Vampire: Die Maskerade

Der Raum war so hell erleuchtet, dass Louisa die blonde Frau mustern konnte ohne sich übermäßig anzustrengen oder zu viel Aufmerksamkeit auf diese Analyse zu lenken. Die Van de Burse trug ein Kleid aus gutem Tuch, dessen Wert und Stoff sie nicht einzuschätzen ver-mochte. Es legte sich gut geschnitten um ihr Äußeres und ließ zu, dass sie die Gesten, die die Etikette gebot, mühelos durchzuführen vermochte. Innerhalb weniger Augenblicke ge-wann die Brujah einen ersten Eindruck von ihrem kainitischen Gegenüber: Sie beherrschte die Etikette der Gastgeberin mit Worten und Gesten und war es offensichtlich gewohnt Or-der zu erteilen, die befolgt wurden. Louisa kannte diese Art von Frauen: selbstbewusste Händlerstöchter oder -frauen, die genug Bildung erhalten hatten um im heimischen Betrieb mitzuarbeiten und die Geschäfte in Zeiten der Abwesenheit des Vaters oder Gatten weiterzu-führen. Die Art von Frauen, die so manchem Obrigen oder Geistlichen ein Dorn im Auge waren, da sie sich nicht so unbedingt in die Rolle des gefügigen Weibs drängen ließen, son-dern ihren Platz einforderten. Auch diese Alida gehörte dazu und Louisa schätzte, dass ih-rem Gegenüber so manches Mittel recht wäre um das zu verteidigen, was ihr wichtig war. Was auch immer das sein mochte…

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"Alea iacta est." oder "Die Würfel sind gefallen." - Lateinisches Sprichwort

Gewohnt, Frauen mit einer gewissen Ausstrahlung immer als potentielle Konkurrenz anzusehen, gefiel der Brujah nichtsdestotrotz der Gedanke einer anderen, die sich ebenfalls ihren eigenen Platz in dieser Welt der Männer zu erobern trachtete. Dass sie selbst in weiten Teilen die Fassade einer Witwe aufrecht erhielt, die ihrem Gemahl eine fügsame Ehefrau gewesen war und sich noch immer den Regeln beugte, erleichterte in vielerlei Hinsicht ihre Vorhaben, eckte man doch auf diese Weise sehr viel seltener an: Man musste den Menschen geben, was sie erwarteten, oder es sie doch zumindest glauben lassen. Und so stellte auch ihr eigenes Äußeres eine Art Kompromiss zwischen selbstbewusstem Auftreten und dem dar, was man von einem "züchtigen Frauenzimmer" allgemein erwartete. Ihre Kleid entsprach dem modischen Geschmack der wohlhabenden Fernhändlerschicht, mit aufwendig besticktem Mieder, einer fast schon kecken Haube, verspielten Säumen und kräftigen Farben – überschritt aber noch nicht die Grenze zur Prunksucht. Sie war ziemlich sicher, dass Alida sie ähnlich einschätzen würde wie umgekehrt, und damit läge sie auch kaum falsch. Mit sorgsamen, gezierten Bewegungen dankte sie für den Empfang, nach außen hin die reine herzliche Freundlichkeit. Gewiss würde es eine Frau wie diese nicht anders von ihr erwarten, als dass sie dennoch auf ihren Vorteil achten würde wie ein gerissener Geldverleiher. Oh ja, sie hatte das Gefühl, man würde sich wunderbar verstehen...

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~ Begehren ist die Triebfeder allen Handelns ~

Alida tauschte Höflichkeitsfloskeln und Belanglosigkeiten mit ihr aus nachdem sich Hendrik mit einer kurzen Verbeugung vor Louisa und einem Nicken in die Richtung der vermeintlichen Hausherrin verabschiedet hatte. An seinem Gesicht konnte man ablesen, dass er liebend gern geblieben wäre.
Die blonde Händlerin fragte nach dem Befinden der Brujah, wie es ihr derweil in Brügge ergangen sei und lud sie ein in einer gemütlichen Sitzecke Platz zu nehmen. Aus einer verschließbaren Truhe zog sie eine gläserne Karaffe mit einer dunklen roten Flüssigkeit, offensichtlich Blut, die sie Louisa anbot. „Wenn ihr ablehnt, so wäre das nichts, was ich euch in irgendeiner Weise negativ auslegen würde.“ Sie lächelte. „Ein Teil meiner Gefährten würde das wahrscheinlich bei einem ersten Treffen tun. Es wäre mir jedoch eine Ehre, wenn ich euch, als Zeichen guter Gastfreundschaft auch etwas anderes als ‚freundliche Worte‘ anzubieten hätte.“ Sie goss sich selbst ein.

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"Alea iacta est." oder "Die Würfel sind gefallen." - Lateinisches Sprichwort

Louisas Blick folgte dem Jungen, als er den Raum verließ. Sie verstand ihn womöglich besser, als er ahnen mochte. Vielleicht... ja, vielleicht war es ihre unersättliche Neugier gewesen, die ihren Meister davon überzeugt hatte, ihr den Kuss zu geben. Nur – hier kräuselten sich ihre Lippen unmerklich – dass er sich verrechnet hatte, was ihre Disziplin und Ausdauer beim Lernen anging. Sie war keine Asketin, kein Denkerin, die weltliches wie Männer, schöne Kleider, Schmuck, Dienerschaft und Luxus verachtete gleich dem Hidalgo! Neues kennenzulernen war schön, es befriedigte etwas tief in ihr, doch nach einer Weile wurde alles langweilig, und das Blut wallte auf. Es schrie wiederum nach neuem, nach Sinnenkitzel, Wollust und dem Rausch des Genusses... Sie war davon überzeugt, dass sich ihr nie erschließen würde, wie ein Unsterblicher, der über so viel Macht verfügte wie er, sich auf ein einziges Ziel fokussieren und alles andere beiseite schieben konnte, was die Welt ihm bot. Öde. Öde, langweilig und... wahrhaftig tot.

Ohne dass ihre düsteren Erinnerungen die äußere Routine ihres Auftritts beeinträchtigte, erwiderte die Brujah das Lächeln ihrer Gastgeberin. "Aber im Gegenteil" sagte sie. "Ich nehme Euer Angebot ohne zu zögern an." Womit sie Platz nahm und ihre kunstvoll gefältelten Röcke mit eleganten Bewegungen ordnete. "Bitte nehmt es meinerseits als Zeichen des Vertrauens in Eure Gastfreundschaft, das ich hege." Gewiss war sie sich der Gefahren bewusst, die in einem Schluck Vitae unbekannter Herkunft lauern konnten. Doch einesteils war da stets etwas in ihr, das sich instinktiv gegen die guten Ratschläge ihres Meisters auflehnte, und dann war sie eine Genießerin, welche die feinen Nuancen im Geschmack des Lebenssaftes durch wahrhaftig ausschweifenden Genuss unterscheiden gelernt hatte. Neugier stachelte sie an. Die Neugier, welche Art von Willkommenstrunk diese Kainitin ihr wohl anbieten mochte – und die Neugier, ob sie hier einer ersten Probe unterworfen werden sollte.

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~ Begehren ist die Triebfeder allen Handelns ~

Der Kelch wurde gefüllt und Louisa entgegengehalten. Die Vita schmeckte frisch, würzig und enthielt unverkennbar den rauchigen Geschmack von Branntwein und vor kurzem gegorenem Bier. Es war mit Sicherheit keine Kleinigkeit für einen Kainiten an solches Blut zu kommen.
Alida nippte genüsslich an dem Pokal und stellte ihn dann auf einem kleinen Tischchen ab. „Ihr seid seit einiger Zeit hier in Brügge, unserer geliebten Domäne, zu Hause und gebt euch als junge Witwe aus. Mögt ihr mir erzählen, wie es euch bisher ergangen ist?“ Die blonde Händlerin beuget sich interessiert nach vorne.

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"Alea iacta est." oder "Die Würfel sind gefallen." - Lateinisches Sprichwort

Die Brujah kostete von dem süßen Lebenssaft und ließ ihn langsam über die Zunge zum Gaumen fließen. Ihre Miene dabei war die einer Genießerin, die wohl auch selbst so manche Anstrengung unternahm, diese einzige Form von Ekstase für die lebenden Toten bis zur Neige auszukosten. Sie nickte anerkennend, nahm noch einen Schluck und ließ diesen die Kehle hinab rinnen. "So ist es" bestätigte sie ihrem Gegenüber. "Eine praktische Möglichkeit, mich unabhängig von einem Mann als Aufpasser zu bewegen, ohne die Leute vor den Kopf zu stoßen. Warum" fügte sie mit einem kurzen Lächeln hinzu "sie von einem Arrangement wissen lassen, das sie doch nicht verstehen würden. Ich lasse sie lieber in dem Glauben, dass ich mich ganz denselben Regeln beuge wie sie."

Für ihre nächste Antwort legte sie die schlanken Finger bedächtig zusammen, ehe sie sprach. "Ich kann mich bislang nicht beklagen. Man hat mich freundlich aufgenommen, und ich hatte bereits Gelegenheit, Mitgliedern der Domäne meine Aufwartung zu machen und die eine oder andere kleine Geste des gegenseitigen Respekts auszutauschen. Noch bin ich dabei, mich einzurichten und mit den Gepflogenheiten vertraut zu machen. Ihr mögt mir also verzeihen, wenn ich gelegentlich eine etwas ungebührliche Neugier zeigen sollte." Ihr leichtes Lächeln vertiefte sich, verbarg aber nicht ganz den füchsischen Ausdruck, der sich in ihre Augen stahl. "Indes habe geschmeichelt bemerkt, dass auch ich offenbar Gegenstand der Neugier anderer bin, auch wenn diese sich im Gegensatz zu Euch leider noch nicht zu einer persönlichen Vorstellung haben durchringen konnten."

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Alida nickte zu ihren Ausführungen über das ‚Witwendasein‘. Offenbar hielt sie es ähnlich und war zufrieden damit auch wenn in einem winzigen Augenblick ein bedauernder Aus-druck über ihr Gesicht huschte, der sofort wieder verschwand.
Die Gastgeberin hörte ihr interessiert und aufmerksam zu, antwortete schließlich: „Soweit mir bekannt habt ihr bisher meinen Neffen Frederik van de Burse, den Hüter unseres Elysi-ums, Jan van Hauten, Leif Thorson und Charlotte Emerald getroffen. Sowie meine Wenig-keit…“ Sie schmunzelte. „Wessen Neugier habt ihr erregt ohne dass es bisher zu einem Treffen gekommen ist, möge mir die Frage gestattet sein?“

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"Alea iacta est." oder "Die Würfel sind gefallen." - Lateinisches Sprichwort

"So ist es. Diese Mitglieder der Domäne kennen zu lernen hatte ich bereits die Freude und Ehre" erwiderte die Brujah glatt und neigte dabei höflich ihr Haupt. "Es scheint sich aber unter anderem auch ein Mann nach mir erkundigt zu habe, der wohl als Gast in der Domäne weilen dürfte und dem ich mit Freuden Gastfreundschaft gewähren würde wie Ihr mir heute. Wisst Ihr zufällig etwas von einem Durchreisenden, einem Kainiten, der kürzlich in der Domäne seine Aufwartung gemacht hat?" Ihre schlanken Finger spielten mit dem Pokal, über den hinweg sie Alida ansah.

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Die Händlerin hörte ihr aufmerksam zu und ihre Augenbrauen verengten sich als sie Louisa lauschte. „Ein Kainit auf der Durchreise, sagt Ihr?“ Alida schloss die Hände zu Fäusten. „Er hätte sich bei Jan van Hauten anmelden müssen und dieser hätte dem Rat berichtet… Seid ihr euch sicher?“ Sie sah zu ihrem blonden Gegenüber um dann noch hinzuzufügen. „Es gab, soweit mir bekannt, keine besonderen Vorkommnisse: keine plötzlichen Toten, keine Sterblichen mit Blutarmut, die im Hospital hätten versorgt werden müssen… Wenn, dann geht dieser UNbekannte erstaunlich vorsichtig vor.“

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"Alea iacta est." oder "Die Würfel sind gefallen." - Lateinisches Sprichwort

"Nun," erwiderte die Brujah bedächtig, "vollständig sicher bin ich mir in der Tat nicht. Doch hielt ich es für wahrscheinlich, da ich einige Hinweise darauf erhielt, dass jemand nach einer Frau frage, in der ich mich durchaus erkennen könnte." Sie lächelte verbindlich. "Womöglich bin ich da einer Täuschung erlegen, oder aber es handelte sich um jemanden, der die Domäne und ihre Herren nicht kennt. Der erst vorsichtig in Erfahrung bringen muss, an wen er sich zu wenden hat..." Sie legte eine schlanke Hand unter ihr Kinn, lehnte sich zurück und sah nachdenklich zur Decke. "Sollte es sich jedoch tatsächlich um ein Kind der Nacht handeln, so habt Ihr allerdings recht: Derjenige achtet offenbar darauf, keinerlei Schwierigkeiten zu verursachen." Und in der Tat dachte sie angestrengt nach – unter anderem darüber, wie viel sie noch erzählen und was sie vorerst lieber für sich behalten sollte.

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