Vampire: Die Maskerade


Eine Welt der Dunkelheit
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 Betreff des Beitrags: Re: Eisen und Blut
BeitragVerfasst: Mi 19. Okt 2016, 20:34 
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Alida schloß für einen Moment die Augen und atmete tief durch, versuchte die aufsteigende Panik zu unterdrücken und sich zu konzentrieren. Sie suchte nach irgendwelchen Erinnerungen… Sie hatte die Beine von Georg wieder herstellen müssen, hatte Muskel- und Fettgewebe verschoben, aber sie hatte damals so in Trance gehandelt, nur imitiert, was ihr kindlicher Erzeuger getan hatte, dass sie sich nur am Rand erinnerte. Blut… Alles voller Blut. Sie legte die Hand neben den Verletzungen auf, versuchte den Weg der Gefäße zu erahnen, aber sie hatte nicht die Spur einer Vorstellung wie sie vorgehen konnte.
Sie sah Erik an. „Ich bin kein Heiler. Ich hab keine Ahnung, wie man ihn versorgen kann. Du scheinst dich auszukennen.“ Fragend sah sie zu dem jungen Nordländer.
Erik schüttelte nur bedauernd den Kopf. "Ich weiß auch nicht, was man genau machen kann. Das ist das, was Leif machen." Er schlug die Hände hinter dem Kopf zusammen und schien nach einer Lösung zu suchen, auch wenn es offensichtlich war das ihm diese nicht einfiel. Alida wusste durch das Vermächtnis ihres untoten Blutes oft mehr über den menschlichen und kanitischen Körper als ihr lieb war, aber dieses Wissen ließ sie dieses Mal im Stich. Thomas schien ihren ratlosen Blick gesehen zu haben und griff ihre Hand. “Es ist schon in Ordnung wie es ist. Es tut auch fast gar nicht weh.” Die Anstrengungen mit denen der Mann sprach, straften ihn allerdings Lügen. “Ich danke euch für eure Hilfe. Ich...Ich...bin kein Narr. Schneidet mir das Bein ab. Ich verliere sehr viel lieber ein Bein als mein Leben. Es gibt noch so viele Dinge, die ich machen will…” Alida musste inzwischen genau hinhören um ihn verstehen zu können. “Zum Beispiel mit euch einen Sonnenuntergang genießen und wahrscheinlich würde ich mich unvertretbar verspäten, wenn ich von kalter Friedhofserde aufgehalten werde.” Er lächelte ihr ermutigend zu.
Sie schüttelte den Kopf. „Ihr weigert euch wohl bis zur letzten Minute euren Humor aufzugeben, oder?“ Das schwache Lächeln, das auf ihrem Gesicht erschien wirkte traurig. „Tut mir leid, ich kann euch das Bein nicht abnehmen. Ich hab nämlich keine Ahnung wie das geht…“ Sie riss sich zusammen.
Tief holte sie Luft, schluckte und trat dann näher. Sie blickte zu Erik und nickte dem jungen Mann zu. „Halt ihn fest und lass ihn woanders hinschauen. Das wird jetzt etwas unangenehm.“ Es widerstrebte ihr nach dem Messer zu greifen und Thomas zusätzlichen Schmerz zuzufügen, aber es musste sein, wollte sie nicht gleich die Tradition brechen, die beinhaltete, das kainitische Wesen im Geheimen zu halten.
Sie wartete bis Erik in Position gegangen war, dann führte sie mit der Linken die Klinge an eine kleine, ohnehin schon entzündete Stelle Haut und verschloss mit den Kräften ihres Blutes mit der Rechten die Wunde. Sie wusste, das war keine Lösung, aber es würde Zeit verschaffen um ihn ins Hospital zurück zu bringen.
Erik entpuppte sich als fähiger und vor allem starker Helfer. Er hatte kein Problem damit Thomas festzuhalten, auch wenn dieser sich, unter all den Schmerzen, die er inzwischen verspüren musste, zu winden versuchte. Alida verschloss das Bein im Handumdrehen und fühlte wie sich Fleisch und Haut unter ihren Fingern wie feuchter Ton ihrem Willen beugte. Der Nordmann schaute sie mit klaren grauen Augen an. “Zum Hospital, nicht wahr? “ Er wartete gar nicht lange, sondern schlang sich den nicht gerade kleinen Mann wie ein Kind um die Schultern und trug ihn huckepack. Dieser Kraftakt schien den Jungen zwar anzustrengen, allerdings machte er nicht den Eindruck als würde er bald unter dem Gewicht ermüden. "Ich kann ihn bringen? Ihr wollen mitkommen?" Erik schaute sie mit fragenden Augen an.
Sie nickte. Auch wenn sie diesem Mann nichts schuldig war, musste sie mit ins Hospital kommen. Sie wusste, es würde dort mit Sicherheit einige Heiler geben, die sich dazu entschließen würden, Thomas das Bein abzunehmen, aber was das, in der Zeit, in der sie lebten bedeutete, war ihr mehr als bewusst. Wenn irgendmöglich musste sie das verhindern.

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Zum Glück war die Anlage des Hospitals nicht weit weg und sie erreichten wieder den immer noch geschäftigen Eingangsbereich. Der junge, schlaksige Heiler mit den Sommersprossen saß noch immer im Eingangsbereich und stürzte fast aus seinem Stuhl als er Alida und Erik mit ihrem Patienten sah. “Ihr bringt unseren entflohenen Patienten! Sehr schön, sehr schön, er hat auch noch nicht seine Rechnungen für das private Zimmer gezahlt. Folgt mir.” zielsicher ging er zu einem der kleineren Räume in welchem Patienten untersucht wurden, bevor man entschied ob sie im Hospital verblieben oder nicht. Der junge Heiler verbeugte sich leicht und räusperte sich kurz. “Ich hole einen Medikus.” dann verließ er den kleinen Raum. Erik hatte Thomas schon vorsichtig auf dem Tisch platziert. Alida hatte jetzt alle Zeit zu tun was sie noch tun musste.
Alida riss die letzten Stofffetzen von der Hose, die die Wunden bedeckten und suchte nach Wasser und Tüchern im Zimmer um die Wunde notdürftig reinigen zu können.
Ein älterer Heiler schaute sich schließlich den Patienten an und schüttelte mit dem Kopf. Er argumentierte, dass der einzig sichere Weg, Thomas das Leben zu retten eine Amputation wäre, aber er ließ sich schließlich von Alida umstimmen. Er räumte dem Patienten zwar nicht viele Chancen ein, allerdings versprach er der Händlerin nicht zuletzt wegen ihrer Stellung, dass man alles versuchen würde, was man konnte. Als sich die Tzimisce schließlich zurück lehnte sah sie, dass sie jemand durch ein Loch in der Wand beobachtete. Der Moment war nur flüchtig, aber sie war sich absolut sicher: Irgendjemand hatte genug Interesse an ihnen um sie zu beschützen und plötzlich fiel ihr noch etwas anderes ein. Thomas hatte befürchtet, dass man ihn im Hospital umbringen wollte, dass der Arm des Kults nach ihm ausgestreckt war.
Alida trat näher zu Erik heran, beugte sich zu dem hochgewachsenen Nordmann und flüsterte zu seinem Ohr: „Erik? Tut mir bitte den Gefallen und weicht dem Verletzten nicht von der Seite bis ich wieder hier bin. Ich weiß nicht, was hier vor sich geht, aber ich denke, das ist sicherer.“ Sie trat mehrere Schritte zurück und begab sich wie zufällig in einen Bereich, der von dem Loch aus nicht einsehbar war. Irgendwie musste sie aus diesem Zimmer kommen ohne dabei gesehen zu werden.
Sie sah noch ein Mal zu Erik und schluckte. In welche verdammte Situation hatte sie den Jungen nur gebracht. Leif würde ihr nie verzeihen, wenn ihm etwas zustoßen würde, da war sie sich sicher. Und dass das mehr als möglich war hatte das Gemetzel an Andros bewiesen.
Erik stellte keine Fragen sondern bestätigte mit einem kaum wahrnehmbaren Nicken nur das er sie verstanden hatte. Alida hatte Glück. Der Raum war so vollgestellt, dass man die unverschlossene Tür zum Raum von dem Loch her nicht wahrnehmen konnte. Sie könnte sich einfach herausschleichen, denn Erik war gewarnt und der Heiler war bereits in die Behandlung von Thomas vertieft.
Es dauerte nicht lange bis Alida ein kleines Lager für Handtücher und medizinisches Material fand, das direkt neben dem Raum lag, den sie gerade verlassen hatte. Dieses schien nicht viel benutzt zu werden und Alida sah wie jemand auf dem Boden kniete und durch ein kleines Loch blickte. Es war der schlaksige Junge mit den roten Haaren, der sie am Eingang empfangen hatte.
Mit einer raschen Bewegung trat Alida hinzu und stellte sich dem Jungen in den Weg. Ihre Stimme war beherrscht als sie ruhig fragte: „Willst du mir vielleicht kurz erklären, was du hier machst?“ Sie machte noch einen Schritt und baute sich vor ihm auf. „Und eines kann ich dir jetzt schon mit Sicherheit sagen: ich hab in dieser Nacht keine Lust auf Ausreden! Wenn ich auch nur im geringsten das Gefühl bekomme, dass du mich anlügst, sorg ich dafür, dass du innerhalb der nächsten Minuten zum Blutrichter gebracht wirst und der wird dann seine ganz persönliche Art der Befragung vornehmen.“
Der Junge straffte sich und schaute nach links und rechts. Er umgriff ein kleines Fläschchen fester, welches er mit der linken Hand festhielt und schien sich geschlagen zu geben. Er konnte nicht fliehen und Alida hatte alle Trümpfe in der Hand. "Gut. Folgt mir. Wir beide wollen schließlich etwas voneinander."
Alida streckte die Hand aus. „Einverstanden, aber zuerst her mit der Flasche. Genauso wenig Interesse wie an Ausreden hab ich an Gift, egal ob es dir selbst oder mir gedacht sein mag. Verzeih meine Paranoia, aber ich hatte es schon mal mit einem Haufen Gestörter zu tun, die unglaublich erpicht darauf waren mit so netten Fläschchen ihrem Leben für die große gerechte Sache ein Ende zu setzen, wann immer man sich mal mit ihnen unterhalten wollte.“ Sie sah ihn fest an.
Ihr Gegenüber schaute zuerst auf die Flasche und dann auf Alida. Schließlich zuckte er mit den Schultern und überreichte ihr das Fläschchen. "Ich habe kein Interesse daran zu sterben, glaubt mir das ruhig." Schließlich führte er sie in einen weiteren Raum, der ähnlich dem vorherigen aussah, aber dieses Mal wohl ohne Loch in der Wand auskam. Der Junge verschränkte trotzig die Arme vor der Brust bevor er sprach. "Ich antworte auf all eure Fragen, wenn ihr mich danach laufen lasst, ohne wenn und aber."
Sie zuckte mit den Schultern. „Ich hege keinen Groll gegen dich und hab auch nicht vor dir das Leben schwer zu machen. Wenn du mir jetzt allerdings erzählen willst, dass du letzte Nacht deine ganze Familie im Schlaf abgestochen hast, weil dir mal eben danach war, dann kann ich das Versprechen leider nicht erfüllen.“ Sie musterte ihn von der Seite und ihr Blick sprach Bände: Wenn du wüsstest, wer mir in den letzten Nächten so alles begegnet ist…
"Es ist doch egal was ich getan habe, oder?" Er lächelte selbstsicher. "Außerdem habe ich alle Zeit der Welt. Ihr nicht."
„Nein, es ist nicht egal, was du getan hast.“ Sie lächelte schief. „Aber es erhöht deine Chancen ungeschoren aus der Geschichte raus zu kommen, wenn du jetzt erzählst, was das alles soll. Wie du schon fest gestellt hast: Ich hab heute noch anderes vor. Andere Dinge als junge Burschen beim Blutrichter zu verpfeifen.“
"Ich glaube mit allem was gerade so in dieser Stadt passiert ist hat Richter Claude andere Dinge zu tun als sich um nicht zu kümmern." Er lehnte sich an die Wand. "Was wollt ihr wissen?"
„Denk ich auch… Warum hast du uns hinterher spioniert?“
"Weil ich den Auftrag hatte diesen Thomas aus dem Weg zu räumen, da er eine Gefahr für den Kult darstellt." Er zeigte auf das Fläschchen welches Alida an sich genommen hatte. "Die, die die Tat ausführen sollte hat uns verraten, aber glücklicherweise habt ihr ihn zurückgebracht."
„Und du bist großes Mitglied des Kultes? Herzlichen Glückwunsch…“ Sie schüttelte ungläubig den Kopf. „Also hat der Kult einen Pakt mit dieser Frau gemacht, die sich in dem Krankenzimmer aufgehalten hat?“
"Der Tod des Mannes wäre ihre Aufgabe gewesen um in den inneren Zirkel aufgenommen zu werden. Aber sie hat sich als Mann verkleidet und vor mir verborgen. Sie hat ihm zur Flucht verholfen."
Wieder folgte ein Kopfschütteln. Die Rolle dieser Hexe in dieser Geschichte war alles andere als klar. Sie hatte keine Ahnung, was diese nun schon wieder für lustige Pläne geschmiedet hatte und was sie mal wieder auf eigene Faust hatte erledigen wollen. Auf jeden Fall hatte sie niemanden darüber informiert. Alida biss heftig die Zähne zusammen. Es war ihr gleich. Sie würde nicht erneut etwas mit dem Rat besprechen, was diese Tremere anging. Das hatte sie hinter sich.
„Was will der Kult denn überhaupt von diesem Mann?“
"Thomas ist bei der Exekution des Hafenarbeiters hereingeplatzt, der die Standorte und Verstecke des Kults offengelegt hat. Er hat uns gesehen und wir wissen nicht, wieviel er weiß. Länger lebt, der Risiken meidet." Er lehnte sich von einem Bein auf das andere.
„Weise und erfahrene Worte.“ Der Sarkasmus in ihrer Stimme ließ sich nicht überhören. „Hör mal zu, Junge. Es gibt genug Dinge, mit denen du dir sinnvoller die Zeit totschlagen kannst als einem Kult beizuwohnen, der die Zerstörung deiner Heimatstadt mit sich bringt, oder? Außerdem wird der Blutrichter bald herausgefundne haben, wo sich der Kult aufhält und dann ist mit der ganzen Sache eh Schluß. Oder die Inquisition schaut mal wieder vorbei…“ Sie seufzte. „Ihr habt einen meiner Männer abgeschlachtet. Weil es euch in den Sinn gekommen ist…“ Sie unterdrückte den Hass, der in ihr aufloderte. „Was habt ihr überhaupt in dem Kontor gemacht?“ Sie sah sich nach einem Zimmer um, in das sie den Jungen einsperren konnte. Er war eine Gefahr für Thomas und auf der anderen Seite, wenn sie ihm mitteilte, dass das Versteck längst aufgedeckt war und damit Thomas nicht weiter gefährdet wäre, würde er losrennen um seine ‚Freunde‘ zu warnen.
Es war unklar ob der Junge einfach nur herrlich arrogant war oder ignorant. Vermutlich eine ungesunde Mischung aus beidem. “Ihr versteht den Herr hinter dem Schleier nicht. Ich wurde zeuge seiner Macht und ihr seid ein Nichts dagegen.” Der Junge lächelte noch immer und über seinen Blick legte sich ein beinahe fanatischer Schleier. “Andros war sein Name? Niemand weiß wie, aber er hat sehr viel über den Kult aufgedeckt und war dadurch gefährlich. Er musste ausgeschaltet werden und seine Entdeckungen vernichtet.” Abseits der Worte des Jungen sah Alida, dass sich der Raum in dem sie sich gerade befanden perfekt als improvisiertes Gefängnis eignen würde. Steinerne Wälle und eine Schwere Holztür mit Schlüssel. Sicherere Zellen gab es nur bei der Stadtwache und im Schuldturm.
„Nur weil jemand mächtiger oder bedeutsamer ist als ein anderer heißt das noch lange nicht, dass er damit im Recht ist, oder? Dass er tun und handeln darf, wie es ihm beliebt.
Nun… dann bliebe wohl die Frage, warum Andros euch auf die Schliche kam?
"Es geht nur um Macht! Einfluss im hier und jetzt. Wir leben im Hier und jetzt. Alles andere ist eine Lüge. Es gibt keinen Himmel, keine Hölle, sondern nur das hier und jetzt zählt." Seine Stimme überschlug sich beinahe bevor sie wieder ruhiger wurde. "Euer Freund hat begonnen über den Tellerand zu schauen. Es ist nämlich nicht nur diese Stadt; es sind so viele andere in welchem der Herr hinter dem Schleier seine treuen Diener sammelt. Ihr könnt den Meister nicht besiegen, aber das wollte Andros nicht einsehen. Wir wollten ihm die Wahrheit schenken, aber er war blind und taub gegenüber den Offenbarungen des Herrn."
„Tja, tut mir leid, dass ich da leider der gleichen Ansicht bin wie Andros. Macht bringt Verantwortung und ich bin für diese Stadt hier verantwortlich.“ Sie sah sich genau um und trat in die Nähe der Tür. „Es war mir nicht wirklich eine Freude dich kennen zu lernen, aber das macht ja nichts.“ Mit einer raschen Bewegung riss sie die Tür auf um sie gleich darauf hinter sich zuzuschmeißen.
Alida hörte für einen Moment wie der Junge gegen die Tür schlug und schrie und dann plötzlich still wurde. Sie konnte sich denken was gerade in seinem Kopf vorging. Er wollte entkommen und heckte dafür einen Plan aus.
Sie drehte den Schlüssel im Schloss um. „Hör zu, mein Junge. Ich hab vor, mein Versprechen zu halten. Wenn ich deinen guten Freund, den ‚Meister‘, getroffen habe und noch unter den Lebenden bin, dann komm ich zurück und du hast drei Stunden um für immer aus dieser Stadt zu verschwinden bevor ich dir die Stadtwache hinterher hetze. Aber das alles gibt’s nur unter einer Bedingung: Du bleibst in dieser Kammer. Und wenn du einen einzigen Versuch unternimmst, hier raus zu kommen, dich auch nur nett mit jemanden unterhältst, der doch so nett sein soll, dich rauszulassen, das schwör ich bei Gott, dann sorg ich eigenhändig dafür, dass du nirgendwo mehr hingehst. Das schulde ich Andros! Hast du das verstanden?“
Erst vernahm Alida gar nichts, aber schließlich hörte sie leise Zustimmung aus der Kammer. Das bedeutete, dass es ein Problem weniger gab, wenn sich der Junge an die Abmachung hielt, was Alida recht wahrscheinlich vorkam. Er war ein Schwein, aber eins mit einem ausgeprägten Sinn für Selbsterhaltung wie es schien und Alidas Angebot schien das Beste zu sein was er hatte rausschlagen können.
Alida blieb einen Moment unschlüssig stehen und überlegte. Sie konnte diesen Jungen nicht unbeaufsichtigt lassen. Er würde seine Kultistenfreunde warnen das war ihr klar. Auf der anderen Seite konnte sie Erik nicht bitten Thomas alleine zu lassen. Wer wusste, ob nicht noch jemand hier im Hospital, mit den Kultisten im Bund war. Sie ging ein paar Schritte durch die Gänge und ihr fiel etwas ein, dem sie nachgehen konnte. Beim einem Erntedankfest an dem Balduin teilgenommen hatte, das wohl zwei Jahre her war, wurde er zu später Stunde abgerufen um im Hospital einen Notfall zu versorgen. Ein wohl 15 jähriger Junge in Ausbildung hatte sich energisch einen Weg durch die verdutzten Mitglieder der van Burse gekämpft und sich auch von einem beleibten Knecht nicht von seinem Ziel abbringen lassen zu Balduin zu gelangen. Ihr Neffe war ohne Zögern aufgebrochen, hatte aber noch zu Alyssa, die neben ihm stand, lachend gemunkelt. „Das ist Erasmus. Wenn der sich was in den Kopf gesetzt hat, dann lässt er sich von nichts abbringen. Auch nicht von einem Haufen feiernder Pfeffersäcke. Ich mag den Jungen.“ Vielleicht hatte sie Glück.
Alida fand den jungen Heiler tatsächlich. Er zerstampfte Kräuter in einem Tiegel und goß Alkohol darüber um die heilende Wirkung zu konservieren. Sie verlor nicht viele Worte, erklärte dem überraschten Mann wer sie war und dass es von äußerster Dringlichkeit war, dass der Bursche den Raum nicht verlassen würde. Erklärungen würden später folgen.

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Der Weg zum Ziel beginnt an dem Tag, an dem du die hundertprozentige Verantwortung für dein Tun übernimms.
Dante Alighieri


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 Betreff des Beitrags:
Verfasst: Mi 19. Okt 2016, 20:34 


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 Betreff des Beitrags: Re: Eisen und Blut
BeitragVerfasst: Mi 2. Aug 2017, 21:06 
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Es waren inzwischen einige Tage vergangen in denen sich Wahnsinn und Aufregung, die in Brügge geherrscht hatten, langsam in Erinnerungen und Schaffenskraft verwandelten. So war es schon immer in der Handelsmetropole gewesen, das Leben musste weitergehen und im besten Falle lernte die Stadt aus den jüngsten Ereignissen. Der Kult, der die Stadt heimgesucht hatte, war genauso schnell verschwunden wie das übernatürliche Wesen, was Alida verfolgt hatte. Die Aufräumarbeiten im Hafen gingen gut voran und wenig erinnerte noch an die Brandkatastrophe, die dort nicht wenige Schiffe in Asche verwandelt hatte. Lilliana hatte üble Verbrennungen getragen, aber ansonsten waren sie alle mit dem Schrecken davongekommen. Es war von langer Hand geplant gewesen, oder zumindest schien es so. Noch während sie versucht hatten der Schlange den Kopf abzuschlagen drangen einige der Mitglieder des geheimen Bundes in die Kanalisation der Stadt ein, offenbar auf der Suche nach einem Buch, wie Gerrit ihnen später mitgeteilt hatte. Aber auch die Brügger Kainiten waren nicht mit völlig leeren Händen zurückgeblieben. Lucien hatte es geschafft eine Karte zu bergen auf der offenbar Städte verzeichnet waren in denen der Kult aktiv war. Es handelte sich vorrangig um Hafenstädte der Ost- und Nordsee, aber trotz allem schienen sie ihre Krallen bis nach Venedig, Barcelona und Konstantinopel auszustrecken.

Aber die Tzimisce Alida van der Burse war nicht die einzige, die ihre Erfahrungen mit den seltsamen Mystikern gemacht hatte. Theresa Kymena war ebenso auf ihre noch nicht ganz klare Art und Weise in die Geschehnisse verstrickt gewesen, und es war an der Zeit, dass die beiden Frauen miteinander sprachen um ein wenig Licht in die Angelegenheit zu bringen. Der Herbst hatte die Stadt inzwischen voll im Griff. Überall lagen bunten Blätter am Boden und die Nächte wurden zunehmend kühler, so dass die Bauern sich beeilten die Ernte so schnell wie möglich zu beenden, damit man sich auf den kommenden Winter vorbereiten konnte. Die Hexe und die Formerin hatten sich im Elysium der Stadt verabredet, ein neutraler Grund, der noch immer von Alidas Verwandten Frederik als Hüter des Elysiums betreut wurde. Es war ein bisschen schade um die geschmackvoll und gemütlich eingerichteten Hinterzimmer der blutenden Jungfrau, da der größte Teil der nächtlichen Politik im Belfried diskutiert und beschlossen wurde. Das Elysium wurde normalerweise nur für soziale Zusammenkünfte genutzt, die zugegebenermaßen nicht sonderlich zahlreich in der Stadt waren. Dafür gab es einfach zu wenige Kainiten in Brügge und das, obwohl die Stadt mit ihren fast 60000 Einwohnern sicherlich noch das eine oder andere Kind der Nacht ernähren könnte. Alida Schritte führten sie stetig in Richtung der Taverne und die klare Nachtluft umwehte sie dabei mit den würzigen Düften des Herbstes.
Sie betrat das großangelegte Gebäude wie meist durch die Hintertür. Es war gut, dass sie einen neutralen Treffpunkt gewählt hatten. Alida war nach wie vor beunruhigt, wenn sie an die Geschehnisse im Hafen und in der ganzen Stadt dachte. Sie verstand nach wie vor in keinster Weise die Beweggründe des Dämons und sie musste ein schweres Schlucken unterdrücken, als sie ihr die breite Tür zum Versammlungszimmer aufgehalten wurde und sie eintrat. Vielleicht würde das Zusammentreffen mit der Tremere ein wenig Licht in die Sache bringen. Sie fühlte sich in gewisser Weise schuldig, da sie der Kainitin mehr als pure Ablehnung entgegengebracht hatte und wusste schon jetzt wie schwer es ihr fallen würde dem Blick der Frau Stand zu halten. Auf der anderen Seite brodelte es in ihr, wenn sie an die Leichtgläubigkeit ihrer Verbündeten dachte und wie willig sie die Unbekannte unter sich aufgenommen hatten. Und beim Gedanken an den Vertrauensbruch den diese gleich im Anschluss vorgenommen hatte als sie in Paris bei ihren Clansbrüdern vorstellig geworden war. Sie seufzt leise. Vielleicht waren die Beweggründe der Hexe ehrlicher Natur, vielleicht auch nicht. Niemand mochte das vorhersehen und nur die Zeit würde vielleicht dafür sorgen, dass sie verstand.

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Sie trat näher in die Mitte des Raumes
Theresa saß bereits an einem der fein gearbeitet Tische, die zum Verweilen einluden. Dunkles Holz, vielleicht Kirsche, verbreitete einen erdigen Duft im Raum. Überall brannten Kerzen hinter Pergamentschirmen, die dem Raum großzügig Licht spendeten. Theresa schien beinahe hochzuschrecken als Alida das Zimmer betrat und verbeugte sich leicht. Mit einer Geste zeigte sie auf einen leeren Stuhl ihr gegenüber und lud sie ein sich zu setzten. Sie nickte leicht bevor sie mit ihrer dunklen Stimme, die irgendwie an Honig erinnerte, sprach. „Es freut mich ehrlich, dass ihr den Weg hierher gefunden habt. Der Kult hat sich zwar zurückgezogen, aber vielleicht können wir noch ein wenig mehr über ihn herausfinden wenn wir unsere Erfahrungen zusammentragen.“ Die Hexe seufzte tief. „Ich weiß, dass ihr eine vielbeschäftigte Frau seid, also möchte ich gleich zu Sache kommen. Was wollt ihr wissen? Welche Fragen habt ihr an mich?“
Die blonde Frau musterte die Hexe nachdenklich, deutete selbst eine respektbekundende Verbeugung an bevor sie schließlich Platz nahm. Sie winkte ab als sie Theresas Worte vernahm. „Keine Geschäfte heute Nacht. Es gibt wichtigere Dinge, auch wenn ich das nur ungern zugeben mag. Wir haben, zumindest von meiner Seite, die Zeit, die wir benötigen um unsere Erlebnisse zusammen zu tragen. Solltet Ihr Fragen an mich haben, fühlt euch frei sie zu äußern.“ Sie nickte mit einem zögernden auffordernden Lächeln
Theresa nickte als hätte sie auf die Fragen der Tzimisce nur gewartet. „Die alte Ventrue Charlotte Erembald hat mich damit beauftragt dem Kult hier in Brügge nachzugehen.“ Sie schwieg für einen Moment, schien zu überlegen wie sie die nächsten Worte wohl am besten formulierte. „Sie war nicht lange in der Stadt und hat in dieser Zeit keinen Hehl daraus gemacht, dass sie nicht viel von meiner Anwesenheit hält. Nach Absprache mit ihrem Clansbruder, dem Sheriff, wurde mir die Aufgabe erteilt diesem komischen Kult nachzustellen, der sich begann im Hafen auszubreiten. Ich sollte meinen Teil dazu beitragen, wenn ich mich denn schon in dieser Domäne aufhalten dürfte.“ Theresa schien sich unwohl auf ihrem Platz zu fühlen, während sie an ihren scharlachroten Roben, die sie so oft zu tragen pflegte, zupfte. Ein exotischer Duft nach Räucherwerk und etwas, das entfernt an Pfeffer erinnerte, ging dabei von ihr aus. „Keiner wusste, womit wir es zu tun hatten. Ob ein Kainit in die Sache involviert war oder einfach nur ein paar verrückte, aber harmlose Mystiker. Ich begann also zu den Versammlungen zu gehen, konnte aber nichts herausfinden, außer, dass man sich beweisen musste um den Meister kennenlernen zu dürfen. Nach Absprache mit Jan van Hauten habe ich mich dann mehr auf den Kult eingelassen, in der Hoffnung mich irgendwann beweisen zu können um den Meister zu treffen. Das ging gut bis zu dem Zeitpunkt als ich meine Aufgabe erhalten hatte, denn ich sollte einen Mann namens Thomas töten der im Hospital lag. Irgendwie hatte er wohl eine Zusammenkunft hochrangiger Mitglieder des Kultes gestört und sollte zum Schweigen gebracht werden. Ich wollte den Mann warnen, zur gleichen Zeit aber nicht meine Position innerhalb des Kultes gefährden also habe ich mich als Mann verkleidet und das war jene Nacht in der wir uns getroffen hatten.“ Sie schaute der Tzimisce in die Augen. „Kommt ihr soweit mit?“
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Alida schluckte den Unmut herunter, der bei Theresas letztem Satz in ihr aufkommen wollte. Wahrscheinlich war ihre Frage nicht als Provokation gedacht gewesen. Sie versuchte sich an einem Nicken. „Gibt es sonst etwas, das ihr herausfinden konntet. Mich interessiert weniger der Kult von sterblichen Wahnsinnigen sondern dem, der dahinter steht. Ich hab einen Geist erblicken können, der mir mehr als deutlich zu verstehen gab, dass er die Herrschaft über uns Kainiten übernehmen wolle, und die Stadt zu seinem Besitz machen wollte. Er klang überzeugend“, gab sie zähneknirschend zu.
Die Augen der Tremere weiteten sich kurz vor Überraschung. „Der Glaube, oder besser gesagt was der Kult predigt, ist recht einfach zusammenzufassen. Der Meister ist eine Art Hohepriester, der in Kontakt mit einem Wesen steht, das nur als ‚Gebieter des Todes‘ bezeichnet wird. Der Kult sagt, dass Himmel und Hölle nur Lügen sind und nach dem Tod nichts als Vergessen auf alle Sterblichen wartet. Lediglich der ‚Gebieter des Todes‘ soll in der Lage sein diesen Kreislauf zu durchbrechen und das Vergessen aufzuhalten. Er soll in der Lage sein, geliebte Menschen zurückzubringen und sie wieder mit ihren Lieben zu vereinen.“ Ihre Stimme wurde leiser. „Aber ich habe in all der Zeit nie gehört das irgendjemand einem solchen Geist, Dämon oder was auch immer es ist, wirklich begegnet ist.“ Die dunkelhaarige Frau lehnte sich zurück und schien für einen Moment zu überlegen. „Der Kainit den wir in der verlassenen Hütte bekämpft haben, muss der Meister sein. Ihr Hohepriester. Aber mit euren Beobachtungen kann es also sein, dass eine wahre Macht hinter den Wahnsinnigen des Kultes steckt. Das ist besorgniserregend.“
„Für mich klingt das alles wie ein gestörter Setiten Kult. Ich habe nur keine Ahnung, was um alles in der Welt, das alles zu bedeuten hat. Wir haben einen körperlosen Dämon, der die Stadt übernehmen will und die Kainiten vernichten möchte, und für den es ein besonderes Vergnügen dargestellt hat, mit ir ‚Kontakt‘ aufzunehmen, einen Kult, der sich diesem Geist irgendwie zugehörig fühlt und der foltert und mordet für die Wiedererweckung von Verstorbenen und was auch immer. Was der Kult eigentlich will, bleibt ungeklärt, allerdings haben sie überall ihre Spione und Vertrauten. Wir wissen, dass sie irgendwas in unserem Kontor gesucht haben, was das sein könnte, wusste wohl nur einer meiner besten Männer und das Wissen hat ihn das Leben gekostet. Dann haben wir Thomas, der wohl zufällig das alles beobachtet hat und abhauen konnte.“ Sie seufzte.
„Ich glaube ich weiß was sie gesucht haben.“ Die Stimme der Tremere war ruhig. „Sie haben nach Aufzeichnungen gesucht, die euer Mann über den Kult gemacht hat. Er scheint ihnen schon länger auf der Spur gewesen zu sein, hat Matrosen und Kapitäne befragt und so auf sich aufmerksam gemacht. Neben dem Glauben an den Gebieter des Todes und seine Rolle zwischen Leben und Tod, ist es vor allem die Geheimniskrämerei, die als Glaubensgrundsatz dient. Außerdem...“ Ihre Lippen zogen sich zu einem kleinen Strich zusammen. „…haben sie wohl bekommen, was sie wollten. Sie haben aus der unterirdischen Bibliothek zwei Werke entwendet als der Hafen gebrannt hat. Gerrit hat eine Inventur gemacht und es fehlen lediglich zwei Texte. Einer, der die Eroberung der flandrischen Lande durch die Römer beschreibt und ein obskurer, aber wenig besonderer Text über den Einfluss kainitischer Vitae auf Ghule und Wiedergänger. Gerrit hat Kopien beider Texte, aber die Originale haben sie mitgenommen.“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich glaube, sie waren hinter diesen Informationen her, aber warum kann ich nicht einschätzen, da in den Bleikammern unter der Stadt bei weitem potentere Werke und Schriften unter Gerrits Obhut lagern.“
Die Unholdin sog tief die Luft ein. „Weitere Rätsel, auf die wir keine Antwort wissen… Es wird Gerrit schier an den Rand des Wahnsinns getrieben haben, dass jemand in seine Gemäuer eindringen konnte. Warum um alles in der Welt nimmt der Dämon Kontakt zu uns auf, teilt uns mit, dass er die Stadt übernehmen will und so weiter, wenn es ihnen nur um zwei Bücher geht und sie dann alle wieder verschwinden“ Sie sah wieder zu ihrem Gegenüber. „Gibt es etwas, das die Werke verbindet? Was ist zum Beispiel mit dem Verfasser?“
„Könnte es sich um eine pure Ablenkung gehandelt haben?“ Theresa zuckte leicht mit den Schultern. „Ich habe das Wesen nicht kennen gelernt und kann daher nur mutmaßen. Aber was die Texte angeht haben wir keinen Hinweis. Der römische Text ist lediglich eine militärische Chronik, die den Krieg gegen die angestammten Kelten beschreibt. Zugegeben der Autor ist nicht ganz unbekannt, da es sich um Julius Cäsar handelte. Der Text über Ghule und Wiedergänger lässt sich lediglich auf eine Vesna zurückverfolgen, auch wenn man aus den Ausführungen herauslesen kann, dass es sich bei der Autorin um eine Tzimisce handeln musste.“ Die Tremere schaute sich in dem holzgetäfelten Zimmer um und blickte dann irgendwann wieder zu Alida. Plötzlich zuckte die Hexe zusammen und eine Mischung aus Schmerz und Unglaube mischten sich unter die beinahe schwarzen Augen.
Alida zog fragend eine Augenbraue wenige Millimeter nach oben. „Was ist, Theresa?“
Die Frau seufzte tief und Alida konnte die Furcht beinahe riechen, die die Tremere zu empfinden schien. Dann jedoch ergab sich ihrem Schicksal und begann zu berichten. „Es könnte sein, dass mein Erzeuger etwas mit all dem zu hat, auch wenn ich nicht weiß wie. Ihr kennt, oder besser gesagt kanntet, ihn als Orlando Oriundus. In seinen Tagebüchern stand etwas von einem Engel des Todes den er erweckt hatte und der ihm die Herrschaft über Brügge sichern würde.“ Die Usurpatorin sprach langsam und jedes Wort schien ihr bleischwer von der Zunge zu rollen. „Mein Erzeuger erschuf mich ohne Zustimmung der Ältesten. Eigentlich bedeutet ein solches Vergehen den endgültigen Tod in Clan Tremere, Vernichtung für Erzeuger und Kind aber als Goratrix ältestes Kind, einem originalen Mitglied des Rates der Sieben wurde Orlando nur verbannt. Er wurde in einen unbedeutenden Außenposten am Rand der bekannten Welt verbannt. Brügge. Es war eine Gnade, genauso wie eine Strafe, denn jegliche Möglichkeit seinen Ruf wiederherzustellen, wäre ihm dort aufgrund eines Mangels an Möglichkeiten versagt geblieben.“ Theresa schien sich erheblich unwohl zu fühlen, sprach aber weiter. „Mein Erzeuger war immer erfinderisch und half der Stadt sich zu entwickeln, suchte nach Mitteln sich zu rehabilitieren und den größten Teil der Geschichte kennt ihr wohl nur zu gut. Er...“ Sie wurde etwas leiser. „...Er verlor sich irgendwann und wandte sich Zauberei zu, die die Grenzen allen Vertretbaren mehr als nur beugten und sein Verstand litt darunter. Er war brillant, das steht außer Frage, aber Genie und Wahnsinn liegen wie so oft nah beieinander.“ Die Tremere brach ab, schien sich in Geschichten und Erinnerungen verloren zu haben.
Alida ließ ihre Gedanken in die weit entfernte Vergangenheit schweifen, dachte an die Geschehnisse von damals. „Ich habe damals keinen Groll gegen euren Erzeuger gehegt. Er war auf seine Weise gut für die Stadt, auch wenn ich im Nachhinein betrachtet, natürlich unser Ratssystem bevorzuge. Wenn er sich nicht dazu entschieden hätte, uns zu endgültiger Asche zu verarbeiten, hätte er keinen Streit von mir erfahren. Ich hätte mich damals auch nicht angemaßt, ihn, einen Ahn, herauszufordern; unbedeutend wie wir alle waren.“ Sie nickte aufmunternd. „Gibt es etwas, an das ihr euch erinnert, das uns möglicherweise weiterhelfen würde, endlich zu verstehen?“
Die Tremere war mehr als nur überrascht von Alidas Worten. Sie hatte offenbar mit vielem gerechnet, nur damit nicht. Trotzdem antwortete sie beinahe prompt. „Wenn ich alles, was ihr mir erzählt habt und alles was ich weiß verbinde, dann glaube ich, dass dieser Geist ein Überbleibsel aus einer Zeit ist in der mein Erzeuger noch am Leben war. Er muss diese Wesen mit dem Ziel beschworen haben euch zu vernichten und Brügge für ihn zu erobern, aber eine Sache hatte mein Erzeuger übersehen. Die Stadt war beschützt, das Wesen konnte keinen Zugriff auf euch nehmen und so seinen Auftrag nie ausfüllen und ihrem Meister irgendwie nützlich zu Diensten sein. Jetzt, wo der Schutz nicht mehr über der Stadt liegt, muss es seinen alten Auftrag wieder aufgenommen haben.“
Alida lachte freudlos auf und nickte. „Wir haben die Magie, die diesen Ort angezogen hat, beendet. Das mag all dies ausgelöst haben… Glaubt ihr, dass wirklich ein Zusammenhang zwischen dem Dämon und dem Kult existiert? Das wäre untypisch für euren Erzeuger sich mit solchem Pack einzulassen.“
„Ich bin keine Expertin auf dem Gebiet, aber wenn das Wesen wirklich so eigenständig ist...ein Kult wie dieser übersteht nicht über Nacht. Er muss gepflegt, Mitglieder geworben und Zweifler überzeugt werden. So macht es Sinn. Das Wesen hatte keinen Zugriff auf euch, aber Sterbliche Kultisten wären solchen Restriktionen nicht unterworfen. Geister, Dämonen...sie alle sind geduldig und bevor der Schutz der Stadt aufgehoben wurde, mochte dies ein Weg gewesen sein den uralten Auftrag doch noch zu erfüllen.“ Theresa schien einen Moment zu brauchen um diese Information verdauen zu können. „Was meinen Erzeuger angeht, weiß ich es nicht. Ich...ich würde es aber gerne herausfinden. Mir ist bewusst, welches Erbe Orlando Oriundus hinterlassen hat und wie die Welt ihn sehen musste. Aber das ist nicht der Mann, den ich gekannt habe. Ich...ich würde gerne herausfinden, was passiert ist und wieso er sich mit...mit solchen Wesen eingelassen hat. Wenn...wenn ich es irgendwie kann, denn er hätte sich nie versklavt...oder zumindest habe ich das einmal geglaubt.“
Sie zuckte mitfühlend mit den Schultern. Sie verstand die Sorgen, die Theresa ins Gesicht geschrieben standen, hätte ihr gern ein aufmunterndes Wort gesagt, aber es gab wenig, was sie sagen konnte. Ihre Verbündeten und sie selbst waren es gewesen, die den Erzeuger der Hexe ins Jenseits befördert hatten. „Ich wünschte, wir wüssten einen Weg diesen verf… Dämon dahin zurück zu schicken wo er hergekommen ist…“
Theresa schien sich um einiges wohler zu fühlen als zu Beginn ihres Gesprächs, was ziemlich überraschend war, wenn man das emotionale Thema bedachte, was sie besprochen hatte. Es schien ihr ehrlich leid zu tun, zumindest im Moment nicht mehr tun zu können. „Ich würde gerne helfen, aber im Moment fällt mir nichts ein. Vielleicht können Gretlin und Gerrit helfen, jetzt wo wir wissen wonach wir suchen müssen, aber zumindest wissen wir jetzt etwas mehr.“
Alida nickte. „ich hoffe, dass den anderen etwas einfällt.“ Sie zögerte. „Ich bin Händlerin, Drache, Familienvorstand, wenn man so will, aber eines bin ich ganz gewiss nicht: Mystikerin, Magier oder was auch immer. Ich mag Dinge, die man anfassen kann, die real sind. Dieses Okkulte ist für mich oft einfach nur unbegreiflich und kaum fassbar.“ Sie lachte. „Das ist das Spezialgebiet von anderen: Gerrit, Gretlin, von euch.“

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 Betreff des Beitrags: Re: Eisen und Blut
BeitragVerfasst: Do 17. Aug 2017, 21:28 
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Theresa schaute ihre Gesprächspartnerin mit wachen Augen an. „Ich habe eine Frage an euch Alida und ihr müsst diese nicht beantworten, wenn ihr nicht wollt.“ Die Tremere duftete leicht nach etwas Süßlichem. „Fürchtet ihr das Übernatürliche und Zauberei? Oder lehnt ihr diese Facette unserer Welt aus anderen Gründen ab?“
Alida musterte die Frau, die ihr gegenübersaß lange mit leicht zusammen gekniffenen Augenbrauen, überlegend, ob sie so viel über sich selbst vor Theresa preisgeben wollte. „Das Übernatürliche, oder Magie, Okkultes, oder wie auch immer ihr es bezeichnen wollt, gehört nicht in die Welt in die ich geboren und hineingewachsen bin. Sie ist eine Größe, die in der Lage ist, das, was mir wichtig ist zu bedrohen und das mag ich nicht zuzulassen. Ich könnte wie so manch andere versuchen, meine Nächte in düsteren Bibliotheken verbringen in der Hoffnung, mir irgendwann einbilden zu können, diese Mächte begreifen oder gar beherrschen zu können, aber ihr, Theresa, als Tremere, wisst um so vieles besser als ich, dass das nichts als Anmaßung wäre. Weder ihr noch ich sind oder wären jemals in der Lage diese Kräfte wahrhaft zu durchschauen oder sie anwenden zu können, wie so mancher Magus erkennen musste, nachdem er den Kuss erhielt. Ich bevorzuge Dinge, die ich anfassen kann, Schiffsrouten, die ich überblicken kann, Gespräche mit anderen Händlern, die mich übers Ohr hauen wollen, wissend, dass ich genau das gleiche mit ihnen vor habe. Das ist meine Welt.“ Sie seufzte kaum hörbar
Die Tremere nickte leicht während sie ihre schlanken Hände ineinanderlegte und für einen Moment die Augen schloss. „Ich weiß, was ihr meint und kann eure Gedankengänge nachvollziehen. Trotzdem würde ich euch gerne ein Wort der Warnung mit auf den Weg geben, eines das ich dieser ganzen Domäne gerne mitgeben würde.“ Theresa Stimme wurde ein wenig leiser, ganz so als würde sie vermeiden wollen, dass man ihr Gespräch belauschen konnte. „Wenn dieses Wesen wirklich Interesse an der Stadt oder ihren Bewohner hat, dann dürft ihr euch nicht vor ihm verschließen. Es wird auf Schwäche warten, einen Moment seine Agenda voranbringen zu können und auch wenn man es nicht kontrollieren oder Berühren kann ist es trotzdem sehr real. Bitte behaltet das immer im Hinterkopf.“ Die Tremere lehnte sich zurück und stand dann auf. „Aber was auch immer dort draußen lauert, es ist nicht allmächtig. Jeder Dämon, jedes übernatürliche Wesen und jeder Geist sind irgendwie verwundbar.“ Sie nickte ihrer Gesprächspartnerin zu. „Wenn ihr keine Fragen mehr habt, Alida, würde ich mich jetzt zurückziehen. Ich werde mich mit Gerrit und Gretlin besprechen und dann gemeinsam mit ihnen die Archive durchsuchen. Vielleicht finden wir einen Hinweis der uns weiterhilft.“
Die Frau in der roten Gewandung überlegte und schüttelte schließlich leicht mit dem Kopf. „Mein Erzeuger liebte das Meer und das Wasser. Die unbändige Kraft von Stürmen und Regen, sowie die klirrende Kälte von Winter und Eis. Aber ich gebe zu, das hilft uns nicht viel weiter. Ansonsten können wir nur hoffen, dass das Wenige was von seinen Aufzeichnungen übrig ist irgendwelche Hinweise liefern wird. Das meiste ist unvollständig, zerstört oder beschädigt. Wenn es nicht ganz und gar verschwunden ist. Die Kriege der letzten Jahre und die Zerstörung der Drachenfeste haben diesem Wissen nicht gutgetan.“ Die Tremere war noch nicht fertig. „Das Gildehaus wurde damals auf einem magischen Kraftknoten von relativ beträchtlicher Macht gegründet. Zu einer Zeit als die Stadt nicht mehr als ein Weiler war. Von der magischen Kraft dieses Ortes ist nicht mehr viel übrig, ebenso wenig von den damaligen Gebäuden, aber es würde sicherlich nicht Schaden die Suche auch an diesen Ort auszuweiten.“
Alida nickte. „Ich werde mich noch heute Nacht dorthin begeben, auch wenn ich bezweifle, dass jemand wie ich in der Lage sein mag, dort irgendwelche Zeichen zu erkennen, selbst wenn sie in Rot leuchtender Schrift direkt vor meinen Augen erscheinen würden.“ Das kurze selbstironische Grinsen verschwand nach einem kurzen Augenblick wieder. „Wahrscheinlich würde es mehr Sinn machen jemanden dort suchen zu lassen, der überhaupt weiß, wonach er überhaupt suchen sollte. Auf der anderen Seite freut sich der Dämon insgeheim sicher, wenn er mir erneut begegnet und mich mit den Gesichtern der mir Vertrauten irritieren kann.“ Sie erhob sich aufbruchsbereit.
„Schaut euch ruhig dort um. Ein paar mehr Augen schaden sicherlich nicht, insbesondere wenn sie nicht blind wie jene sind, die manchmal den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen.“ Theresa ging langsam in Richtung Tür. „Es muss einen Grund geben, warum der Dämon so an euch interessiert ist und warum er die Gesichter von jenen annimmt, die euch bekannt sind, oder zumindest bekannt waren." Die Tremere stieß einen tiefen Seufzer aus. "Ich gebe zu, die Situation ist einzigartig und deckt sich mit keinem Bericht, den ich über diese Wesen kenne, auch wenn ich keine Expertin bin, wie ich bereits sagte. Seid nur vorsichtig.“
Alida straffte die Schultern. „Ich kann euch eines sagen: Was auch immer Übersinnliches daherkommt: Es würde wahrscheinlich ohne jeglichen Aufwand gegen mich triumphieren: Mit einer Ausnahme: Das hier ist Brügge!“ Sie nickte bekräftigend. „Habt Dank für die Mühe, die ihr habt. Ich hoffe, ihr findet das Wissen, das euch hilft die damaligen Beweggründe eures Erzeugers zu verstehen.“
Mit einer letzten Verbeugung bedankte sich Theresa und verließ dann das Elysium in Richtung der dunklen Nacht. Stille kehrte wieder in dem warmen, einladenden Raum ein und Alida war mit ihren Gedanken allein.
Alida kaute mehrere Minuten nachdenklich auf ihrer Unterlippe, ließ alles Gesagte in ihrem Kopf Revue passieren. Sie musste aufbrechen. Auch wenn sie gerne jemanden mitgenommen hätte, wollte sie keine Zeit vergeuden und auf der anderen Seite auch niemanden in diese Misere mit hineinziehen. Außer Gretlin und Gerrit, mit denen Theresa bereits die Archive durchsuchen wollte, kam ihr niemand in den Sinn, der ihr zu helfen vermochte. Vielleicht wäre Konstantin in der Lage, aber der befand sich derzeit in Gent. Sie griff nach ihrem Mantel, legte ihn um die Schultern und verschloss die Schnalle vor der Brust. Es wurde Zeit das alte Gildenhaus aufzusuchen.
Die dunkle Nacht umschloss Alida schließlich wie ein ausladender Mantel. Es war Ruhe in die Stadt eingekehrt und selbst die letzten Nachtschwärmer, die sich ihre Zeit in den immer gut besuchten Tavernen der Stadt vertrieben, machten sich langsam auf den Weg nach Hause. Entweder weil sie genug getrunken, oder ihr Silber beim Würfeln verspielt hatten. Es dauert nicht lange bis Alida das Gelände erreichte auf dem einst das Gildehaus von Orlando Oriundus gestanden hatte. Früher erhob sich hier eine beinahe zweieinhalb Meter hohe Mauer, die ein altes Herrenhaus von der eigentlichen Stadt getrennt hatte. Der damalige Gildenmeister wollte sich nicht bei seinen perversen Experimenten stören lassen und erst als er den endgültigen Tod gefunden hatte, wurde die steinerne Grenze eingerissen. Überhaupt hatten die Kainiten Brügges die Gebäude durchsucht, entkernt und schließlich Teile des alten Herrenhauses abgerissen. Das Herz des Gildehauses war eine alte Kapelle, die erneut geweiht wurde und einem Priester unterstellt wurde. Trotz der Lage im Kern der Stadt hatte sich nie eine sonderlich große Gemeinde in dem alten Gemäuer eingefunden. Überhaupt hatte dieser Block der Stadt einen üblen Ruf und alte Großmütter sprachen am Feuer von Unglück und Flüchen, die die alten Gemäuer heimsuchten. Schließlich ragte die alte Kapelle vor Alida auf. Es brannten keine Kerzen und auch in den umliegenden Fenstern konnte man keine Bewegungen mehr ausmachen. Alida war allein, oder zumindest konnte sie im Moment niemanden anders ausmachen. Weder Mensch noch Dämon.
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„Nun denn“, stieß sie flüsternd hervor. „So hast du, alter Griesgram, doch noch deine kleine Rache hier hinterlassen, Oriundus. Was um alles in der Welt hast du erwartet als du die Blutjagd auf uns hast ausrufen lassen? Auch Welpen werden beißen, wenn man versucht sie zu ertränken.“ Sie stießt erneut ein leichtes Seufzen aus, dann griff sie mit der Hand nach der Klinke der Kapelle und drückte diese nach unten.
Die Tür war zu Alidas Überraschung nicht einmal verschlossen. Es war offensichtlich, dass weder der zuständige Priester noch sonst jemand sich sonderlich für die Kapelle zu interessieren schien. Außerdem gab es hier wohl auch nichts zu stehlen, nicht einmal Kerzen oder auch nur ein wenig Messwein. Das hölzerne Portal öffnete sich knarrend und gab den Blick in ein kleines Kirchenschiff frei. Sechs Reihen mit groben Holzbänken, die in Richtung eines schmucklosen Altars standen, waren alles was man in dem rechteckigen Raum sehen konnte. Nichts erinnerte mehr an den Kampf gegen das Wasserelementar, welches sich ihnen damals hier in den Weg gestellt hatte. Überall war Wasser gewesen, Aufzeichnungen und Bücher. Auch an Kerzen und allerlei okkulte Gegenstände konnte sich Alida erinnern, aber nichts davon hatte die Jahre überstanden. Draga hatte viel mit in ihre Drachenfeste genommen und ein Teil war in den Katakomben gelagert worden. Alles andere...nun niemand hatten einen wirklichen Überblick was einmal in diesen Hallen gelagert worden war und die meisten Kainiten waren einfach nur froh gewesen, dass die Gefahr aus dem Herzen der Stadt endlich verschwunden war. Trotz der spartanischen Einrichtung war der Raum nicht leer, wie Alida nach kurzer Zeit erkennen konnte. In der ersten Reihe des Raumes saß eine Gestalt. Die Tzimisce konnte nicht viel erkennen, außer dass es sich wohl um einen Mann handelte, der ohne sich zu bewegen in Richtung des Altars starrte.
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Sie blinzelte überrascht. Ein Besucher zu dieser späten Nachtzeit? Sie schlug das Kreuzzeichen und trat ins düstere Innere. Vorsichtig sah sie sich um und schritt dann langsam durch die Bankreihen nach vorne um schließlich wohl eineinhalb Meter neben der Gestalt zu Stehen zu kommen. Fragend betrachtete sie den Besucher.
Ein bekanntes Gesicht, dessen Mimik doch so fremd war schaute Alida mit ihren so einzigartig gefärbten Augen an. Es war beinahe als wollte sein Mund sich ein Lächeln abringen, schien aber nicht so richtig zu wissen, wie er diesen Gesichtsausdruck zustande bringen sollte. „Ich freue mich dich wiederzusehen, Alida van de Burse.“ Es war Alida sofort klar, dass es sich hier nicht um ihren Erzeuger handelte.
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Alida schloss für einen langen Moment die Augen, kämpfte das dumpf pochende Gefühl in sich nieder. Der Anblick ihres Erzeugers berührte sie schon allein wegen dem Blutsband immer mehr als wohl für sie zuträglich war und auch der Dämon in Emilians Gestalt ließ sie nicht unberührt, auch wenn sie es sich vor allem in diesem Moment gewünscht hatte. Sie schluckte, grüßte dann mit einem langsamen Nicken und nahm in der Bank neben dem Besucher Platz. „Du liebst es mich zu irritieren, Dämon. Und interessanterweise weißt du, wie dir das gelingt… So, ich bin noch immer hier in Brügge, genau wie du. Du wirst wohl nicht eher Ruhe geben wollen, bis du Oriundus alte Feinde ein für alle Mal vernichtet hast, nicht wahr? Und wir werden versuchen es dir so schwer wie möglich zu machen, aber das weißt du natürlich. Oriundus hat uns damals unterschätzt…“
Die Gestalt neben starrte sie nur an, für eine beinahe unangenehm lange Zeit und doch er schien über jedes ihrer Worte nachzudenken. „Nein.“ Nach diesem einen Wort und ohne weitere Erklärung verfiel er wieder in Schweigen bevor er überraschend wieder das Wort ergriff. „Ich glaube nicht, dass ein Kampf zwischen uns noch nötig ist.“ Es fand sich kein Funke von Emotion in der Stimme der Erscheinung. Lediglich Distanz und pure Nüchternheit.
Sie unterließ es, auf sein ‚Nein‘ einzugehen und zu fragen, auf welche ihrer Aussagen es sich bezog. „Warum nicht? Warum ist der Kampf nicht mehr nötig?“
„Weil Orlando Oriundus nicht mehr ist und du mir eine neue Aufgabe gegeben hast.“ Die Stimme die Alida antwortete, veränderte sich leicht und erinnerte sie an ein Elternteil, das seinem Kind etwas zu erklären versuchte. „Du hast mich in dich aufgenommen und mir deine Welt gezeigt.“
Alida unterdrückte das panische Gefühl, das in ihr aufkommen wollte und stellt mühsam mit erzwungener Beherrschung die entscheidende Frage. „Und was ist nun deine neue Aufgabe?“
Die Augen, die Alida so gut kannte, die ihr so vertraut waren, starrten sie ein weiteres Mal an. Direkt in ihre Seele, aber im Gegensatz zu ihrem Erzeuger ohne Wärme, ohne Zuneigung oder Liebe. Sie waren leere Seen ohne einen Funken von Vitalität, die man selbst bei den untoten Kainiten fand. „Ich werde leben. Ich werde Asche und Rauch eines Feuers riechen, Stoffe und Seide mit meinen eigenen Fingern spüren, werde das Rauschen des Windes in den Bäumen hören. Ich werde leben und all die Dinge, die ich gesehen habe selbst erleben und nicht nur aus Erinnerungen der Toten kennenlernen.“
Alida stutzte. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass ein Dämon Interesse an solchen Dingen hatte. Nach allem, was sie von diesen Wesen wusste, was zugegebenermaßen nicht viel war. Sie wüsste nur zu gerne, warum und wie dieses Geschöpf ‚dachte‘, aber sie wusste, dass sie auf eine klare Frage danach wohl keine Antwort erhalten würde. Sie würde ihre Fragen bewusst hintereinander stellen müssen, wenn sie überhaupt etwas erfahren wollte, dass sie verstehen konnte. „Du kannst die Erinnerungen von Toten sehen?“
„Ich weiß alles, was jene die die Schwelle überschreiten, gewusst haben. Kenne ihre Erinnerungen, ihre Träume, Hoffnungen und Wünsche. Sie sind alle gleich, wenn sie ihre letzte Reise antreten. Voller Bedauern, Erleichterung. Manchmal friedlich, manchmal kämpfend, klagend – alles leugnend und doch immer gleich.“ Die Erklärung kam wieder ohne Emotion. Eher wie eine schlichte Beobachtung über den Zustand des Wetters, das man erlebte oder den Zustand einer Straße über die man reiste.
„Warum weißt du das? Was für ein Wesen bist du?“ Sie sah das vertraute Gesicht, das doch so fremd wirkte, an.
Zum ersten und einzigen Mal schien Alidas Gesprächspartner wirklich überrascht und interessiert an ihrem Gespräch. „Ich bin Gedanke, Erinnerung und Ende dieser Lande. Der Kapuzenträger und der scharlachrote Bote. Ich reise mit jenen, die ihre letzte Reise angetreten haben, bin der Mitleidslose und der Hüter des Schleiers. Man nennt mich den letzten Wächter und blutroten Vater. Ich bin der schwarze Rächer, Beschützer der Menapii, der rote Weber und die trauernde Witwe. Der Gott des Todes und der Hoffnung.“ Stille breitete sich wieder in der kleinen Kapelle aus und doch spürte Alida für einen Moment, wie sich ihre Umgebung veränderte. Es war als würde die Zeit für einen Moment Still stehen, das Holz auf dem sie saß ächzten und die Pfeiler und Säulen der kleinen Kapelle beben. Doch all dies schien nur eine Illusion zu sein.
Verwirrt und als wolle sie es nicht glauben, schüttelte sie langsam den Kopf. „Wenn du ein solches Wesen bist, dann vermag ich nicht zu verstehen, wieso du in die Dienste eines gewöhnlichen Kainiten, Orlando Oriundus, getreten bist?“
„Orlando Oriundus brachte mich zurück von der Schwelle des Vergessens. Ich habe geschlafen, so lange geschlafen und er hat mich zurückgebracht. Ich gewährte dem Zauberer für seine Dienste eine Intervention und er wünschte sich das Ende aller Untoten außer sich selbst in dieser Stadt. Aber er wusste nicht, dass die Stadt beschützt war. Dass jene, die wie ich sind, keine Macht und keinen Zugriff auf sie hatten. Behütet von uralten Wundern, die älter sind als ich selbst.“ Die Gestalt starrte zum Altar und ließ die Worte im Raum verhallen. „Nach meinem langen Schlaf war ich nicht mächtig genug um mich in der Stadt zu bewegen und erst nach Jahren war ich in der Lage frei zu wandern. Orlando hatte den endgültigen Tod gefunden und doch war ich neugierig, wer die waren, die er unbedingt dem gleichen Ende, der finalen Gnade zuführen wollte.“ Der Geist, Dämon oder Gott, was auch immer er war verstummte wieder. Alida hörte die Geschichte, die mit einer ihr so bekannten Stimme erzählt wurde und doch erinnerte sie sich an etwas. Götter, übernatürliche Wesen und Geister waren nicht alle gleich stark. Im Gegenteil. Manche und dazu gehörten vor allem jene, die sich als Götter bezeichneten gewannen Kraft aus dem Glauben der ihnen entgegen gebracht wurde. Der Gedanke nistete sich in ihrem Kopf ein und Alida konnte vermuten, dass auch dieser Schemen Macht und Einfluss durch Glauben der Sterblichen gewann.
Sie zögerte, welche Frage sie als nächstes stellen sollte. „Da du nun nicht mehr unsere Vernichtung anstrebst, was strebst du dann an, wenn du zu fühlen vermagst und das dein Ziel ist?“
„Zu fühlen und zu schmecken. Zu riechen, zu hören und mit eigenen Augen zu sehen ist mein Ziel. Ich werde unter den Lebenden wandeln und jene belohnen, die mich verehren.“ Die Erscheinung schaute Alida einmal mehr direkt an. „Du hast dir eine Position unter meinen Ergebensten verdient. Dürftest mir dienen als Hohepriesterin und Vertraute und ich würde dich reich belohnen.“ Die Worte verbreiteten sich in der kleinen Kapelle und das Kreuz an dem Jesus zu leiden schien, wirkte plötzlich als würde Licht darauf falle. Die geborgten Augen von Emilian Belinkov bohrten sich in den Sohn Gottes. „Ein Mann, der auferstanden ist. Ein Mann der tausende, zehntausende bekehrt hat und doch ist es so selbstsüchtig.“ Der Blick richtete sich wieder zu Alida. „Ich kann dir deine Lieben wiedergeben, Alida. Jene die durch Alter, Krankheit und Tod die Schwelle überschritten haben. Ich habe all jene gesehen von denen du dich verabschieden musstest in deinem langen Leben. Mit meiner Hilfe können sie die Schwelle wieder überschreiten, könnten zu dir zurückkehren. Dein Vater, deine Mutter. Dein Bruder und deine Schwester. Sie könnten dem Vergessen des Todes entrissen werden mit einer Bitte, einem Gebet aus deinem Mund, Alida van de Burse.“
Alida dachte einen Moment über seine Worte nach und die brennende Sehnsucht nach denen, die sie hatte zurücklassen müssen griff fest nach ihr. Dann schüttelte sei den Kopf. „Das hier ist nicht mehr ihre Welt. Sie gehören hier nicht her. Sie sind gestorben mit dem festen Gedanken an das Reich Gottes. Und auch wenn ich ihnen dorthin niemals folgen kann, hätte ich doch kein Recht sie zurück zu mir zu reißen. Bezahlst du deine Gläubiger nicht mit etwas, das du eigentlich nicht zu verschenken hast? Du bringst die Seelen der Verstorebenen in die andere Welt, aber hast du das Recht sie zurück zu holen. Auch wenn sie das vielleicht nicht wollen?“ Sie ließ die Worte im Raum stehen, bedurften sie doch eigentlich keiner Antwort. „Deine Gläubiger verbreiten Mord und Totschlag, foltern und richten hin. Das ist kein Glaube, der sich zu glauben lohnt.“
„Es gibt nichts hinter dem Schleier. Kein Paradies, kein Reich Gottes, keine elysischen Felder oder ewigen Sommer. Nur Vergessen. Nur das Nichts. Nur die Dunkelheit. Das Reich der Toten ist einsam, grau und letztendlich leer.“ Der Schemen drehte sich zu Alida, dieses Mal mit dem Oberkörper und nicht nur dem Kopf. Trotzdem bewegte sich nichts, man konnte kein Rascheln der Kleidung hören, kein Zeichen, dass der Mann neben ihr wirklich hier war. „Du könntest das verändern, Alida. Könntest sie auf den rechten Weg zurückbringen. Ich verlange diese Taten nicht von jenen, die mich verehren, belohne sie nicht. Sie sind noch immer Menschen oder Untote und alles was sie tun, tun sie aus eigenem Antrieb, aus eigenen Motiven. Es gibt etwas dunkles, einen Fleck, eine Krankheit, die in den Menschen lebt und die nur darauf wartet ausbrechen zu dürfen. Aber es braucht keinen Gott um diese zum Ausbruch zu bringen. Im Gegenteil: diese Plage wird genährt von Neid, Gleichgültigkeit, Hochmut und Kaltherzigkeit.“
Alida schluckte schwer bei den Worten des fremden Wesens. „Gib mir einen Beweis, dass dort nichts ist. Kein Reich Gottes, keine Hölle, keine Wiedergeburt, was auch immer…“

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 Betreff des Beitrags: Re: Eisen und Blut
BeitragVerfasst: Do 17. Aug 2017, 22:24 
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„Schau mich an Kind von Kain.“ Die Aufforderung klang trotz ihrer Formulierung weder wie Befehl noch wie Bitte. Es wirkte mehr wie ein Vorschlag oder ein Geschenk das der Gott Alida machte. „Du bist etwas Besonderes. Du hast die Schwelle überschritten und bist zurückgekehrt. Das Blut und der Fluch der durch deine Adern pulsiert bewahrt dich vor dem Vergessen und der Dunkelheit das alle anderen durchleiden müssen und doch bist du gestorben.“ Es war das zweite Mal an diesem Abend, dass die Tzimisce so etwas wie Emotion in der Stimme ihres Gegenübers vernehmen konnte. „Du hast den Schleier bereits einmal durchschritten, warst tot bevor die Vitae der Kainiten dich erhoben hat. Trotzdem hast du die andere Seite gesehen. Sag mir Alida haben deine Lieben dort auf dich gewartet? Standen sie bereit um dich ins Himmelreich zu geleiten? Hatten sie Flügel wie Engel und hast du den ewigen Frieden den die Kirche und so viele andere Religonen predigen sehen oder fühlen können?“ Die Stimme ihres Gegenübers wurde leiser. „Oder war da nur Stille und Dunkelheit bevor du ins hier und jetzt zurück zurückgekehrt bist?“ Vom Tonfall des Gottes war klar das er keine Antwort verlangte. Alida sollte sich diese Frage selber beantworten, sollte den Moment nutzen um ihre Gedanken zu ordnen. „Ich wünschte ich könnte dir mehr geben, dir mehr zeigen. Dinge die du am eigenen Leib erfahren kannst um dich zu überzeugen. Aber auch mir sind Grenzen gesetzt. Dein Fluch ist älter und mächtiger als ich es bin. Ich kann ein Teil von dir sein wenn du mich in dich aufnimmst. Kann jene Dinge sehen und wissen die dich begleitet haben als du noch sterblich warst. Bis zu jenem Moment an dem dein lebendes Herz das letzte Mal geschlagen hat. Aber nun bist du weit von mir entfernt, liegst außerhalb dessen worüber ich Macht besitze. Ich könnte dir kein zweites Leben schenken selbst wenn ich es wollte und genauso wenig könnte ich dir einen zweiten Tod herbeiwünschen. Dein Fluch hält dich zwischen Leben und Tod, außerhalb der Domäne von jenen die das eine oder das andere beherrschen. Nur ein endgültiger Tod, die Vernichtung deines irdischen Körpers und die damit verbundene Trennung von Geist und Vitae die durch deine Adern fließt kann dieses feine Geflecht aus Sein und nicht Sein auflösen.“ Die Gestalt streckte eine Hand aus schien Alida berühren zu wollen, hielt aber eine Handbreit bevor es zu einer Berührung kommen könnte inne und starrte stattdessen auf jene Finger die nicht ihm gehörten. Ganz so als käme ihm zum ersten Mal ein Gedanke als er mit offensichtlichem Interesse die schlanken Finger betrachtete „Ich möchte dich nicht verletzten Alida van de Burse. Weder physisch noch psychisch. Möchte dich nicht irritieren wie du selbst gesagt hast. Trotzdem kann ich nur die Gestalt von jenen annehmen die einmal gestorben sind. Ich habe unendlich viele Formen und keine.“ Er zog seine gerade betrachtete Hand zurück als hätte er sich verbrannt oder etwas realisiert. „Wünscht du eine andere Erscheinung lieber? Jemanden den du kennst? Jemand der dir völlig fremd ist? Ich bin nicht hier um dir Schmerz zu bereiten. Jetzt nicht mehr.“ Der Mond musste inzwischen aufgegangen sein, denn fahles Licht durchflutete die kleine Kapelle und verlieh ihr einen silbernen Glanz.

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 Betreff des Beitrags: Re: Eisen und Blut
BeitragVerfasst: Sa 19. Aug 2017, 17:33 
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Alida saß lange Zeit schweigend neben der ihr fremden Gestalt, überdachte die Worte, die sie aufrüttelten, teilweise verwirrten und sie unschlüssig zurück ließen. Ihre Stimme war ruhig als sie sich schließlich zu dem Wesen umwandte, vorsichtig nach dessen Hand griff, wohl wissend, dass sie nur hindurch fassen würde. Die Geste allein musste genügen.
„Nimm die Gestalt an, die dir am liebsten ist, wenn dir das beliebt. Gestalten sind wandelbar. Derjenige dahinter ist es, der zählt.“ Sie seufzte bei diesen fast schon kitschigen Worten, auch wenn sie sie ernst meinte. „Ich erinnere mich nicht an die Welt, die hinter dieser folgt. Aber es muss dort etwas anderes als das Nichts geben. Wie sonst wärest du in der Lage jemanden von dort zurück zu holen? Vielleicht wissen wir beide nicht wirklich, was dahinter liegt. Und was könntest du zurück bringen? Die Seele? Den Körper? Erinnerungen? Gefühle?“ Sie schüttelte den Kopf. „Diejenigen, die wir geliebt haben, kann niemand wahrhaft zurück holen.“ Alida sah ihrem Gegenüber fest in die Augen. „Ich möchte nicht, dass du jemanden zurück bringst. Aber ich verstehe deinen Wunsch zu leben, zu schmecken, riechen, fühlen, sehen nur zu gut. Wenn ich dir dabei helfen kann, dann sag mir wie.“

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 Betreff des Beitrags: Re: Eisen und Blut
BeitragVerfasst: Sa 19. Aug 2017, 22:20 
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Alida konnte wie zu erwarten war keine physische Präsenz ihres Gegenübers spüren, auch nicht nachdem sie ihre Hand nach ihm ausgestreckt hatte. Trotzdem überkam sie für einen Moment ein Gefühl von irritierender Vertrautheit. Sie hatte, wenn auch eigentlich unfreiwillig ihren Körper mit der Erscheinung geteilt und an diesen Zwischenfall erinnerte sie die schemenhafte Berührung zurück. Es war als wollte man sich an ein Gesicht ins Gedächtnis rufen, eines das man mit einen bekannten Namen verband an den man sich allerdings auf Teufel komm raus nicht erinnern konnte. Ohne ein weiteres Wort nahm die Gestalt vor ihr eine andere Form an. Es war keine langsame Änderung und auch kein Verschieben von Fleisch. Ein Vorgang der ihr auf so verstörende Art und Weise vertraut war, sondern eher eine ganz plötzliche Veränderung. Ein einziger Moment des Blinzelns, oder eine Unachtsamkeit hatten die Gestalt vor ihr verändert. Alida blickte nun nicht mehr in die irritierend leeren Augen ihres Erzeugers, sondern in die einer blutjungen Frau. Schwarze Pupillen starrten sie aus einem tiefblauen Meer mit grünen Flecken an, beinahe wie Seerosen auf einem klaren Bergsee. Das ebenmäßige, junge Gesicht wurde von rot-goldenen Haaren umrahmt welche sich in Locken bis zu ihrem Gesäß ergossen. Auch Sommersprossen konnte Alida erkennen, ebenso einen feinen Kopfschmuck aus Blumen und reifen Kornähren die mit komplizierten Mustern ins Haar geflochten wurden. Irgendwie wurde die gesamte Haarpracht von einem kunstvollen Kamm zusammengehalten, der gülden in der wallenden Mähne glänzte. Es schien beinahe irritierend das man die reiche Ernte des Herbstes die der Gott nun trug weder riechen noch berühren konnte. Trotzdem wirkte alles beinahe ein wenig zu perfekt. Das schmückende Korn, die klaren Augen und die makellose Haut schienen eher ein Märchen und keinen lebenden Menschen als Grundlage zu haben. Die Stimme mit der die Tzimisce angesprochen wurde, war plötzlich eine ganz andere. Wie goldener Honig, schwer und süß erfüllte sie das Innere der kleinen Kapelle und hatte doch etwas jugendlich-mädchenhaftes. „Du hast dir die Gestalt gewünscht dir mir am liebsten ist Alida van de Burse. Das ist sie.“ Die Frau die mit Alida sprach, schloss für einen Moment die Augen und atmete tief ein, auch wenn sich die Brüste unter dem weißen Kleid kein Stück bewegten.

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„Dieser Körper ist der erste und einzige der den Schleier durchschritten hat ohne Gedanken und Erinnerungen für mich zu hinterlassen. Ihr ganzes Wesen war mir verschlossen und ließ mich mit einem Gefühl zurück welches ich bis dahin nicht kannte. Neugier. Ich weiß nicht wer sie ist. Weiß nicht ob sie je so ausgesehen hat. Es ist unwahrscheinlich, denn ich forme meine Erscheinung meistens aus den Wahrnehmungen und Emotionen derer die den Schleier passiert haben. Nicht so hier, denn hier verlasse ich mich nur auf mich. Dieser Körper mag echt sein, oder ein Konstrukt. Er ist vielleicht ein Versuch meiner Selbst diese, meine erste wirklich eigene Erinnerung zu beschützen und zu erhalten.“ Der Gott griff mit seiner neuen, weiblichen Hand nach der von Alida und die schneeweißen Finger schienen kurz zu flackern als sie durch Alidas untotes Fleisch fuhren. Das vertraute Gefühl des Kennens und doch nicht Erkennens kehrte für einen kurzen Moment zurück. „Ich weiß nicht wer diese Frau war, die wie so viele vor und nach ihr gestorben ist. Aber genau das macht sie zu etwas Besonderen. Ich kenne die Geheimnisse, Beichten, Bedauern, Hoffnungen und Perversionen all jener die die letzte Reise angetreten haben. Außer die von ihr. Das macht diese Gestalt für mich zu etwas Besonderem, denn es erlaubt mir ihre Geschichte ein jedes Mal aufs neue in meinem Geist zu erfinden.“ Alidas neue Begleiterin fiel für einen Moment in Schweigen und sprach erst einige Moment später wieder. „Du bist ungeduldig Alida van de Burse. Aber es gibt keinen Grund dafür. Ich werde alle deine Fragen beantworten denn auch wenn wir beide nicht unzerstörbar sind, so sind wir zumindest unsterblich und haben Zeit.“ Die Stimme die nun mit der Tzimisce sprach, war unbestreitbar weiblich, doch noch immer hallte ihr die kalte, klare Logik und Nüchternheit nach wie schon zuvor. „Bevor ich deine Fragen weiter beantworte habe auch ich eine solche wenn du erlaubst. Warum fürchtest du das Nichts so sehr? Du kannst dir eine Hölle voller grausamer Pein und Bestrafung vorstellen. Aber es ist Endlichkeit und die ewige Dunkelheit des Vergessens das dich mehr zu entsetzen scheint als ewige Folter und Schmerz.“ Die grün-blauen Augen schauten Alida mit neugierigem Interesse an. Trotzdem schienen Ernsthaftigkeit, sowie Jugendlichkeit nicht gänzlich mit der mädchenhaften Schönheit und Lebenskraft dieser neuen Gestalt zusammenpassen zu wollen.

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 Betreff des Beitrags: Re: Eisen und Blut
BeitragVerfasst: Mo 21. Aug 2017, 19:09 
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Alida stutzte einen Moment um dann lange über die Worte der neuen Gestalt nachzudenken. Sie lauschte dem leisen Flackern des ewigen Lichtes, das in einer der Ecken langsam vor sich hin brannte. Dann nickte sie. „Es stimmt- Ich fürchte das Nichts um so Vieles mehr als Einsamkeit, Vergessen oder Milliarden Jahre ewige grauenhaft Folter in der Hölle. Jahrtausende lange Qualen mögen eines Tages, wenn sich Himmel, Hölle, Menschen, Tiere, Gott oder der Teufel wandeln mögen, vorbei sein, Wiedergeburt würde die Möglichkeit eines Neubeginns mit sich bringen, in dem man, wie es in einem Leben üblich schöne und traurige Momente geben muss. Aber wäre dort Nichts, pures bloßes Ende allen Seins am anderen Ende, das zwangsläufig über die Ewigkeit, die vor uns liegt Alles, wirklich alles, jedes Leben, jeden Baum, jedes Sandkorn, jeden Lichtstrahl vernichten würde, dann wäre alles vergebens. Alles was wir tun, alles was wir sind, alles für das wir kämpfen, lieben oder sterben. Wenn alles zwangsläufig in dieses Nichts folgt hinter dem kein Himmel, keine Hölle warten, kein Gott und kein Wesen, das nur einen einzigen Gedanken daran verschenken könnte, wie schön diese Welt, dieses Leben und alles doch gewesen sein mochte.
Selbst wenn mir ein paar mehr Jahre oder Äonen geschenkt werden, würden alle die ich liebe sowie diejenigen, die ich nicht kenne vergehen. Was würde es noch bedeuten jemandem zu helfen, für jemanden da zu sein, das Schwert zu erheben oder ein Wort des Friedens zu sprechen? Alles wäre vergebens, weil am Ende auf alles nur Nichts wartet. Und selbst wenn ich diesen Gedanken verdrängen würde, mich nur auf die nächsten Jahrhunderte konzentrieren würde, wie wäre es mir dann je möglich irgendjemanden friedlich sterben zu lassen, wenn ich doch wüsste, was am anderen Ende des Vorhangs lauert, und dass dort diese Person für immer vergangen wäre?“ Sie schluckte schwer und fixierte dann das Wesen. „Wenn du in der Lage bist jemanden von dort zurück zu holen, dann kann dort nicht das Nichts warten.“
Sie sah die Gestalt des Mädchens an und wirkte traurig. „Es ist nicht recht, Seelen aus der anderen Welt zurück in die der Lebenden zu holen. Du tust es als Bezahlung für das, was du Glauben nennst. Aber ist es das wirklich?“

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Der Weg zum Ziel beginnt an dem Tag, an dem du die hundertprozentige Verantwortung für dein Tun übernimms.
Dante Alighieri


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 Betreff des Beitrags: Re: Eisen und Blut
BeitragVerfasst: Do 24. Aug 2017, 12:42 
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Die Gestalt der jungen Frau lauschte Alida aufmerksam und wirkte trotz der Tatsache, dass sie keine Miene verzog irgendwie traurig. “Du bist unsterblich Kind, aber du denkst noch immer wie eine Sterbliche.” Zum ersten Mal stand der Gott auf und bewegte sich genauso lautlos und ätherisch wie zuvor auf den Altar mit dem gekreuzigten Heiland zu. Sie blieb davor stehen und betrachtete die Holzfigur lange. “Ihr fürchtet den Tod so sehr, dass ihr das Hier und das Jetzt vergesst. Alle Sterblichen haben die Tendenz dazu. Wie viele Gräber, Mausoleen und Totenstädte gibt es, die größer und prächtiger sind als die der Lebenden? Wie viele Menschen vergessen es die ihre Aufmerksamkeit ihren Kindern und Enkeln zu schenken, weil sie versuchen dem Tod einen Moment länger zu entgehen.” Die Stimme der jungen Frau schnitt glockenhell durch die Dunkelheit. “Alles vergeht da hast du Recht und alles geht ins Nichts ein. Trotzdem macht es jeden Unterschied das Schwert zu erheben und ein Wort des Friedens zu sprechen. Zu helfen und für andere da zu sein ist essentiell wenn man lebt, denn diese Dinge werden nicht für jene getan die sterben, sondern für jene die danach kommen. Jene die noch geboren werden und das größte Geschenk aller erhalten. Nämlich ein wahres, ein echtes Leben zu leben.”

Bild

Die Frau drehte sich zu Alida um, versuchte wieder ihrer jugendlichen Mimik ein kleines Lächeln abzuringen. Während das weiße Kleid und das goldene Haar im ewigen Licht zu leuchten schienen. “Schau dir Jesus euren Heiland an.” Sie zeigte mit ihren schlanken Fingern auf das einfache Holzkreuz mit der dornengekrönten Gestalt. “Er war ein Prophet, er predigte und er starb wie so viele Propheten vor ihm. Doch seine, eine einzige Auferstehung änderte alles. Der Tot ist nicht schlimm, er ist sogar bedeutungslos. Das Nichts ist weder grausam noch unfair, ist weder schmerzhaft noch gibt es dort Zweifel. Im Tod sind alle gleich.” Der Gott setzte sich wieder neben Alida und starrte die Kainitin mit den leeren Augen direkt an. “Wie kann ich es dir erklären? Wie erklärt man einem Blinden was Farbe ist, einem Gehörlosen die Töne und Melodien einer Symphonie? Das Nichts nach dem Tod ist wie ein langer, ein traumloser Schlaf. Du spürst nichts, weder Schmerz noch Freude. Es gibt weder Gefühle noch Zweifel. Ich weiß, wovon ich spreche, denn ich war selbst im Nichts und auch wurde zurückgerufen. Es war wie ein Lichtstrahl der plötzlich auftauchte, eine Linie aus Licht der ich gefolgt bin um den Schleier wieder zu durchschreiten. Es war Orlando Oriundus der mich zurückgeholt hat. Er belebte die Erinnerung an mich wieder und genauso kann ich die Sterblichen wiederbeleben. Solange es eine Erinnerung an jene gibt die gegangen sind, solange kann man noch intervenieren, sie den Schleier wieder durchschreiten lassen.” Das Mädchen schwieg für einen Moment und sprach dann weiter. “Ich weiß nicht ob du mich verstehst Kind. Denn vielleicht bist gar nicht du blind, sondern ich bin es. Das kann ich nicht sagen, denn ich weiß nicht was es bedeutet am Leben zu sein. Vielleicht siehst du alles so viel klarer als ich es je könnte. Aber erlaube mir eine Frage. Weißt du warum jene die wie ich sind die Menschen brauchen? Oder warum die Menschen jene brauchen die wie ich sind? Was die Quelle unserer Kräfte und Möglichkeiten ist?"

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 Betreff des Beitrags: Re: Eisen und Blut
BeitragVerfasst: Sa 26. Aug 2017, 07:40 
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Alida hatte sich die Ausführungen des seltsamen Wesens angehört und doch waren sie nicht in der Lage ihr ihre Zweifel zu nehmen. Auf der anderen Seite: Wenn es eine Welt hinter den Schleiern gab, eine Seele nicht verschwunden war, wenn jemand an sie dachte, wenn man nach dem Tod schlief, dann war das etwas anderes als ein alle Existenz auslöschendes Nichts.
Auf die letzte Frage ihres Gegenübers schüttelte sie den Kopf, stellte aber zunächst noch eine Gegenfrage: „Wenn ihr mittels einer Erinnerung zurückgerufen wurdet, dann müsst ihr früher bereits in dieser Welt zugegen gewesen sein. Hattet ihr einen Namen?“

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 Betreff des Beitrags: Re: Eisen und Blut
BeitragVerfasst: Di 29. Aug 2017, 07:14 
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„Ich hatte viele Titel und Namen mit denen ich gerufen wurde. Aber ein einfacher Name sagt so wenig und ist nur von Bedeutung solange man sich nicht einfach für einen neuen entscheidet. Wenn du dir jedoch eine einzelne Bezeichnung wünscht, dann nenne mich Dóchas. Dies war der Name mit dem mich die Meisten meiner Kinder angerufen haben, mit dem sie mich geschaffen haben.“ Die ätherische Stimme der jungen Frau hatte noch immer ihre übliche Ruhe und Emotionslosigkeit auch wenn sie in eine Art von Singsang zu verfallen schien, der eine beinahe überirdische Anmut an sich hatte.

Licht wird durch Sein ersetzt
Und Sein durch Werden
Und Werden durch Wissen
Und Wissen durch Macht

„Es ist der Glaube meiner Kinder der Menapii gewesen, der mich in diese Welt geholt hat und es war ihr Glaube der mir meine Macht über den Tod verliehen hat. Sie wollten mir die Macht geben die ihren zurückzuholen, denn das war es was sie am meisten begehrten. So bin ich entstanden. So sind so viele entstanden die wie ich sind.“ Die rothaarige Gestalt erhob sich einmal mehr und schaute Alida mit ihren schönen, aber stumpfen Augen an. „Ich bin nicht hier um dich zu bekehren Kind von Kain. Auch bin ich nicht mehr hier in dieser Stadt um zu erobern oder zu zerstören. Du hast mir einen Dienst erwiesen und ich würde dich gerne dafür belohnen.“ Die Gottheit schien zu inzwischen zu überlegen und betrachtete Alida dabei mit unverhohlener Neugier. „Gibt es etwas das du begehrst? Wenn du nicht als meine Hohepriesterin fungieren willst, gibt es einen anderen Wunsch den ich dir erfüllen kann? Sag mir was du begehrst und vielleicht liegt es in meiner Macht es dir zu gewähren bevor ich mich aus der Stadt zurückziehe.“

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