es sich um einen Kainiten handelt, dem ich bereits vor meiner Ankunft hier begegnete und der mir einen großen Dienst erwies. Wenn es sich um diesen Mann handelt, sucht er mit Sicherheit nach mir. Sobald er in Erfahrung gebracht hat, wo und wie ich zu finden bin, werde ich also höchstwahrscheinlich umgehend Nachricht von ihm erhalten, denn wie ich erfuhr, hält er sich selten lange an einem Ort auf. Würde die Domäne es in diesem Falle anerkennen, wenn ich für ihn bürgte?"

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~ Begehren ist die Triebfeder allen Handelns ~

Die blonde Tzimiske lehnte sich in ihrem Sessel zurück und nahm einen langen Zug aus dem Pokal. Lange ließ sie die Zeit verstreichen und dachte nach. „Ihr wisst mit Sicherheit selbst, dass einige Fragen aufgeworfen werden. Warum meldet sich dieser Kainit nicht offen in der Stadt an und erkundigt sich in diesem Zusammenhang nach eurem Befinden, wenn er euch schon kennt? Dies wäre sicher auch einfacher, um euren Aufenthaltsort heraus zu bekommen. Seid ihr euch sicher, dass ihr für diesen Mann bürgen wollt?“

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"Alea iacta est." oder "Die Würfel sind gefallen." - Lateinisches Sprichwort

"Ich bin mir sicher, dass er nicht ohne guten Grund gegen die Etikette verstoßen würde. Ihr selbst wisst, dass unter Unseresgleichen manche Neuigkeit schneller reist als ein Vogel – es könnte sein, dass er Anlass hat, seine Gegenwart nicht allgemein bekannt werden zu lassen" erwiderte die Brujah. Auch sie machte eine Pause, in der sie ihren Kelch langsam schwenkte und dem trägen Kreisen der Vitae zusah. Schließlich sagte sie: "Wenn es der Mann ist, den ich meine, bin ich bereit, für ihn zu bürgen. Gefallen sind neben Neuigkeiten das, worauf die Gesellschaft der Nacht gegründet ist, ist es nicht so?" Schließlich beugte sie sich vor, wie es Alida getan hatte. "Lasst mich versuchen, ihn meinerseits ausfindig zu machen und herauszufinden, ob er derjenige ist und was er hier sucht. Ich habe nicht vor, diese Domäne allzu bald wieder zu verlassen – man kann sich meiner Loyalität ihr gegenüber also gewiss sein. Und ich bezweifle, dass einer mit feindlichen Absichten so vorginge wie dieser Mann." Der Kelch kam zum Stillstand, als sie ihrem Gegenüber in die Augen sah.

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~ Begehren ist die Triebfeder allen Handelns ~

Alida ließ den Pokal zwischen ihren Fingern dahingleiten und betrachtete die dunkelrote Flüssigkeit darin nachdenklich als wäre dort die Antwort zu finden, die sie suchte. „Ihr müsst ihm mehr als einen Gefallen schuldig sein, wenn ihr bereit seid für jemanden zu bürgen, der mit seinem Tun die eigenen Existenz in Gefahr bringt.“ Sie hob den Blick. „Oder er möglicherweise demnächst euch…“ Sie griff zu einem Pergament, Feder und Tinte, die sie aus der Schublade eines Tisches hervor kramte und begann darauf ein paar Zeilen zu verfassen. Dann tat sie das Pergament in ein Lederetui, zog rotes Wachs hervor und versiegelte das Behältnis mit einem schweren Ring, den sie am Finger trug. Louisa konnte drei Geldsäcke erkennen. Dann fuhr sie erneut fort. „Der offizielle Ansprechpartner in einer solchen Situation ist Jan van Hauten. Allerdings weilt dieser für einige Tage in Leuven. Tut mir den Gefallen und sucht den Gangrel Lucien Sabatier auf, damit er euch bei der Suche behilflich ist. ER sollte sich beim Hauptquartier der nächtlichen Wache aufhalten. Er hat für die Sterblichen den Posten des Hauptmannes inne. Ich werde morgen Nacht die Mitglieder des großen Rats informieren und ich bin mir sicher, dass ich sie überzeugen kann, die Sache vorerst diskret zu behandeln. Sofern sich euer Bekannter weiterhin ‚diskret‘ verhält.“

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"Alea iacta est." oder "Die Würfel sind gefallen." - Lateinisches Sprichwort

Die Brujah lächelte nur verbindlich auf Alidas implizite Frage, nahm einen Schluck aus ihrem Pokal und wartete ab. "Ich danke für Euer Entgegenkommen und sehe mich meinerseits in Eurer Schuld, mevrouw." Zu ihren Worten neigte sie schlicht den Kopf. Ihr Gegenüber würde unschwer bemerken, dass sie – für ihre Verhältnisse – direkt und mit offenen Karten spielte: Auf all die kleinen Gesten, mit denen sie ihre Reize für gewöhnlich bei Mann und Weib einsetzte, um auf subtile Weise für sich einzunehmen, verzichtete Louisa bei diesem Gespräch. Sie sprach eher wie eine Geschäftsfrau. Womöglich wiederum eine Geste – von einer Gleichen zur anderen? "Ich werde tun, was in meiner Macht steht, damit dieser Besucher der Domäne auch weiterhin kein Kopfzerbrechen bereitet" versicherte sie und fügte hinzu: "Mit mijnheer Sabatiers Hilfe sollte es gewiss unproblematisch sein, den Kontakt rasch herzustellen." Ihr Blick streifte das Lederetui.

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Alida nickte, wählte ebenfalls die Gesten der Geschäftsfrau, ob aus Gewohnheit, als Teil ihres Wesens oder als schlichte Methode in Anwesenheit einer Kainitin ließ sich für Louisa noch nicht entschlüsseln. „Lucien Sabatier wird mit Sicherheit eine große Hilfe sein.“ Dann sah sie Louisa ein wenig schief von der Seite an. „Ich hoffe, dieser Mann ist es wert, dass ihr für ihn bürgt. Ihr seid lang genug unter den unsrigen um eure Entscheidungen klug abzuwägen. Mögt ihr mir ein wenig von euch erzählen? Ich muss gestehen, ich hatte in all den Jahren nicht oft die Möglichkeit mich mit einem Kind der Gelehrten auszutauschen und ich bin gespannt…“

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"Alea iacta est." oder "Die Würfel sind gefallen." - Lateinisches Sprichwort

"Nun, ich kann nur hoffen, Euch in dieser Beziehung nicht zu enttäuschen" gab die Brujah zurück. "Denn für den Clan der Gelehrten darf ich wohl nicht als typisch gelten – tatsächlich bin ich vor dem Kuss nur wenig mit den Geheimnissen der Welt in Berührung gekommen, wie es für junge Mädchen ja auch kaum anders zu erwarten ist." Wieder nahm sie einen Schluck von dem Pokal in ihrer schlanken Hand, ließ die schweren roten Tropfen langsam durch ihre Kehle rinnen, während sie vor sich hinsah. "Aber auch was ich durch meine Wandlung und danach erwarb, waren nicht nur Wissen und Kraft – wie eben jedes Ding seine zwei Seiten hat. Wie Ihr wisst, birgt das Erbe jeder Blutlinie einen Fluch in sich, welcher über jenen hinausgeht, den alle Kinder der Nacht teilen. Ich selbst habe den Fluch meines Clans fürchten gelernt, denn er ist in der Lage, allerlei zu zerstören, von Besitztümern über Bündnisse bis hin zu tieferen Bindungen..." Ihre Augen richteten sich auf Alida, in ihnen schien sich das vorhandene Licht des Raums zu sammeln und ein Feuer zu nähren. "Ich beneide Euch um das, was Ihr im Vergleich zu Sterblichen Leidenschaftlichkeit nennen mögt, ich aber aus meiner Warte eine beinahe unerschütterliche Gemütsruhe nennen muss."

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~ Begehren ist die Triebfeder allen Handelns ~

Die Stirn ihres gegenüber legte sich in Falten bei ihrer letzten Bemerkung. „Ich hatte immer die Vermutung, dass euer Clan mit dem Geschenk der Leidenschaft gesegnet schien. Kreuzritter, die für ihren Glauben bereit wären ins Feuer zu gehen, Gelehrte, die jeglichen Trost in den Enzyklopädien der großen Bibliotheken finden…“ Sie schwieg nachdenklich einen Moment. „Aber zu viel Leidenschaft mag gefährlich sein, und wahrscheinlich bringt ein gewissenhafter Lehrmeister einem jüngeren Clansmitglied bei, seine Gefühle zu zügeln um nicht Tod und Elend über das zu bringen, was er liebt. Ich kenne einen Kainiten, der in Raserei fast jedes einzelne seiner sterblichen Familienmitglieder erschlug… Ein schreckliches Schicksal, wenn man es bis zum Ende aller Tage mit sich herum tragen muss.“ Sie verstummte um dann erneut die Stimme zu heben. „Für den Clan der Drachen mag ich auch nicht als typisch gelten. Zumindest wenn man diejenigen des Ostens heranzieht“ Ein Schmunzeln huschte über ihre Mundwinkel. „Auf der anderen Seite hat mein Erzeuger einst gesagt, ich wäre schon Tzimiske gewesen bevor ich den Kuss erhielt.“ Ein kurzes Auflachen unterbrach ihren Satz. „Ich erhielt den Kuss von einem untoten Kind, das den Tod der sterblichen Eltern nicht überwinden konnte und wahrscheinlich aus Angst vor dem Alleinsein das Ende meines Lebens nicht ertragen wollte. Ich war mit seinen Eltern…“ Sie suchte nach dem richtigen Wort. „… befreundet…“

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"Alea iacta est." oder "Die Würfel sind gefallen." - Lateinisches Sprichwort

"Da habt Ihr nicht ganz unrecht. Die Leidenschaft kann in manchen Fällen auch ein Geschenk sein" gab die Brujah zu. Ihre Stimme vibrierte dabei fast unmerklich. Oh ja: Wie viele Kainiten konnten schon von sich behaupten, dass ihre kalte Vitae so in Wallung geriet wie die ihre etwa beim Anblick eines gutgebauten Mannes oder beim Geschmack seines warmen Blutes während der körperlichen Vereinigung? So begehren zu können allein bedeutete etwas, das anderen nach dem Kuss für immer versagt war. Dennoch... "Dennoch, die Vitae meines Clans ist wie eine Flamme. Sie kann wärmen, aber auch vernichten. Und sie braucht stets etwas, das sie verbrennen kann. Ruhe, Stillstand, das sind Dinge, die große Gefahren in sich bergen. Denn ein Feuer, das nichts zu verbrennen hat, verzehrt sich schließlich selbst."

Ihr Blick wanderte in die Ferne. Es gab mittlerweile nur noch wenig, was ihr Angst machte. Angst aber verspürte sie bei der Schilderung Alidas von dem Mann, dessen Flamme die eigene Familie restlos verschlungen hatte. Das Ding in ihr, es lauerte auch immer auf eine solche Gelegenheit, wie der Fenriswolf, der an unablässig an der Fessel Gleipnir zerrte... Einmal mehr hasste sie ihren Meister für das Wissen, das er ihr eingetrichtert hatte, begleitet von weisen Ratschlägen und hehren Idealen. Er hatte sie gelehrt, ihrer Angst Namen zu geben. Stumm lauschte sie ihrem Gegenüber, während sie den Schatten zu verdrängen suchte. Als es ihr endlich gelungen war, ihn zu bannen, warf sie den Kopf zurück und lachte, ein hell perlendes Lachen, wie man es von einem unbeschwerten sterblichen Mädchen erwartet hätte.

"Welche Ironie, meine Liebe" bemerkte sie dann. "Ihr, deren Clan man so große Kälte nachsagt, wurdet geküsst aus eine heftigen Gefühlsregung heraus, während ich, die ich ein so heißes Blut geerbt habe, das Kind nüchterner Überlegungen bin." Ihr Lachen erstarb abrupt wieder. "Ich wurde gezielt zu dem gemacht, was ich bin. Von langer Hand geplant, durchdacht, ein Abwägen von Für und Wider..." Wie eine Ware, oder besser: ein Werkzeug, zu dem man die notwendigen Materialien sorgfältig aussuchte, um sie dann ebenso sorgfältig zu bearbeiten... Ein schmerzliches Aufzucken ging über Louisas Züge, dann hatte sie sich wiederum in der Gewalt. "Dieses Kind" erkundigte sie sich, "wie steht Ihr zu ihm? Seid ihr ihm dankbar, oder verspürt ihr auch Groll über das, was es an Euch tat?"

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~ Begehren ist die Triebfeder allen Handelns ~