Vampire: Die Maskerade


Eine Welt der Dunkelheit
Aktuelle Zeit: Do 18. Apr 2024, 15:26

Alle Zeiten sind UTC + 1 Stunde





Ein neues Thema erstellen Auf das Thema antworten  [ 4 Beiträge ] 
Autor Nachricht
BeitragVerfasst: Di 12. Jun 2018, 11:10 
Offline
Benutzeravatar
 Profil

Registriert: Do 18. Jun 2009, 14:04
Beiträge: 487
Bild
Bild




Bild Bild
Theme:


New York City 1998


Der Regen prasselte unaufhörlich gegen die mit schweren Vorhängen verdeckten Scheiben, die man sorgsam mit verstärkten Eisengittern versehen hatte. Einige der Anwesenden hatten sich zuvor vehement gegen diese Vorsichtsmaßnahme ausgesprochen, da damit selbstredend nicht nur ein unerwünschtes Eindringen erschwert wurde, sondern bedauerlicherweise auch eine spontane Flucht unterbunden wurde. Und in der Konstellation und Zusammenstellung der heute Nacht hier versammelten Monster, waren Notfallpläne und optionale Routen zu einem paranoiden, täglichen Brot geworden.

Bild

An der Kopfseite des rechteckigen Tisches, welcher mit filigranen Einlegearbeiten versehen worden war, saß ein junger Mann den man wohl höchstens auf Mitte dreißig geschätzt hätte und überflog im Schein des grell leuchteten Displays seines Laptops die neuesten Meldungen sterblicher Medien. Unzufriedenheit machte sich abermals auf seinen ansonsten makellosen Zügen bemerkbar und der kostspielige Designeranzug, halft ebenfalls nicht über die Tatsache hinweg, dass der Grund dieser nächtlichen Zusammenkunft keinem Zurschaustellen von Wohlstand und stilvoller Eleganz gewidmet war.

Bild

Die drei anderen Mitglieder dieser illustren Runde, warfen sich schweigend vielsagende Blicke zu, die von Anspannung und unzufriedener Konzentration zeugten. Am anderen Ende des langen Tisches, halb im Schatten der spärlichen, beinahe viktorianisch anmutenden Beleuchtung, saß Lucien Sabatier beinahe völlig reglos auf einem weich gepolsterten Ledersessel und fixierte ohne zu blinzeln, nach wie vor den Mann hinter dem Laptop.

Bild Bild Bild


Mit einem bedauernden Seufzen, verschränkte der Mann die Finger ineinander und sah zunächst schweigend in die angespannte Runde, bevor er das Wort an den Gangrel richtete. „Es gibt keine andere Möglichkeit Schattenwolf. Unsere Infiltratoren haben ihr bestmöglichstes versucht und sind gescheitert. Unsere sterblichen Aktivposten wurden in einem inszenierten Bandenkrieg aufgerieben und die Verstärkung aus dem Süden ist durch erhöhtes Aufkommen von Wolflingen abgeschnitten worden.“ Ein weiteres Seufzen hallte durch den Raum, ehe der Mann bedächtig den Mauszeiger bewegte. „Es gab wohl den einen oder anderen Waldbrand, für den sie jetzt einen der Unsrigen verantwortlich machen. Ich glaube ich muss nicht gesondert betonen, dass Sektenzugehörigkeit für diese Bestien keine Rolle spielt.“ Er hob langsam den Blick. „Der Griff des Elfenbeinturms um Chicago festigt sich Schattenwolf und dies haben wir nicht zuletzt dem tadellos funktionierenden Netzwerk aus Kanalratten unterhalb der Stadt zu verdanken. Sie sondern sich ab und eine Kontaktaufnahme ist so gut wie unmöglich…“ Noch ehe der Mann zu einer weiteren Predigt und Rechtfertigungen ausholen konnte, er hob sich der Gangrel nonchalant und meinte lediglich nüchtern: „Nein. Er wird sich niemals dazu überreden lassen und wir sollten seinen Schlaf auch nicht ungefragt stören. Es ist nicht notwendig.“

Bild

Lucien richtete einen mahnenden Zeigefinger auf den Anzugträger und seine grauen Augen verengten sich. „Ihr alle wisst so gut wie ich, dass er sich aus dem Djihad zurückgezogen hat und nur noch der Regentin selbst Rede und Antwort steht – wenn überhaupt. Und da ihr ja so viel auf eure vielgelobte Hierarchie zu geben scheint, ist euch sicher überdies bewusst, dass nur eben diese nach seinen Diensten verlangen darf. Ein Priscus ist weder euer Laufbursche noch… “ Der Anzugträger unterbrach ihn mit einer sachten Handbewegung. „Bischof Sabatier. Dies alles ist uns allen hier mehr als bewusst, als auch euer formaler Einwand, dem ich nur beipflichten kann.“ Sorgsam holte sich der Sprecher die nickende Bestätigung der anderen Anwesenden, bevor er fortfuhr. „Doch die unglücklichen Umstände dieser nun schon viel zu lange währenden Belagerung, verlangen nach drastischeren Mitteln um unseren Erfolg zu gewährleisten. Ihr kennt ihn besser als jeder andere und aus diesem Grund dürfte es euch auch nicht überraschen, dass meiner Anfrage in Mexiko schlussendlich stattgegeben wurde.“

Luciens Kieferknochen mahlten unablässig und er spuckte die Worte förmlich aus; stützte sich mit angespanntem Oberkörper am schweren Eichentisch ab. Das kurze Aufbäumen mehrerer Raubtiere, die in einem Raum zusammengepfercht worden waren, überzog für einen kurzen Augenblick die toten Pupillen der Anwesenden. „Ich bin demnach überstimmt worden.“ Seine Finger gruben sich fester in die Tischplatte. „Was ist mit meinem Vorschlag sich an die ehrenwerte Hand zu wenden um dieser Lage Herr zu werden? Ich kann mir nicht vorstellen, dass dieses Ansinnen kein Gehör gefunden hat.“ Der Mann im Anzug räusperte sich verhalten. „Es hat Gehör gefunden und wurde bedauerlicherweise abgelehnt. Es hat sich eine gefährliche Situation in Kalifornien ergeben, die ihrer ganzen Aufmerksamkeit bedarf, zudem stimmt die Regentin mit uns darüber ein, dass die besondere Verbindung des ehrenwerten Priscus zur Führung der Kanalratten in Chicago die aktuell besten Chancen auf Erfolgt bietet. Die Hand wird andernorts gebraucht. Außerdem wünscht sich die Regentin eine längerfristige Unterstützung durch den Priscus, bis diese Belagerung beendet wurde. Der Bischofsrat sei heute mein Zeuge und ich gemahne auch daran zu denken, wem ihr trotz eures hohen Alters die Treue geschworen habt Schattenwolf. Wollt ihr die Entscheidung der Regentin in Frage stellen Sabatier?“

Der Gangrel schien offensichtlich Mühe zu haben die Ruhe zu bewahren und richtete sich nur schwerlich die Fassung wahrend wieder auf. „Nein, durchaus nicht. Der Regentin und auch euch sollte nur unmissverständlich klar sein, was ihr da von mir verlangt. Er hat sehr lange geschlafen und ist dieser nächtlichen Spiele müde geworden.“ Ein Schulterzucken des Anzugträgers folgte. „Dieses Risiko müssen wir eingehen Bischof. Loyalitäten mögen sich ändern aber auch er möchte sich bei seinem hohen Alter nicht mehr Feinde machen als unbedingt nötig. Davon bin ich überzeugt.“ Lucien kniff die Augen zusammen und nickte widerstrebend. „Nein Polonia. Die Wahrheit ist, dass ihr ihn nicht zum Feind haben möchtet, soviel kann ich euch versichern. Ich gehe davon aus, dass ich befugt bin ihm jedes nutzbringende Angebot zu unterbreiten, ansonsten ist diese Unterfangen von vornherein zum Scheitern verurteilt.“ Mit einem knappen Nicken in die nächtliche Runde, machte der Gangrel auf dem Absatz kehrt und schritt den parkettgesäumten Raum entlang, an dessen Ende ihm ein betreten schweigender Templer die Tür aufhielt.

Bild

Das Nachlassen der Anspannung unter den Versammelten war mit einem Mal beinahe greifbar geworden. Nach wir vor trommelte der anhaltende Regen gegen die vergitterten Scheiben. Verdammte Hexenmeister.

_________________
Through action, a Man becomes a Hero.
Through death, a Hero becomes a Legend.
Through time, a Legend becomes a Myth.
By learning from Myth, a Man takes action.
~Corazon~


Zuletzt geändert von Lucien am Mi 8. Aug 2018, 18:57, insgesamt 4-mal geändert.

Nach oben
 Profil  
Mit Zitat antworten  

 Betreff des Beitrags:
Verfasst: Di 12. Jun 2018, 11:10 


Nach oben
  
 

BeitragVerfasst: Sa 30. Jun 2018, 15:43 
Offline
Benutzeravatar
 Profil

Registriert: Do 18. Jun 2009, 14:04
Beiträge: 487
Mit grimmigen Gesichtsausdruck und nach wie vor tief in Gedanken versunken, nahm er das kurze Stück über die schlecht erhaltene Holztreppe bevor er die neonbeleuchtete Straße betrat. Um diese Zeit gab es in der Edgecombe Avenue nur wenig Verkehr und die meisten Sterblichen, hatten sich nicht zuletzt aufgrund des Regens in ihre Wohnungen und Appartements zurückgezogen. Als er den gepflasterten Fußgängerweg in Richtung Lenox Terminal Station entlang marschierte, waren einzig und allein die am Straßenrand geparkten Fahrzeuge stumme Zeugen seiner Anwesenheit in diesem Viertel. Von irgendwoher vernahm er lautes Lachen und das Scharren von Schuhsolen über gepressten Gummiboden. Vermutlich ein paar Kids die sich im Jackie Robinson Center und im daneben angrenzenden Park ein Basketball Match lieferten. Es war schon ein verwunderlicher Treffpunkt, den Polonia da gewählt hatte. Ausgerechnet das Nicholas und Agnes Benzinger Haus; ein mittlerweile etwas baufälliges Gemäuer im viktorianischen Stil hatte dem örtlichen Bischofsrat für die Zeit ihrer Besprechung als Unterschlupf gedient.

Bild

Irgendwann in längst vergessenen Zeiten war es den eigentlichen Besitzern für eine lächerliche Summe abgenommen worden, dann war es kurzzeitig ein Bordell und jetzt benutze es irgendeine Non-Profit Organisation um leistbares Wohnen zu ermöglichen. Der Gangrel seufzte und ohne zu Blinzeln glitten seine grauen Augen über den Harlem River zur Skyline der Stadt die niemals schlief. Er hatte diesen bedauernswerten Flecken schon gekannt, da waren hier gerade einmal ein paar lächerliche Blockhütten und ein kleines Fort errichtet worden. Erinnerungen an eine merkwürdigere Zeit, als alles noch möglich schien und nicht jeder Quadratmeter wüsten Ackerlandes zu einem Konstrukt aus Stahl und temperierten Glas umgewandelt worden war. Soviel war geschehen, so vieles hatte er erlebt, war dutzende Male dem endgültigen Tode entronnen, hatte hunderte Feinde erschlagen und dennoch schien er den unabwendbaren Anruf, den er nun unweigerlich tätigen musste qualvoll hinauszuzögern. Er hätte nicht gedacht, dass sie ihn tatsächlich dazu zwingen würden. Und das er nach all der Zeit immer noch vergaß einen dieser praktischen Regenschirm mitzunehmen. Brummend zog er die mittlerweile stark durchnässte Jacke enger an sich und fischte ein beinahe antiquiertes Mobiltelefon aus seiner Tasche.

Im farblosen Display-Menü sucht er mühevoll nach einer bestimmte Nummer, die er seit sehr langer Zeit nicht mehr gewählt hatte. Telefon… Das war nach der Elektrizität und der Glühbirne das nächste große Ding gewesen, wenn man von Telegrammen und Dampflokomotiven einmal absah. Oder damals, als man das Pulver erfunden hatte und sich zum ersten Mal mit Kanonen beschießen konnte. Er schüttelte den Kopf und versuchte sich auf die Gegenwart zu konzentrieren. Bei all den Veränderungen und Fortschritten, welche die Menschheit binnen kürzester Zeit durchleben musste, schwirrte ihm gelegentlich der Kopf. Lucien verstand auch die genaue Funktionsweise des kleinen, technischen Instruments in seiner Hand nicht wirklich aber er wusste, dass es ihm Grunde nur ein praktisches, mobiles Telefon war, mit eingebautem Telefonbuch, das er selbst ganz einfach entwerfen könnte. „Könnte“… er hatte leider Stunden dafür gebraucht.

Bild

Die Lenox Terminal Station war um diese Zeit erwartungsgemäß auch eher unbelebt. Für New Yorker Verhältnisse zumindest und trotzdem konnte er sich einem gewissen Gefühl der Paranoia nicht erwehren. Das lag weder an den zwei Schwarzafrikanern die sich im neuesten Ghetto-Rapper Stil gekleidet hatten oder dem müde dreinblickenden Banker mit abgewetzter Aktentasche, der sich auf einer Wartebank sitzend ein Pfefferminzbonbon in dem Mund schob, sondern zeichnete sich eher als instinktives Unwohlsein ab, das seine Muskeln in Anspannung versetzte. Zugegeben, wenn Polonia ein Treffen anberaumte konnte man davon ausgehen das es halbwegs sicher wäre aber dennoch blieb dem Gangrel eine unzerstörbare Portion Misstrauen erhalten, die er genauso wie sich selbst auch, trotzig durch die Jahrhunderte zerrte. Mit einem unzufriedenen Grunzen, wartete er eine U-Bahn und den kargen Passagierwechsel ab, ehe er sich schlussendlich dazu durchrang sein Telefonat in einer der Toiletten zu führen. Glücklicherweise fand er auf dem Weg dorthin noch ein „Out of Order“ Schild, das er ohne zu zögern von einem um die Ecke geparkten Putzwagen entwendete, und von außen an die Tür hängte. Der Schattenwolf ließ sich auf eine der Toiletten fallen und wählte die Nummer, während das elektrostatische Summen einer langsam dahinsterbenden Neonleuchte über den eher als unsauber zu bezeichnenden Waschbecken unrhythmisches Stakkato Licht auf die verschmierten Spiegel warf. Von draußen drang gelegentlich das dröhnende Rauschen vorbeiziehender U-Bahnen an sein Ohr. Es knackte am anderen Ende der Leitung und eine unterdrückt, verwunderte Stimme meldete sich.

Bild

„Eine seltsame Überraschung, ich habe gerade an dich gedacht alter Freund. Ich nehme an du rufst nicht an um über alte Zeiten zu plaudern?“. Lucien sog scharf die stinkende urinsteingeschwängerte Luft ein. „Nein. Ich werde eine längere Reise antreten und ich weiß das du gute Verbindungen hast“, antwortete er nüchtern. Es dauerte eine Weile bis sich die Stimme am anderen Ende der Leitung wieder meldete. „So einfach machen wir es uns doch schon lange nicht mehr oder? Du bist in New York sagen meine Kontakte. Was ist passiert?“ Widerwillig begann der Gangrel zu erzählen. Langsam und mit Bedacht aber bei weitem weniger paranoid und misstrauisch als er es bei jedem anderen der Fall gewesen wäre. Und je länger er erzählte, desto einfacher fiel es ihm. Verwunderlich, wie schnell man einfachste kommunikative Fertigkeiten verlernte, wenn man sie nicht anwandte und die Einsamkeit der Gesellschaft vorzog. Lucien erzählte von der unglücklichen Belagerung von Chicago, den Versuchen die man bereits unternommen hatte die Informationskanäle zum Erliegen zu bringen und wie mehrere Rudel am lokalen Elfenbeinturm gescheitert waren. Dann erzählte er vom Prinzen der zu belagernden Domäne und schließlich fasste er den heutigen Abend für seinen Gesprächspartner zusammen. Die offensichtlich männliche Stimme am anderen Ende der Leitung ließ ihn bereitwillig ausreden und erklären, fragte hie und da nach ein paar Präzisierungen und Erläuterungen und quittierte mehrfach mit einem diplomatischem „Ich verstehe“. Es wurde für die Verhältnisse des Gangrel Ahnen ein sehr langes und ausführliches Gespräch. Das längste das er gewiss seit mehreren Jahrzehnten geführt hatte. Aber er telefonierte ja auch nicht mit irgendjemandem, und auch das trug zu einem überraschend guten Gefühl bei.

Schlussendlich beendete die Stimme am anderen Ende der Leitung das Gespräch mit den eindrücklich gemahnenden Worten: „Du weißt das es eine denkbar schlechte Idee ist, egal wer davon überzeugt ist damit das Richtige zu tun. Ruf die Nummer an die ich dir schicke, da wird man dir weiterhelfen. Und da ich weiß, dass du in all den Jahrhunderten immer noch einen bemerkenswert unbelehrbaren Stolz hast solltest du, wenn möglich, nicht alleine gehen.“ Lucien vernahm das Rascheln von Papier und es entstand eine knappe Pause. „Ich habe hier noch etwas zu tun und muss meine Spuren verwischen. Man hat mir ein paar dilettantische Jäger auf den Hals gehetzt. Du kannst dir sicher vorstellen wer.“ Eine gedämpfte Stimme im Hintergrund schien etwas zu seinem Gesprächspartner zu sagen woraufhin dieser nur mehr lediglich knapp zu dem Gangrel meinte: „Geh nicht allein, er ist unberechenbar. Ich melde mich.“ Dann wurde das Gespräch beendet.

Seufzend ließ Lucien das Mobiltelefon sinken und lehnte sich erschöpft zurück. Es war merkwürdig nach so langer Zeit wieder mit ihm zu sprechen, auch wenn es nur um interne Angelegenheiten und damit im Grunde abermals um Politik ging. Durch die Reise die er demnächst antreten würde, bekam das Gespräch nun aber doch einen irgendwie sehr persönlichen Bezug. Es tat gut seine Stimme zu hören, musste sich der Gangrel offen eingestehen. Auch wenn es bereits ein paar gefühlte Äonen her sein mochte, da sie gemeinsam durch die nächtlichen Straßen von Brügge geritten waren. Lucien richtete sich auf und schlurfte ein paar Schritt näher an eines der Waschbecken, wo er den gurgelnden Wasserhahn betätigte und sich mit ein paar Spritzern Wasser das Gesicht abwusch. Im flackernden Neonlicht betrachtete er sich selbst im Spiegel und ließ die Verdunkelung fallen.

Bild

Wahrscheinlich war es in Anbetracht der Umstände tatsächlich das Beste auf Unterstützung bei seiner Reise zu warten. Voreilige Dummheiten konnten mitunter verheerende Probleme nach sich ziehen.

_________________
Through action, a Man becomes a Hero.
Through death, a Hero becomes a Legend.
Through time, a Legend becomes a Myth.
By learning from Myth, a Man takes action.
~Corazon~


Zuletzt geändert von Lucien am Di 7. Aug 2018, 19:34, insgesamt 1-mal geändert.

Nach oben
 Profil  
Mit Zitat antworten  

BeitragVerfasst: Mo 6. Aug 2018, 17:20 
Offline
Benutzeravatar
 Profil

Registriert: Do 18. Jun 2009, 14:04
Beiträge: 487
Bild Bild

Theme:


Chicago Civic Opera House


Sanft bewegte sich der Geigenbogen im Takt der einsetzenden Oboen und Klarinetten, die sich zu den fließenden Bewegungen des Dirigenten in einen sachten Strom aus untermalender Musik verwandelten. Trügerisch hoffnungsvoll, bitter anschwellend und wieder verebbend, legte sich der Notenteppich wie eine weiche Decke über die geplagte Gedankenwelt der jungen Frau in der spärlich beleuchteten Loge des Civic Opera House von Chicago. Die heutige Vorstellung war restlos ausverkauft, was nicht zuletzt auf die geradezu fantastischen Kritiken aller namhaften Zeitungen des Landes zurückzuführen war. Die Hauptakteure, noch recht junge, aufstrebende Schauspieler mit glühender Leidenschaft für ihre Kunst, hauchten den prachtvollen Kostümen und Rollen dramatisch-glaubhaftes Leben ein.

Bild

Die Frau in der dunklen Loge in ihrem geschmackvollen Abendkleid, mit dem man gut und gerne das halbe Ensemble hätte kaufen können, hob ihr Opernglas ein weiteres Mal an und verfolgte mit kühlem Blick die Handlung des Stückes. Hin und wieder drehte sie sachte das mit prachtvollem Haarschmuck verzierte Haupt und beobachtete interessiert das Minenspiel scheinbar zufällig ausgewählter Zuschauer. Auch am heutigen Abend, schien die Oper wieder einen großen Erfolg zu feiern. Die dezent geschminkten Lippen Auroras hoben sich zu einem verstohlen angedeuteten Lächeln.

Bild

„Wusstest du, dass ich dem Ensemble ein paar Kopien von Schnittmustern habe zukommen lassen? Sie machen bedauerlicherweise seit mehreren Jahrzehnten immer die gleichen Fehler bei den preußischen Uniformen. Nicht dass auch nur irgendjemand der Besucher das je bemerken würde aber es hat mir jahrelang ein ungutes Gefühl bei den Aufführungen beschert. Gefallen sie dir Konrad-Balthasar? Oder sollte ich dich jetzt mit deinem Prinzentitel ansprechen?“, hauchte sie wie beiläufig und ohne sich umzudrehen in Richtung eines kleingewachsenen Mannes, mit beinahe nostalgischer wirkender Rundbrille und schütterem Haar, in einem schlecht sitzenden Anzug, der sich etwas seitlich hinter ihr platziert hatte. Vor wenigen Minuten noch, war der hagere Kerl noch nicht bei ihr im steten Halbdunkeln des rötlich schimmernden Brokats gesessen und niemand hätte Auskunft darüber geben können, wie oder wann er diese überhaupt betreten hatte. Irgendwann war er einfach da gewesen, als ob er schon von jeher Teil des Szenerie gewesen wäre.

Bild

„Nennt mich doch einfach Kobalt, Fräulein Aurora von Erzhausen. Um der alten Zeiten Willen“, erwiderte der kleine Mann mit einem Gesichtsausdruck, der entfernt an ein Schmunzeln erinnern mochte, den Kopf leicht neigend.

Das Opernglas noch immer sachte über die gespannt lauschende Menge schwenkend, hielt die Angesprochene mit einem Mal kurz inne, als ob sie etwas besonders Interessantes entdeckt hätte und lehnte sich dann mit einem zufriedenen Lächeln zurück. „Nur wenn du darauf verzichtest mich mit diesem unnötigen ‚Sie‘ zu bedenken, Kobalt. Lassen wir die Höflichkeiten und die Politik heute Nacht doch einfach beiseite und benehmen uns wie das, was wir sind – alte Freunde.“

Kobalt lehnte sich ein Stück weit nach vorne und nickte bedächtig. „Das sind wir. Auch wenn es schwer fällt einer Archontin im Dienste Madame Guils nicht die notwendige Ehre zu erweisen. Man könnte mir das schnell als große Respektlosigkeit auslegen“, scherzte er.

Aurora hob den Kopf leicht an und sah ihm zum ersten Mal an diesem Abend über die Rückenlehne ihres Logenplatzes hinweg direkt in die zusammengekniffenen Augen. „Chicago hier ist deine Stadt, Kobalt, du bist der Prinz. Und auch wenn ich mich nicht offiziell ankündigen muss und meine Entscheidungen nicht hinterfragt werden dürfen, glaube ich, dass ein offener und ehrlicher Umgang innerhalb unserer Gemeinschaft der Sache bei weitem mehr nützt als egoistisches Geplänkel und hierarchischer Stolz.“ Ihre Blicke trafen sich und für einen knappen Moment, in welchem das wieder aufbrandende Musikorchester erneut über die verzückten Sitzreihen wogte, wurde beiden bewusst, dass sich Politik, Titel und Beweggründe mittlerweile noch kaum voneinander trennen ließen.

Bild

Kobalt schwieg für einen nachdenklichen Moment und machte eine kaum merkliche Handbewegung in Richtung der Zuschauerreihen. „Es steht mir nicht zu eine Antwort von dir zu verlangen aber die Archontin Aurora von Erzhausen besucht nicht einfach nur aufgrund eines Theaterstücks, das sie bereits Dutzende Male erlebt hat, die Oper von Chicago. Vor allem nicht dann, wenn wr, die Camarilla in Chicago, in jüngster Zeit immer wieder gegen Infiltrationen von außen ankämpfen müssen. Und auch wenn es mich sehr ehren würde, wegen mir bist du ebenfalls nicht hier. Was muss ich wissen, das sogar noch eine Freigabestufe über der eines Prinzen liegt?“ Mit spitzen Fingern hob er die Brille an und zog ein kleines Tüchlein aus seinen Taschen, mit welchem er das filigrane Glas sorgsam säuberte. Ein Automatismus, der gleichsam über Jahrzehnte antrainiert und in Wahrheit doch so völlig überflüssig schien.

Sie seufzte leise und senkte beinahe traurig wirkend den Blick. Schweigend ging sie ebenfalls für ein paar vielsagende Augenblicke ihren Gedanken nach. War es nicht auf so mannigfaltige Art und Weise zutiefst verstörend, ernüchternd und bedauerlich, dass sie nicht einfach Kobalt und Liliane sein durften? Selbst dann nicht, wenn man sich in relativer Sicherheit und angenehmer Umgebung befand? Die Jahrhunderte hatten Veränderungen hervorgerufen; waren stetigem Wandel unterworfen gewesen. Und mit der langsam voranschreitenden Ewigkeit hatten auch sie sich verändert und angepasst. Aurora hatte lange darüber nachgedacht, über die Menschen, die Welt und all die Wege, die sie in ihrem Dasein eingeschlagen hatte, alle Entscheidungen, die sie getroffen hatte. Viele waren falsch gewesen und viele richtig, manche vorteilhaft, andere erwiesen sich als in höchstem Maße nachteilig. Irgendwann fügte man sich der Nacht und den Zahnrädern der endlosen Schwärze. Wer sich zu lange dagegen sträubte, der wurde vom Schwarz verschluckt und verschwand im Nichts. Sie waren noch hier. Beide waren sie noch hier. Und sie wären es nicht, wenn sie dieses paranoide Spiel mittlerweile nicht bis zu einem gewissen Grad perfektioniert hätten. Es gab keinen friedlichen Abend mit einer Aufführung, die sie bereits Dutzende Male gesehen hatte; bei deren Entwurf sie Puccini sogar noch selbst indirekt geholfen hatte. Genauso wenig gab es einen Prinzen, der nur einer alten Freundin die Ehre erweisen wollte. Um der guten, alten Zeiten willen. Alles änderte sich. Vieles hatte man sich anders gewünscht. Aber zu Träumen, zu Hoffen und zu Sehnen, das blieb wahrlich nur noch den Unschuldigen und den Menschen vorbehalten.

Die Archontin nickte nachgiebig. „Natürlich verbinde ich das Angenehme mit dem Nützlichen. Oder besser gesagt, dem Notwendigen. Dir geht es nicht anders und mir ist klar, dass du deine Stadt und die Menschen darin schützen willst. Ich bin so sehr verstrickt in die Belange der Madame und meiner eigenen, kleinen Aktivposten, dass ich kaum irgendwelche Nachrichten erhalten habe. Es verliert sich alles so leicht.“ Fast wie als ob es zu einer einstudierten Rolle gehörte, hob sie fast egalitär das Opernglas erneut an ihre Augen und lenkte ihren Blick scheinbar wahllos suchend durch den Saal. Der Prinz von Chicago seufzte kurz. „Du bist sicher bereits darüber informiert, dass die Camarilla in Chicago derzeit mit sehr vehementen Angriffsversuchen seitens des Schwerts zu kämpfen hat. Bisher konnten wir alle Infiltrationsversuche vereiteln, aber Spione sind nur die Vorhut. Sobald der Feind sich ein wenig in unserer Domäne eingegraben hat, kannst du davon ausgehen, dass uns eine schreckliche Belagerung droht. Keine von diesen Belagerungen, die in tosendem Blutrausch und brennenden Hochhäusern enden werden. Polonia, der Erzbischof von New York, hat seine Finger mit im Spiel und damit dürfen wir uns bereits jetzt schon auf ein nervenaufreibendes Schachspiel einstellen. Er wird nicht locker lassen, du kennst ihn.“

Bild

Liliane wandte den Kopf leicht nach links und gab sich recht unbeeindruckt. „Es wäre nicht die erste Belagerung dieser Art. Wenn du Unterstützung brauchst, wende dich doch an die nächstgelegene Domäne. Die Aufgaben einer Archontin beinhalten nicht…“

Kobalt unterbrach sie jäh. „Es heißt der Schattenwolf wurde ebenfalls dafür rekrutiert.“

Die Dame in ihrem sündhaft teuren Abendkleid verharrte für einen angespannten Moment schweigend in ihrer Position und es entstand eine merkwürdige Stille, die selbst das Orchester nicht zu überwinden vermochte. „Lucien wird Gerrit aufwecken, Liliane. Nur deshalb bin ich heute Abend zu dir gekommen“, fügte der Prinz von Chicago monoton hinzu und es fühlte sich für einen Moment so an, als wäre die Temperatur im Raum schlagartig gesunken.

Ruckartig fuhr die Toreador herum und fixierte den Nosferatu. Jegliche Farbe und Freundlichkeit waren ihr aus dem Gesicht gewichen und ohne zu blinzeln erwiderte sie lediglich knapp: „Das kannst du nicht wissen.“

Der Prinz hielt ihrem Blick stand und es lag mehr Gewicht in diesem Stillschweigen als alle Worte der Welt jemals ausdrücken hätten können. „Ich bitte dich um deine Hilfe, Liliane. Um unserer alten Freundschaft willen. Von niemandem habe ich mehr gelernt als von Gerrit und es gibt niemanden der besser weiß wie man das präzise Uhrwerk einer Stadt Stück für Stück auseinandernimmt. Sie werden den Magistrat loslassen und er wird unser aller Untergang, Archontin.“

Sie wollte den Kopf schütteln und verneinen, mit einem süffisantem Wink ihrer Hand seine Worte abtun und nach weiteren Beweisen für diese Behauptungen fragen, aber sie spürte instinktiv, dass der alte Majordomus recht behalten würde. Kobalt war kein Narr und wenn etwas dieser Stadt und womöglich noch einigem mehr ohne Rücksicht auf Verluste den Garaus machen würde, dann wäre es der Alte.

„Wir müssen uns vorbereiten, Liliane“, flüsterte der hagere Mann mit der runden Brille, sich diesmal besonders nahe zu ihr nach vorne beugend. „Wir brauchen mächtigere Unterstützung… jemanden innerhalb des Sabbat…“

Lilianes Opernglas blieb weiterhin gesenkt und ihr Blick war starr auf einen undefinierbaren Punkt in weiter Ferne gerichtet während sich die Protagonisten auf der Bühne des stark abgedunkelten Opernsaales gerade auf die dramatischen Minuten des letzten Aktes zubewegten.

Bild

Ein Nicken ihrerseits, deutete sowohl Verständnis als auch tiefes Unwohlsein an. „Du verlangst viel von mir, Kobalt, sehr viel. Bei jemandem wie dir erwartet man beinahe schon, dass du in alle Richtungen Kontakte pflegst, so als ob es fast untrennbar mit deinem Blut verbunden wäre. Aber in meiner Position, für die ich lange und hart gekämpft habe, bewege ich mich damit auf sehr dünnem Eis. Zumal ich tatsächlich in Chicago zu tun habe.“

Kobalt lächelte milde. „Du willst deinen alten Freund also nicht kontaktieren und mir ist klar, dass es viele Gründe dafür geben mag, aber…“

Sie unterbrach ihn barsch und spuckte die Worte förmlich vor ihm aus. „Er ist ein Mörder und Verräter. Er hat alles verraten woran wir je geglaubt haben; er gehört zum Feind. Und er hat Will auf dem Gewissen!“ Ihr hübsches Gesicht war zu einer angewiderten Fratze verzogen und nur mühevoll rang sie um ihre Beherrschung; schluckte ihren Argwohn hinunter in die tiefsten, verbittertsten Winkel ihres Herzens.

Bild

„Es ist unsere einzige Möglichkeit, Liliane. Ich kann keine Reisen unternehmen und aktuell auch keine Vögelchen erübrigen; ich muss dafür Sorge tragen, dass dieses Kartenhaus nicht in sich zusammenfällt. Zu deinen Aufgaben jedoch gehört es sehr oft und häufig zu reisen…“, drangen die zutiefst sachlichen Worte ihres Gesprächspartners gemahnend an ihr Ohr, bevor er sich mit einem Mal erhob und die leichten Falten seines Anzugs sorgfältig glatt strich. Bewegungen so einstudiert und festgeklopft, dass sie über die Jahrhunderte hinweg bereits wie ganz selbstverständlich erschienen. „Überleg es dir bitte und vielleicht kann ich dir im Gegenzug auch bei deinem aktuellen Problem helfen“, meinte Kobalt sich leicht vor ihr verneigend und abschließend über das Logengeländer in Richtung einer der anderen Balkone deutend.

Bild Bild

Ein gut gebauter Mann in mittleren Jahren hatte dort in einer der Logen besitzergreifend die kräftige Hand auf die perfekt manikürten Finger seiner weiblichen Begleitung gelegt. Ein Modell, das wusste sie, vollkommenes Aussehen als perfektes Accessoire für diesen Abend. „Du bist wegen diesem Mann dort hier.“

Überrascht wanderte Lilianes Blick in die angedeutete Richtung. „Beeindruckend!“, flüsterte sie anerkennend und setzte dann zu einer knappen Erklärung an. „Dieser Sterblicher ist ein Mann, der überall im Land kleine Gepäckstationen und einen Transportservice anbietet. Sein Unternehmen ist trotz stagnierender Zahlen über die Jahre kontinuierlich gewachsen, genauso wie die Sabbat-Aktivität in den entsprechenden Gebieten. Zuerst schien es nur Zufall zu sein, aber mittlerweile vermute ich einen wohlwollenden Mentor hinter dieser einfältigen Marionette. Einer meiner Ghule mit Kontakt zur Wirtschaftsprüfung hat mir die Unterlagen beschafft und es scheint wohl, dass irgendjemand weitaus mehr geschmiert hat, als nur ein paar Bürohengste. Jemand mit Einfluss. Es müssen deutlich mehr Transporte durchgeführt worden sein als angegeben.“ Ihre Augen richteten sich müde in seine Richtung. „Ein solches Vorgehen ist ausgesprochen untypisch für den Sabbat: Wir vermuten also einen Verräter oder Schläfer in den eigenen Reihen, vielleicht sogar eine recht prominente Persönlichkeit. Das wäre natürlich ein Skandal.“

Kobalt nickte nur knapp. „Du beschattest ihn und versuchst seine Telefonanrufe mit einem Sequenzer in deiner Handtasche zurück zu verfolgen.“

Liliane lächelte. „Michel sitzt mit seinem Team in einem Übertragungswagen ein paar Straßen weiter und überwacht die Rückverfolgung. Das Gerät hat aber keine besonders große Reichweite.“

Kobalt lächelte wissend. „Gut, dass sich manche Dinge wohl nie ändern werden. Ich habe zufälligerweise genau die richtigen Leute für so eine Aufgabe. Sie warten in der Lobby auf weitere Anordnungen.“ Mit diesen Worten wandte er sich dem Ausgang zu, blieb dort aber noch einen letztes Mal für einen knappen Augenblick stehen. „Ach…“, meinte er sinnierend. „Grüß mir doch bitte Josef, wenn du ihn siehst. Ich weiß schon gar nicht mehr wie lange das her ist.“

Liliane senkte den Blick. „Ich habe ihn das letzte Mal gesehen, als Napoleon über die Alpen einmarschierte, tut mir leid.“

Der Prinz von Chicago nickte abermals schweigend und hob den Blick in Richtung der Bühne, wo gerade in diesem Moment ein Schuss aufpeitschte und somit das bittere, unausweichliche Schicksal der Hauptperson Cesare Angelotti besiegelte.

Bild

„Tosca“, murmelte er leise. „Die Uniformen sind wirklich einmalig.“

_________________
Through action, a Man becomes a Hero.
Through death, a Hero becomes a Legend.
Through time, a Legend becomes a Myth.
By learning from Myth, a Man takes action.
~Corazon~


Zuletzt geändert von Lucien am Do 9. Aug 2018, 15:59, insgesamt 1-mal geändert.

Nach oben
 Profil  
Mit Zitat antworten  

BeitragVerfasst: Do 9. Aug 2018, 15:55 
Offline
Benutzeravatar
 Profil

Registriert: Do 18. Jun 2009, 14:04
Beiträge: 487
Bild Bild


Theme:


Andy hatte einen wirklich miesen Tag. Nicht einen von der Sorte, an denen man am Ende eines schier niemals enden wollenden Arbeitstages abends zerknirscht nach Hause kam, weil einfach alles schieflief und man sich zu guter Letzt mit einem gekühlten Frustbier entspannt vor den Fernseher setzte und die ganze Welt zum Teufel wünschte, nein. Es war noch um einiges schlimmer als er es sich in seinen hässlichsten Alpträumen hätte ausmalen können. Und allein die Tatsache, dass er jetzt darüber nachdachte während sein Blut aus drei tiefen, dunkelrot umrandeten Einschusslöchern an seinem Bein und dem linken Oberarm quoll, fühlte sich so unwirklich und surreal an, dass er gerne ein verrücktes Lachen ausgestoßen hätte. Wenn da nur nicht die Kälte und drohende Müdigkeit gewesen wären, die sich langsam seiner Glieder und seines Geistes bemächtigten.

Bild

Mühsam schleifte er sich über den dreckigen Fußboden bis hin zum Tresen; spürte nach wie vor die Präsenz seiner Peinigerin im Nacken. Ausgerechnet eine Frau hatte ihn angeschossen und eine hübsche noch dazu. Seine Mutter hatte ihn immer davor gewarnt sich mit merkwürdigen Frauen einzulassen und sein Vater hatte ihm zusätzlich immer angeherrscht aus seinem Leben etwas zu machen. In diesem Augenblick bereute er zutiefst, die wohlgemeinten Ratschläge seiner Eltern in den Wind geschlagen zu haben, obgleich wirklich niemand davon hätte ausgehen können, dass die blonde Schönheit mit den kalten Augen ihn bereits nach einem Monat buchstäblich ‚abschießen‘ würde. Andy lehnte sich keuchend gegen eines der vielen, ihn umringenden Bücherregale und betrachtete mit trägem Blick Camille. Das war zumindest der Name, den sie ihm in diesem kleinen Café im French Quarter vor einiger Zeit genannt hatte. Sie stand nach wie vor da und hatte die halbautomatische Sig Sauer auf ihn gerichtet. In ihrem Gesicht fand sich nicht einmal auch nur die Spur dieses zauberhaften Lächelns, das mühelos Stahl hätte erweichen können, im Gegenteil.

Bild

Jetzt war es eben zu diesem kalten, unnachgiebigen Stahl geworden und die einzigen Geräusche, die derzeit an seine Ohren drangen, waren das unablässige Hämmern der Trommeln, Pfeifen und Toben der aufgepeitschten, vorbeiziehenden feiernden Menge vor dem kleinen, mit Rollgittern gesicherten Bücherladen und sein eigener, unregelmäßiger Atem.

Bild

„Warum?“, brachte er lediglich mit gequältem Gesichtsausdruck hervor. Warum hatte sie ihm das angetan? Warum hatte sie ihn umschwärmt und war mit ihm tanzen gegangen? Und warum räumten nun ihre ihm völlig unbekannten Freunde einen kleinen, unscheinbaren und absolut harmlosen Bücherladen aus? Ein Laden, der ihm nicht einmal gehörte, sondern in dem er nur gelegentlich aushalf? Gab es nicht lohnendere Ziele, wenn man sich einfach nur bereichern wollte? Warum musste sie ihn deshalb erschießen? Warum war er heute länger geblieben anstatt die Einladung von Steven anzunehmen und auf der Mardi Gras Parade ordentlich einen drauf zu machen? Tausende, wirre Gedanken zogen durch seinen Kopf und überschlugen sich; waren auch mit simpler, kühler Logik nicht zu ordnen. Insbesondere deswegen nicht, da sich aus all den Zweifeln, dem Wahnsinn und dem bitteren Schmerz ein einfacher, klarer Gedanke schälte. Mit Nachdruck erinnerte ihn dieser daran: Er würde heute Nacht sterben. Er würde heute und hier sterben und wusste nicht einmal wieso. Andy heulte wimmernd auf als im Keller unter ihm ein weiteres, schweres Bücherregal umgestoßen wurde. Das Bersten von altem Holz fuhr ihm durch Mark und Bein. Was zur Hölle suchten seine Mörder da unten?

Bild

„Bitte…“, flehte er erneut in Richtung der schweigend vor ihm verharrenden Frau. „Camille. Wenn es um Geld geht… nimm dir was aus der Kasse. Die Bücher hier sind wertlos, wir sind kein Antiquariat. Das wusstest du! Ich habe dir nie etwas getan…“. Zischend fasste er an sein blutüberströmtes Bein, das die blaue Jean bereits in tiefes, dunkles Rot getaucht hatte, das aufgrund der dämmrigen Beleuchtung in der Nähe des beinahe nostalgisch wirkenden Ladentisches, fast Schwarz wirkte.

Bild

Camille hob die Waffe erneut langsam an und deutete ihm an still zu sein. „Ich heiße nicht Camille und was immer du glaubst zu wissen ist bedeutungslos. Es tut mir aufrichtig leid, denn es war nicht geplant dich heute noch hier anzutreffen, Andy. Aber die Nornen weben das Band des Schicksals manchmal auf wundersame Weise.“ Sie schenkte ihm ein bedauerndes Lächeln als draußen auf der Straße ein weiterer Paradeböller knallte und pfeifende Feuerwerke bunte Lichtfetzen auf das dunkle Holz der Einrichtung warfen. „Ich heiße Brunhild“, meinte sie monoton und legte den Kopf dabei leicht schief.

Bild

Andy zwinkerte einige Male ungläubig und stöhnte erneut schmerzverzerrt auf. Doch bevor er noch zu einer wie immer gearteten Antwort hätte ansetzen können, stapften bereits schwere Schritte über den Stiegenaufgang des Kellers. Einer der Kerle, die so urplötzlich mit Camille, oder Brunhild, wie sie sich selbst nannte, kurz nach Ladenschluss im Deckmantel des Mardi Gras über den Hintereingang eingebrochen waren, schleppte einen aufgeklappten Laptop zur Ladentheke und platzierte ihn dort. Der Mann würdigte die langsam verblutende Aushilfe, die zusammengeknickt an ein Regal gelehnt von Brunhild bewacht wurde, keines Blickes, sondern rief nur laut durch den Laden: „Ich habe es gefunden, er hatte es hinter einem doppelten Boden versteckt.“ Aus den Augenwinkeln nahm Andy wahr, das nicht nur er selbst verletzt zu sein schien, sondern auch der dunkel gekleidete Mann, der hinter dem Laptop versank, denn er verzog gelegentlich krampfhaft das Gesicht und bewegte die Finger der rechten Hand als ob sie ihn beständig schmerzten. Es roch irgendwie nach verbranntem Fleisch.

Bild

Draußen auf der Straße schwollen erneut die Trompeten an und begleiteten einen rhythmischen Samba, der gut und gerne aus Brasilien selbst hätte stammen können. Die Boxentürme der Paradewägen waren so laut gedreht worden, dass sie beinahe übersteuerten. Dennoch, auch wenn er Mühe hatte sich aufgrund des Blutverlustes noch auf irgendetwas länger als ein paar kurze Augenblicke zu konzentrieren, hörte Andy weitere Schritte, die irgendwie abgehakt auf dem kalten Boden aufsetzen. Der Mann hinter dem Laptop, sowie auch Brunhild, hoben für einen Moment den Kopf und sahen erwartungsvoll in Richtung des Durchgangs zur sich verbreiternden Verkaufsfläche. Im grellen Licht der mit alten Neonröhren bestrahlten, halb zerstörten oder zu Boden geworfenen Bücherregale, schritt ein Mann durch kleine Ansammlungen von Büchern in Richtung Theke und stützte sich dabei gelegentlich mühsam auf einen schweren Gehstock. Der dunkel gehaltene Anzug passte ihm wie angegossen und auch er würdigte das kleine Häufchen Elend in der Ecke des Raumes keines Blickes. Merkwürdigerweise glitt sein suchender Blick noch ein letztes Mal über den sorgfältig sortierten Bücherbestand im vorderen Teil des Geschäftslokales, bevor er sich über das grelle Leuchten des Laptopdisplays beugte und seine hellen Augen wandern ließ.

Bild

Andy konnte sich nicht helfen, aber es hatte fast den Anschein, als bewegte sich nur eines der beiden Augen. Das andere blieb starr. Brunhild knirschte ungeduldig mit den Zähnen und ihr Griff schloss sich härter um den Schaft ihrer Waffe. Keiner wagte den Mann anzusprechen, als er mit zusammengekniffenen Augen offensichtlich ein paar Textzeilen überflog. Schlussendlich wagte die Frau es dennoch ein paar Worte an den augenscheinlichen Kopf der mysteriösen Einbrechergruppe zu richten. „Ist es das, was wir gesucht haben, Leif? Sind es die Pläne?“, fragte sie mit unverhohlener Hoffnung in der Stimme.

Der Mann, Leif also, hob den Kopf und schüttelte ihn resignierend, bevor er mit der Rechten hart auf den Ladentisch schlug. Der Hieb war so stark, dass es sich fast so anhörte als würde jemand erneut ein mehrere hundert Kilo schweres Bücherregal zerlegen. Zischend hob Leif den Kopf und rezitierte offenbar den Inhalt des gefundenen Textes:


Zitat:
„Teurer Freund. Wie du heute feststellen kannst, wirst du das, was du suchst, hier nicht finden. Fast bin ich versucht zu schreiben, dass ich dies bedauere. Aber ich maße mir an zu behaupten, dass ich dieses Spiel, das du mir aufgezwungen hast, langsam fast ebenso gut beherrsche wie du. Natürlich, du magst darauf beharren, ich wäre es gewesen, der dich gezwungen hat es zu beginnen… Selbstverständlich, das muss man dir anrechnen, geht nichts über das Massaker, das du mit deinen Gefolgsleuten im Gildehaus in Houston veranstaltet hast. Der Schlag, den du meinem Clan (und leider auch mir durch die Vernichtung eines geschätzten Kindes) versetzt hast, ist einer, an dem man wohl noch in einem Jahrhundert zu knabbern haben wird. Lass dir nur gesagt sein: Desto mehr Freunde man verliert, desto weniger scheinen sie einem zu bedeuten, nicht wahr? Eine traurige Gegebenheit, aber auch ein lindernder Gedanke. Möge es dir ebenso ergehen. Bezüglich des Aufwandes, den du heute betrieben hast: Tröste dich mit der Tatsache, dass deine Kontakte nicht falsch lagen, sondern nur nicht bedacht hatten, dass auch ich ein paar wertvolle Informanten hie und da verstreut zur Verfügung habe. Als kleines Geschenk an dich habe ich die Informationen deiner derzeitigen Zuflucht an die Jäger weitergeleitet. Ich hoffe, du hast nichts von Wert in deinem Aufenthaltsort?
Genieß die Parade. Dieses Jahr soll sie besonders prächtig werden. Ich hoffe, du kannst sie trotz meiner kleinen Andenken vom letzten Mal genießen, aber ich denke, du schaffst das auch einäugig und humpelnd. Ich denke, wir sehen uns beim nächsten Mal. Oder vielleicht auch nicht.
Gezeichnet: S.“


Der Mann neben Leif flüsterte ein unterdrückt zorniges: „Fuck“ und betrachtete seine Hand. „Die Zeichen waren alle echt, genau wie die Siegel. Jeremiah hat uns belogen.“

Mit einem Mal fuhr Leif herum und packte den Mann am Kragen. In seinen Augen glomm ein so ungebändigter, brutaler Zorn auf, dass Andy beinahe meinte, der Anzugträger würde seinen Kollegen jeden Moment mit bloßen Händen zerreißen. „Er hat nicht gelogen, du einfältiger Narr! Sebastian hat nur deinen Fehler vor einem halben Jahr ausgenutzt und sich an die Ratten gewandt. Die spielen sich jetzt gegenseitig aus und die einzigen, die von all unseren Mühen profitieren, sind jetzt, welche Überraschung, die Spitzel und Doppelspione. Ich werde keine Hexer in New Orleans dulden und schon gar nicht unter der Führung vom ehemaligen Augsburg. Charlotte musste sterben wegen diesem dreckigen Gesindel und sie war mir bei weitem teurer als du es je sein wirst!“

Brunhild betrachtete die Szene mit kühlem Blick und schluckte schwer; wagte es allerdings nicht sich einzumischen oder das Wort an Leif zu richten. Dem gebeutelten Mann stand das Entsetzen ins Gesicht geschrieben und er hing wie eine Puppe im eisernen Griff von Leif. Erst als dieser sich nach ein paar kurzen Augenblicken des eisernen Schweigens, das lediglich von der nach wie vor dröhnenden Musikuntermalung der Parade untermalt wurde, wieder etwas gesammelt hatte, senkte er schuldbewusst den Blick, zeigte keine Gegenwehr. Leif ließ ihn los und klappte vielsagend den Laptop zu. Er atmete einige Male tief durch und wandte den Blick angespannt in Brunhilds Richtung. Nach wie vor bewegte sich lediglich ein Auge. „Wir waren diesmal wirklich nah dran, das sagt mir mein Instinkt. Aber man muss den Usurpatoren bedauerlicherweise zugestehen, dass sie seit dem Elfenbeinturm an Erfahrung im Davonlaufen und Verstecken dazugewonnen haben“ Der Salubri ergriff mit der Rechten den silbernen Knauf seines Gehstockes und machte eine auffordernde Geste in Richtung von Brunhild. „Es werden noch andere Nächte kommen für die Einhörner. Die Jagd wird fortgesetzt. Seht zu, dass wir unsere Spuren sauber verwischen und dann packt die Ausrüstung zusammen.“ Dann erst fiel Leifs Blick auf Andy, der die ganze Zeit über unbeachtet, stöhnend und gelegentlich ächzend, die verstörende und ihm vollkommen unerklärliche Szenerie beobachtet hatte. Unter dem mittlerweile kreidebleichen Mann hatte sich eine schmierige Blutlache gebildet und sein verwundeter Arm war mittlerweile taub geworden. Er konnte ihn beim besten Willen nicht mehr bewegen. Die Lippen des ehemaligen Heilers zuckten leicht, doch bevor auch nur ein weiteres Wort gewechselt werden konnte, schrillte einer dieser wirklich nervtötenden, voreingestellten Klingeltöne eines Handys durch den Raum und Brunhild, die Waffe nach wie vor auf den Sterblichen gerichtet, fasste in die Innentasche ihres Blazers.

Bild

„Wer immer es sein mag, wir sind beschäftigt“, kommentierte Leif mit einer wegwerfenden Handbewegung und wandte sich auf seinen Gehstock gestützt zum Gehen.
„Es ist… Lucien… “, meinte Brunhild knapp und sah verwundert zunächst auf das Display ihres Mobiltelefons und dann unschlüssig zu dem Salubri. Ein Ruck ging durch den Körper des Anzugträgers und er verharrte in seiner Bewegung. Das sture Geläute des kleinen technischen Kleinodes schien davon jedoch vollkommen unbeeindruckt und plärrte munter weiter.

„Das ist…“, begann Leif, schien es sich dann aber doch anders zu überlegen, machte ein paar langsame Schritte auf Brunhild zu und ließ sich das Telefon überreichen. „Ich kümmere mich darum und du machst hier alles abfahrbereit“, sagte Leif dann mit einem Mal und verschwand im Durchgang, wo seine Schritte noch einige Zeit lang zu hören waren, bevor irgendwo eine Tür zufiel. Ihm war klar, dass er sich blind auf seine treue Gefährtin und Verbündete verlassen konnte und Andy wurde dies mit einem Mal auch schlagartig klar. Er war völlig bedeutungslos, völlig. Was immer hier vorging, wer immer diese Leute waren oder wollten, er war so fern von all dem was sich da vor seinen Augen abspielte, dass er sich beinahe so fühlte, als wären dieser Leif, Camille oder Brunhild und der andere schräge Typ, nur Besucher seiner eigenen, kleinen Welt. Eine Welt, welche die Gruppe offensichtlich demnächst ‚abfahrbereit‘ verlassen würde und ‚ohne Spuren zu hinterlassen‘. Er schob sich mit seinem gesunden Arm ein Stück weit nach oben; presste sich gegen das Bücherregal da ihm der andere kraftlos eingeknickt war. Draußen war den Feiernden noch immer nach ausgelassener Party zumute, während er hier drin sein Leben aushauchen würde.

Brunhild kam abermals in sein Blickfeld und beugte sich zu ihm hinab, diesmal ohne die Waffe auf ihn zu richten, aber mit einem abgegriffenen Foto in ihrer rechten Hand. „Du sagtest, dieser Mann wäre jede Woche hier bei dir im Laden gewesen?“

Bild

Andy betrachtete das Bild und deutete ein unverständliches Kopfschütteln an. „Du sagtest, das wäre dein Professor von der Uni. Ich dachte…“, erwiderte er nur verwirrt, aber sie fuhr ihm barsch dazwischen: „Ist dieser Mann regelmäßig bei dir im Laden gewesen?“

Ein langsames, stöhnendes Nicken war die Antwort. „Ich habe dir doch schon gesagt, dass er immer wieder mal hier war. Du hast auch seine Bücherliste bekommen. Ich dachte du wolltest wissen, was er so liest?“ Aber ihm wurde natürlich sofort bewusst, dass alles was er je von ‚Camille‘ erfahren hatte eine Lüge gewesen war. Eine große, satte Lüge, die ihn jetzt das Leben kosten würde. Und er wusste noch immer nicht warum. „Wer seid ihr? Gott, ich habe nichts getan, ich schwöre es!“

Die blonde Frau machte sich noch nicht einmal die Mühe ihm zu antworten, sondern meinte lediglich, mehr zu sich selbst als zu dem Mann zu ihren Füßen: „Dann muss es eine Ablenkung gewesen sein. Er wollte, dass wir hierherkommen und seine Nachricht finden. Es ist zweifelsfrei eine Falle.“ Ohne zu zögern wand sie sich rasch von ihm ab und begab sich eilig in den hinteren Bereich des Büchergeschäfts, wo Andy bereits wieder geschäftiges Treiben vernahm. Es plätscherte und gurgelte unregelmäßig, sogar im Keller. Ganz so als ob irgendeine Wasserleitung Leck geschlagen hätte oder jemand einen Kübel Schmutzwasser über den Boden verteilte. Dann fiel es ihm mit einem Mal wie Schuppen von den Augen und sein Herzschlag beschleunigte sich; klopfte wie wild in seiner Brust: Sie wollten ihn hier drin mitsamt der Einrichtung verbrennen.

Als ob es einen unsichtbaren Wink gegeben hätte, lief nun Brunhild schnellen Schrittes erneut in sein Blickfeld und übergoss mit zwei anderen ihm unbekannten Personen den vorderen Geschäftsbereich mitsamt der Ladentheke und Registrierkasse mit beißend stinkendem Benzin. Es gurgelte, plätscherte und träufelte munter über Bücher, Flyer, aufgestellte Rabattartikel und eingetroffene Neuware in schweren Kartons. Auch er blieb nicht verschont und bekam eine übelriechende Menge der Flüssigkeit ab. Spuckend rang er um Atem und zitterte am ganzen Körper; konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten. „Bitte! Das ist Wahnsinn! Ihr seid wahnsinnig! Das könnt ihr nicht tun! Ich tue alles was ihr wollt!“, wimmerte er schreiend in aufkeimender Panik.

Bild

Niemand reagierte – ganz im Gegenteil. Kaum war der Raum ausreichend mit Benzin getränkt, verließen Brunhild und ihre Helfer ihn wieder und verschwanden erneut in den hinteren Bereichen des Geschäftslokals. Alles schien wie einstudiert, als hätte man so etwas bereits Dutzende Male zuvor gemacht. An der Tür zum Lagerraum, in dem Brunhild Leifs Stimme gedämpft durch die bereits stark abgenutzte Holztür vernahm, blieb sie kurz stehen und klopfte sachte; öffnete dann vorsichtig die Tür.

Der Salubri war nach wie vor in sein Telefonat mit Lucien vertieft und sah fragend zu ihr; vor sich auf einem kleinen Klapptisch ein Blatt Papier ausgebreitet, auf dem er sich mit einem Stift einige Notizen machte. „Ich habe hier noch etwas zu tun und muss meine Spuren verwischen. Man hat mir ein paar dilettantische Jäger auf den Hals gehetzt. Du kannst dir sicher vorstellen wer“, sprach Leif in den Hörer und unterstrich etwas auf dem Blatt vor sich, um es damit besonders hervorzuheben.

Die blonde Frau in ihrer nachtschwarzen Garderobe nickte ihm aus den Augenwinkeln bestätigend zu und ergänzte mahnend: „Es fühlt sich an wie damals in Zürich. Sie werden wohl bereits Stellungen bezogen haben. Wir müssen uns beeilen, Leif.“

Der Jahrhunderte alte Salubri hielt das Telefon noch immer steif mit einer Hand an sein Ohr gepresst, während die andere sich auf seinen Stock stütze und nickte ihr bekräftigend zu. Kurz angebunden wandte er sich dann ein letztes Mal an seinen Gesprächspartner: „Geh nicht allein, er ist unberechenbar. Ich melde mich.“ Dann legte er auf und gab das Gerät an Brunhild zurück. „Sind wir soweit?“, fragte er und trat aus dem Lagerraum, während seine Augen prüfend über die Einrichtung glitten. Aus einem anderen Raum hörte man Andys gellende, heisere Hilfeschreie, die von den Wänden und

„Beinahe“, erwiderte die Ghulin mit einem kühlen Blick in Richtung des Eingangsbereiches.

Andy hatte es unter Aufbringung all seiner verbliebenen Kräfte geschafft sich auf den Bauch zu befördern und mühsam über den Fußboden in Richtung Ladentheke zu schleifen. Sowohl ein Bein, als auch ein Arm fühlten sich an wie gelähmt und das unablässige Bluten aus seinen Schusswunden malte fleckige Schlieren über den Boden, während er sich stöhnend, Zentimeter für Zentimeter nach vorne bewegte. Was immer diese Wahnsinnigen hier wollten, er würde hier nicht einfach sitzen und verbluten. Jetzt wo alle so plötzlich verschwunden waren, wagte er es in höchster Not die letzte ihm verbliebende Rettungsmöglichkeit zu erreichen: Unter dem Ladentisch befanden sich sowohl die Steuerung für die Rollläden als auch der Sicherheitsknopf für den Alarm. Eines von beiden musste er betätigen, bevor hier alles in Flammen aufging.

Ein Knall beendete jäh seine Gedanken während er sein Leben aushauchte und hinter der Mündung einer Pistole wurde Leifs Gesicht erkennbar.

Bild

Dieser warf einen Blick auf seine Armbanduhr und wandte sich dann völlig unbeeindruckt an die neben ihm stehende Brunhild. Die blonde Frau überreichte ihm einen Satz frischer Kleidung. „Wir teilen uns auf wie besprochen. Du nimmst den Wagen und triffst mich am vereinbarten Treffpunkt. Die anderen verfahren ebenfalls wie es unser Einsatzbriefing vorgesehen hat. Mit etwas Schläue und Umsicht sehen wir uns noch vor Tagesanbruch wieder. Schlagt ein paar Haken, wenn ihr müsst und zögert nicht zu tun, was erforderlich ist. Geht außerdem sicher, dass die Brandbeschleuniger auch verlässlich zünden, sonst bekommen wir nur noch mehr Probleme.“ Mit ein paar raschen Handgriffen hatte sich der Salubri seines Anzuges entledigt und die bereitgestellte Garderobe in Empfang genommen. Passend für diesen Anlass war sie schon im Vorfeld derart ausgewählt worden, dass es möglichen Verfolgern schwer fallen würde ihn in dem noch immer anhaltenden Getümmel ausfindig zu machen.

„Was hat Lucien erzählt?“, fragte Brunhild während Leif den teuren Designeranzug achtlos auf den Boden vor sich warf. Dort wo seine Krawatte sich mit dem schmierigen Blut am dreckigen Fußboden vollsog, lag noch immer Andy mit weit aufgerissenen Augen und rührte sich nicht mehr.

„Er ist dabei eine große Dummheit zu begehen und das, obwohl ihm das ebenfalls bewusst ist. Typisch für ihn. Bedauerlicherweise wird uns dieses energieraubende Katz und Maus Spiel jetzt in weiterer Folge wertvolle Zeit rauben, aber ich kann es augenblicklich nicht ändern. Wir müssen mit dem arbeiten, was wir haben. Alles Weitere erfährst du, wenn wir in Sicherheit sind und unsere Verfolger abschütteln konnten.“ Er legte wohlwollend eine Hand auf ihre Schulter und nickte ihr anerkennend zu. „Wir haben Sebastian abermals nicht in die Hände bekommen, aber sei gewiss, dass ich dir keine Schuld daran gebe. Ich weiß, wem ich mein Vertrauen schenken kann. Sei bitte vorsichtig und pass auf dich auf.“ Damit zog der Salubri sich abschließend die mitgebrachte Maske über und setzte den Zylinder auf, um seine Tarnung zu komplettieren. Mit eiligen Schritten verließ er das Geschäftslokal über den Hinterausgang, den er und seine Leute zuvor mit erstaunlicher Präzision aufgebrochen hatten.

Als die Tür ins Schloss fiel hörte er noch ein letztes Mal Brunhilds Stimme, die den restlichen Anwesenden letzte Anweisungen erteilte. „Fackelt es ab“, rief sie ihrem Trupp zu. Dann wurde jegliches Geräusch vom wilden Trompeten, Klatschen, Johlen, Kreischen und Brummen der wogenden, taumelnden und sich amüsierenden Masse erstickt, die sich zu den schnellen Rhythmen der buntschillernden Mardi Gras Parade bewegten.

Bild

Leif drängte sich zwischen die Ansammlung aus ausgelassenen Sterblichen und ließ sich vom Strom mittreißen. Bald schon war auch er selbst nur mehr Teil einer unübersichtlichen Traube aus schwitzenden, feiernden Leibern. Wer ihn hier verfolgen wollte, musste schon wahrlich schier unermessliche Kräfte aufbieten. ‚Oder selbst über solche verfügen‘, dachte er sich vorsichtig umsehend bei sich, während er den schwarzen Zylinder noch ein Stück tiefer ins Gesicht zog.

Bild

Wie nahe Leben und Tod doch manchmal beieinander lagen.


To Be Continued...
Next time on Eternal Nights:
Bild

_________________
Through action, a Man becomes a Hero.
Through death, a Hero becomes a Legend.
Through time, a Legend becomes a Myth.
By learning from Myth, a Man takes action.
~Corazon~


Nach oben
 Profil  
Mit Zitat antworten  

Beiträge der letzten Zeit anzeigen:  Sortiere nach  
Ein neues Thema erstellen Auf das Thema antworten  [ 4 Beiträge ] 

Alle Zeiten sind UTC + 1 Stunde



Wer ist online?

0 Mitglieder


Ähnliche Beiträge

Noctis aeternae (Eternal nights- Alida)
Forum: Chat & Forenplay (Solo)
Autor: Alida
Antworten: 1

Du darfst keine neuen Themen in diesem Forum erstellen.
Du darfst keine Antworten zu Themen in diesem Forum erstellen.
Du darfst deine Beiträge in diesem Forum nicht ändern.
Du darfst deine Beiträge in diesem Forum nicht löschen.
Du darfst keine Dateianhänge in diesem Forum erstellen.

Suche nach:
Gehe zu:  
cron



Bei iphpbb3.com bekommen Sie ein kostenloses Forum mit vielen tollen Extras
Forum kostenlos einrichten - Hot Topics - Tags
Beliebteste Themen: Chat, Erde, NES, Essen, Haus

Impressum | Datenschutz