Vampire: Die Maskerade


Eine Welt der Dunkelheit
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 Betreff des Beitrags: Der Klang von Hochzeitsglocken
BeitragVerfasst: Do 15. Sep 2016, 10:27 
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Es war September in Brügge und das Wetter hatte es noch einmal mehr als nur gut mit der Stadt gemeint. Die Nächte waren warm und erinnerten an warme Sommertage, während der bereits beginnende Herbst seinen würzigen Duft verbreitete. All das unterstrich diesen besonderen Tag aber nur noch, denn heute fand Karl-Christians und Maries Hochzeit statt. Die beiden hatten sich nach Absprache mit ihren engsten Vertrauten zu denen natürlich auch Lilliana gehörte darauf verständigt am Nachmittag mit einem Fest zu beginnen um dann genau an Mitternacht in dem Rohbau der neu errichteten Kathedrale von Brügge zu in einer feierlichen Zeremonie zu heiraten. Dieser Ablauf war zwar ein wenig ungewöhnlich, aber trotz allem weit davon entfernt bei irgendwem Fragen aufzuwerfen, immerhin war man erheblich exzentrisches Verhalten von Adeligen gewöhnt. Lilliana war auf dem Weg zur Feier. Die Sonne war vor noch nicht langer Zeit untergegangen und die Hochzeitsgesellschaft würde sie vor den Toren der Stadt antreffen. Schließlich erreichte sie einen kleinen Apfelhain, der vor dem alten Westtor der Stadt lag und ein fruchtiger Duft von noch nicht geernteten Früchten, an schwer beladenden Ästen begrüßte die Toreador. Nach kurzer Zeit sah sie die Zelte und Lichter die den Weg zum eigentlichen Fest wiesen. Überall brannten bunte Kerzen und kleine Laternen, während die Zelte frische Speisen, süffiges Aldurbräu, eine Vielzahl von anderen Getränken sowie allerlei Spiele anboten. Die Aufmachung erinnerte sehr an ein Volksfest und überall lachten die Leute ausgelassen und genossen die laue Nacht und alles was noch bevorstand.

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Heute war er, der große Tag, zu dem die Vorbereitungen schon etliche Wochen, Monate vorrausgegangen waren. So vieles geplant, so vieles geschrieben. Doch heute würden zwei Liebende zusammenfinden. Mit diesem Gefühl hatte Lilliana den Tag neben Will begonnen, der ihr das ernst gemeinte Kompliment machte, dass sie heute besonders strahlen würde und aufpassen müsste nicht der Braut die Schau zu stehlen. Sie hatte als Antwort für ihn nur einen langen Kuss übrig gehabt. Danach waren beide aufgestanden um sich für das Fest anzuziehen und in Lillianas Fall die Haare zu flechten, als ein Bote des Hospitals mit einer wichtigen Botschaft für den Heiler eintraf und ihn ins Hospital berief. Es herrschte Notstand und jede helfende Hand würde gebraucht werden. Lilliana hatte ihn mit einem kurzen Gefühl des Wehmutes verabschiedet, wusste jedoch, dass er zu dem Fest wahrscheinlich nachkommen würde und sie sich niemals gegen die Rettung von Menschenleben stellen würde. Michel ihr Ghul hatte das Schauspiel des kurzen Abschiedes verfolgt und ein wenig Freude verspürt bei seiner bevorstehenden Aufgabe die Herrin zum Fest zu geleiten ohne den Grafen von Kent an ihrer Seite zu wissen. Nach dem Abschied von Will flechtete Maria, ihre Kammerzofe zusammen mit Susanna, ihrer Magd eine kunstvolle Frisur und half ihr danach in das Kleid hinein. Michel half ihr in die bereitstehende Kutsche und nach kurzer Fahrt kamen sie an. „Meine Herrin, darf ich bitten?“

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Ihr Ghul half ihr aus der Kutsche und schon war Liliana mitten im Geschehen. Überall waren Leute und man sah die prunkvollen Roben von Geistlichen und Adeligen ebenso in der Menge, wie die praktischen Gewänder des immer größer werden Mittelstandes in Brügge. Hier und da konnte man aber auch Leinentuniken und die frisch gewaschenen Schürzen der einfachsten Bevölkerung erblicken. Sowohl Marie als auch ihr zukünftiger Mann hatten eine Vielzahl an Freunden, Bekannten und Kontakten, die sich durch die Zufälle des Lebens nicht nur auf ihren sozialen Stand beschränkten. Heute in dieser besonderen Nacht sollten alle ihr Glück teilen, egal ob sie von sehr altem, von besonders noblem oder auch nur aller einfachsten Blutes waren. Eine Gruppe von jungen Damen verbeugte sich vor Lilliana und bewunderte ihre edle Garderobe, während sie schließlich an einen Schaukampf vorbeikam in den einige junge Ritter verwickelt waren. Ohne Zweifel die Freunde und Kampfgefährten von Karl welche die Unbeschwertheit des Abends ebenso genossen wie die Frauen die ihnen zujubelten. Holzschwerter trafen auf bunt bemalte Schilde aber auch von den jungen Männern bekam die Kainiten einige artige Verbeugungen und nicht wenige bewundernde Blicke. Michel gingt neben der Toreador und machte sie irgendwann darauf aufmerksam, dass sie jemand näherte. Lilliana erkannte die Gestalt sofort. Gehüllt in rote Gewänder und Gold, die ihren für einen Kainiten besonders dunkeln Taint extra, betonte kam Theresa die Tremere auf sie zu und verbeugte sich leicht. “Verzeiht die Unterbrechung, aber ich bin froh jemanden zu treffen den ich kenne.” Sie lächelte entschuldigend und ihre Bewegung erfüllte die Luft mit einem betörenden Duft nach Zimt und exotischen Ölen. Sie schaute kurz zu Michel und fuhr dann fort. “Leif Thorson hatte mich eingeladen, aber leider hatte er wohl noch nicht die Zeit hierher zu finden und seitdem laufe ich ein wenig verloren hier herum. Würdet ihr mir erlauben mich euch anzuschließen, auch wenn ihr als enge Verwandte der Braut sicherlich noch einige Verpflichtungen zu erfüllen habt?”

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Das bunte Treiben aller Schichten des Volkes, ob arm ob reich. Das Lachen der Burschen, das verschmitzte Lächeln der Damen und verstohlene Blicke und einige geraubte Küsse. Freude, pure Freude, aber so sollte es an solch einem Tage auch sein.
Die Toreador war durch die Reihen gegangen ohne bisher längere Gespräche zu führen. Es war Zeit genug vorhanden. Beim Anblick Theresas jedoch musste Lilliana inne halten und ein fragender Ausdruck, verpaart mit der wohlbekannten Herzlichkeit in ihrem Gesicht hieß die Tremerin willkommen. Nach deren Ausführung verschwand schnell darauf die Frage und Lilliana nickte leicht. „Nun, vermutlich wird er gerade gebraucht. Ich hörte von einem Notstand im Hospital. Wenn jede Hand gebraucht wird, die zu helfen vermag, dann wird sein Weg erst zu späterer Stunde hierher führen."Ihr Ghul vorher etwas mehr an ihrer Seite begann eine gewisse Form des Abstandes einzunehmen, als seine Herrin zu sprechen begann. Der Ausdruck in seinen Augen war neutral aber wachsam.
Der Geruch der Tremerin umschmeichelte sanft ihre Nase und ließ sie für den Moment an einen Traum zurückdenken, der schon viel zu lange in der Vergangenheit lag. Mit einer sanften Bewegung bot sie ohne Vorwarnung Theresa ihren Arm zum Unterhaken an. „Begleitet mich, mein Mann hat mich auch versetzen müssen, er wird aber, so hoffe ich bald mit Leif Thorson hier eintreffen.“ Sie schritt einige wenige Meter, ehe sie leise zu sprechen begann. „Habt ihr euch wieder etwas einleben können in dieser Stadt, die einst eure Heimat gewesen ward?“

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Ohne groß zu zögern nahm Theresa den ihr angebotenen Arm und begann ein wenig mit er Toreador über den Grund der Feier zu schlendern. Weit entfernt konnte Lilliana einen Adeligen erkennen den sie kannte. Es war Christophe Ducrese um genau zu sein, der von einer großen Gruppe Bewunderer umgeben war während er irgendeine Geschichte zum besten gab und dafür herzliches Gelächter kassierte. Er schien ein wahrlich herzlicher Mann zu sein und drückte dabei seine Ziehtochter Mira an sich. Liliana wusste von der Geschichte um den Schatten die sich in Leifs jüngster Vergangenheit zugetragen hatte, aber das Mädchen schien das Trauma gut überwunden zu haben. Es war im Übrigen Graf Ducrese gewesen, der Karl endlich seine lang ersehnte Ritterwürde verliehen hatte, ebenso wie eine Gruppe von Dörfern im Umland von Brügge um ein Einkommen zu generieren, da dessen Familie seine über alles geliebte Ziehtochter vor einer namenlosen Gefahr beschützt hatte. Die beiden Frauen gingen schließlich an der Gruppe vorbei und waren irgendwann außer Hörweite von neugierigen Ohren, so dass Theresa ohne große Gefahr antworten konnte. “Wenn ich ehrlich bin...Es ist fremd und vertraut zugleich wieder hier zu sein. Als ich von hier fortgegangen bin, war Brügge nicht mehr als ein größeres Dorf und jetzt ist es eine wahre Metropole. Das ist schlicht und ergreifend beeindruckend.” Die Tremere seufzte kurz, wie erleichtert und sprach dann weiter. “Ich hatte zwar noch nicht die Gelegenheit dazu, aber ich wollte euch noch dafür danken, dass ihr euch für meinen Verbleib ausgesprochen habt. Es war offensichtlich in heikles Thema im Rat, nicht nur einmal sondern jetzt sogar zweimal. Ich danke euch für das bisschen Frieden das ich bereits genießen durfte.”

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Beide gingen sie in einem fast vertrauten langsamen Tempo weiter, vorbei an zwei Damen der Mittelschicht, die als sie die beiden und vor allem Lilliana erblickten, schnell in die Refferenz gingen, während sie sie hinterher tuscheln hören konnten, welche feinen Stickerreien sich auf dem Kleid der Adligen befanden. „ Ihr müsst mir nicht danken. Brügge ist eure Heimat, das ist und das war sie und euer Recht auf Verbleib ward schon lange vor dem meinem ausgesprochen worden. Einzig eure Familienangehörigkeit hat diese Tatsache in den Hintergrund rücken lassen. Aber ich, ich möchte so langsam Frieden schließen und Vergebung gewähren. Oriundus hat für seine Taten mit dem Leben bezahlt und auch weitere Angehörige eurer Familie, die kurz danach uns allen nach dem Leben trachteten oder uns nur schlechtes wünschten sind nicht mehr.“ Lilliana blieb stehen und sah Theresa in die Augen. „Aber wenn wir nur nach Vergeltung suchen würden und jedes Mitglied nach seiner Familie be- oder verurteilen, dann würden wir am Ende an unserem eigenen Hass ersticken.“ Sie schloss die Augen und kein Lächeln war auf ihrem Gesicht zu sehen. „Der Rat…“ sie sprach nicht weiter sondern seufzte einmal, begann dann aber wieder zu lächeln, als sie sah, wie Michel, der inzwischen immer mehr auf Abstand zu den beiden gegangen war, von den zwei Damen von eben von allen Seiten begutachtet wurde. Er wusste, dass sie es wussten und das Lächeln, dass Lilliana ihm schenkte, reflektierte er unwillkürlich, was ihn noch mehr begehrenswerter in den Augen der beiden Damen machte. „Nicht heute. Heute ist der Tag des Brautpaares, der Tag der Liebenden.“

Theresa hörte aufmerksam zu als die Toreador das Wort an sie richtete und schien ganz plötzlich als hätte eine Salve von Pfeilen sie getroffen. Nicht ins Fleisch sondern ins Herz. Sie wandte den Blick ab. “Orlando.” Ihre Stimme klang belegt und distanziert. Sie suchte den Blick der Toreador und es war unverkennbar Schmerz darin. “Wisst ihr eigentlich das ich damals mit ihm nach Brügge gekommen bin? Das er der Grund war wieso es mich hier in den Norden verschlagen hatte?” Die Tremere fuhr sich mit der freien Hand über die Augen und aus den Gewändern entströhmte wieder der typsiche Zimtgeruch.
Das leichte Kopfschütteln sowie das sanfte, zärtliche Drücken der Hand seitens der Toreador kamen anstelle von Worten. Orlando Oriundus, Seneschall des damaligen Prinzen, Tremere und geübt in der Kunst der Wetterbeeinflussung. „Er scheint einen besonderen Platz in eurem Leben eingenommen zu haben. Was war er für euch? Ein Freund? Ein Mentor? Ein…Vater?“ nichts wertendes floss in die Frage mit hinein, auch wenn sie kurz stockte. Anscheinend war hier etwas tiefer hervorgeholt worden.

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Theresa seufzte tief. “Ich war eine junge Frau, eine Magiern. Eine wahre Magierin um genau zu sein. Ich konnte das was war und das was ist einzig und alleine mit der Kraft meines Willens formen. Als...als ich noch jung war fand mich ein berühmter Mann der in der gleichen Kunst bewandert war wie ich. Es war Goratrix, der jetzt ebenso wie ich ein Kainit ist und die Geschäfte der Tremere in Paris führt. Er gab mir eine Berufung, einen Platz in der Welt, er forderte mich und führte mich schließlich in den Orden des Hermes, eine Gemeinschaft von Magiern ein. Es war das Haus Tremere das damals noch nicht vom kainitischen Fluch befallen war.” Sie schwieg eine Weile und sagte nichts. Es schien als würde sie ihre Gedanken ordnen. “Magier leben lang und von der Existenz des vampirischen Fluchs erfuhr ich erst sehr viel später. Ich wurde nach Ceoris eingeladen ob meines magischen Wissens und dort traf ich schließlich einen Kainiten. Er…er begehrte mich obwohl er tot war und begann irgendwann die Kräfte seiner Beherrschung einzusetzen. Dagegen war ich trotz all meiner Talente leider machtlos und als die Falle zuschnappte war es bereits zu spät. Er nahm mich mit Gewalt und trank schließlich mein Blut bis nichts mehr übrig war. Ich wäre in jener Nacht gestorben wenn sich Orlando Oriundus nicht meiner erbarmt hätte und mir sein Blut gegeben hätte. Wir hatten zusammen gearbeitet, ich hatte ihm geholfen einen der frühen Pfade der Thaumaturgie zu erschaffen, den wir aufgrund unserer beider Affinität zu Wasser den Pfad des Neptun nannten. Ich wurde schließlich als Kainitin wiedergeboren, aber das was ich einmal war, die Mächte die ich befehligen konnte und alles woran ich geglaubt hatte war für immer verloren.” Theresa ging in Richtung eines der ausladend tragenden Bäume und setzte sich auf einen Stein der darunter lag. Es dauerte mehrere Minuten bevor sie weitersprach. “Orlando war mein Erzeuger und wurde für seine Tat der unerlaubten Zeugung mit Verbannung bestraft. Der Verbannung in eine unbedeutende Stadt im Norden namens Brügge. Ich ging natürlich mit ihm, auch wenn es mir frei stand zu bleiben denn aufgrund meines magischen Wissens galt ich noch immer wertvolles ‘Gut’ und ‘Ressource' für Haus und Clan Tremere.” Theresa suchte den Blick der Toreador- “Es tut mir leid das ich euch jetzt mit meiner Geschichte behellige. Ich weiß nicht einmal warum ich das gerade tue. Heute ist ein glücklicher Tag, einer der nicht die Last der Vergangenheit tragen sollte. Lasst mich euch nur versichern, dass ich nichts von dem was mein Erzeuger hier getan hat gutgeheißen habe, im Gegenteil. Das war der Grund wieso ich Brügge verlassen habe. Es war zu weit gegangen und doch...und doch und doch frage ich mich manchmal ob ich ihn von dem dunklen Weg hatte abbringen können, wenn ich nicht gegangen wäre um meine eigene Freiheit zu finden.”

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Das, was Lilliana konnte war zuhören, zuhören und denjenigen enden lassen. Sie war nicht Lucien, sie war nicht Alida, sie war aber auch nicht ihr Erzeuger, der diese Geschichte schon früher gesehen, die Verbindungen schon früher entdeckt und dann bewusst das Gute in Theresa gefördert hätte. Sie blieb die Zeit weiterhin stehen, erst als Theresa tatsächlich geendet hatte, setzte sie sich behutsam neben die Tremere und ein Finger ihrer rechten Hand strich sanft über die Stirn von Theresa als wusch sie ein Mal, eine Narbe damit weg. „Euer Vertrauen ehrt euch und ich danke euch dafür.“ Einen Moment sah es aus, als ob sie zögerte weiterzusprechen, aber dann flogen die Wörter hinaus und waren gesprochen.“ Euer Name ist nicht Orlando und die Taten eures Erzeugers sind nicht die euren. Lasst die Vergangenheit ruhen, aber denkt an euren Vater mit den Bildern, die ihn in euren Augen zeigen wie er einst war, nicht wie er geworden ist. Und eure Frage, ob ihr ihn hättet aufhalten können, kann ich nur beantworten, dass Gott euch einen anderen Weg zeigte, den ihr beschreiten sollt. Orlandos Zeit war gekommen, aber eure noch nicht. Was ihr könnt, davon konnte ich mich schon von einem Bruchteil selbst überzeugen.“ Sie lächelte Theresa herzlich und aufmunternd an. „Wir wissen beide voneinander mehr, weil wir einander vertrauen ohne es durch Verträge oder Eide zu schwören. Und so werde ich euer Geheimnis so ihr es wünscht, niemandem verraten.“

Sie drückte dankbar Lillianas Hand, lächelte ihr zu und erhob sich wieder. “Ich danke euch für eure tröstenden Worte und eure Unterstützung Lilliana.” Sie schüttelte mit dem Kopf. “Meine Vergangenheit ist kein Geheimnis und ich habe nichts zu verbergen, aber eure Worte schätze ich trotz allem. Ich bezweifele ehrlich das jemand hier genug Interesse zeigt um nach meiner Vergangenheit fragen und wenn doch…Ich kann und will meinen Platz hier nicht damit gefährden indem ich verleugne wer ich bin. Nein wenn Lucien oder Alida herausfinden würden, dass ich über meine meine Linie schweige oder die Unwahrheit erzähle würden sie nur wieder Verrat und Gefahr vermuten.” Die Tremere schaute wieder zu dem bunten Treiben und zog die Toreador mit sich. “Lasst uns nun noch ein wenig die Feier genießen." Sie wechselte plötzlich das Thema war aber nicht weniger ernst. "Ich vermute ihr seid froh das eure Vision sich nicht bewahrheitete hat oder? Es gibt keine Hochzeit am Meer, keine Ritter und Adeligen die dem Brautpaar ihren Respekt mit gekreuzten Klingen erweisen?” Lilliana wusste worauf sich die Worte der Tremere bezogen. Vor Jahren hatten sie sich in einen Traum gesehen, einem Traum der eine dunkle Zukunft gemalt hatte.

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Sie schloss bei den letzten Worten der Tremerin die Augen und rief sich die Bilder wieder hervor. „Als ihr mich angefangen habt zu unterweisen, da blieb mir eines ganz genau im Sinn. Die Zukunft, welche sich vor unseren Augen zeigt, ist die Zukunft die am wahrscheinlichsten ist, wenn wir den Weg, den wir jetzt gehen weiterverfolgen. Ich denke, als ich Marie losließ, änderte sich der Weg und somit auch ihre Zukunft. Dennoch Theresa, ist die Gefahr eines kommenden Krieges für Brügge, für Marie damit nicht gebannt und die Gräueltaten des Krieges sind wohlbekannt und treffen jeden.“ Inzwischen führten sie ihre Schritte wieder zielgerichtet mehr und mehr in Richtung der Menschen auf der Festwiese, auch wenn diese noch etwas zu weit weg waren, um die leisen Wörter der Kainiten zu hören. „Die Zukunft ist ein kurzer Schleier, mal voller Gefühle, mal voller Bilder.“ Sie senkte die Augen und blickte dann wieder fest und fröhlich nach vorne. „Ich freue mich Will und Leif zu sehen. Es ist in letzter Zeit ruhig geworden um unseren Kappadozianer. Er meidete Feste, umso mehr freue ich mich auf seine Anwesenheit.“ Theresa konnte die Ehrlichkeit der Wörter beinahe feste mit der Hand umgreifen, so sehr schienen die Gefühle der Toreador nach außen zu dringen. „Wie habt ihr ihn kennengelernt? Leif meine ich.“

Theresa zog ihre Begleiterin ein wenig fester an sich und flüsterte. “Die Zukunft ist zwar noch nicht geschrieben, aber auch ich sehe den Krieg noch immer, wenn auch verschwommen.” Ihre Stimme war leise, nicht mehr als ein Hauch. “Meine Träume zeigen mir Feuer, Schmerz und Verrat, aber auch das sich die Zukunft verändert jetzt wo sich so viele Akteure Verantwortung übernommen haben um zu beeinflussen was auf sie wartet.” Die Tremere blickte zum Sternenhimmel und dann zu Lilliana. “Ich glaube wir haben eine echte Chance die Katastrophe die wir beide gesehen haben abzuwenden, auch wenn wir vorsichtig sein müssen und nicht leichtfertig handeln dürfen. Eine einzelne Schneeflocke mag eine Lawine auslösen - oder diese verhindern. Das darf niemand vergessen, denn so war es schon immer und so wird es immer sein.” In der Ferne konnte man einen Narren erkennen der eine Gruppe Kinder erheiterte. Er schlug sich ein rohes Ei über den Kopf und schaffte es dann von irgendwo her ein quicklebendiges, fröhlich zirpendes Küken hervorzuzaubern. Dem Trick folgte aufregendes und schallendes Gelächter einiger Kinder und junger Erwachsener. Trotz ihrer Nähe zum Geschehen war es noch immer unmöglich der leisen Unterhaltung beider Kainitinnen in irgendeiner Art zu folgen. “Was Leif angeht, wir haben uns schon vor langer Zeit hier in Brügge kennen gelernt auch wenn wir uns damals nicht sonderlich gut kannten. Er lebte hier in der Stadt und wir haben uns erst viele Jahre später wiedergetroffen...ich...” Sie schien zu überlegen ob sie die nächsten Worte sagen sollte oder nicht, entschied sich dann aber dafür. “...ich weiß auch das er einer der wenigen Salubri ist die es noch gibt und kein Kappadozianer. Immerhin lag unser erstes Treffen lange vor dem Genozid an dem Clan der Einhörner.” Sie schwieg für einen Moment um die Information wirken zu lassen. “Orlando war mein Mentor, aber ebenso lernte ich viel Dinge vom alten Prinzen Valerius der den Wunsch in mir weckte mein eigenes Schicksal zu schmieden, fern von den Befehlen meiner Ältesten. Nach Jahren und nachdem ich meinen Erzeuger in Richtung Osten verlassen hatte, verlangte der Rat der Sieben von mir den Einfluss von Haus und Clan mehr und mehr in meiner griechischen Heimat und Byzantium auszuweiten. Es war dieser Moment in dem ich endlich wagte Ambition, Gehorsam, Intrigen und Krieg hinter mir zu lassen und einen anderen Weg als den vorgegebenen einzuschlagen. Glücklicherweise hatte ich unerwartete Hilfe.

Der Erzeuger von Leif mit dem Namen Achmed, der sich inzwischen ‘der Träumer’ nannte bot mir schließlich einen Ausweg an. Damals wusste ich allerdings noch nicht das die beiden etwas miteinander zu tun hatten. Mein Clan hatte Gerüchte gehört, dass sich der Salubri in Konstantinopel aufhielt und ich wurde schließlich ausgesandt ihn zu finden und zu vernichten, denn das Pogrom gegen den Clan war in vollem Einsatz. Interessanterweise besuchte er mich in meinen Träumen bevor ich überhaupt eine Chance hatte mich zu entscheiden. Wir redeten über die Zukunft, freien Willen, Verantwortung, das Diktat des Schicksals und so viel mehr. Ich beschloss am Ende genau das Gegenteil von dem zu tun was mir aufgetragen wurde und schloss mich seinem Traumzirkel an, der mir sehr viel über die verschlungenen Wege der Zukunft, über Prophezeiungen und Träume lehrte, denn Leifs Erzeuger hatte sich schon immer diesen Dingen verschrieben und sie studiert. Dort in Konstantinopel traf ich schließlich nach langen Jahren auch unseren gemeinsamen Freund wieder, der auf der Suche nach seiner Vergangenheit war. Ich war erfreut, dass der junge Salubri den ich damals in Brügge kennen gelernt hatte noch am Leben war und noch überraschter, dass er das Kind meines aktuellen Mentors war. So interessant die Situation auch war, beschloss ich schließlich diesen Fingerzeig des Schicksals einfach so anzunehmen wie er sich präsentierte. Was dann passiert ist war allerdings nicht nur einfach auch wenn das Geschichten für einen anderen Tag sind. Es reicht vielleicht zu sagen, dass wir am Ende herausfanden das uns mehr Gemeinsamkeiten verbanden als uns Unterschiede trennten. Leif war es im übrigen auch, der mich gebeten hat euch zu helfen so gut ich kann Lilliana. Deshalb habe ich euch in euren Träumen aufgesucht und so schließt sich hier in Brügge nach all den Jahren einmal mehr ein Kreis, während neue Geschichten beginnen und alte fortgeführt werden.” Theresa ging nun zielgerichtet in Richtung der eigentlichen Feier. Irgendwo konnte man fröhliches Harfenspiel und Gesang hören. “Ich würde mich freuen euren Will einmal kennen zu lernen und was Leif angeht...nun ich weiß das er nicht ganz einfach ist, aber wer von uns Kainiten ist das schon?" Die Tremere berührte sanft Lillianas Hand und schickte ihr ein Bild in den Geist. Leif und sie selbst inmitten einer Stadt die vermutlich Konstantinopel war.

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Verfasst: Do 15. Sep 2016, 10:27 


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 Betreff des Beitrags: Re: Der Klang von Hochzeitsglocken
BeitragVerfasst: Sa 17. Sep 2016, 07:09 
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Nach all den Jahren war es immer noch merkwürdig, wenn man wusste das derjenige vor einem ein Kainit war, mitanzusehen wie sich die Schultern hoben und senkten um Atmung vorzutäuschen, wie die rosige Haut andeutet, dass Blut durch sie hindurchgepumpt wurde von einem Herzen, dass lange schon nicht mehr seinen Takt schlug. „Verzeiht mir Theresa, aber ihr überrascht mich wieder und wieder auf das Neue. Nicht im schlechten ich versichere euch, doch habe ich mir angewöhnt gerade in Gegenwart eines eurer Familienmitglieder den wahren Familiennamen von Leif niemals in den Mund zu nehmen geschweige denn darüber zu denken.“ Sie blieb stehen, betrachtete weiterhin das Fest, doch ihr Blick hatte etwas Ernsthaftes angenommen, wenngleich der Frieden und die Herzlichkeit tief verankert darin zu finden waren. „Ich verstehe nun so manches besser, was aber bereits in der Vergangenheit liegt. Viele Puzzleteile fügen sich zu einem Ganzen. Wahrlich, unser Heiler gibt sein Bestes.“ Sie drehte sich zu der Gruppe, die sich um den Narren versammelt hatte, der gerade aus einem piependen Küken zwei machte, die beide brav in zwei kleine Käfige aus Holz gingen. Lilliana drehte sich wieder um zu Theresa. „Ihr scheint in der Zeit für ihn dagewesen zu sein, als er diese Stadt verließ. Habt ihr ihn zum Umkehren aufgefordert nach all den Jahren?“

Die Tremere strich sich eine Strähne des rabenschwarzen Haares aus dem Gesicht und beobachtete das fröhliche Spiel des Narren während sie gleichzeitig ihrer Begleiterin antwortete. “Mit der Rückkehr eures Freundes habe ich nichts zu tun, auch wenn ich sein Geheimnis ebenso bewahren würde wie das seines Erzeugers. Ich war selbst ein Gejagte, eine Verfolgte meines Clans und wünsche dieses Schicksal niemandem. Nach dem Fall und der Plünderung von Konstantinopel ist Leif in den wilden Osten gegangen um im Omenkrieg zu kämpfen und von allem was ich weiß ist er nur zurückgekommen, weil er von dem drohenden Angriff auf Brügge von einem der dortigen Tzimisce erfahren hat.” Theresa seufzte. “Mein Clan ist jung unerfahren und muss sich beweisen. Deshalb projiziert er gerne nach außen, wie mächtig und geeint er doch ist, aber die Wahrheit spricht wie so oft in dieser Welt eine ganz andere Sprache. Es ist wie der Rat in Brügge. Nach außen ein Monolith, eine unzerbrechliche Einheit die aber doch aus Individuen besteht die ihre eigenen Ziele, Träume und Werte haben. Ich glaube ihr wisst sehr genau was ich damit sagen will.”

Es war kaum ein Nicken, aber dennoch erkennbar, wenn man in ihrer Nähe stand. „Leif war im Omenkrieg?“ dieses Mal erklang die Frage anders, mehr zu sich selbst gerichtet und es schien als erwartete sie auch keine Antwort von Theresa. Sie schüttelte etwas unzufrieden den Kopf. „Krieg, nichts als Krieg wo doch die Waffen ruhen sollten.“ Sie schüttelte erneut den Kopf. „Nicht heute Theresa. Die Geschichte um den Rat ist länger und ihr mögt eure Meinung besitzen was ihn angeht, aber stellt euch die Frage, was am Ende stärker sein wird, was am Ende stärker sein muss, um Schaden abzuwenden, vorausschauend…“ Lilliana brach ab und schloss die Augen. „Nicht heute.“ Erklang es wieder von ihr, nur dieses Mal leiser, erst dann öffnete sie die Augen. „Ich denke, wir sollten zurück zur Menge gehen. Ich mag nur für eine Weile mich der Gesellschaft entziehen, möchte aber auch nicht auffallend fort von ihr gehen, die Lebendigkeit ist etwas Wundervolles und ein Kinderlachen ist wie ein heller, weicher Glockenschlag.“ Lilliana bot ihr wieder den Arm an. „Nach was sucht ihr wieder in der Heimat? Eure Freiheit habt ihr gesucht und eure Familie hat euch für euer Wissen entlassen aus ihren Diensten… Gibt es etwas, bei dem man euch unterstützen kann?“

“Es gibt nichts was ihr mir über euren Rat erklären müsst Lilliana. Ich wollte euch mehr die Motive meiner ‘Familie’ nahe bringen als alles andere.” Mit zunehmender Nähe zur Gesellschaft veränderte auch Theresa ihre Sprachweise. Dann ließ sie das Thema fallen. Es war ein Gespräch für eine andere Zeit. “Was ich hier suche? Frieden. Nicht mehr und nicht weniger und vielleicht mit viel Glück, Geduld und Zeit das Wissen warum mein Vater sich zu dem Mann entwickelt hat als der er am Ende gestorben ist. Ich habe das Gefühl ich schulde es ihm und irgendwie auch mir diese Frage zu klären.” Sie waren wieder inmitten des Geschehens, die Musik wurde lauter und die Gespräche angeregter. Inzwischen konnte die Toreador sogar einen Blick auf das Brautpaar erhaschen.

„Ich habe selbst Orlando nicht so gekannt wie ihr ihn mir versucht im Ansatz zu beschreiben, anscheinend war er bei meiner Ankunft schon dabei gewesen mehr und mehr in seine Welt abzudriften. Doch ich denke, dass Valerius es bereits wusste oder ahnte.“ Das glückliche Lachen der Braut ertönte und ließ Lilliana aufmerksam Aufsehen. Das Lachen von Marie würde sie unter den vielen Leuten leicht erkennen können und heute Abend zu lachen, dass sollte zu ihrem Privileg gehören, auch wenn die adligen Normen etwas strenger waren. Lilliana wusste, dass es Marie egal war, ebenso wie Standesunterschiede oder andere gesellschaftliche Zwänge. „Wenn es etwas gibt, wie ich euch diesbezüglich weiterhelfen kann, sei es meine Erinnerung an ihn, dann sagt es. Ich fürchte nur, dass es etwas länger dauern wird seine Bücher wiederzubekommen oder andere persönliche Sachen, sollten sie noch vorhanden sein. Ich meine mich zu erinnern, dass Draga einiges mitgenommen hatte.“ Marie und Karl-Christian waren umringt von ihren Freunden, Bekannten, zu ihnen durchzudringen würde noch ein wenig Geduld erfordern. „Habt ihr bezüglich des Abfangens des Briefes von euch bereits etwas unternommen?“

“Orlando hat sich Geheimnissen und Mächten zugewandt die besser unangetastet geblieben wären so viel ist sicher. Im Moment bin ich dabei die Dokumente zu untersuchen die es hier in der Stadt gibt und von denen ich weiß. Es befinden sich ein paar Aufzeichnungen in den Katakomben und glücklicherweise hat mir Gerrit Zugang zu diesen gewährt. Ich versuche nun die Dinge in Kontext zu setzten, die ich bereits weiß aber es wird noch einige Zeit dauern bis ich mir ein echtes Bild machen kann. Trotz allem danke ich euch für euer Angebot und werde bei Gelegenheit darauf zurückkommen Die Zukunft und das Schicksal wird den Weg weisen. Da bin ich mir sicher Lilliana.” Die Tremere ließ die Toreador und lächelte warm. “Ich werde mich nun verabschieden und nach Leif suchen. Ihr habt heute noch genug Verpflichtungen die auf euch warten und ich will euch nicht weiter aufhalten. Ich danke euch aber trotz allem für die Zeit die ihr für mich erübrigt habt meine Freundin.” Theresa schien gerade etwas in den Sinn zu kommen. “Eine Sache noch.” Die Tremere hielt Lilliana zurück. “Ich weiß nicht wer die Nachricht abgefangen hat und ich glaube inzwischen, dass alles was mich anging nur ein Kollateralschaden war. Ja, Goratrix hat gut für Informationen die meinen Namen betreffen bezahlt, aber das war wohl bekannt da er mein Großvater ist und er nach meinem Verbleib geforscht hat. Aber es war nicht er der den Spion in Auftrag gegeben hat. Irgendjemand hat seine Augen definitiv auf eure Stadt gerichtet und es war nicht meine Familie. Sie haben ihre Aufmerksamkeit von Brügge abgewendet in dem Moment in dem die offenen Feindseligkeiten aufgehört haben. Sie haben dringendere Probleme wenn ihr versteht was ich meine.” Die Tremere biss sich auf die Lippe. “So oder so sollte der Rat vorsichtig sein es mögen andere Feinde auf einen Fehler des Rates warten als die Tremere. Wie ihr selber wisst, Hass und Ablehnung machen blind gegenüber dem was wirklich geschieht.”

„Seid euch gewiss, dass wir nicht vergessen, was um uns herum geschieht. Ich fürchte nur, die Taten die darauf folgen werden, welche uns letztlich ausmachen.“ Lilliana lächelte Theresa zur Verabschiedung warm und sanft an, ehe sie sich endgültig von der Tremerin löste. „Ich wünsche euch noch ein angenehmes Fest und eine friedliche Nacht.“ Michel, der während der Zeit wie ein Schatten von den beiden Frauen gewesen war, nahm nun wieder seinen bestimmten Platz ein, die Hand am Schwertknauf, die Augen wachsam und noch ein ums andere Mal auf Theresa gerichtet.

Die Rot gewandete Gestalt entfernte sich in die Menge und verschwand irgendwann aus dem Blickfeld von Lilliana und ihrem Ghul. Das Brautpaar befand sich noch immer in ihrer näheren Umgebung und die Toreador sah zum ersten Mal Bräutigam. Er wirkte irgendwie abwesend und gestresst, während sein Lächeln die Augen nicht vollständig erreichte. Bevor sich die Gräfin von Erzhausen aber weitere Gedanken um das was geschah machen konnte humpelte der Schreiber der Stadtwache auf die zu. Hans. Er schien abgewartet zu haben bis sie ihr vorheriges Gespräch beendet hatte und kam nun auf sie zu. Er verbeugte sich soweit es sein kaputtes Bein zuließ. “Herrin.” Er hob den Kopf. “Verzeiht die Störung aber ich habe eine Nachricht von Leif Thorson für euch.”

Michel ließ Hans gewähren, machte aber weiterhin den Eindruck, dass er sofort eingreifen würde, sollte Hans nur eine falsche Bewegung in Richtung seiner Herrin tätigen. Lilliana schüttelte über diese Szene nur kurz den Kopf und wies ihn mit einer Handbewegung an, etwas zurückzuweichen. Dem kam ihr Ghul auch nach, wenn auch sein Gesicht Missbilligung ausdrückte. „Es freut mich dich wiederzusehen Hans. Aber ungewöhnlich hier an diesem Ort? Ist es etwas geschriebenes oder sollte ich diese Nachricht an einem ruhigeren Ort hören?“ Sie lächelte ihn wie auch sonst herzlich an, was auch ihre Augen zu erreichen schien.

Der Schreiber schüttelte nur kurz den Kopf. "Nichts dergleichen wird nötig sein, Herrin." Er verbeugte sich noch einmal leicht und überreichte ihr eine Schriftrolle. Sobald Lilliana das Siegel brechen würde, könnte sie folgendes Lesen. 'Liliana, wundere dich nicht über eine eventuelle Abwesenheit von mir vor der Trauung. Ich bereite mit einigen anderen der Familie und ein paar Helfern eine Überraschung für den Höhepunkt des Abends vor. Beste Grüße Leif' Hans hustete kurz für Aufmerksamkeit. "Wenn ihr nichts mehr von mir wünscht Herrin würde ich mich zurückziehen, damit ihr die Feierlichkeiten genießen könnt."

Sie faltete die Schriftrolle wieder zusammen und das herzliche Lächeln mit dem sie den Schreiber wieder verließ, verschwand aus ihrem Gesicht, als er gegangen war. Zunächst nahm Lilliana die Umgebung um sich herum genauer ins Auge, verwarf dies aber schnell wieder. So viele Menschen um sie herum, die glücklich wirkten, warum auch ein anderes Gefühl. Es war ein Tag zum Feiern. Also faltete sie nochmal die Rolle auf und las sich jedes Wort durch. Zumindest warnte er sie, vor der Überraschung, die für das Brautpaar noch folgen würde. Vielleicht eine nordische Tradition? Sie wickelte erneut die Rolle wieder zusammen und seufzte aus. Sie begrüßte die Überraschung an das Brautpaar und es trug die Handschrift von Leif, weil es so plötzlich war und dennoch von langer Hand vorbereitet. Aber dieser Tag war seit langer Zeit geplant gewesen und sie hatte die vielen Boten schon nicht mehr zählen mögen. „Ich bin sehr gespannt, was er sich ausgedacht hat, um das Brautpaar zu erfreuen. Allerdings sollte Leif nicht vergessen, dass die Trauung das höchste Gut ist und das Versprechen vor Gott darstellt.“ Die Stimme war nicht an ihn direkt gerichtet gewesen, aber Michel war sich sicher, dass nur er sie hören konnte. Lilliana richtete indes ihre Schritte nun direkt zum Brautpaar, sie wollte endlich die beiden Verlobten und baldigen Eheleute persönlich vor der Zeremonie noch begrüßen, allerdings merkte Lilliana bald, dass dies immer noch ein kleines Problem darstellte.

Hans war genauso schnell verschwunden wie er gekommen war und Lilliana blieb zurück mit Michel. Die Handschrift hatte in der Tat die Details welche sie von Leif kannte. Eckige Buchstaben, die mehr an Runen als an alles andere erinnerte und eine ebenso kurze, wie prägnante Schreibweise ohne große Schnörkel und Verzierungen. Dann schließlich konnte Lilliana endlich eine Lücke finden und stand dem Brautpaar gegenüber. Marie fiel ihr um den Hals und auch Karl schien sich ehrlich zu freuen sie zu sehen. Zum ersten Mal in dieser Nacht, oder zumindest solange sie ihn beobachtet hatte erreichte das Lächeln seine Augen.

Es war einfach nur typisch Marie und Lilliana ließ sie machen, umarmte sie gar im Hauch einer Sekunde später und vergaß einfach nur die Zeit, die Blicke und die Leute um sie herum. „Für eure Hochzeit wünsche ich dir, dass Gott, der euch Liebende zusammenführte, ein langes Leben zusammen beschert…“ Lilliana machte eine Pause, senkte die Stimme und flüsterte Marie ins Ohr. „Ich werde für dich da sein, wenn du mich brauchst und ich werde dich lieben, solange du lebst und darüber hinaus...“ Sie ließ die Wörter auslaufen und ließ dann Marie wieder los und küsste sie auf die Stirn, während sie dazu die Augen schloss. Erst danach beglückwünschte sie Karl-Christian zu seiner Braut. „Es war gewiss für euch schon ein anstrengender Tag, doch genießt ihn weiter, denn dieser Tag soll nur euch gehören.“

Auch Karl nahm die Toreador in die Arme und sie spürte die ehrliche Freude und Intensität der Umarmung. “Danke Lilliana. Ich freue mich, dass ihr hier seid. Insbesondere aber…” Er lachte und schaute zu Marie. “...Insbesondere aber für die wunderbare Frau die ich nun heiraten darf.” Dann wurde er für einen Moment wieder ernster und schaute sich kurz um wie um etwas zu bestätigen. “Habt ihr...habt ihr zufällig Leif, Brunhild, meinen Vater, meine Mutter oder auch nur meine Tante Alyssa irgendwo gesehen? Ich...ich hätte gedacht sie würden der Feier vor der Trauung beiwohnen.” Bei den letzten Worten die er sprach, wirkte er eher wie ein Kind das befürchtete etwas falsch gemacht zu haben, als ein kraftvoller, junger Ritter der gerade dabei war zu heiraten.

Die Umarmung seitens Karl überraschte dann Lilliana doch etwas mehr, aber auch hier ließ sie ihn gewähren, hörte ihm zu und versuchte ihn dann beruhigend anzulächeln. „Sie sind nicht weit und werden bald hier eintreffen. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis auch sie euch ihre Glückwünsche überreichen können.“ Sie schaute ihn sich genauer an, nachdem sie ihre Wörter an ihn gerichtet hatte. „Ihr beide habt alles richtig gemacht, genießt den Abend!“ dann würde sie wieder auf Abstand gehen und das Brautpaar anderen Gratulanten überlassen, während sie weitere kurze Konversationen mit den anwesenden Gästen des Brautpaares betrieb, die teils nicht aus Brügge sondern aus dem Umland davon stammten.

Das Volksfest was sich nun immer mehr in einen echten Hochzeitsempfang verwandelte ging noch einige Zeit so weiter. Fremde, Freunde und Würdenträger beglückwünschten das Paar zu ihrer baldigen Verbindung und irgendwann war es soweit. Die Hochzeitsgesellschaft setzte sich in Bewegung und macht sich wieder auf in Richtung Stadt. Es dauerte seine Zeit, aber Musik, Gesang und allerlei Gelächter folgten dem Paar durch das alte Westtor in Richtung der unfertigen Kathedrale, die wie Lilliana wusste von Gerrit in Auftrag gegeben wurde um den Einfluss von Bischof Martin auf Brügge so gering wie möglich zu halten. Ihr Mündel und Karl hatten sich darauf geeinigt diese Idee zu unterstützen indem sie sich dort und vor allen in Brügge trauuen ließen, trotz der Tatsache, dass nur die Krypta geweiht war. Es ging hier zwar um die Verbindung zweier Seelen, aber auch um die Unabhängigkeit und Einzigartigkeit einer Stadt die beide Eheleute nun als ihre Heimat betrachteten und mit einer Hochzeit dieser Art konnten sie ihren Standpunkt sehr klar zeigen. Zuerst hörte die Toreador das Spiel des neuen Glockenturms, welches zugegeben ein wenig früh erklang, aber nun die baldige Trauung in der ganzen Stadt verkündete. Dann sah sie den Rohbau und zu ihrer Überraschung schien er mit tausenden und tausenden Kerzen, Facklen und Lichtern erhellt zu sein. Irgendjemand bereite ihnen ein warmes willkommen. Alles war bereit.

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 Betreff des Beitrags: Re: Der Klang von Hochzeitsglocken
BeitragVerfasst: Di 27. Sep 2016, 19:18 
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Das erste, schwache Tageslicht brach durch die schmutzigen Butzenglasfenster und erlaubte Thyra bald die Umrisse des gewaltigen Leuchtturms von Seebrügge auszumachen. Sie waren vor zwei Wochen in den Vorhafen von Brügge eingelaufen und hatten sich seit dieser Zeit in dieser Taverne eingemietet. Ragnarsson sagte sie müssten auf den richtigen Zeitpunkt warten um den Angriff zu starten und auch wenn Thyra ihm zustimmte wurde sie durch die Ungewissheit langsam ungeduldig. Hier hatte alles begonnen und hier würde es enden, aber wie? Das konnte sie nicht sagen, aber ihr Vater war ein Freund von sauberen Lösungen, weshalb er auch dem Wiedergänger namens John Constantine den Kopf ohne mit der Wimper zu zucken von den Schultern getrennt hatte, nachdem er alles von ihm erfahren hatte was er wissen wollte. Sie waren von den Britischen Inselns direkt nach Brügge aufgebrochen. Schließlich wandte Thyra den Blick vom Fenster ab. Sie konnte schon den Geruch von Fisch und brackigen Wasser ein wahrnehmen und wusste mit der aufgegangen Sonne würde es nicht besser werden. Sie setzte sich auf das kleine Bett das in ihrem Zimmer stand und begann die medizinischen Gegenstände wieder in die kleine Tasche zu räumen die Balduin ihr damals mitgegeben hatte. Er war wirklich ein guter, besorgter Heiler, insbesondere aber ein großherziger Mann denn er hatten nur an ihr körperliches Wohl gedacht auch wenn sie im Streit gegangen war. Sie war vorgegangen wie immer, hatte ihre Narben gereinigt, gekühlt und verbunden. Inzwischen waren sie beinahe verheilt und taten nur noch selten weh und irgendwie waren sie ein Teil von ihr geworden. Wahrscheinlich würde sie die Medizin bald nicht mehr brauchen und sie spürte wie sich bei diesem Gedanken etwas von ihrer düsteren Stimmung lichtete. Irgendwie musste sie in diesem Moment an das Gespräch zurückdenken was sie mit ihm führte als sie in jener Nacht durch Brügge spaziert waren. ‘Alles vermag zu heilen, selbst ein gebrochenes Herz, wenn man es nur lässt und geduldig ist.’ Wenn es doch nur so einfach wäre, dachte sie sich im Stillen. Dann vertrieb sie die Bilder in ihrem Kopf und sie packte sie die restlichen Fläschchen zusammen, deren Inhalt beinahe aufgebraucht war und hörte kurz danach ein leises Klopfen.

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“Herein.” Sigarda öffnete die schwere Holztür einen Spalt breit und suchte nach dem Blick von Thyra. “Dein Vater will dich sehen.” Die Stimme der anderen Frau ließ keinen Zweifel daran, dass es sich hier um keine Bitte handelte. “Gib mir nur noch einen Moment.” Die Tür schloss sich leise und Thyra war wieder mit ihren Gedanken allein. Sie wusste immer noch nicht was sie von der Frau halten sollte. Zwar gingen sie immer freundlich miteinander um, aber Thyra hatte noch immer keinen Zugang zu der Frau gefunden und was noch schlimmer war auch nicht was sie antrieb. Alles was sie in all den Wochen über ihre entfernte Verwandte herausfinden könnte war das diese sehr kalkuliert und immer zurückhaltend war. Es war im Moment aber einerlei, Ragnarsson wartete auf sie. Sie wusste er würde sich wahrscheinlich in der Gaststube aufhalten, irgendwo in einer dunklen Ecke zusammen mit einem Krug den er kaum anrührte. Dabei würde er grübeln, beobachten und Pläne schmieden wie schon die ganzen Tage zuvor. Irgendwas war schon im Gange, so viel war offensichtlich allerdings wusste sie noch nicht genau wie der finale Schlag aussehen würde. Die Taverne selbst war nicht klein und hatte einen großzügigen, holzgetäfelten Schankraum der die komplette untere Etage des windschiefen Hauses einnahm. Als die Thyra die Treppen hinabstieg und sah wie das ersten Sonnenstrahlen den Raum erhellte, bemerkte sie dass Tageslicht den Charme des Schankraums nicht unbedingt erhöhte. Es roch nach Bier und Schweiß, aber man gewöhnte sich schnell an den Geruch. Die Hauptkundschaft der Schenke zur silbernen Forelle waren vor allem Matrosen und Tagelöhner,und erfüllte deshalb seinen Zweck hervorragend. Niemand stellte unnötige Fragen oder achtete auf unbekannte Gesichter.

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Schließlich sah sie Ragnarsson, der an einem der schlecht gezimmerten Tische saß und sich mit einem Fremden unterhielt. Dieser hatte die Kapuze dicht ins Gesicht gezogen und Thyra sah wie ihr Vater einen prall gefüllten Beutel, wahrscheinlich mit Münzen über den Tisch schob, sowie einen Stapel mit Pergamenten. Die bleiche Hand seines Gesprächspartners schien einen Moment lang zu zögern und griff dann nach dem Geld und dem Papier um es einer seiner Manteltaschen verschwinden zu lassen. In diesem Moment hatte auch ihr Vater sie gesehen. Er gestikulierte ihr sich zu ihnen zu setzen. Sigarda saß schon neben ihm und lächelte wissend. “Thyra. Triff unseren neuen Freund.” Sie sah zum ersten mal das es sich um einen jungen, blassen Mann handelte. Er schien nicht viel ans Licht zu kommen und fühlte sich auch ganz offensichtlich nicht sehr wohl. Er nickte ihr kurz und gezwungen zu. Ragnarsson war guter Laune und schien hervorragende Neuigkeiten bekommen zu haben. “Der verlässliche Hans hier, hat uns ein paar wertvolle Dienste erwiesen und nun sind wir im Endstadium der Planung. Mach dich bereit und gib auch den anderen bescheid, ich treffe die letzten Vorbereitungen, denn in drei Tagen werden wir endlich zuschlagen! Schon so bald endet es.” Thyra konnte die mit Freude und Überzeugung brennenden Augen ihres Vaters erkennen, der sich wie ein kleiner Junge freute. Er stand schließlich auf und gebot Hans es ihm gleich zu tun und verließ zusammen mit diesem den Tisch. Dieser humpelte offenbar und Thyra sah wie er sich schwer auf eine Krücke stützten musste um die Taverne zu verlassen. Trotz seiner Behinderung schien er beinahe rennen zu wollen, um diese Lokalität hinter sich zu lassen.

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Thyra war nun mit Sigarda alleine und die andere Frau suchte ihren Blick. “Bist du bereit Thyra?” Die Frage erwischte sie eiskalt, aber sie nickte. “Ja das bin ich.” Die Jagd würde bald ihr Ende finden. Jetzt hatten sie alles was sie brauchten und die letzten Steine waren auf dem Spielfeld platziert. Es war nur noch eine Frage der Zeit. Sigarda sprach weiter. “Weißt du Thyra du hast mich beeindruckt in den letzten Wochen. Ich kann mir vorstellen was dich deine Treue zu den Kindern von Vidarr in dieser schweren Situation gekostet haben muss. Du hast mit ihm gelebt und deine Mutter und dein Bruder haben uns verraten und doch hast du dich nie vom eigentlichen Ziel abbringen lassen. Deine Stärke ist beeindruckend.” Es war als hätte jemand einen Eimer mit kaltem Wasser über Thyras Kopf ausgegossen. Sie erstarrte und schaute Sigarda nur fassungslos an. Woher wusste sie das? Die Wahrheit dämmerte ihr schneller als ihr lieb war. Ragnarsson. Sigarda unterbrach ihre Gedanken bevor sie weiterdenken konnte. “Nicht doch, nicht doch.” Sie lächelte. “Es gibt keinen Grund für deine Panik. Das Geheimnis ist bei mir sicher. Dein Vater hat sich mir anvertraut und ich stehe treu zu ihm und damit auch zu dir, sowie unserer ganzen Familien. Auch ich will all das einfach nur beenden und zu einem normalen Leben zurückkehren.” Thyra entspannte sich ein wenig und nahm einen Schluck von dem schalen Bier, welches ihr Vater nicht einmal angerührt hatte. Sigarda schien noch mehr sagen zu wollen, also beschloss sie einfach nur zuzuhören. “Du kennst meine Fähigkeit. Ich weiß wenn Menschen lügen und ich habe diese Begabung für lange Zeit gehasst und verabscheut.” Sie seufzte. “Es hat mich so viele Jahre gepeinigt immer zu wissen wie viele Menschen einander belügen. Kinder ihre Eltern, Liebende, Freunde...sie sind alle gleich. Die ganze Welt erschien mir wie ein grausamer Ort an welchem jeder jeden betrügt und dabei nicht einmal Schuldgefühle empfand. Es machte mich als Mädchen wahnsinnig und traurig einen Mann ‘Ich liebe dich’ sagen zu hören und zu wissen das er es nicht so meinte. Freunde zu sehen die sich schwören ewig für einander da zu sein und es mit keiner Faser ihres Körpers so meinten.” Thyra konnte sehen wie sich Sigardas Blick in die Ferne richtete, während sie leicht den Kopf schüttelte. Sie schien sich an etwas zu erinnern. “Aber ich habe es irgendwann doch verstanden. Die meisten Menschen lügen nämlich nicht aus Bosheit sondern weil sie etwas beschützen wollten. Seien es Gefühle, Ideen, Träume, oder Hoffnungen. Meistens aber sagen sie die Unwahrheit um die die ihnen nahe stehen zu vor Schmerz zu bewahren. Die Gründe waren so endlos wie die Menschen selbst und mir wurde klar, dass nicht jede Lüge schlecht war. Nicht jeder kann die Wahrheit ertragen, aber die die es können sind wirklich stark.” Sigarda lächelte und ließ ihre schlanken Finger über einen der Tonkrüge gleiten. “Eine Sache aber macht dich schwach. Eine Art von Lüge und zwar all jene die wir uns selbst erzählen.” Sie schaute zu Thyra. Die Stimme der anderen Frau war beinahe nicht mehr als ein Flüstern. “Egal wie oft wir uns etwas einreden, es wird dadurch nicht oder weniger wahr. Im Gegenteil. Es macht unglücklich, denn wir beschützen niemanden, wir verdrängen nur und verschleiern unseren eigenen Blick .”

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Thyra schluckte. Was wollte Sigarda von ihr? Warf sie ihr etwas vor. Es fiel ihr so schwer diese Frau zu lesen, dass es sie beinahe frustrierte. “Wenn du an mir zweifelst dann…” Sie wurde sofort unterbrochen. “Hör auf Thyra.” Das erste Mal an diesem Abend erhob Sigarda ihre Stimme merklich. “Ich werfe dir nicht dergleichen vor, im Gegenteil.” Ihre Stimme kehrte wieder zu ihrer normalen Lautstärke zurück. “Nenn es weibliche Intuition und sicherlich spielt meine Fähigkeit auch eine Rolle, aber ich weiß inzwischen was du für den Jungen namens Karl empfindest und das ist in Ordnung.” Etwas zog sich in Thyras Magen zusammen. “Leugne es nicht.” Sie schaute ihr tief in die Augen. “Du würdest dich nur selber belügen. Tu das nicht.” Sigarda lehnte sich zurück und trank langsam aus dem vor ihr stehenden Krug, während ihre Finger behutsam über die Glasierung strich. Thyra sammelte sich und nahm noch einen Schluck von dem Bier. Mehr um sich Zeit zu verschaffen, als weil sie es wirklich wollte. “Und wenn es wirklich so wäre? Was erwartest du das ich tue?” Sigarda griff über den Tisch und griff ihre Hand. “Geh zu ihm und sag ihm was du empfindest. Das mag deine letzte Chance sein. Wir greifen in drei Tagen an und du bist eine Kriegerin und ein Kind von Vidarr. Aber du bist auch eine Frau. Du hast es verdient einen Moment ehrlich zu dir selber zu sein, nach allem was du geleistet hast.” Thyra schüttelte nur mit dem Kopf. “Seine Hochzeit ist heute. Ich kann das nicht tun.” Sigarda drückte ihre Hand fester. “Doch du musst. Für dich und weil du es dir sonst selbst nie verzeihen wirst, denn wenn wir mit dieser Stadt fertig sind werden wir nie zurückkehren.” Thyra wusste das das die Wahrheit war und wusstre das es keinen Sinn machen würde sich vor dieser zu verbergen. So sehr es sie schmerzte. Sigarda sprach schließlich weiter. “Diese Welt ist grausam genug, insbesondere mit unserem Schicksal und es ist Zeit all das zu beenden. Aber es ist auch unsere Pflicht diesen Wahnsinn nicht zu unserem einzigen Lebensinhalt zu machen. Was hast du schon zu verlieren? Du hast nicht viel Zeit.” Thyra erhob sich bevor sie es selbst begriff. Die Sonne stand inzwischen Hoch am Himmel und erwärmte die Luft in der Stube spürbar. Sie wusste nun was sie zu tun hatte. Sigarda hatte etwas gesagt, dass ihr den Schleier von den Augen genommen hatte. Es war noch nicht zu spät. Sie hatte gehört, dass die eigentliche Hochzeit um Mitternacht stattfinden würde, aber zuvor würden vor dem alten Westtor der Stadt und frühe Feierlichkeiten stattfinden. Sie hatte also noch Zeit.

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 Betreff des Beitrags: Re: Der Klang von Hochzeitsglocken
BeitragVerfasst: Do 29. Sep 2016, 14:56 
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Die Feierlichkeiten waren bereits in vollem Gange als Thyra in der Nähe des alten Apfelhains eintraf und sie war von der schieren Größe der Feier mehr als beeindruckt. Da waren Narren und Feuerschlucker, Wettbewerbe wo man Kraft und Geschick messen konnte oder auch wer das meiste Garn in einer bestimmten Zeit spinnen konnte. Es erinnerte beinahe an einen Jahrmarkt. Die eigentliche Trauung würde wie sie in Erfahrung bringen konnte erst um Mitternacht in dem Rohbau der neuen Kathedrale von Brügge stattfinden, aber zuvor wurden für die zahlreichen Gäste Spiele und Zusammenkünfte dargeboten um sie bis zum Höhepunkt des Tages angemessen zu unterhalten. Die Sonne tauchte die schwer beladenen Apfelbäume in goldenes Licht und gab der ganzen Szenerie eine warme und einladende Atmosphäre. Auf dem Weg hierher hatte sie sich noch Sorgen gemacht, wie sie ihre Anwesenheit auf der Feier tarnen würde, aber als sie die Massen an Menschen sah, wusste sie dass dies kein Problem sein würde. Überall verteilten sich die Gäste. Ritter und Adelige, sowie Bürger und Handwerker mischten sich zwischen den Tischen die mit Essen und Getränken überladen waren, während auf den vielen Übungsplätzen fröhliche Leute in verschiedensten Wettkämpfen ihr Können zeigten. Sie würde dort nicht auffallen, nicht wenn sie nicht wollte. Ermutigt von den Umständen nahm Thyra ihre Position ein und beobachtete die verschiedenen Gruppen bis sie irgendwann Karl sah. Er war in Begleitung einiger anderer Ritter und spielte gerade ein Spiel dem es darum ging einen Apfel aus einem Fass mit Wasser zu fischen. Der Trick dabei war das man nur den Mund benutzen durfte, was zu einigen lustigen Szenen führten. Thyra musste trotz ihrer Angespanntheit kurz lachen, als Karl es irgendwie schaffte einen offensichtlich fauligen Apfel aus dem Wasser zu fischen und gleich darauf laut fluchte. Sie bewegte sich schließlich auf die Gruppe zu. Sie schnappte sich eines der Handtücher die bereit lagen und reichte es dem verdutzt dreinschauenden Ritter als er sie erkannte.

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Ohne Vorwarnung nahm er sie in die Arme und drückte sie fest an sich, so dass ihr für einen Moment die Luft wegblieb. “Thyra! Du bist hier” Ich wusste nicht das kommst! Ich freue mich dich zu sehen. Die anderen werden so überrascht sein, wenn...” Sie legte ihm eine Hand auf den Arm um ihn zu unterbrechen, während sie langsam den Kopf schüttelte. “Hör mir zu. Ich kann nicht lange bleiben und muss mit dir sprechen. Ich weiß ich hätte mir keinen schlechteren Tag aussuchen können, aber es geht nicht anders.” Karl nahm nun das Handtuch entgegen und trocknete sich langsam das Gesicht ab. Sein Ausdruck war ernst geworden und er schaute zwischen seinen Gästen hin und her ganz so als würde er etwas suchen. “Aber natürlich. Hey Arnulf.” Er schaute zu einem der Männer im Kreis. “Ich muss mich noch um meine Bekannte kümmern, ich bin gleich wieder bei euch.” Eine Bekannte dachte sich Thyra bitter. Die Worte stachen sie mehr ins Herz als sie sich eingestehen wollte. Der Ritter schaute sie nachdenklich an nahm zwei Krüge mit Apfelmost die an dem gleichen Stand zur Erfrischung bereitstanden und reichte ihr das Getränk. Thyra war dankbar etwas in der Hand zu haben auch wenn sie im Grunde keinen Durst hatte. Sie gingen ein paar Meter bis sie außer Hörweite der anderen Gäste waren. Thyra atmete tief durch. Jetzt oder nie, sonst hätte Sie sie nicht die Kraft weiterzumachen.

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“Karl hör mir genau zu. Meine Familie will in drei Tagen Leif angreifen.” Sie hatte es gesagt, es war geschehen und eine dumpfe Leere breitete sich in ihr aus und brachte sie für einen Moment aus dem Konzept. Auch Karl wirkte wie vor den Kopf gestoßen und versuchte das gerade gehörte zu verdauen. Sie hatte ihm offensichtlich den Atem verschlagen. Sie zwang sich dazu weiterzusprechen. “Etwas ist ganz wichtig. Du musst so tun als wäre nichts passiert. Die Kinder von Vidarr haben Spione in der Stadt und wenn du heute nicht wie geplant vorgehst, wenn sie auch nur irgendeinen Verdacht schöpfen, egal wie klein dann kann ich für nichts garantieren.” Aus den Augenwinkeln sah Thyra eine hölzerne Bank und setzte sich auf diese. Sie brauchte einen Moment und umgriff den Tonkrug fest mit der Rechten. Bereute sie das was sie gerade gesagt hatte etwa? Der junge Bräutigam schaffte es irgendwann sich zu sammeln und setzte sich neben sie, während er ihre noch freie Hand ergriff. Er seufzte tief bevor er sprach. “Aber Thyra was erwartest du jetzt von mir?...Was sollen wir tun und wieso hast du…” Er verstummte ganz plötzlich, beinahe als hätte er sich erschreckt. Thyra lächelte ihm nur traurig zu, denn sie wusste genau was er fragen wollte. 'Wieso erzählst du mir das?' 'Wieso verrätst du deine eigene Familie?' Sie drückte seine Hand wie zur Ermutigung und spürte eine angenehme Wärme und ein wohliges Kribbeln in ihren Fingern. “Ich weiß nicht was du tun kannst Karl, ich weiß nicht mal was ich jetzt tun soll aber bitte sei vorsichtig. Vielleicht versteckt ihr euch einfach alle, zumindest bis die unmittelbare Gefahr vorbei ist.” Dann schwieg sie und wandte den Blick ab, während sie ihre Hand aus seinen Fingern befreite, so sehr sie ihre Verbindung auch gerne aufrecht erhalten hätte. Ihre Augen brannten wie Feuer. “Ich weiß was du sonst noch fragen willst...du willst wissen wieso ich dich gewarnt habe, denn ich habe mich damit gegen die Kinder von Vidarr gestellt. Nun vielleicht kennst du die Antwort bereits.” Ihr Gegenüber wirkte verwirrt, also sprach sie weiter auch wenn es ihr schwer fiel. “All der Wahnsinn kann so einfach nicht weitergehen und außerdem...außerdem könnte ich es nicht ertragen dir einen solchen Schmerz zuzufügen, denn ich...ich liebe dich.” Jetzt war es raus. Es gab kein zurück mehr. Karl wirkte wie vom Blitz getroffen und erstarrte. “Ich Thyra…” Sie schüttelte nur schnell mit dem Kopf und erhob sich. Sie musste hier raus. “Sag bitte nichts, ich weiß das du jemand anderen begehrst und das heute deine Hochzeit ist. Das war nicht richtig von mir.” Ein trauriges Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. Karl sprach mit angespannter Stimme und gesenktem Kopf. “Es tut mir Leid Thyra.” Sie hörte die letzten Worte fast nur noch als Flüstern, denn sie war schon los gelaufen. Sie ließ die Feierlichkeiten hinter sich und als sie das alte Westtor passierte konnte sie nicht sagen ob sich der Druck in ihrer Brust auflöste und schlimmer wurde.

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Thyra wusste nicht wie lange sie ziellos durch die Straßen gelaufen war und spürte nur irgendwann das sie noch immer den leeren Tonkrug in ihren Händen hielt. Sie Sonne war bereits untergegangen und den Inhalt des Bechers musste sie auf dem Weg verloren haben. Da war sie nun und konnte nirgendwo mehr hin. Sie hatte die Pläne ihres Vaters verraten und einem Mann ihre Liebe gestanden der nicht einmal bemerkt hatte was sie für ihn empfunden hatte. Sie fühlte sich leer, stumpf und ziellos. Irgendwann war sie auf ihren verschlungenen Wegen an einem Lagerhaus mit flachem Dach vorbeigekommen. Sie war die Wand hochgeklettert, setzte sich mit Blick zur Stadt auf die Ziegeln und umschlang ihre Knie mit den Armen wie sie es so oft als Kind getan hatte wenn sie über etwas nachdenken musste. Der Wind zerzauster ihre Haare während sie ihren Blick über das in Dunkelheit getauchte Brügge unter sich schweifen ließ. Die weiß getünchten Fassaden funkelten im Mondlicht, während sich die geschindelten Dächer wie ein Wald aus Holz und Ton bis zum Horizont erhoben. Ihre Augen blieben schließlich an dem Rohbau der neuen Kathedrale hängen, einem mächtigen Steinbau in der Form eines Kreuzes. Sie schien von tausenden Kerzen erleuchtet zu sein und die Glocken begannen in einem dumpfen Crescendo zu läuten. Offensichtlich hatte die Trauung begonnen, der Tag ging genauso voran wie geplant. Das war gut, versetzte ihr aber auch einen dumpfen Stich ins Herz. Sie ärgerte sich plötzlich über ihre Dummheit. Was hatte sie eigentlich erwartet? Das Karl seine Braut und alles was er sich aufgebaut hat an seinem Hochzeitstag hinter sich lässt um mit ihr in den Sonnenuntergang zu reiten? Sie war zwar töricht, aber nicht so sehr. Nur naive Hofdamen und dumme Mädchen glauben das sowas in der Realität passiert. Aber auch wenn sie keine Närrin war hatte sie das Recht traurig zu sein. Sie ließ ihren Kopf langsam in den Schoß sinken und erlaubte es sich einen kleinen Moment zu trauern. Sie wusste tief im Inneren, dass die Gefühle die sie gespürt hat einseitig gewesen waren und nie eine echte Chance hatten. Aber jetzt konfrontiert mit dieser schmucklosen Wahrheit tat all das trotzdem nicht weniger weh. Sie spürte schließlich, so sehr sie sich auch dagegen werte wie heiße Tränen ihre Wangen hinunter liefen und ein Schluchzer ihrer Kehle entwich. Sie trauerte nicht nur über ihre dumme Schwärmerei, sondern auch um ihre Zukunft. Sie hatte die Kinder von Vidarr verraten, ebenso wie ihr Bruder und Brunhild und keine Ahnung wie es jetzt weitergehen würde. Sie würde sich den Konsequenzen ihrer Taten irgendwann stellen müssen, aber das wahr ihr im Moment egal. Der Seher hatte ihr bereits ein grausames Ende prophezeit und dem Schicksal konnte man nicht entkommen. Thyra richtete sich auf und wischte sich die letzten Tränen aus dem Gesicht. Mit einem traurigen Lächeln ließ sie ihre Hände über die Dachziegeln gleiten, während sie von dem Lager stieg. In einem anderen Leben, zu einer anderen Zeit hätte sie in dieser Stadt vielleicht glücklich sein können, aber sie war weder eine naive Hofdame, noch ein dummes Mädchen. Sie wusste, dass solche Dinge nicht für sie bestimmt waren.

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 Betreff des Beitrags: Re: Der Klang von Hochzeitsglocken
BeitragVerfasst: Di 25. Okt 2016, 06:44 
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Die kleine Frau am Rande des Kanals genoss die warmen Sonnenstrahlen die ihr Gesicht leicht kitzelten, während um sie herum Enten und Gänse wild durcheinander schnatterten. Sie öffnete die Augen und sah wie die goldenen Strahlen der Mittagssonne durch die dunkelgrünen Blätter des Apfelbaumes gefiltert wurden unter dem sie saß. Die liebte dieses Zwielicht, das beruhigende grün, durchzogen von goldenem Glanz und dem leicht erdigen Duft frischer Äpfel in der Luft. Schon seit einigen Minuten spielte sie mit dem Gedanken die klobigen Holzschuhe auszuziehen, um ihre Füße für einen Moment in das kühle Wasser zu halten. Sie stellte sich schon das frische, kalte Prickeln auf ihrer Haut vor aber schließlich hatte sie sich dagegen entschieden. Sie hatte noch Arbeit vor sich. Der Kanal in diesem Teil der Stadt hatte beinahe die Tiefe und Sauberkeit eines kleinen Weihers. Kleine, silberne Fischchen und saftige Wasserpflanzen hatten sich in dem Wasser angesiedelt und wenn man die ruhige Oberfläche beobachtete war es wie ein Spiegel in eine andere Welt. Brügge war wirklich herrlich dachte sich Schwester Magdalena im Stillen und fühlte sich rundherum wohl, während sie die detaillierte Schönheit von Gottes Welt beobachtete. Sie musste nach wie vor Schmunzeln, wenn sie ihren Ordensnamen hörte und auch dieses Mal war es nicht anders. Schwester Magdalena, Schwester Maria Magdalena. Von der Hure zur Heiligen. Damals hatte man ihr den Namen gegeben, damit sie ihre Herkunft nie vergessen würde, aber inzwischen sah sie in dieser neuen Bezeichnung etwas auf das sie stolz war. Sie hatte das einzige getan was in jenem grauenhaften Moment sinnvoll war und das beste aus ihrer Situation gemacht. Sie hatte doppelt so hart wie jede andere Schwester gearbeitet und ihre Aufgaben zweimal so schnell bewältigt. Ihre Gedanken drifteten zu jener dunklen Zeit zurück, kurz nach dem Krieg um Brügge. Damals hatte es für das angeschlagene Kloster mehr als genug Arbeit gegeben und rückblickend kam es ihr immer noch wie ein Wunder Gottes vor, dass der Konvent nicht einfach aufgelöst wurde. Fast alle Schwestern waren von einem diabolischen Monster abgeschlachtet worden und es war alleine Mutter Hildegards eisernen Willen das sie diese schwierigen Zeiten überstanden hatten. Wider aller Umstände hatten sie es aber geschafft und Katharina van de Burse erinnerte sich mit ein klein wenig Stolz daran, dass auch sie ihren Teil dazu beigetragen hatte. Die ersten Jahre waren hart gewesen, aber irgendwann wurde es tatsächlich besser. Die Ländereien waren ertragreich, sie hatten eine große Anzahl vielversprechender junger Schwestern im Orden aufgenommen und neue Bündnisse wurden mit der aktuell regierenden Gräfin von Flandern geschlossen. Wirklich überrascht hatte es sie dann das sie nachdem Mutter Hildegard dem Ruf ins ferne Rom gefolgt war von ihren Mitschwestern zur neuen Äbtissin gewählt worden war. Das Ergebnis war gelinde gesagt ein Skandal gewesen, ein Gedanke der ihr einmal mehr ein Schmunzeln auf die Lippen zauberte. Eine ehemalige Prostituierte mit ihrer Vergangenheit sollte eines der höchsten Kirchenämter begleiten die einer Frau zugänglich waren? Dieser Gedanke musste einigen Würdenträgern schwer im Magen gelegen haben und erst die entschiedenen Worte der Gräfin Johanna ließen die Kritik irgendwann, wenn auch unter Protest verstummen. Katharina hatte sich der Aufgabe gerne gestellt, denn nun hatte sie nicht nur die Möglichkeit ihre Mädchen und das Kloster zu beschützen, sondern auch die weitere Politik des Konvents nach ihren Vorstellungen zu gestalten. Es war ein langer, steiniger Weg mit vielen Opfern gewesen und wie so oft waren Gottes Wege unergründlich. Ihr Leben war immer wieder wild und voller Veränderungen gewesen aber der Herr hatte seine Hand schützend über sie gehalten und sie dankte ihm dafür, dass sie nach dem Verlust ihrer eigenen Familie in der Gemeinschaft ihrer Schwestern eine neue gefunden hatte. Auch Karl und Balduin hatten einige schwere Zeiten durchmachen müssen, auch wenn die glücklichen bei Weitem überwogen. Ihre Wege waren in den letzten Jahren nicht gemeinsam verlaufen, aber sie hatten sich nie aus den Augen verloren und mit ein wenig Glück würde auch diese Trennung bald ein Ende finden. Ihre Gedanken kreisten noch für einen Moment um ihren Ehemann und Sohn. Egal was ein Stück Papier oder die Kirche sagen mochten, aber Balduin war ihr Mann und er würde es in ihrem Herzen auch immer bleiben.

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In der Ferne sah sie schließlich die Frau auf die sie gewartet hatte und mit einem kleinen Stich des Bedauerns den friedlichen Ort verlassen zu müssen erhob sich die Äbtissin. Schwester Gabriella näherte sich und lächelte ihr bereits zu. Katharina erhob sich von ihrer Bank und ging der anderen Frau ein Stück entgegen. Sie mochte die andere Nonne sehr, denn Schwester Gabriella war ebenso klug wie pragmatisch und eine große Stütze im Alltagsgeschäft des Klosters. Ohne sie wäre der alltägliche Wahnsinn manchmal einfach nicht zu bewältigen. Als Zellarin oblag ihr die gesamte Wirtschaftsverwaltung der Abtei, seien es die Nahrungsmittel oder Werkzeuge und die junge Nonne war eine ausgezeichnete Organisatorin, egal ob Zahlen oder ein allgemeiner Überblick gefragt waren. Katharina hakte sich bei ihr ein als sie auf gleicher Höhe waren. “Sind die Webstühle alle unbeschadet angekommen und aufgebaut worden?” Die jüngere Frau nickte. “Alles ist wie es sein soll. Die Beginen können jetzt anfangen Tuche zu weben. Wie habt ihr es geschafft, dass die Gräfin die Kosten für alle Webstühle übernimmt?” Katharina verzog für einen Moment das Gesicht, denn sie fühlte sich ertappt, schmunzelte dann aber. “Richtet nicht über mich Schwester, aber vielleicht habe ich während meiner letzten Audienz erwähnt, dass ihre Schwester darüber nachdenkt uns zu unterstützen und daraufhin hat sie ihre Spenden verdoppelt.” Sie schwieg für einen Moment. “Ich weiß es war ein schmutziger Trick, aber für die Frauen in der Beginage wird es einen unendlichen Gewinn darstellen, der es ihnen vielleicht sogar erlaubt auch ein paar nicht ganz so gut betuchte Mitglieder aufzunehmen, da sie für ihren Unterhalt arbeiten können.” Katharina spürte wie Gabriella ihren Arm ein wenig fester drückte und inzwischen weniger formell mit ihr sprach. “Mach dir keine Gedanken.” Sie lächelte ihr aufmunternd zu. “Als ob ich irgendetwas dagegen hätte. Ich bin froh über jede zusätzliche Ressource die den Frauen zugute kommt.” Katharinas Gedanken drifteten für einen Moment ab. Das Leben in den Beginagen war eine neue Form des Ordenslebens für Frauen. Sie verschrieben sich den Geboten Gottes und lebten zusammen mit anderen Gleichgesinnten in einer Gemeinschaft. Das Leben war ähnlich dem im Kloster, trotzdem weniger strikt und zusätzlich musste keine der Frauen ein typisches Gelübde ablegen. Es war ein eheloses, religiöses Leben welches insbesondere gottesfürchtige Witwen schätzten, die sich nicht dem Diktat eines männlichen Verwandten oder Vormunds beugen wollten. Ein solches Leben gab alleinstehenden Frauen eine zusätzliche Wahl in dieser harschen Welt, etwas das Katharina mit Zuversicht erfüllte. Sie mussten zwar eigene finanzielle Mittel einbringen, allerdings würde sie auch daran noch arbeiten wenn sie irgendwie konnte. Die beiden Frauen erreichten schließlich einen ummauerten Hof mit vielen kleinen Häusern, der das Herz des neuen Brügger Beginenhofs bildeten und Katharina drehte sich zu ihrer Ordensschwester um. “Ich werde heute die Nacht hier in einem der Gästequartiere verbringen. Die Hochzeit meines Sohnes wird morgen stattfinden und für mich würde es wenig Sinn ergeben heute noch zum Kloster zu reiten, nur um morgen wieder hierher zu kommen. Außerdem würde ich mir morgen gerne noch die Werkstätten schauen und ein paar der neuen Frauen kennen lernen.” Gabriella nickte und lächelte dabei. “Ich werde die Nachricht überbringen.” Dann legte sie ihr eine Hand auf den Arm. “Mach dir keine Sorgen Katharina. Keiner ahnt etwas.” Die Schwester verabschiedete sich mit einem kurzen Lächeln von ihrer Äbtissin um sich wieder auf den Weg ins Kloster vor der Stadt zu begeben. Sie kannte ihr Geheimnis, aber es gab kaum einen Menschen dem sie mehr vertraute.

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Katharina wartete in dem kleinen Zimmer und war nervös. Balduin würde bald hier sein und dann hätten sie wenigstens diese eine Nacht zusammen. Die Wahl zur Äbtissin hatte ihr nicht nur die Möglichkeiten eröffnet den Konvent nach ihren Vorstellungen zu gestalten, sondern auch eine gewisse Menge an Privatsphäre verschafft an die sie sich zwar erst wieder gewöhnen musste, die sie aber gut zu nutzen wusste. Katharina war klar, dass wann immer sie Balduin im Dunklen oder Verborgenen traf, sie streng genommen ihr Gelübde brach. Das war ihr aber egal. Gott hatte sie beide verheiratet und ihr Band bestand immer noch, egal was irgendein Stück Pergament oder Dekret sagte. Gott würde ihr ihre Sünde verzeihen, insbesondere wenn man die Pläne bedachte die sie noch hatte. Es klopfte schließlich an einem kleinen Dienstboteneingang und voller Freude riss sie die Tür auf um Balduin in die Arme zu fallen. Er war warm und roch nach Rosmarin, Minze und frischem Wollfett mit welchem er seine Salben so gerne anfertigte. Dieses Aroma war für sie genauso wunderschön wie aller Weihrauch dieser Welt und gab ihr immer ein Gefühl Geborgenheit. Er küsste sie und schließlich legte sie eine Wange an seine Brust. Sein Herz schlug kraftvoll, während sie spürte wie seine geschickten Hände, die Hände eines Heilers ihren Habit lösten. Sie brauchten in diesem Moment keine Worte und sie genoss einfach nur den Augenblick. Vorsichtig entfernte er ihren Schleier und küsste sie dabei. Eigentlich fühlte sich Katharina unsicher und nackt ohne ihren Schleier, schließlich war er jahrelang ihr Schild gegen allerlei Übel dieser Welt gewesen, aber hier war das anders. Balduin löste vorsichtig eine Haarnadel nach der anderen, bis sie schließlich spürte wie sich ihre langen, haselnussbraunen Haare über den Rücken ergossen. Balduin berührte ihre Locken vorsichtig und vergrub sein Gesicht darin. “Ich liebe deine Haare so sehr Katharina” Er strich ihr sanft über die Wange und suchte ihren Blick. “Fast genauso sehr wie ich dich liebe.” Dann berührten sich ihre Lippen und Katharina ließ sich einfach fallen um sich ganz der Schönheit des Augenblicks hinzugeben.
Sie wusste nicht wie lange sie einfach so dagelegen hatten, aber das spielte im Moment eh keine Rolle. Katharina genoss die Wärme und Nähe zu Balduin während sie einfach nur zusammengerollt unter der Felldecke lagen. Zweisamkeit war etwas so banales und doch gleichzeitig auch so heilig. Irgendwann durchbrach sie aber die Stille. Ihre Zeit war leider begrenzt, noch zumindest und dieser Gedanke half ihr die gute Laune zu behalten. “Balduin?” Sie nahm seine Hand. Er grunzte nur kurz und zeigte damit, dass er sie hörte. “Wie hat Karl es aufgenommen, als du ihm von seinem Erzeuger berichtet hast?” Balduin schien auf einmal hellwach und richtete sich im Bett auf. Er kratzte sich am Kopf und schien nach Worten zu suchen. “Nun, wenn ich ehrlich bin sehr viel besser als ich mir je zu träumen gewagt hätte.” Katharina fiel bei diesen Worten ein Stein vom Herzen und hörte Balduin weiter bei seinen Ausführungen zu. “Er meinte nicht das Blut macht einen Vater aus und das er sich keinen besseren Vater wünschen könnte...nach...nach allem was wir zusammen durchgemacht haben.” Sie sah das da noch mehr war und sie ahnte worum es ging. Sie drückte seine Hand und lächelte ihn an. “Mach dir nicht zu viele Gedanken über die Dinge die waren. Sie sind Vergangenheit und keine Macht dieser Welt wird sie mehr ändern. Ich weiß das du dir Vorwürfe machst. Vorwürfe über die Zeit in der es dir selbst schlecht ging. Aber du hast dich deinen Dämonen gestellt und sie besiegt, auch für deinen Sohn.” Sie küsste ihn lange und schaute ihm tief in die Augen. “Es gibt jene die keine Probleme in ihrem Leben haben und jene die kämpfen müssen, aber es braucht sehr viel mehr Kraft, Mut und innere Stärke wenn zur zweiten Gruppe gehört. Ich weiß wir haben über die Jahre viel durchmachen müssen, aber schau uns jetzt einmal an. Wir haben uns den Herausforderungen gestellt und dir, mir insbesondere aber unserem Sohn geht es gut, bald vielleicht sogar noch besser...Ich…” Sie schaute Balduin breit lächelnd an. Sie fühlte sich wieder wie damals als sie sich zum ersten Mal im Garten des Hospitals geküsst hatten. “...Ich habe noch eine Überraschung für dich.” Es fiel ihr schwer die Stimme nicht zittern zu lassen. “Alle Anklagen gegen mich wurden fallen gelassen. Mutter Hildegard selbst hat im Vatikan einen Gefallen eingefordert. Die Dokumente mit dem Siegel des Heiligen Vaters selbst sind vor einer Woche eingetroffen, was bedeutet das ich den Schutz des Klosters nicht mehr brauche.” Balduin wirkte wie vor den Kopf gestoßen und schaute sie ungläubig an. Er sah aus er wollte er gleich lachen oder weinen würde. Vielleicht wusste er es selber auch nicht., denn seine Stimme überschlug sich beinahe. “Heißt das etwa..” Sie unterbrach ihn mit einem Nicken und einer Umarmung. Ihr Mund war ganz nahe an seinem Ohr und sie flüsterte. “Ja Balduin. Das bedeutet ich kann mein Gelübde widerrufen und zurückkehren. Ich komme nach Hause.”

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Katharina zog sich gerade ihren Schleier zurecht, während der Nachmittag sie mit ungewöhnlicher Wärme und Sonnenlicht lockte nach draußen zu gehen. Heute war endlich der Tag der Hochzeit und sie hätte sich nie vorstellen können wie sehr sie sich darauf freuen würde. Balduin hatte sie gestern Nacht noch verlassen, denn niemand durfte sie zusammen sehen aber er würde später wieder zum Beginenhof kommen um sie wahrscheinlich begleitet von ein paar anderen Familienmitgliedern abzuholen. Man durfte sie zwar nicht alleine zusammen sehen schon gar nicht in der Nacht, aber als Eltern des Bräutigams in einer großen Gruppe von Gästen könnte Anstoß nehmen. Sie wurde ein bisschen ungeduldig, denn der Tag war schneller vorangeschritten als sie es sich gewünscht hätte. Sie hatte am Morgen noch einige Pflichten zu erfüllen gehabt, aber jetzt spürte sie wie ihre Aufregung und Vorfreude ins Unermessliche wuchs. Balduin durchschritt schließlich irgendwann das Tor. Er grinste breit und hatte nur Alyssa dabei, die als heutige Anstandsdame fungierte. Katharina hatte ihre Schwägerin schon lange nicht mehr gesehen und umarmte sie herzlichst zur Begrüßung. Sie freute sich die dunkelhaarige Frau wiederzusehen, denn abgesehen von den Familienbanden die sie über ihren Balduin geknüpft hatten war Alyssa auch einer der Gründe gewesen wieso Karl seine Ausbildung als Ritter überhaupt beenden konnte. In den Stand erhoben zu werden war langwierig, insbesondere aber kostspielig und auch wenn Balduin jede Münze die er im Hospital verdiente an seinen Sohn weitergab und Brunhild Waffen und Rüstung zur Verfügung stellte so gut es ihr möglich war, hätte es fast nicht gereicht. Pferde, ein Knappe, Handgeld und eine Vielzahl von anderen Ausgaben hatten seinen Traum immer wieder ins Wanken gebracht. Erst dank Alyssas unendlicher Großzügigkeit was es ihm schließlich möglich gewesen seine Ausbildung zu beenden. Katharina war ihrer Schwägerin für diesen Einsatz unendlich dankbar. “Es ist schön das du es geschafft hast. Karl wird sich wahnsinnig freuen dich zu sehen.” Alyssa hatte sich Blumen ins Haar geflochten und trug eine weiße, festliche Robe die mit Silberfaden durchwoben war. Das Gesamtbild wurde von einem feinen Duft nach würzigen Kräutern und etwas blumigen abgerundet. England schien ihr wirklich gut zu tun. Sie sah gesund und ausgeglichen aus und ihre Stimme war voller Energie. “Ich freue mich auch dich wiederzusehen.” Sie grinste breit. “Balduin hat mir die guten Neuigkeiten schon berichtet.” Sie hielt sie an den Händen. “Ich freue mich sehr für euch beide. Nach alle den Jahren hat diese Odyssee doch noch ein gutes Ende gefunden. Ihr habt das verdient” Sie ließ ihren Blick über das sauber gemauerte Tor zum Beginenhof, sowie das Anwesen mit den kleinen Häuschen selbst wandern und nickte anerkennend. “Aber ich sehe das du trotz allem die Zeit und deine Position nicht verschwendet hast. Ich finde die ganze Idee mit den Beginen einfach wunderbar. Das eröffnet viele Frauen eine völlig neue Perspektive. Du kannst stolz auf dich sein.” Sie schien für einen Moment zu überlegen und fügte dann noch etwas hinzu. “Vielleicht ist das ja in zehn oder zwanzig Jahren auch etwas für mich. Ich werde bestimmt nicht mehr heiraten, Männer haben mir genug ärger für zwei Leben eingehandelt.” Alyssa lachte ausgelassen und Katharina drückte den Arm ihrer Schwägerin sanft um zu zeigen wie geschmeichelt sie von dem Lob war. Es fiel ihr auch nach den Jahren immer noch manchmal schwer ein Kompliment zu akzeptieren, insbesondere wenn es ehrlich gemeint war. Katharina sah zum erste Mal das die Zeichen der Zeit auch an Alyssa nicht einfach vorbeigegangen waren. Ihre Schwägerin war ihr immer alterslos, beinahe ätherisch vorgekommen aber inzwischen sah sie erste Fältchen in ihren Augenwinkeln und auch der teure, schwere Stoff ihres Kleides konnte nicht verbergen das sie ein wenig an den Hüften zugelegt hatte. Katharina lächelte in sich hinein, als sie realisierte das die gleichen Dinge auf sie ebenso zutrafen und bevor sie sich weiter so belanglosen Gedanken hingeben konnte wurde sie auch von Balduin unterbrochen. “Wollen wir dann losgehen meine Damen? Ich glaube nicht das wir das Brautpaar warten lassen sollten und jünger werden wir ja sowieso alle nicht.” Er verbeugte sich mit einem verschmitzten Grinsen. “Ihr habt noch den ganzen Tag für Klatsch und Tratsch, denn ich bin mir sicher das es genug van de Burses gibt die heute über die Stränge schlagen werden und von Lillianas und Maries adeligen Damen will ich gar nicht erst anfangen.” Katharina lachte und halte sich bei ihrer Schwägerin unter. “Also dann machen wir diesen Tag unvergesslich.”

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Sie verbrachten beinahe den ganzen Tag als Dreiergespann auf der Festwiese vor dem Westtor und genossen das belanglose Geplapper und die Gelöstheit des heutigen Festtages. Katharina hätte sich ein paar Momente mehr mit ihrem Sohn gewünscht aber sie verstand die Unmöglichkeit ihrer Bemühungen vor der Trauung. Er und Marie waren mehr als nur beschäftigt und redeten mit einer Vielzahl an Gästen, Würdenträgern und Bekannten. Die Masse an Gästen war fast ein wenig einschüchternd, aber sie amüsierten sich bei Spielen, gutem Essen und auch ein wenig Klatsch und Tratsch und langsam begann die Dämmerung einzusetzen. Im Moment standen sie zusammen mit Graf Christophe Ducrese und seinem Gefolge. Diesem Mann hatte Karl seinen Ritterschlag sowie sein Lehen zu verdanken und er sprach nur gut über den Grafen. Katharina verstand nun auch warum, denn der Graf war freundlich und herzlich. Das konnte man insbesondere an dem liebevollen Umgang mit seiner Ziehtochter Mira sehen. Während eines sehr angenehmen Gesprächs wurden sie schließlich von einem Boten unterbrochen der sich mit dem Namen Hans vorstellte. Er kam schnell zur Sache und übergab ihnen eine Nachricht von Leif und Brunhild, die Balduin und sie selbst darum bat direkt nach der Dämmerung in die Kathedrale zu kommen. Offensichtlich bereitete er eine Überraschung für das Brautpaar vor und brauchte noch Unterstützung. Ohne weitere Worte empfahl sich der Junge und humpelte langsam wieder davon. Alyssa schaute zu Katharina und Balduin “Ich komme mit euch mit. Ich habe eh nicht viel anderes zu tun und abgesehen davon habe ich Brunhild schon lange nicht mehr gesehen. Ihren Sohn Erik würde ich auch gerne einmal kennen lernen.” Eine dünne Stimme mischte sich in ihre Unterhaltung. “Erik?” Zum ersten Mal während des ganzen Gesprächs regte sich Mira. “Wird Erik etwa auch da sein?” Sie schaute ein wenig scheu in die Runde und dann zu Graf Ducrese. “Vater können wir auch mitgehen? Ich habe ihn schon so lange nicht mehr gesehen.” Katharina wurde sich plötzlich der Verbindung die beide miteinander hatten bewusst. Balduin hatte ihr von dem Angriff des Schattens und allem was damit zu tun hatte erzählt und jetzt erinnerte sie sich an die Zusammenhänge. Christophe lachte mit tiefer Stimme. “Meinetwegen Kind. Wenn Eltern des Bräutigams nichts dagegen haben kommen wir einfach mit.” Katharina antworte beinahe automatisch. “Natürlich nicht.” Sie lächelte. Ihre Entscheidung hatte wenig damit zu tun, dass die Bitte vom Herrn von Flussfall kam, der ein mächtiger Mann in der Grafschaft war, sondern weil er gut zu ihrem Sohn gewesen ist und könnte sie ihm oder seiner Tochter einen kleinen Gefallen tun dann tat sie das natürlich gerne. Lord Ducrese war offensichtlich ganz vernarrt in Mira und die Harmonie der beiden erinnerte sie ein wenig an Karl und Balduin. Auch dieses Beispiel zeigte einmal mehr, dass elterliche Zuneigung und Liebe nicht alleine mit Blut und Ahnenlinien zu tun hatten. Ein weiches Lächeln legte sich über ihr Gesicht. Sie war schon gespannt auf die Überraschung die Leif vorbereiten würde. “Also dann. Ich schlage vor wir setzten uns in Bewegung, sonst kommen wir noch zu spät.” Der Graf gab einem seiner bewaffneten Männer ein Zeichen. Ein narbiger Veteran in leichter Rüstung, mit einem Schwert welches sicherlich nicht zur Dekoration diente, kam auf Graf Ducrese zu und verbeugte sich respektvoll. “Uther du kommst mit mir. Ich brauche keine volle Wachmannschaft. Brügge ist sicher und wir werden noch eine ganze Weile in der Stadt bleiben bevor wir wieder nach Flussfall aufbrechen. Gib deinen Männern noch ein Silberstück. Sie mögen die Feierlichkeiten ebenso genießen wie ich und meine Tochter, aber sag ihnen sie sollen sich nicht betrinken. Dann folge mir. Deine Präsenz wird mehr als ausreichen.” Der beleibte Mann zählte einige Münzen aus einem Lederbeutel ab und gab sie Uther der sie an eine kleine Gruppe wartender Männer verteilte, die sich bisher im Hintergrund gehalten hatten. Schließlich ging die Gruppe in langsamen Schritt los, während der milde Abend an ihnen vorbeizog.

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Katharina sah schließlich ihr Ziel. Die Kathedrale ragte wie ein großes, steinernes Gerippe aus dem Herzen von Brügge hervor. Inzwischen war schon der größte Teil der Außenwände gemauert, ein Fußboden war verlegt worden sowie eine vorläufige Holzdecke eingezogen. Katharina war nur laienhaft in der Baukunst bewandert und bis jetzt fiel es ihr noch schwer sich den fertigen Zustand dieser Kirche vorzustellen. Sie wusste, dass das hölzerne Dach nur eine Zwischenlösung war um das Innere des Baus vor dem kommenden Winter zu beschützen. Wenn alles einmal fertig oder zumindest sagte man das, würde es ein steinernes Dach geben. Sie konnte sich nicht vorstellen wie ein solch riesiges Dach aus Stein halten würde, aber alle sagten das fertige Dach würde einmal wunderschön werden und zusätzlich dazu noch eine eventuelle Brandgefahr der Kirch erheblich reduzieren. Diesen neuen Baustil nannte man Gotik und er war im nahen Paris entwickelt worden. Die hohen Mauern mit ihren großen Fenstern, Pfeilern und Bögen waren schon ein beeindruckender Anblick und Katharina wünschte sich sie würde die Fertigstellung noch erleben. Ihre Laune wurde ein wenig schlechter als ihr ein Gedanke kam. Es gab für Karl und Marie nicht nur sentimentale Gründe in der halbfertigen Kathedrale von Brügge zu heiraten, sondern auch politische. Die Krypta des Gotteshauses war bereits geweiht und deshalb konnten hier auch schon die Sakramente erteilt werden. Offiziell gab es zwar noch keinen Bischof von Brügge, aber der neue Hirte würde die Oberhoheit über alle geistlichen Akte die hier vollführt worden übernehmen, auch ihre Ehe. Noch werden die geistlichen Belange Brügges vom Bischof Brüssels, Martin mitbetreut und genau das war der Grund gewesen nach einer Alternative zu suchen. Karl hatte nicht den Wunsch gehabt seine Ehe in die Hände des wahnsinnigen Kirchenmannes zu geben und die Heirat hier an diesem Ort würde ihm in Zukunft jegliche Möglichkeiten der Einflussname berauben. Katharina verstand ihren Sohn nur zu gut, denn auch sie hatte jene Nacht in der er mit der Inquisition in Brügge eingefallen war um sie alle festzunehmen nicht vergessen. In ihrer Funktion als Äbtissin war sie Martin schon mehrfach über den Weg gelaufen und keines von diesen Treffen war sonderlich angenehm gewesen. Ihr Glück war das sich der Bischof nicht traute irgendetwas gegen das Nonnenkloster zu unternehmen, da es den persönlichen Schutz der Gräfin und Unterstützung aus dem Vatikan selbst genoss. Sie hatte alles getan um ihre Mitschwestern vor seinen schmutzigen Machenschaften zu beschützen. Zum Glück würde auch diese Gefahr mit der Ordination eines neuen Bischofs endlich der Vergangenheit angehören. Katharina zwang sich ihre Gedanken freundlicheren Themen zuzuwenden, denn heute war wirklich nicht der Tag für solche Dinge. Sie hatten das massive Gebäude schließlich mit ihrer kleinen Gruppe erreicht. Die Pforte stand einladend offen und der süße Geruch von Weihrauch schien sie zu begrüßen. Das fein geschnitzte Eichentor war so groß, dass zu Sechst durch einen einzigen Flügel eintreten konnte. Das Innere der Kirche erinnerte im Gegensatz zum Äußeren Erscheinungsbild plötzlich gar nicht mehr an eine Baustelle. Überall waren Girlanden und wilde Blumen aufgehängt. Vollreife Äpfel sowie bunte Blätter schmückten die provisorischen Holzbänke die nur für die Trauung aufgebaut waren und erfüllten das Kirchenschiff mit dem erdigen Duft des Herbstes. Plötzlich wurden die Pforten mit einem lauten Scheppern geschlossen und aus der Dunkelheit hinter dem Flügel traten schwer gerüstete Männer hervor. Ohne auch nur ein Wort zu sagen trat ein riesiger Kerl aus der Gruppe vor, der sein Schwert in den Hals der gräflichen Wachen rammte. Uther röchelte vor Überraschung bis aus seinem Mund Blut quoll und er unter Stöhnen zusammenbrach. Bevor irgendjemand reagieren konnte oder auch nur realisieren konnte was hier geschah wurden ihnen die Hände auf den Rücken gefesselt. Graf Ducrese schimpfte, fluchte und protestierte während, sowohl Balduin als auch Alyssa, Mira und sie selbst verstummten. Was geschah hier bloß? Was sollte dieser Wahnsinn und wo war Leif?

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Ihre Gruppe wurden grob vorangetrieben und man brachte sie schließlich alle ins westliche Seitenschiff der Kirche, wo Katharina mit dem Licht einiger Fackeln zum ersten Mal einen Blick auf ihre Angreifer werfen konnte. Etwa acht Männer und drei Frauen, allesamt Krieger wie es schon bewachten sie und ließen keinen aus den Augen. Sie trugen Äxte, Dolche und runde Schilde auf dem Rücken, hatten fast ausnahmslos blondes Haar sowie flexible Lederrüstungen die mit allerlei Runenmustern verziert waren. Als ihr Blick weiter in der Kirche umherschweifte, erschrak sie. Der Priester der die Trauung vollziehen wollte lag mit gespaltenem Kopf auf dem Steinboden vor dem Altar und sein Blut hatte den Marmor bereits scharlachrot verfärbt. Er klammerte sich wie verzweifelt an ein goldenes Kreuz so als wollte er es beschützen. Vielleicht hatte er aber auch gehofft es würde ihn beschützen. Den Eindringlingen wirkten organisiert, entschlossen und schienen es offensichtlich nicht auf den Kirchenschatz abgesehen zu haben. Katharina versuche den Blick von Balduin oder Alyssa zu erhaschen, aber es gelang ihr nicht und niemand schien dem immer noch protestierenden Grafen Ducrese Aufmerksamkeit zu schenken. Ging es hier etwa um ihn? Aber wie konnten sie wissen, dass er hier auftauchen würde? Als sie den Ort ihrer Bestimmung erreicht hatten zwang man sie in einem Halbkreis auf die Knie und plötzlich entwich aus ihrer Kehle ein halb erstickter Schrei aus der Kehle, ebenso wie Balduin. Ebenso gefesselt und an eine Wand gelehnt sah sie Erik und Brunhild, während neben ihnen gepflockt Maria Leif’s Kind, sowie der Heiler selbst lag. Ihr Vorfahr war in Ketten gelegt worden und mit mehreren Verletzungen und Blut überströmt, auch wenn unmöglich zu sagen war ob es sich um sein eigenes oder das von jemand anderem handelte. Erst beim zweiten Hinschauen sah sie auch noch den goldenen Kelch, zweifellos aus dem Kirchenschatz der Kathedrale entwendet, welcher das Blut was an Leif herunterlief auffing. Leif zitterte und schien schwach, wenn er auch im Gegensatz zu seinem Kind wenigstens noch bei Bewusstsein war. Was hatte all das zu bedeuten? In der Mitte dieses Wahnsinns stand ein großer Mann mit blonden Haaren, hellem Bart und stechend blauen Augen die etwas Wildes, einem Raubtier gleich in sich trugen. Hinter jedem von ihnen hatte sich inzwischen einer der Krieger aufgebaut und Weglaufen wurde dadurch unmöglich. Katharina hörte schließlich in der Mitte zum ersten Mal sprechen und sie hörte nicht gleich das es sich um die nordische Sprache handelte. Plötzlich fielen ihr die Zusammenhänge siedend heiß ein, dies mussten die Kinder von Vidarr sein. Ihre Aufmachung und Sprache ließ keinen anderen Schluss zu. Sie selbst verstand was er sagte, hatte sie die Sprache doch vor einer halben Ewigkeit von Leif erlernt auch wenn sie inzwischen ein wenig eingerostet war. All das was hier gerade passierte hatte etwas beängstigend irreales an sich und Katharina spürte wie sich Furcht in ihr breit machte. Der Mann mit den ausdrucksstarken Augen in der Mitte schien all das aber sehr zu genießen, denn er wirkte wie eine Katze die mit ihrer Beute spielte. Schließlich hob er seine Stimme. “Sehr schön. Jetzt sind alle hier versammelt. Eine Hochzeit ist ein solch wunderbarer Anlass die Familie zusammenzuführen nicht wahr?” Seine tiefe Stimme tropfte beinahe vor Arroganz und Verachtung während er einem nach den anderen mit seinem eiskalten Blick durchbohrte. “Ihr könnt euch sicherlich vorstellen, dass ich sehr enttäuscht war keine Einladung zu erhalten, genauso wie der Rest der Familie und da dachten wir….” Plötzlich wurde er unterbrochen. Lord Ducrese meldete sich noch einmal zu Wort und schimpfte in aufgeregtem Flandrisch. Offensichtlich verstanden weder er noch seine Stieftochter Mira irgendetwas von dem was gesagt wurde und er begann panisch zu klingen. “Was soll all dieser Wahnsinn? Stoppt sofort und ich gebe euch mein Wort das ich Milde walten lasse!” Der beleibte Mann versuchte aufzustehen, wurde aber von einem großen Mann mit riesigem Bart und Narbe im Gesicht der hinter ihm stand aufgehalten. Er schaute zu dem Anführer und fragte in schnellem Nordisch. “Ragnarsson? Soll ich ihm das Maul stopfen?” Der angesprochene Krieger schüttelte nur kurz den Kopf und lachte ausgelassen. Er fixierte jetzt den Grafen. “Seht Brüder und Schwestern! Lord Schweinchen hier quiekt ganz aufgeregt, obwohl ihn niemand nach seiner Meinung gefragt hat. Wollt ihr sehen wie laut er wirklich quieken kann?” Die Männer und Frauen lachten kurz und Ragnarsson verbeugte sich auf spottende Art und Weise vor Lord Durcrese. Das Gesicht des älteren Mannes entspannte sich, denn er schien den Eindruck gewonnen zu haben seine Verhandlungen würden Früchte tragen. Innerhalb von Sekunden verwandelte sich seine Mimik aber in pures Entsetzen als Ragnarsson einen Dolch zog und dem Mann vor sich ohne auch nur mit der Wimper zu zucken in den Hals stach. Die Zeit schien stillzustehen und schließlich brach Christophe Ducrese Blut röchelnd in sich zusammen. Ein überraschter Aufschrei war von ihnen allen zu hören und Katharina suchte Balduins Blick. Sie spürte das er versuchte Ruhe zu bewahren, aber ihr war klar das auch er nicht welcher Wahnsinn sich hier gerade abspielte. Nichts aber hatte Katharina auf den herzzerreißenden Schrei von Mira vorbereiten können der kurz nach der Ermordung ihres Vormunds folgte. Sie schluchzte bitterlich als sie sich neben ihren toten Stiefvater warf. Ein leises "Papa" war alles was sie von dem Kind hören konnte. Katharina wandte den Blick ab. Sie ertrug das Bild nicht länger und sah nur noch wie der Nordmann seinen Dolch aus dem Hals seines Opfers zog und damit in Richtung Leif ging, der versuchte ein paar Worte zu sprechen die Katharina nur verstand weil sie sehr nah an beiden war.. “Hör auf bitte Ragnarsson. Das ist eine Sache zwischen uns beiden. Lass die anderen gehen.” Die Worte schienen einen Nerv getroffen zu haben und Ragnarsson hob die Stimme die wie Donner durch das leere Innere der Kathedrale donnerte. “Aufhören? Hast du etwa aufgehört als dich sein Sohn im Blute seine Enkelkinder angefleht hat aufzuhören? Hast du Mitleid gezeigt. Ich glaube nicht.” Dem Ausbruch folgte ein brutaler Faustschlag der Leif direkt ins Gesicht traf und Katharina konnte etwas knacken hören. Schließlich, ganz so als ob nichts gewesen wäre wischte er den Dolch an seiner Kleidung ab und ließ seinen Blick wieder über sie alle gleiten.

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Mira schluchzte noch immer und Ragnarsson lenkte seine Aufmerksamkeit auf das völlig aufgelöste Mädchen. Er zog seinen Dolch und ging auf sie zu. Er würde doch nicht etwas ein Kind töten? Was hatte er vor? Gänsehaut breitete sich auf ihren Armen aus. Gott sei Dank war das Mädchen gerade abgelenkt, sie war schon traumatisiert genug von allem was gerade geschehen war. Plötzlich erschallte Eriks Stimme im Raum. Durchwoben von Trotz und doch stark und entschlossen. “Hör auf Vater lass sie gehen! Sie hat mit all dem nichts zu tun.” Katharina stutzte. Was meinte Erik mit Vater? Aber das bedeutete ja...Sie hatte keine Zeit weiter über die Familienverhältnisse der Nordleute nachzudenken auch, wenn dieser Wahnsinn mit jeder Minute mehr Sinn zu ergeben schien. “Lass sie gehen, du hast doch alles was du willst! Sie hat nichts mit all dem hier zu tun!” Etwas in der Stimmlage des Jungen schien Ragnarsson aufhorchen zu lassen, denn er wandte sich von dem Mädchen ab und ging auf Erik zu, während seine Mimik sich von schlichtem Interesse in pure Fröhlichkeit verwandelte. “Mein Sohn.” Er zeigte auf den gefesselten Jungen und drehte sich zu seinen Leuten um sich ihrer Aufmerksamkeit sicher zu sein. “Mein feiger, schwacher, verräterischer Sohn. Ich hätte nie zu träumen gewagt, dass du auch nur ansatzweise genügend Mut hast um mich anzusprechen nach allem was du getan hast. Da habe ich mich wohl getäuscht.” Brunhild regte sich neben Erik und schien bis zum Zerreißen gespannt. Da dieser Mann der Vater ihres Kindes war dann mussten sie sich kennen. Der junge blonde Mann ließ seinen Vater nicht aus den Augen und stand auf. Er überragte den großen Ragnarsson sogar noch um einen halben Kopf, aber dieser schien sich nicht einschüchtern zu lassen, ganz im Gegenteil. Er sah mit dem verschmitzten Grinsen eines kleinen Jungen auf den Dolch in seiner Hand und dann wieder zu seinem Sohn. “Du willst die Kleine wirklich retten?” Erik reagierte erst als er eine schallende Ohrfeige von Ragnarsson erhielt. “Antworte mir!” Er schrie wie ein Berserker und auch wenn Erik nicht gezuckt hatte sah sie den riss in seiner Lippe. Zwischen blutigen Zähnen presste er schließlich ein leises aber klar verständliches ‘Ja’ hervor. Sein Vater schien darüber nachzudenken, aber Katharina war sich sicher das er mit dieser Antwort gerechnet hatte. “Das habe ich mir gedacht. Nun ich mache dir ein Angebot, es ist ein kleines Spiel.” Katharina hatte das Gefühl, dass jede einzelne ihrer Interaktionen mehr sagte als tausend Worte, aber wenn dem so war verstand sie die Anspielungen hinter ihren Worten nicht. Ragnarsson zerschnitt plötzlich die Fesseln von Erik und drückte ihm den Dolch in die Hand. Er machte einen Schritt zurück und schaute den Jungen abschätzig an. “Zeig mir einmal in deinem jämmerlichen Leben, dass du Mut hast und ich lasse sie gehen.” Erik schien verwirrt und schaute zwischen seinem Vater und dem Dolch hin und her. Ragnarssons Stimme war kalt und emotionslos. Die nächsten Worte schnitten durch die Kirche wie kalter Stahl. “Setzte deinem elenden Leben ein Ende. Zeig das du ein Mann bist und deine Schande akzeptierst.” Brunhild war ganz bleich geworden und sie sah in Horror zwischen ihrem Kind und dem Kindsvater hin und her. “Tu das nicht. Bitte Erik.” Katharinas Herz brach in diesem Moment und trotz dem grausamen Spiel das sich hier gerade entfaltete, betete sie zu Gott in Dankbarkeit das Karl nicht hier war. Auch Balduin und Alyssa konnten nichts weiter tun als dem Wahnsinn geschockt folgen. Brunhilds Blick wechselte von Horror zu flehen als sie den entschlossenen Ausdruck in seinen Augen sag. “Das ist nicht richtig. Tu das nicht!” Erik hatte die Augen geschlossen und seufzte tief. “Mutter es tut mir leid. Du weißt das ich keine Wahl habe. Das ist die einzige Chance und vielleicht bringt mein Tod so noch etwas Positives. Er war eh schon beschlossen.” Die Stimme des Jungen klang endgültig und Brunhild wandte nur den mit Tränen verschleierten Blick ab. Eriks Überzeugung hingegen schien ungebrochen und er sah seinem Vater voller Hass und Entschlossenheit ansah.

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“Schwörst du mir bei Vidarr das du Mira freilässt und ihr nichts tust wenn ich auf deine Bedingung eingehe?” Ragnarsson nickte zufrieden. “Ich schwöre es bei Vidarr.” Dann hielt er ihm eine Hand hin und Katharina sah wie Erik sie voller Abscheu ergriff. Der ältere Mann brach schließlich den Kontakt und verschränkte die Arme vor der Brust. “Dann tu es.” Er schien das ganze Schauspiel auf eine perverse Art und Weise zu genießen. Erik seufzte tief, blickte auf das Messer und dann zu Brunhild. “Es tut mir Leid Mutter. Ich liebe dich und ich danke dir für alles. Ein kurzer Moment der Freiheit ist besser als ein Leben in Ketten.” Dann schaute er zu dem immer noch weinenden Mädchen die über die Leiche ihres Vaters gebeugte war und wechselte ins Flandrische. “Mira?” Er wartete bis er ihre Aufmerksamkeit hatte. “Hör mir genau zu. Egal was passiert dir wird nichts passieren, solange du nichts Dummes versuchst. Versprich mir das bitte, ja?” Er lächelte sie traurig an. “Es tut mir Leid ich werde dich in Zukunft nicht mehr beschützen können, aber tu mir bitte noch einen Gefallen und dreh dich um und zähle bis zehn. Würdest du das für mich tun?” Mira schaute Erik nur mit vom weinen geröteten Augen an und nickte irgendwann und drehte sich kurz danach weg. Dann vergingen lange Sekunden und ganz plötzlich rammte sich Erik den Dolch ins Herz. Er schrie nur einen Moment und dann sackte er zusammen. Brunhild war neben dem toten Körper ihres Sohnes zu Boden gesunken und weinte leise. Keine Mutter sollte vor ihrem Kind gehen und Katharina konnte den Schmerz ihrer alten Freundin beinahe körperlich spüren. Mira war zusammengezuckt und schien noch immer zu zählen. Ragnarrson ging schließlich einen Schritt in Richtung von Eriks Leiche und zog das Messer aus dessen Körper. Er betrachtete die Klinge wie eine heilige Reliquie und hielt sie seinen Männern hin.. “Seht selbst, dass Verrat an der Familie wird mit der furchtbarsten Strafe belegt. Er hat dieses Schicksal selber über sich gebracht.” Wie eine Katze begann er im Kreis der Gefangenen umherzugehen und blieb vor Mira stehen. Sie kniete noch immer, weinte leise und schien kaum ansprechbar. Sie sah aus als wäre sie in einem bösen Alptraum gefangen und Katharina konnte es ihr nicht verdenken, denn sie fühlte sich genauso. Ragnarsson bellte ein paar Befehle. “Nehmt das Mädchen fesselt und knebelt es. Dann schmeißt sie raus.” Er hielt sich an seinen Schwur. Zwei Männer, einer dünn wie eine Birke, der andere massiv wie eine Eiche führten die Anweisungen aus und brachten Mira weg. Wohin wusste sie nicht. Sie leistete keinen Widerstand. Schließlich ging Ragnarsson wieder in ihrem Kreis hin und her bis er neben ihrer Schwägerin und Balduin stehen blieb. Diesem Monster von einem Mann schien der Tod seines Sohnes nichts auszumachen, eben sowenig die Stille Klage von Brunhild.

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"Wer bist du denn eigentlich?" Ragnarsson legte beide Hände auf Alyssas Gesicht und schaute ihr tief in die Augen. Ihre Schwägerin schwieg eisern und erst als der grobe Mann der Balduin festhielt diesem auf Ragnarssons Zeichen hin einen Schlag in die Magengrube versetzte presste sie ihren Namen zwischen den Zähnen hervor: ‘Alyssa.’ "Alyssa?" Ragnarsson drehte sich weg und schaute zu seinen Leuten als müsste er sich an etwas erinnern. Dann lachte er boshaft. "Alyssa...Alyssa...Es gibt so viele von euch hier in Brügge, aber ja jetzt erinnere ich mich! Du bist doch die verrückte Schlampe nicht wahr? Die Alyssa die ihre Beine nicht zusammenhalten konnte und dafür nach England verbannt wurde." Ihre Schwägerin beherrschte sich und drehte nur den Kopf weg, während Ragnarsson sich zu dem Mann umdrehte der Balduin festhielt, ein wahrer Hüne. "Ulf mein alter Freund. Du verschmähst doch sonst auch keine Frau. Sag mir ist die Kleine was für dich?" Die Antwort kam grunzend und ein wenig abwertend. "Die meinst du? Ich würde sagen sie ist nicht hübsch genug dafür, dass sie nicht alle Pfeile im Köcher hat." Ragnarsson quittierte die Antwort nur mit einem Lachen, sowie einem kurzen Schulterzucken. An seiner guten Laune änderte das aber ganz offensichtlich nichts. Er drehte sich schließlich wieder zu Alyssa und legte ihr die Hände auf das Gesicht und zwang sie ihn anzusehen. Er ging sehr sanft vor, beinahe so als wollte er sie küssen. Katherina konnte sehen, dass ihre Schwägerin unter der Berührung zitterte. "Schade meine Liebe. Wenn nicht einmal Ulf dich will, dann hast du hier auch nichts zu suchen. Du musst uns nämlich entschuldigen, hier handelt es sich eine Familienangelegenheit und Fremde verkomplizieren alles immer zu sehr. Ich hoffe du kannst uns diese Umstände verzeihen, es kommt gewiss nicht wieder vor." Ohne auf eine Antwort von Alyssa zu warten oder ein weiteres Wort drehte Ragnarsson der Frau den Hals um. Ein ekelerregendes Knacken begleitete die brutale Tat und das Brechen ihres Genicks klang wie ein grausamer Glockenschlag der immer noch in Katharinas Ohren nachhallte. Für einen Moment war alles still und als Ragnarsson sie endlich losließ, sank Alyssas lebloser Körper wie ein nasser Sack auf den steinernen Kirchenboden. Die leeren Augen ihrer Schwägerin starrten Katharina voller Überraschung und Unglaube an. Sie hätte in diesem Moment gerne geschrien oder geweint, aber alle Reaktionen blieben ihr im Halse stecken. Sie fühlte sich in einer Art Starre gefangen, die mit einer grausamen Wahrheit verwoben war die sie noch nicht ganz begriffen hatte. Die Zeit schien still zu stehen und Katharina spürte, dass ihr Kopf Probleme hatte all die verschiedenen Eindrücke und Informationen zu verarbeiten. Plötzlich konnte sie sehen wie Balduin es irgendwie schaffte sich aus dem Griff von Ulf zu befreien, während er wie angestochen in die Richtung von Ragnarsson hechtete. "DU ELENDES SCHWEIN!" Mit einem beherzten Sprung und unter Einsatz seines ganzen Körpergewichts riss Balduin den sehr viel größeren Mann zu Boden und türmte sich mit noch immer gefesselten Händen über ihm auf. Balduin schien in absoluter Rage und blinder Wut zu agieren, denn Katharina konnte sehen wie er versuchte seinen Gegner mit Bissen und Kopfnüssen in die Knie zu zwingen. Irgendwann floss Blut, nachdem Balduin seine Zähne in einem Ohr Ragnarssons versenkt hatte. In diesem Moment riss dieser aber wieder die Kontrolle über das Gerangel an sich indem er Balduins Hals packte. Er drückte zu bis diesem die Luft wegblieb, sowie die gerade durch Wut mobilisierten Kräfte. Es dauert nur Sekunden, dann war Balduins Widerstand gebrochen und der sehr viel kräftigere Nordmann hatte ihn in seiner Gewalt. Ulf wollte vortreten, aber Ragnarsson gab ihm ein Zeichen einzuhalten. Er berührte sein geschundenes Ohr und schaute ungläubig auf das Blut an seiner Hand. Dann ohne weitere Warnung begann er mit brutalen Fausthieben auf Balduins Kopf einzuschlagen. Katharina spürte wie sie schrie und schrie, wie sie ihn anflehte aufzuhören, aber der Alptraum von einem Mann tat nichts dergleichen. Irgendwann verstummte sie, nicht nur weil ihre Kräfte aufgebraucht waren, sondern auch weil sie voller Grauen und Verzweiflung realisierte, dass weder Gebet noch Flehen mehr helfen würde. Von Balduins Kopf war nichts übrig als eine blutige Ruine und keine Heilkunst dieser Welt würde ihn je wieder zurückbringen. Er war tot.

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"NEIN DU VERDAMMTES SCHEUSAL!" Brunhild schrie und mit ihrem Ausbruch breitete sich eine Welle von Hitze in der Kirche aus. Katharina war völlig benommen, zu viele Dinge waren in zu kurzer Zeit passiert aber beinahe reflexartig versuchte sie ihr Körper von der Quelle der intensiven Hitze wegzudrehen auch wenn ihr die Fesseln nicht viel Spielraum ließen. Die Wut ihrer alten Freundin war beinahe greifbar und zu dem übernatürlichen Wärmeausbruch gesellten sich jetzt Flammen. Rot, orange und weiß, welche ein tödliches Muster, einer Blume gleich bildeten die sie in Richtung ihres Peinigers lenkte. Es war als wollte sie ihn hier auf der Stelle einäschern. Angst und Ehrfurcht zu gleichen Teilen zerbrachen ihren Kokon aus Taubheit und dann ganz plötzlich wurde das Feuer abgeleitet und stieg zur Holzdecke. Mit einem intensiven Rauschen streifte das Flammenmeer auch Wände, die Decke und andere Teile der Kirche. Das trockene Holz der Balken, Wandteppiche und die Hochzeitsdekoration begann Feuer zu fangen und tauchte das Innere des Gotteshauses nun in ein bedrohliches, orange-rotes Licht. So musste die Hölle aussehen dachte Katharina während eine unheimliche Stille im Raum ausbreiten. Alle schauten nur auf Ragnarsson. Er hatte das Feuer abgelenkt und stand noch immer mit beiden Händen nach oben gerichtet ihrer Mitte. Schweiß breitete sich auf seiner Stirn aus, aber wirklich furchterregend war sein Blick in welchem sich blinde Wut und unbändiger Hass mischten. Ohne ein weiteres Wort ging er in die Richtung von Brunhild und begann wie ein Berserker auf sie einzuschlagen. Sie schrie nicht, machte keinen Mucks und das grausame Bild des toten Balduin tauchte wieder vor Katharinas Augen auf. Er würde auch Brunhild totschlagen wie er es schon zuvor getan hatte. Mit ihrer letzten Kraft bäumte sie sich auf. "Hör auf bitte!" Ihr Schrei wurde von Schluchzen durchbrochen. "Ich bitte dich hab Gnade!" Zu ihrer eigenen Überraschung hielt Ragnarsson inne und sie wusste nicht ob er sich einfach abreagiert hatte oder wirklich auf ihre Worte gehört hatte. Brunhild war furchtbar zugerichtet, und Katharina wunderte sich, dass sie überhaupt noch in der Lage war aufrecht zu stehen. Ragnarsson beugte sich über seine Schwester und strich ihr beinahe zärtlich eine verschwitze blonde Haarsträhne aus dem Gesicht. Die Geste wurde nur mit einem Blick von Abscheu und Ekel quittiert, aber Brunhild hielt seinem Blick stand. Ragnarsson lachte schließlich. "Es ist vorbei Schwester. Ich habe gewonnen, die Familie hat gewonnen." Er schüttelte langsam den Kopf und sah in dem rot-goldenen Licht der brennenden Kirche aus wie ein Dämon aus der tiefsten Unterwelt. "Ich weiß nicht ob du wirklich dachtest das du mit all dem durchkommen würdest, aber du hättest es besser wissen müssen. Ich habe nichts mehr zu dir und deinem Verrat zu sagen." Beinahe liebevoll und bedächtig bohrte er ihr seinen Dolch in den Unterleib. Brunhild schrie nicht auf. Weder vor Schmerz, noch vor Überraschung, nein diese Genugtuung schien sie dem Monster nicht geben zu wollen, aber irgendwann brach sie einfach zusammen und eine Blutlache breitete sich unter ihr aus. Plötzlich hörte Katharina wie Leif leise und zutiefst gepeinigt aufheulte. Es ähnelte dem Ton eines getretenen Hundes und sowohl Ragnarsson als auch einige seiner Männer quittierten das Geräusch nur mit einem höhnischen Lachen. Katharina war nun die letzte und auch wenn sie nicht wusste welches Schicksal auf sie wartete, war es ihr egal. Sie wandte den Blick ab und jeglicher Rest von Kraft oder Widerstand begann aus ihrem Körper zu weichen. Es war vorbei. Sie schluchzte und über ihr hörte sie das leise züngeln der Flammen die sich durch das Holz und die Dekoration in der Kirche fraßen.

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Es war als hätte Ragnarsson ihre Gedanken gelesen und schließlich näherten sich seine Schritte. Mit groben Händen entfernte er ihren Schleier vom Kopf. Katharina spürte wie ihre haselnussbraunen Haare sich befreiten und die kalte Luft nun ihren nackten Kopf umwehte. Sie zitterte, aber nicht nur weil ihr kalt war, sondern auch weil sie sich nackt und ungeschützt fühlte. Vorsichtig strich er ihr über die Wange. Seine Hände waren stark und schwielig. Das waren die Hände mit denen er Balduin getötet hatte und sie musste ein Würgen unterdrücken. Sie zwang sich seinem Blick nicht auszuweichen, auch wenn jede einzelne Sekunde davon eine Höllenqual war. Er lächelte ihr zu beinahe gütig und erhob die Stimme. Dann wandte er sich ab zu seinen Kampfgefährten und hob beide Arme. "Brüder und Schwestern. Es ist vollbracht. Mit dieser Nacht ist die Jagd beendet." Ein Johlen der Menge folgte und Ragnarsson packte die gepflockte Maria die neben Leif in ihrer Starre gefangen war und sprach weiter. "Über ein Jahrhundert haben wir gekämpft, gehofft, geblutet und mussten Niederlagen einstecken. Aber wir waren stark, wir waren eins und haben uns nie voneinander, von unserem Eid oder unserer Bestimmung abgewandt. Dafür wurden wir jetzt belohnt. Es begann mit einer Hochzeit und endet mit einer Hochzeit. Blut für Blut und Rache für Rache!" Wieder gab es fröhliche Zustimmung seitens der Männer und Frauen die mit ihm gekommen waren. "Wir werden den Ahnen mitnehmen und zu Hause in unseren heiligsten Hallen richten, aber vorher bleibt uns noch etwas Letztes zu tun." Er griff nach einer großen Axt von seinem Gürtel die im Licht der kleinen Feuer die überall um sie herum brannten, glutrot schimmerte. Dann stopfte er Maria die goldenen Haare unter eine Kappe damit sie nicht mehr ihren Hals verdeckten und ließ das Blatt niedersausen. Er trennte Marias Kopf mit der gleichen Leichtigkeit von ihren Schultern, als würde er einen Apfel teilen. Die Kainitin zerfiel innerhalb von Sekunden zu Staub und Katharina konnte nicht anders als zu weinen. Die Tränen kamen lautlos und betrauerten nicht nur die Frau welche sie so wenig gekannt hatte, sondern all Hoffnungen, Träume und Menschenleben die in dieser Nacht vernichtet worden. Ragnarsson donnernde Stimme riss sie wieder aus den Gedanken. Er hatte den großen Kelch in der Hand, unter welchem sie Leif hatten ausbeuten lassen. "Wir haben gewonnen!" Er streckte die Faust in die Luft und nahm einen tiefen Zug des Blutes. Es schien ihn zu berauschen, denn seine sonst so tadellose Balance schien für einen Moment gestört. Mit offensichtlichen Wohlwollen, wischte er sich den Mund mit dem Handrücken ab und ging wieder in ihre Richtung. Katharina begann erneut zu zittern als er ihr eine Hand auf die Schulter legte. Die Finger des Mannes rochen metallisch nach Blut. Sie würgte und übergab sich auf den Steinboden, aber ihre körperliche Reaktion wurde von seiner lauten Stimme überdeckt. "Niemand aber soll denken das die Kinder von Vidarr ohne Mitgefühl oder Gnade sind. Diese Frau." Er zeigte auf Katharina "Diese Frau hier ist ebenso unsere Verwandte und ihr steht ein Platz in unserer Mitte zu wenn sie das wünscht. Aber nicht nur deshalb hat sie den Schutz unserer Gemeinschaft verdient, denn von allen Menschen in diesem Raum wurde sie von dem verfluchten Ahnen wahrscheinlich am meisten betrogen." Die Worten trafen Katharina wie ein Schlag und leises Gemurmel breitete sich unter Ragnarssons Kampfgefährten aus. Was erzählte dieses Monster hier? Sie hatte aber keine Kraft mehr um über seine Worte nachzudenken. "Sie ist eine Braut des gekreuzigten Gottes aber ihr Blut ist trotzdem das unsere. Schließe, dich uns an Katharina als Mutter und Schwester und feiere mit uns den Sieg und koste ein neues und besseres Leben!" Ragnarsson lachte siegessicher und bevor sie irgendetwas erwidern konnte zwang er ihr einen Teil des Blutes den Rachen hinunter indem er ihr den Kelch grob an die Lippen drückte. Das Gefühl war berauschend und es schmeckte so süß. Für einen kleinen Moment wurden Schmerz und Leere von unendlichem Rausch und süßem Vergessen abgelöst. Vielleicht hätte sie sich in diesem Gefühl verlieren können, aber zu viel Horror war in dieser Nacht geschehen der nicht aus ihrem Kopf weichen konnte oder einfach vergessen werden durfte. Irgendwie schaffte sie es schließlich sich zu befreien und sah wie alle Augen auf sie gerichtet waren.

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Katharina fühlte sich leer und besiegt, aber aus einem letzten Teil ihres Körpers holte sie noch einmal die Kraft sich dem Monster vor sich zu widersetzen. Sie hatte das meiste des Blutes in ihrem Mund behalten und spuckte es ihm voller Abscheu ins Gesicht. “Lieber würde ich für immer in den Tiefen der Hölle schmoren bevor ich mich euch anschließe!” Sie schrie aus Leibeskräften, doch Ragnarsson zuckte nicht einmal. Er schaute sie nur an, voller Mitleid. Die ganze Art dieses Mannes verursachte ihr Übelkeit und außerdem schwitzte sie. Überall brannte es was bedeutete das die Temperatur im Inneren der Kirche anstag und doch zitterte sie aus Angst, Wut und Erschöpfung. Ihr Peiniger sprach leise wie mit einem Kind und strich ihr über die schweißnassen Haare, ganz als wollte er sie trösten. “Welch ein Feuer doch in dir brennt. Ich dachte immer ihr Christen trinkt das Blut aus einem Kelch in euren Gottesdiensten, aber selbst wenn dem nicht so ist war es doch ungezogen und respektlos mein Angebot auf diese Art abzulehnen. Oh du armes verlorenes Kind.” Er schüttelte mit dem Kopf und drehte sich zu dem Mann namens Ulf um. Der Hüne trat vor und wartete auf seine Anweisungen. “Schultere den Dämon und bring ihn zum Schiff. Ich bringe das hier zu Ende. Sigarda...” Ihr Peiniger drehte sich zu einer großen, wunderschönen Frau mit langen blonden Haaren die zu einem einfachen Zopf geflochten waren um. Die angesprochene Frau lächelte Ragnarsson ohne jegliche Gefühlsregung an. “Such Thyra und bring sie ebenfalls zum Schiff. Es wird Zeit, dass wir hier verschwinden, aber vorher...” Er fixierte den Glockenturm und hob seine Hände während er sich konzentrierte. Dann hörte Katharina das dumpfe Geräusch von Metall auf Metall. Die Glocken erklangen und wurden immer lauter. Sie hätten heute Nacht für die Hochzeit ihres Sohnes spielen sollen, aber jetzt läuteten sie eine grausame Beerdigung ein. Tränen stiegen in ihre Augen als sie noch einmal an Karl dachte. Sie würde ihn nie wieder sehen, aber Gott sei Dank war er nicht hier. Er würde eine eigene Familie haben, Kinder und wenn Gott im gnädig ist im hohen Alter und mit vollem Bauch sterben. Dieser Gedanke war ein allerletzter Trost in dieser dunkelsten Stunde sie und sie spürte wie Ragnarsson sich wieder auf sie fixierte indem er ihren Blick suchte. Die Augen des Mannes waren voller Wahnsinn, während Blut mit dem sie ihn bespuckt hatte über sein Gesicht durch den Bart tropfte. Plötzlich fürchtete sie sich vor ihm und diesen grausamen Augen. Mehr noch als zuvor zitterte sie wie Espenlaub. Er schien es zu bemerken und berührte sanft ihre Wange. Katharina zuckte zusammen als hätte man sie geschlagen, während das dumpfe Geläut der Glocken die Gespräche der anderen Männer überdeckte. Jetzt gab es nur ihn und sie. Ragnarsson kam ganz nah an ihr Ohr heran und positionierte seinen Mund über der Muschel. Er sprach leise und sanft wie ein Priester bei der Beichte. “Ich werde dir noch ein letztes Geheimnis mit auf den Weg geben. Dein ganzes Leben und alles woran du geglaubt hast war nichts als eine Lüge.” Dann flüsterte er ihr ein Geheimnis ins Ohr. Die Worte die danach folgten ließen Katharina das Mark in den Adern gefrieren. Sie wusste das Ragnarsson nicht log, denn es gab keinen Grund mehr für solche Tricks und als sich diese Erkenntnis bis zu ihrem Kopf durchgesetzt hatte erstarrte sie. Sie rührte sich nicht mehr und hatte keinerlei Gespür dafür wie lange sie dort stand aber irgendwann riss Ragnarsson grob an ihren Haarschopf und zog ihn brutal nach hinten. Das löste sie noch einmal aus ihrer Trance und ein letzter Gedanken formte sich in ihrem gepeinigten Kopf. ‘Nein, nicht, schneidet mir nicht die Haare ab, Balduin liebt meine Haare doch sehr.’ Dann war da nur noch der kalte, harte Stahl an ihrer Kehle, der erst ihren Hals und dann ihren Rachen zerfetzte. Bevor Katharina auf dem Boden kollabierte streifte ihr Blick noch einmal das brennende Gebälk, die schwelenden Baukonstruktionen und verbrannten Hochzeitsdekorationen der Kathedrale. Ihr Bewusstsein driftete ins dunkel und in diesem einen Moment sahen Glut, Flammen und Asche die auf sie herabregneten für sie aus wie glitzerndes Sonnenlicht. Goldene Strahlen die durch das prachtvolle Grün eines Baumes gefiltert wurden. Dann war da nichts mehr, nichts als Dunkelheit.

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BeitragVerfasst: Sa 29. Okt 2016, 13:47 
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BeitragVerfasst: So 30. Okt 2016, 18:57 
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 Betreff des Beitrags: Re: Der Klang von Hochzeitsglocken
BeitragVerfasst: Fr 4. Nov 2016, 14:58 
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Thyra, Brügge


Thyra ließ ihren Blick starr über die Stadt wandern und ging ihren Gedanken nach, während ihre Wahrnehmung plötzlich und voller Schrecken etwas realisierte. Die Kathedrale war nicht von Kerzen erhellt, denn die Lichter in den Fenstern waren dafür einfach zu hell. Nein, das Gebäude stand lichterloh in Flammen. Das Geläut der Glocken schien die Gäste nicht mehr zu Feierlichkeiten einladen zu wollen, sondern sie aufzufordern der scharlachroten Gefahr zu entkommen. Etwas regte sich in ihr und eine schockierende Wahrheit begann sich in ihrem Kopf zu formen. Der Angriff...das musste der Angriff sein! Natürlich wie konnte sie nur so dumm gewesen sein! Heute fand die Hochzeit statt und welchen Anlass würde ihr Vater geeigneter finden als diese um die uralte Rache zu vollstrecken? Etwas wurde erst heiß, dann kalt in ihr und ohne einen weiteren Gedanken zu verschwenden begann von ihrer erhöhten Position zu klettern. Wie hatte sie sich nur so täuschen lassen können? Mit schnellem Schritt lief sie in Richtung der Kirche, während ihr auf dem Weg dahin schon aufgeregte Bürger und besorgte Bewohner der Stadt in Verwirrung entgegenliefen. Sie verstand kein Flandrisch, aber die Worte 'Gefahr' und 'Feuer' bedurften dank der ängstlichen Gesichter auch keiner Übersetzung. Je näher sie den Flammen kam, desto intensiver wurde der Geruch von brennendem Holz, Asche und Rauch. Ihre Augen begannen ein wenig zu brennen und sie schaute sich um. Wonach genau konnte sie nicht sagen, irgendeine Rolle hatte sie doch sicherlich zu spielen? Panik keimte in ihr auf und sie beobachtete wie die Menschen um sie herum begannen Eimerketten zu bilden um Wasser aus den Kanälen zu schöpfen, auch wenn es gemessen an der Größe des Feuers nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein war. Plötzlich berührte jemand ihre Schulter und erschrocken drehte sich Thyra um.

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Es war Sigarda, die mit emotionsloser Miene vor ihr stand. Wut keimte in der jungen Kriegerin auf. "Du!" Die Worte entwichen ihr wie Gift aus einer Schlange als sie etwas realisierte. "Du hast mich belogen, hast mich aus dem Weg räumen wollen. Warum diese ganze Scharade?" Thyra merkte, dass ihre Stimme schrill war. Sigarda schaute nur mit ihren hellen Augen auf das Mädchen bevor sie sie weg von der Kathedrale, in Richtung Norden drängte. "Still." Thyra ließ sich nur widerwillig von der Frau antreiben. Die Wachen wurden in Alarmbereitschaft versetzt und Sigarda schwieg eine ganze Weile bevor sie weitersprach. "Ja ich habe dich getäuscht, aber es war zu deinem Besten. Ich habe dich, damals in der Taverne gefragt ob du bereit bist Thyra und als du mir mit ‘Ja’ geantwortet hattest, wusste ich sofort das du dich wieder selbst belügst. Dein Vater hat grausame Rache vollzogen und du hättest all das nie überstanden. Sei froh, dass du dir diese Schuld nicht aufladen musstest." Thyra sah das Nordtor welches noch weit offen stand und riss sich von der anderen Frau los. "Wie kannst du es wagen? Wie kannst du es wagen diese Entscheidung für mich zu treffen?" Sigarda schaute sie nur traurig an und schüttelte langsam den Kopf. "Brunhild und dein Bruder sind tot."

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Jeglicher Widerstand und jegliche Wut waren wie weggeblasen. Thyra spürte wie sie auf die Knie sank. Sie wollte so viel sagen, brachte aber nur drei Worte heraus. "Nein bitte nicht." Es war mehr ein Flüstern der Verzweiflung, aber Sigarda blieb unnachgiebig. "Du wusstest welche Strafe beide erwartet und doch hast du Ragnarsson über Brügge berichtet. Also hör endlich auf dich selber zu belügen und reiß dich zusammen, denn al das ist noch nicht vorbei!" Thyra sah wie die ältere Frau ihre Hand nach ihr ausstreckte und rechnete schon damit eine schallende Ohrfeige zu erhalten. Sie war aber überrascht und zuckte zusammen als die andere Frau nur sanft ihre Schultern berührte und sie mit den stahlgrauen Augen anschaute. Ihre Stimme war voller milde und Geduld, eine Regung die sie so nicht von Sigarda kannte. "Willst du das deine Mutter und dein Bruder für umsonst gestorben sind?” Sie schaute zur Stadt und dann zum Nordtor. “Dieser ewige Kreislauf aus Blut und Tod kann endlich enden, doch dafür müssen wir jetzt gehen." Die Worte durchbrachen Thyras Trance und sie richtete sich wieder auf. Trotzdem war die Stimme von Sigarda weit weg. "Wenn du den Menschen hier wirklich helfen willst, dann konzentriere dich und beschwöre Regen hinauf. Das Feuer wird sonst die halbe Stadt einäschern. Es bleibt dir später noch genug Zeit um ehrlich zu trauern, aber jetzt ist es an der Zeit stark zu sein sonst war alles umsonst!" Thyra nickte nur. So schmerzvoll es zuzugeben war, aber die ältere Frau hatte recht und sie konzentrierte sich. Sie hatte ihre Kräfte inzwischen besser unter Kontrolle, aber einen großen Regen heraufzubeschwören war nach wie vor schwierig und anstrengend. Trotzdem wusste sie das sie es schaffen würde. Zu viele nicht vergossene Tränen hatten sich in ihr angesammelt und sie konzentrierte sich auf die Emotionen von Trauer, Melancholie und Verlust. Die Kraft durchströmte sie bis in die Haarspitzen, elektrisierte sie und schließlich ließ sie los. Erste dunkle Wolken bildeten sich am Himmel und in der ferne war ein erster, leiser Donner zu vernehmen.

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Thyra nickte Sigarda zu und noch bevor irgendjemand etwas sagen konnte hörten sie die Schritte von Wachmännern die in ihre Richtung unterwegs waren. "Thyra geh sofort zum Schiff. Lauf so schnell du kannst, dreh dich nicht um und sage deinem Vater, dass ich kurz hinter dir bin. Ich muss mich noch um etwas kümmern. Geh, sonst war alles umsonst!" Sigarda sprach mit solcher Inbrunst und Überzeugung, dass Thyra spürte wie ihre Beine einfach begannen zu laufen. Sie ergab sich gerne einem Befehl, dem Urteil von jemandem der einen Plan hatte. Ganz im Gegensatz zu ihr. Sie verfiel in einen Dauerlauf und Schmerz, Schuld und Verwirrung begannen in ihrem Kopf zu kämpfen wie ein Sturm.Das war alles zu viel. Brunhild und Erik waren tot. Nichts würde ihr bleiben als eine Erinnerung aber sie hätte es wissen müssen. Rungald kannte ihr Schicksal, er hatte diesen Tag vorrausgesehen. '...Doch zuvor wirst du dir selbst die letzte Möglichkeit versagen deinen Bruder noch einmal in dieser Welt wiederzusehen nur um dann in einer allerletzten Konfrontation mit dem Ahnen, beim endgültigen Streich doch noch zu versagen...' Alles war genauso eingetreten. Sigarda hatte Recht gehabt. Sie war nicht stark genug gewesen die Jagd zu Ende zu führen, denn sie hatte Karl gewarnt und auch ihren Bruder würde sie nicht mehr wiedersehen. Er war ihr Zwilling, ihr kleiner Bruder gewesen und von Kindesbeinen an hatte sie ihn beschützt. Aber jetzt hatte sie versagt, nein war verantwortlich. Sie konnte nicht weinen, denn alles fühlte sich an wie ein Alptraum, aber wenigstens begann der Himmel für sie Tränen zu vergießen. Der Regen wurde immer heftiger und schluckte den konstanten, klagenden Lärm der Glocken die sie inzwischen hinter sich ließ. In der Ferne hörte sie Donnergrollen und Thyra Vidarsdottor ließ Brügge ein weiteres Mal hinter sich, in Blut, Feuer und Tod? Was hatte sie nur getan? Sie ekelte sich vor sich selbst und ein letzter Gedanke ging ihr durch den Kopf bevor ihr Bewusstsein in die süße Monotonie des Dauerlaufs verfiel. ‘Es wäre für alle besser gewesen, wenn ich damals in den Kerkern dieser Hexe gestorben wäre.’

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 Betreff des Beitrags: Re: Der Klang von Hochzeitsglocken
BeitragVerfasst: Sa 5. Nov 2016, 22:10 
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Lucien, Brügge


Es war September in Brügge und das Wetter hatte es noch einmal mehr als nur gut mit der Stadt gemeint. Die Nächte waren warm und erinnerten an laue Sommertage, während der bereits beginnende Herbst seinen würzigen Duft verbreitete. Das Brautpaar hatte großes Glück mit dem Wetter gehabt. Lucien war der Einladung von Karl van de Burse und Marie von Erzhausen artig gefolgt auch, wenn sie insgesamt recht wenig mit dem Hauptmann zu tun hatten. Lucien verstand aber inzwischen genug von höfischer Etikette um zu wissen, dass wohl irgendwer der Adeligen oder hochgestellten Persönlichkeiten Anstoß daran genommen hätten, wenn der Hauptmann nicht zu gegen gewesen wäre. Abgesehen davon waren auch die meisten anderen Kainiten der Stadt zugegen. Lucien hatte bereits mit Alida gesprochen, die sich in einer großen Traube aus van de Burses aufgehalten hatte und Lilliana hatte er von weitem gesehen. Wegen ihrer nächtlichen Gäste hatte man sich verständigt am Nachmittag mit einem Fest zu beginnen um dann genau an Mitternacht in dem Rohbau der neu errichteten Kathedrale von Brügge zu in einer feierlichen Zeremonie zu heiraten. Dieser Ablauf war zwar ein wenig ungewöhnlich, aber trotz allem weit davon entfernt bei irgendwem Fragen aufzuwerfen, immerhin war man erheblich exzentrisches Verhalten von Adeligen gewöhnt. Es war langsam Zeit sich wieder in Richtung Stadt zu bewegen und Hochzeitsgesellschaft machte sich in kleineren Gruppen auf in Richtung Westtor der Stadt. Die nachmittägliche Feier hatte in einem kleinen Apfelhain außerhalb der Stadtmauer stattgefunden und man konnte noch immer den fruchtigen Duft von noch nicht geernteten Früchten wahrnehmen. Lucien ließ Zelte, Lichter und Spiele hinter sich und würde irgendwann von einem bekannten Gesicht in der Menge begrüßt. Claude von Paris, der Blutrichter lächelte dem Hauptmann zu und hatte in der linken Hand einen Bratapfel und in der rechten einen Humpen in welchem sich, wie der Gangrel erschnuppern konnte Aldurbräu befand. Er kam auf den Gangrel zu und verbeugte sich leicht. “Es ist schön euch hier anzutreffen Lucien Sabatier. genießt ihr die Feierlichkeiten.” Da Claude ein Landsmann war sprach er ihn auf Französisch an und bevor er eine Antwort abwartete versenkte der Richter seine Zähne in dem saftigen Apfel und spülte alles mit einem guten Schluck Bier hinunter. Danach wischte er sich mit dem Handrücken den Mund ab und ging im langsamen Schritt mit Lucien in Richtung Stadt. “Kann ich euch etwas Bier anbieten? Ich sehe ihr sitzt auf dem Trockenen.” Claude von Paris war ein fähiger, allen voran aber sehr gerechtigkeitsliebender Mann, der jene die den Frieden in der Stadt störten verurteilte. Lucien arbeitete ihm sozusagen zu, aber abgesehen davon hatten sie wenig miteinander zu tun. Alida hatte mehr Verbindungen mit dem Franzosen und schien recht große Stücke auf ihn zu halten auch wenn sie einmal scherzhaft erwähnt hatte, dass der Richter durchaus eine große Schwäche besaß und zwar wohlschmeckenden Speisen und Getränke, insbesondere Süßigkeiten.

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Lucien hatte die Feierlichkeiten bisher überraschenderweise in vollen Zügen genossen und das obwohl ihm durchaus bewusst war, dass die an ihn ausgesprochene Einladung, wohl nur der Vollständigkeit und Höflichkeit halber erfolgt war, denn wirklich viel zu schaffen hatte er weder mit dem Zweig der van de Burse dem Karl angehörte, noch mit den Erzhausener Edelleuten, von denen er noch weniger wusste. Immerhin spielte das Wetter mit und die Bürger und Untoten der Stadt hatten einen annehmbaren Grund sich eine knappe Zeit lang nicht mit den alltäglichen und allnächtlichen Mühen, Sorgen und Problemen herumplagen zu müssen. Es gab Musik, Spiel und Tanz und obgleich er selbst nichts von all den Köstlichkeiten, allen voran dem ausgezeichneten Bier probieren konnte, fand er das generelle Ambiente aus sich vergnügenden Massen und duftenden Speisen äußerst einladend. Ausnahmsweise hatte er sich seine Ausgehuniform angelegt, die im Grunde nicht mehr war als eine etwas vornehmere Variante seiner ganz alltäglichen Kleidung und selbst wenn er großen Pomp und Glamour nicht allzu sehr schätzte, empfand er es als richtig und wichtig dem Anlass entsprechend gekleidet zu sein. Wenigstens einmal im Jahr auf einer Hochzeit. Claude wurde von ihm mit einem leichten Schmunzeln, sowie einem leicht wehmütigen Blick begrüßt. Bratapfel und Bier - es hätte so schön sein können und blieb ihm dennoch verwehrt. Umso mehr gönnte er aber Claude diese kleinen sterblichen Kostbarkeiten und setzte ebenfalls zu einer knappen Verbeugung an, bevor er selbigen zurück in die Stadt begleitete. Der Gangrel wechselte angenehm überrascht ebenfalls zum Französischen über, eine nette Gelegenheit sich ganz ungezwungen in seiner Landessprache zu unterhalten, die für ihn in Brügge mittlerweile so gut wie gar nicht mehr zur Anwendung kam. Zwar hielt er nicht viel von Paris oder dem Pariser Hof aber Claude war ein guter und pflichtbewusster Richter, dem man nichts Schlechtes nachsagen konnte. Allein deshalb schätze er ihn, selbst wenn er ihn abseits von Verurteilungen und Hinrichtungen nur selten zu Gesicht bekam. Beide saßen sie im selben Boot. „Schön auch euch zu sehen Claude. Ja in der Tat gefällt mir dieser Abend bei weitem besser als ich für möglich gehalten hätte. Für gewöhnlich eigne ich mich ja nicht besonders für Feste und Familienfeiern aber ich glaube die Stadt kann ein wenig Zerstreuung zu so einem festlichen Anlass gut gebrauchen.“ Er pausierte und korrigierte sich nur einen Sekundenbruchteil später. „Das heißt, ich kann so etwas gut gebrauchen“, fügte er schmunzelnd hinzu und machte eine ablehnende Handbewegung auf sein Angebot hin. „Ich würde liebend gerne aber ich bin selbst an so einem Abend im Dienst; ihr wisst ja wie das ist.“ Er sah sich nach den lachenden Gesichtern und farbenfrohen Zeltwänden um, aus denen es noch immer verführerisch duftete. Immer wieder machten sich einige Grüppchen auf zur eigentlichen Hauptveranstaltung und auch er schritt an der Seite von Claude weiter voran. Nicht besonders schnell, man hatte ja keine Eile. „Jetzt heiraten die van de Burse und die Erzhausener. Na, war ja nur eine Frage der Zeit bis sich sowas ergibt findet ihr nicht?“, versuchte er offensichtlich das Gespräch weiter aufrecht zu erhalten.

Claude hatte inzwischen seinen Apfel verspeist und das letzte Bier getrunken. Schließlich seufzte er und klopfte zufrieden auf den Lederwams den er trug. Der mittelalte Mann mit grauen Strähnen in Haar und Bart war keineswegs korpulent und schien fit für sein Alter, aber man sah an dem kleinen Bäuchlein das er die schönen Seiten des Lebens definitiv zu schätzen wusste. Er lächelte dem Gangrel zufrieden zu.”Wisst ihr Hauptmann Brügge mag eine riesige Stadt sein, aber wo die Liebe hinfällt kann man eh nie vorhersehen. Abgesehen davon gibt es so viele van de Burses in der Stadt, dass ich glaube das es einfacher ist einen von ihnen angeheiratet in der Familie zu haben als nicht. Eure Freundin Alida habe ich heute noch gar nicht gesehen ist sie hier? Ich wollte nämlich noch ihren Rat bezüglich ein paar Kleinigkeiten einholen.” Während die beiden Männer plauderten passierten sie das Westtor und schon von weitem konnte man das Gerippe der neu errichteten Kathedrale ausmachen. Es sah aus als wäre sie mit hunderten Kerzen erleuchtet und die Glocken klangen fröhlich um die Gäste zu begrüßen. Von irgendwoher kam schließlich eine weitere bekannte Gestalt angelaufen, Gregor der Wachmann. Er blieb direkt vor dem Hauptmann stehen und hielt sich die Seite. Er schwitzte und musste erst ein paar Mal tief Luft schnappen bevor er sprechen konnte. “Hauptmann...:” Er atmete schnell. “Ich bin so froh das ich euch gefunden habe. Es gab einen Mord. Zwei Gardisten am Nordtor wurden niedergemacht und wir befürchten das jemand die Ablenkung in der Stadt nutzt um zu rauben oder zu plündern. Was sollen wir tun.” Gregor stützte sich auf seinen Oberschenkeln ab. Seine Atmung hatte sich noch nicht wieder völlig normalisiert. Aus dem Gesicht von Claude war jegliche Fröhlichkeit gewichen und von Besorgnis abgelöst worden.

Der Hauptmann lachte laut auf und schüttelte belustigt den Kopf. Wo der Mann recht hatte, da hatte er wohl ganz einfach recht. Und dass er die schönen Seiten des Lebens genoss, hätte er ihm auch im Traum nicht versucht auszureden. Claude hatte seines Erachtens nach nur dieses eine Leben, sofern man nicht der christlichen Kirche Lehren nach an ein Paradies oder die Hölle glaubte und das sollte er auch nicht jeden Tag mit Kümmernis und Gram zubringen, wo er doch schon ohnehin tagaus tagein Mörder, Diebe, Betrüger und anderes Gesindel verurteilte und ziemlich direkt ihren Tod am Strick oder eine lange Inhaftierung veranlasste. „Tja die van de Burse sind schon eine Größe, mit der man in dieser Stadt wohl oder übel rechnen muss und mit dieser Hochzeit können wir wohl auch wieder Nachwuchs erwarten. Vielleicht werdet ihr auch mal eine van de Burse ehelichen, wer weiß? Ich hörte Alyssa wäre noch frei und wäre nicht auf den Kopf gefallen. Und Alida… ich glaube ich habe sie nur kurz bei ihrer Familie gesehen, sie ist dieser Tage wohl wieder schwer beschäftigt fürchte ich; Geschäfte in Gent.“ Er hob den Blick leicht an und seine Laune hob sich noch ein gutes Stück weit. Eindrucksvoll lag der Rohbau der Brügger Kathedrale vor ihm und er musste sich schon schwer zusammenreißen nicht dümmlich vor sich hinzugrinsen. Nur den Eingeweihten war bekannt, dass kein Adeliger oder wohlhabender Gönner den Bau veranlasst hatte, auch wenn der Großteil der Stadt dies glauben mochte. Der Initiator des Baus dieser religiösen Bastion war ein widerlich breitschultriges Monster, das direkt unter den Häusern der Bürger lebte und dessen Gesicht mehr einem wandelnden Alptraum als einem Menschen glich. Manchmal fragte er sich was Gerrit mit all dem bezweckte aber auch er musste gelegentlich zugeben, dass es durchaus Vorteile haben konnte einen Bischofssitz bereitzustellen. Allen voran um Martin von Brüssel auszustechen natürlich. Gerade wollte er auf einen Giebel deuten, da kam Gregor angerannt. „Ich glaube wir sollten auf dieser Seite…“ Weiter kam er nicht, da wurde er schon vom Wachmann mit erschreckenden Neuigkeiten überhäuft. Der Hauptmann wirkte für einen Moment sogar verärgert, dass jemand es wagen konnte ihm so die gute Laune zu verderben und schwor sich noch im selben Moment, jeden einzelnen dieser Unruhestifter mit einem Tritt aus der Stadt zu befördern. „Ah verdammt, nicht einmal auf einem Fest hat man seine Ruhe. Diesen Bastarden ist aber auch gar nichts heilig.“ Er wandte sich rasch an Claude. „Ich fürchte diese Nacht wird nicht so ruhig, wie wir es uns gewünscht hätten; entschuldigt mich bitte. Richtet den Brautleuten aus das sie Vorsicht walten lassen sollen aber vermeidet wenn möglich eine Panik. Karl ist Ritter und wird mit der Situation umzugehen wissen.“ Er klopfte ihm auf die Schulter und ging raschen Schrittes davon; deutete Gregor an ihm zu folgen. Der Mann war viel gelaufen und gerannt aber das wäre wohl nicht das einzige Mal, dass sie in dieser Nacht außer Atem kämen. Dafür war die Nachtwache da. „Du gehst zu Rupert und dann weckt ihr beide alle verfügbaren Leute, auch die Reservisten. Schichtpläne sind gestrichen, Feiertagsurlaub könnt ihr vergessen. Dann wirfst du den Patrouillenplan von heute über den Haufen und machst mit zwei anderen Leuten die volle Runde. Ich will Posten an allen Toren und an allen Schießscharten. Die Straßen rauf und runter, Kontrolllisten und Fackellicht. Wo immer die sind, es können nicht so viele sein, das wäre aufgefallen. Und auf dem Fest schlagen die nicht zu, die sind nicht dumm. Wenn es etwas Wertvolles gibt, dann holen sie es sich gerade jetzt aus den Häusern. Lagerhäuser, Händler, Reichenviertel, da gehen wir zuerst hin. Auf jetzt.“ Er stieß Georg weiter voran und gemahnte ihn weiter zur Eile. Er selbst rannte in die Wachstube und alarmierte die Nachtbereitschaft und die Wechselpatrouille; informierte über die Lage am Nordtor. „Ich sehe mich persönlich dort um. Zwei kommen mit, zwei bleiben in der Wache, der Rest macht seine Runden. Augen auf ihr Schlafmützen. Wenn morgen auch nur ein Groschen fehlt mach ich jeden von euch Traumtänzern persönlich dafür verantwortlich.“ Damit machte er sich auf zum Nordtor.

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Die Glocken schlugen inzwischen immer lauter und überdeckten das Gemurmel des Gästestroms von dem sich der Gangrel immer weiter entfernte. Lucien fühlte sofort in Alarmbereitschaft versetzt und fiel sofort in seine wohlbekannte Rolle als Beschützer der Stadt. Es hatte wahrscheinlich nicht einmal zwanzig Minuten gedauert bis er die ganze verfügbare Wachmannschaft der Stadt auf die Beine gestellt hatte um was immer hier vorging im Keim zu ersticken. Irgendetwas aber störte Lucien, machte ihn unruhig und zwang ihn immer wieder den Blick über die Schulter zu werfen. Schließlich kristallisierte sich ein furchtbarer Gedanke in seinem Kopf und wurde zur grausamen Realität. Er wollte es zuerst nicht wahrhaben, aber die Luft war erfüllt von Asche und verbranntem Holz. Er hatte den Geruch zu Beginn noch auf die Fackeln geschoben die überall den Weg zur Kathedrale säumten, aber es gab keinen Zweifel mehr. Das Gotteshaus war nicht von Kerzen erleuchtet, sie musste von innen lichterloh in Flammen stehen und schon bald hörte er die ersten Rufe durch die Straßen schallen, die immer lauter und panischer wurden. “Feuer!”, “Es brennt!” “Aus euren Betten!” Der Rohbau lag in der Mitte der Stadt und mit dem trockenen Wetter der letzten Tage und dem Wind hatte dieser Brand das Potential die halbe Stadt einzuäschern. Der zuvor klare Himmel bedeckte sich zunehmend dank dem Rauch der nun offensichtlich von der Kirche aufstieg. Er als Kainit war so gut wie machtlos gegen diese Naturgewalt, eine Erkenntnis die ihm siedend heiß einfiel als er die breit offen stehenden Türen des Nordtors erreichte. So schwer es ihm vielleicht fiel aber man musste sich auf die Menschen verlassen den Brand so gut wie möglich einzudämmen, auch wenn es wegen der Größe der Kirche ein beinahe unmöglich Unterfangen darstellte. Das Glockengeläut über der Stadt legte sie wie ein Tuch über die unwirkliche Szenerie.

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Harsch hieß er die beiden Wachmänner an seiner Seite die schweren Holztüren schließen und den Durchgang versperren, während er selbst sich in Richtung der Innenstadt umdreht und die Augen angestrengt zusammenkniff, um über die Entfernung und Dunkelheit etwas zu erkennen. Aber da war nichts, das ihm in dieser Situation hätte helfen können. Die Glocken schlugen wie von Sinnen, ein dröhnendes und alarmierendes Schallen das jeden Brügger Bürger schlagartig aus seinem Schlummer oder der Festtagslaune befördern würde. Der Rohbau des Domes brannte und er hatte es nicht früh genug wahrgenommen; jetzt kroch ihm dafür umso giftiger der beißende Geruch von verbranntem Holz und heißer Asche entgegen. Ja er hätte sogar schwören können, dass er bei den ersten verzweifelten Rufen der aus dem Schlaf gerissenen Einwohner, den warmen Lufthauch des tosenden Brandes, selbst noch auf diese Distanz spüren konnte. Aber wie es nun einmal in seiner Natur lag, war er buchstäblich dazu verdammt die Hoffnung auf eine rasche Löschung des Brandes in die Hände der Sterblichen dieser Stadt zu legen. Was immer hier vorging, wer immer den Brand gelegt hatte; er hatte eine unüberwindbare Hürde für ihn geschaffen und irgendeine Stimme in seinem Hinterkopf sagte ihm, dass dies kein Zufall war. Karl van de Burse und Marie von Erzhausen heiraten. Wer könnte ihnen dermaßen übles wollen? Doch genauso wie seine Ohnmacht im Anbetracht der wachsenden Flammen, blieb auch diese Frage vorerst unbeantwortet. Er suchte nach den Leichen der ermordeten Wachposten und schlug dabei mit der Faust gegen die Tür zum Aufgang der Wehrmauer. „Verdammte Teufel… wenn ich euch erwische ersäuf ich euch eigenhändig im Fluss“, fluchte er grimmig vor sich hin, während er den ersten der beiden Toten umdrehte. Vielleicht gab es ja irgendeinen Hinweis, irgendeine Kleinigkeit die ihm mehr Aufschluss über diese vermaledeiten Vorgänge in der Stadt bieten konnte. „Es muss doch irgendetwas geben… niemand ist so gründlich… es sei denn…“, murmelte er abgelenkt vor sich hin, als er sich die Wunden besah.

Plötzlich hörte der Gangrel einen weit entfernten Donner und neben ihm begannen Regentropfen in den Staub und auf die gepflasterten Straßen zu fallen. Es begann ganz langsam, so als ob jemand die verzweifelten Gebete der Stadtbevölkerung erhört hätte und aus den einzelnen Tropfen wurde ein Guss. Es schien wie ein Wunder und lenkte den Gangrel für einen Moment von all dem Wahnsinn der um ihn geschah ab. Trotzdem roch er irgendwann Blut und machte die Quelle im Handumdrehen ausfindig. Beide Wachen, gute verlässliche Männer lagen in der kleinen Wachstube in ihrem eigenen Blut, welches sich bereits in braune zähe Masse verwandelt hatte. Beide waren grausam zugerichtet. Dem einen hatte man wohl mit einer Axt den Kopf gespalten und dem zweiten die Kehle durchgeschnitten. Sie mussten beim Kartenspiel gewesen sein, wie es anhand des verstreuten Blattes aussah. Sie hatten offenbar nicht einmal Zeit nach ihren Waffen zu greifen. Während er die Leichen untersuchte spürte er plötzlich einen kleinen Windhauch der zeigte das jemand eingetreten war. Eine weibliche Gestalt in einem schweren Reisemantel war zu erkennen unter deren Kapuze langes blondes Haar hervor quoll. Sie schlug die Kapuze zurück unter der ein scharfes, fein gemeißeltes Gesicht zum Vorschein kam welches völlig emotionslos auf ihn herabschaute. Ihre Stimme war wie flüssiger Honig und ihr Flandrisch hatte nur den Hauch eines Akzents. “Lucien Sabatier:” Es war keine Frage, sondern eine Feststellung. “Wenn ihr verhindern wollt, dass in dieser Nacht noch mehr Menschen sterben dann hört mir jetzt genau zu.” Wie zur Untermalung ihres Auftritts mischten sich inzwischen Donner und Glockengeläut über der Stadt, ganz so als würden sie sich gegenseitig übertrumpfen wollen. “Es liegt in eurer Hand Kainit.”

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Bereits nach dem ersten sachten Plätschern, das sich innerhalb weniger Augenblicke in eine wahre Sintflut verwandelte, wandte er den Blick durch eine der Schießscharten hinaus auf den in sachten Schwarztönen gehaltenen liegenden Wald. Kein Zweifel, es regnete und wie es das tat! Er blinzelte einmal und ein weiteres Mal; konnte das Glück das der Stadt in diesem Augenblick der höchsten Verzweiflung zuteilwurde noch gar nicht fassen, doch im selben Moment wurde ihm schlagartig bewusst, das keine Gebete diesen Regen heraufbeschworen hatten. Irgendjemand oder irgendetwas, hatte da ohne Zweifel auf geradezu magische Art und Weise nachgeholfen. Wie als der Osten einmarschiert war und der Regen damals die Brände löschte. Fieberhaft kreisten seine Gedanken um den möglichen Urheber dieses scheinbaren Wunder. Gretlin? Theresa? Oder war doch Sebastian rein zufällig in der Stadt? Er biss die Zähne zusammen, als er sich die grässlichen Verstümmelungen seiner Wachleute besah. Gute Männer mit Familie und jetzt waren sie abgeschlachtet wie Vieh. Es war nicht so sehr der Anblick der Leichen, als mehr die Tatsache das sich diese Nacht in eine große Anhäufung ungeklärter Fragen verwandelte, von denen er keine zu beantworten wusste, die ihn mit verzweifelter Wut erfüllte. Zudem rannte ihm die Zeit davon, während er gezwungen war daneben zu stehen und zuzusehen wie die Minuten an ihm vorbeirasten ohne Aussicht auf eine Lösung dieses blutigen Rätsels. Angespannt riss er den Kopf zur Seite und erblickte die ihm fremde Frau in der Tür, die vom aufgepeitschtem Regen und Wind umspielt wurde, wie eine düsterer Schatten. Das Glockengeläut war ohrenbetäubend und stimmte in den Klang des prasselnden Regens mit ein. Mit einem Ruck, riss er das Schwert aus der Scheide. Der blanke Stahl spiegelte sich im Schein der dämmrigen Fackeln. „Und wer zum Teufel seid ihr? Und was habt ihr mit all dem zu schaffen? Wer steck hinter diesem Irrsinn? Es sind schon genug Leute gestorben da habt ihr recht aber ich habe gut und gerne Lust dem ganzen noch eine weitere Leiche hinzuzufügen. Sprecht Weib!“

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Die blonde Frau schaute den Hauptmann mit hellen, aufmerksamen Augen an. “Das könnt ihr gerne tun Hauptmann, aber das wird nur zu noch mehr Blut und Tod führen, als eh schon. Packt euer Schwert weg und hört auf mit euren Zähne zu fletschen Wolf, dann beantworte ich alle eure Fragen. Außerdem bin ich überzeugt davon, dass ihr mich immer noch zerreißen könnt wenn ihr es als richtig erachtet, mit oder ohne euer Schwert.” Lucien spürte das ihr Mut nicht gespielt war, es sie aber trotzdem Kraft kostete nicht zu zittern. Er war eine furchteinflößende Gestalt, insbesondere wenn in Rage war. Es bestand wenig Zweifel daran, dass sie ihn als das Raubtier sah das er war.

Da war dieses kurze Flackern in seinen Augen, der Scheidepunkt den es immer in die eine oder andere Richtung zu überwinden gab, wenn man sich mit solch einer prekären Situation konfrontiert sah und eine Entscheidung des Vertrauens treffen musste. Schließlich raffte er sich und erhob sich zu voller Größe, während er das Schwert wieder zurück in die Scheide steckte. Sie hatte schon richtig bemerkt, dass es ihn nicht großartig kümmerte, ob er sie demnächst mit Zähnen und Klauen in blutige Streifen, oder mit der blanken Klinge in mundgroße Happen zerteilen würde. Schwer atmete er die kühle, durch den Regen mittlerweile auch feucht gewordene Nachtluft ein und presste sie in seine toten Lungen. Sein Blick heftete sich auf sie, als er mit dem Finger seiner rechten nach draußen deutete. „Das ist meine Stadt in der meine Kirche brennt“, der Finger wanderte auf die beiden verstümmelten Leichen, die noch immer in ihrem eigenen Blut lagen. „Das waren meine Leute.“ Der Finger deutet anklagend auf die ihm unbekannte Frau. „Und ihr wisst entschieden zu viel über mich. Viel mehr, als eurem beschaulichen Leben zuträglich wäre, soviel kann ich euch versichern.“ Er machte ein paar bedrohliche Schritte auf die Frau zu und kam mit ihr auf Augenhöhe. „Für was sind all diese Menschen heute Nacht gestorben? Und macht es kurz, denn ein paar Tote wird es wohl leider dennoch geben. Wenn der Galgen sie nicht erwischt; ich erwische sie bestimmt.“

Sie wich seinem Blick nicht aus, bewegte ihren Kopf aber ein Stück zurück. “Heute Nacht wurde in dieser Stadt eine uralte Schuld beglichen. Der Kainit Leif Thorson wurde von den Seinen für vergangene Verbrechen an den sterblichen Nachkommen seiner Söhne bestraft und gerichtet, ebenso wie die anderen Verräter an unserer Familie Brunhild und Erik. Eure Kirche war nicht unsere Schuld, das kann ich euch versichern. Mit dieser Nacht hat sich ein heiliger Eid erfüllt der vor über einem Jahrhundert ausgesprochen wurde.” Die Frau ließ ihn nicht aus den Augen und sprach leise weiter. “Ein ewiger Zirkel aus Hass, Blut und Tod ist damit endlich zum erliegen gekommen und ihr solltet euch in das was passiert ist nicht einmischen, wenn ihr nicht erneutes Blutvergießen herausfordern wollt.” Er war ihr so nah, dass er ihr schwach-blumige Parfum, sowie den Geruch von Salz und etwas das an Tannen erinnerte wahrnehmen konnte. “Diese Familie wird nie aufgeben wenn ihr sie jetzt herausfordert. Sie hat Leif über ein Jahrhundert gejagt und würde es bis zu ihrer völligen Vernichtung wieder tun wenn ihr ihnen einen Grund gebt.” Er hörte auch ohne die geschärften Sinne des Auspex ihr Herz rasen. “Lasst es heute Nacht enden. Verfolgt uns nicht, zieht eure Leute in die Stadt zurück und ihr werdet uns nie wiedersehen. Wenn nicht, kann ich für nichts garantieren. Der Anführer unserer Gruppe ist ein selbst für eure Verhältnisse mächtiger und grausamer Mann, der weder Gande noch Reue kennt.” Sie schluckte und schien sich für einen Moment sammeln zu müssen. Die enge körperliche Nähe zu Lucien machte ihr offensichtlich zu schaffen. “Die Kinder von Vidarr wissen in der Tat viel über euch und diese Stadt. Sehr viel mehr als gut für sie ist da gebe ich euch recht und sie werden nicht zögern dieses Wissen einzusetzen wenn sie müssen. Wollt ihr das? Für Jean, oder Florine? Marlene? Die van de Burses und andere Bewohner dieser Stadt? Wollt ihr diese Geißel wirklich über sie bringen? Lasst es hier enden und ich verspreche euch, dass der Verantwortliche für all das bezahlen wird.”

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Die merkwürdige Frau, an der die Furcht klebte wie langsam dahinschleichender Schimmel hatte noch nicht einmal zu Ende gesprochen, da riss er schon eine behandschuhte Hand nach vorne und hielt sie in einem eisernen, würgenden Griff gefangen. Seine Augen glommen rötlich auf, als wollten sie die Abgründe der Finsternis dieser Nacht durchschneiden und sein Gesicht verzog sich zu einer widerwärtigen Fratze aus purem Hass. „Ihr kommt hier herein, zu mir und den Leichen meiner abgeschlachteten Leute und erzählt mir, das die sterblichen Nachkommen von Leif Thorson, eure verdammten Kinder von Vidarr, soeben Brunnhild und ihren Jungen, als auch ihn selbst ermordet haben um anschließend unsere Kirche in Brand zu stecken nur um eine Jahrhunderte alte Rechnung zu begleichen?“ Seine ledernen Handschuhe schlossen sich gefährlich um die zarten Auswüchse ihrer Halswirbel. Es trennte die Frau nur eine Haaresbreite von Tod oder Leben, während er angewidert ihren Duft einsog, als würde er ein giftiges Miasma einatmen. Dann lockerte sich sein Griff; kam schließlich zum Erliegen als seine Hand wieder an seine Seite glitt. Irgendetwas mochte ihn wohl zum Umdenken bewogen haben und die Chancen standen gut, dass es sich dabei um die dezente Warnung hinsichtlich seiner eigenen sterblichen Verbindungen handeln mochte. „Man sagt uns eine boshafte Freude nach andere zu quälen. Wir wären stur und gerissen, hinterlistig und blutdürstig; die Geißel der Menschheit. Es ist immer wieder witzig mitanzusehen, das wir gar keine mordenden Monster der kalten Nächte sein müssen, um den Menschen Angst zu machen. Die wahren Monster, spazieren hier täglich aus und ein; dazu braucht es uns Kainiten gar nicht.“ Eine lange und getragene Pause folgte, in der er sich weder rührte noch einen einzigen Atemzug tat. Seine grauen Augen lagen mit einer fast wahnhaften Starre auf der Frau und durchbohrten sie wie Dolche. „Warum dann noch eine Warnung? Warum soll ich erfahren, dass ihr gute Leute ermordet habt, für eine dumme Vendetta die mit dieser Stadt oder diesem Land nicht im Geringsten etwas zu tun hat? Was veranlasst euch dazu mich zu warnen? Die Menschlichkeit und Nächstenliebe kann es wohl nicht sein, den die schwimmt gerade in ihren eigenen Gedärmen oder verbrennt zu einem Haufen Knochen und Asche. Wollt ihr Vergebung? Erlösung?“ Lucien lachte verächtlich auf. „Da solltet ihr mich besser kennen.“

Als Lucien sie am Hals packte weitete sie vor Schreck die Augen, schien sich dann aber ihrem Schicksal zu ergeben. Als der Hauptmann sie wider aller Erwartungen losließ ging die blonde Frau vor Überraschung in die Knie, atmete tief ein und aus und fuhr sich mit der linken Hand über den Hals. Sie schaute nach oben und sog die rettende Luft ein, bevor sie sich wieder aufrappelte. Ihre Stimme klang rauer und zwischen manchen Worten musste sie husten. “Ich tue was ich tue nicht für euch. Ich tue es nicht einmal für mich. Ich tue es für meine Kinder.” Sie richtete sich wieder zu voller Größe auf und blickte mit Entschlossenheit zu dem Gangrel. “Ich habe vier Söhne und ich würde alles tun damit sie in einer besseren Welt aufwachsen als ich. Fern von Schwüren, Hass und einer das ganze Leben überschattende Aufgabe. Ihr habt mit eigenen Augen erleben müssen zu was meine Leute in der Lage sind und ich werde nicht tatenlos zusehen wie meine Nachkommen zu solchen Monstern werden. Lieber sterbe ich bei dem Versuch es zu verhindern.” Ihre schlanken weißen Hände glitten noch einmal über den geschunden Hals auf welchem Lucien, selbst in der Dunkelheit schon blaue Flecken ausmachen konnte. “Es geht nicht um Menschlichkeit oder Vergebung. Es geht nur um den puren Egoismus einer Mutter, die alles dafür tut ihre Söhne zu beschützen. Doch damit das Wirklichkeit werden kann muss dieser Wahnsinn hier in dieser Nacht enden. Macht euch keinen Kampf zu eigenen der nicht der eure sein muss. Unschuldige sind zu Schaden und Tode gekommen oh ja. Zu viele, aber bedenkt Lucien Sabathier wie viel mehr Unschuldige werden Grausamkeiten erfahren, wenn dieser Kreis nicht endlich durchbrochen wird?”

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Sein Kopf bewegte sich langsam hin und her, als er weiterhin ausdruckslos in ihr Gesicht starrte, wie sie da so geschunden und beinahe schon verzweifelt vor ihm auf die Knie sank. Er hatte kein Erbarmen oder Nachsicht mit dieser Frau, denn ihre Leute hatten es mit seinen Wachen und der eigenen Familie auch nicht gehabt. Idealisten würden behaupten, er müsse sich nun beherrschen und zeigen, das er ‚besser‘ wäre als die Teufel die Leif Thorson, Brunnhild und Erik ermordet hatten aber die Friedhöfe waren voll von Idealisten. Er glaubte ihr diese Geschichte, auch wenn es ihn schmerzte nur einen Augenblick an all das Leid und die unnötigen Tode zu denken, die in jener Nacht verübt worden waren. Sie hatte keinen Grund zurückzukommen und auch nur irgendeiner einzigen Seele die Wahrheit über diesen Alptraum zu berichten und doch war sie gekommen; wandte sich sogar an den Hauptmann der Stadtwache, einem Blutsäufer. Niemand wäre so dumm, außer einer Mutter, die um das Leben ihrer Kinder bangte. Vor seinem Auge, sah er sich schon das Heft anheben, um ihr mit einem Schlag den Kopf von den Schultern zu schlagen aber er tat es nicht, denn sie hatte nicht gelogen, das sagte ihm die kleine Stimme, die mittlerweile kein abgrundtief diabolischer Schatten aus den Untiefen der Hölle war. „Könnt ihr mir bei eurem Leben und dem eurer Kinder versprechen, dass der Mörder und Anführer dieser Kinder von Vidarr seine gerechte Strafe erhalten wird?“ Seine Augen verengten sich zu kleinen Schlitzen. „Und welche Strafe sollte ihm wohl widerfahren, von der ihr sprecht, wenn es nicht der Tod sein darf, um diesen Kreislauf aus Töten und immer wieder Töten zu durchbrechen? Wie wollt ihr mir…“ Er setzte erneut an, diesmal ganz besondere Betonung in seine Worte legend: „… MIR Genugtuung verschaffen und MEINEN Blutdurst stillen? Ihr habt einen Freund ermordet…“ Erwartungsvoll sah er sie an.

Die Frau wartete voller Geduld bis der Hauptmann zu Ende gesprochen hatte. Ihr Gesicht war noch immer ausdruckslos und nur gelegentlich war ein Spur von Furcht oder Zweifel darin zu lesen. Erst als er das Versprechen von ihr verlangte wurde ihr Blick wieder eisenhart und entschlossen. “Ich verspreche euch bei meinem und dem Leben meiner Kinder, dass ich alles in meiner Macht stehende tun werde um Ragnarsson seiner Strafe zuzuführen. Er muss getötet werden, ganz sicher sogar. Für manche Verbrechen gibt es nur diese eine Strafe, aber der seine wird so vollstreckt werden, dass es gerecht ist. Darauf gebe ich euch mein Wort.” Die blonde Frau schlung bei seinen letzten Worten ihre weißen Arme um die Schultern und lächelte zum ersten Mal leicht. “Wisst ihr Hauptmann, manchmal geht es nicht darum was wir wollen oder um unsere eigene Genugtuung. Meistens geht es auch nicht um Gerechtigkeit, sondern einfach nur darum das Beste mit dem Blatt zu machen welches uns das Leben austeilt.”

Die Minuten dehnten sich in unendliche Längen, wie lange, klebrige Fäden am Rad der Zeit das sich unaufhörlich durch die Jahrhunderte wälzte und auf seinem Wege vor nichts und niemandem Halt machte. Eine getragene, quälende Endlosigkeit, starrte er sie nur ausdruckslos an obgleich dem aufmerksamen Beobachter eine hilflose Gleichgültigkeit, gar Ohnmacht in seinem Blick auffallen würde. Dem Hauptmann der Nachtwache, schien diese Entscheidung nicht leicht zu fallen und wer ihn kannte, der wusste das es kaum etwas gab das ihm schwerer fallen könnte. Ihr Lächeln wurde nicht erwidert und weder verbal oder mithilfe einer noch so verschwindend kleinen Gestik, konnte man erahnen was der Gangrel in diesem Augenblick dachte oder welchen Bedeutungsgehalt er ihren Worten beimaß. Schließlich wandte er sich von ihr ab und tat ein paar Schritte weiter in den Raum hinein, wo er abrupt stehen blieb, ohne sich noch einmal zu ihr umzudrehen. Seine Stimme war durch das anhaltende Geräusch des prasselnden Regen und der immer noch schlagenden Kirchenglocke, kaum mehr als ein undeutliches Raunen. „Innerhalb einer Woche, werdet ihr mir den Kopf von Ragnarson zukommen lassen. Es wird ein Begleitschreiben auf meinem Tisch landen, wo ihr mir schildern werdet, wie er sein Ende fand und durch wen. Sollte dies nicht passieren, muss ich annehmen das ihr gelogen habt.“ Eine knappe Pause folgte. „Sollte ich herausfinden, das eure Geschichte eine Lüge war und sollte jemals wieder einer eurer Sippe seinen Fuß in meine Stadt setzen, so werde ich euch alle jagen, jeden einzelnen. Ich werde euch finden und dafür sorgen, dass ihr und eure Kinder und Kindeskinder, alle Verwandten und Angehörigen in ihrem eigenen Blut ersaufen. Es wird dann niemand mehr da sein, der noch eine Blutrache schwören kann; niemand der auch nur ansatzweise etwas über eure Legende berichten könnte. Ihr werdet nicht einmal mehr eine Fußnote im endlosen Strom der Zeit sein.“ Eine weitere Pause folgte. „Und jetzt schert euch aus meiner Stadt. Ich will euch allesamt nie wiedersehen.“ Bevor sie aufstehen konnte, fügte er etwas brüchig hinzu. „Und bevor Ragnarson stirbt, sagt ihm das ich in der Hölle auf ihn warten werde. Dort werde ich dann beenden, zu was ich jetzt nicht in der Lage bin. Geht jetzt.“

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Das Lächeln war genauso schnell verschwunden wie es gekommen war. Auch die Frau vor ihm schwieg eine Zeit, schien jedes seiner Worte genau zu durchdenken und abzuwägen, dann schüttelte sie ihr Haupt sachte. “Der Kopf von Ragnarsson steht euch nicht zu Hauptmann. Er ist nicht eure Beute, andere haben lange vor euch Anspruch darauf erhoben und ich kann euch sowieso nichts geben über das ich keine Verfügungsgewalt habe.” Sie ging einige Schritte in Richtung Tür drehte sich dann aber noch einmal um. “Ein Wort der Warnung. Leistet keine Schwüre die ihr nicht gedenkt einzuhalten oder in der Lage seid auszuführen, denn ihr seht zu was es uns gemacht hat. Auch eure Drohungen solltet ihr euch überlegen, denn genau das was ihr beschreibt ist schon einmal geschehen. Meine Sippe, mit allen Kindern, Kindeskindern, Angehörigen und Verwandten sind in ihrem eigenen Blut ersoffen. Jenes Ereignis welches all diesen Wahnsinn erst ausgelöst hat. Ihr wärt töricht euch mit den Kindern anzulegen ohne auch nur zu ahnen wozu sie in der Lage sind. Es gibt mehr Mächte zwischen Himmel und Erde als ihr euch vorstellen könnt. Ich hoffe für euch und uns das sich unsere Wege nie wieder kreuzen mögen Hauptmann. Von mir werdet ihr weder Korrespondenz noch etwas anderes erhalten. Unsere Wege trennen sich hier und das ist zum Besten von allen die uns wichtig sind.” Die Worte die sie sprach waren weder Warnung noch Drohung, sondern hatten einen beinahe beschwörenden Unterton.

Weiterhin verharrte er regungslos in der von ihm eingenommenen Position ohne sich ihr zuzuwenden. Er hatte genug von ihren Worten und von ihrem Gesicht und selbst als sie ihm offenbarte, seine Wünsche, die er ja beinahe schon als zu befolgende Befehle formulierte ausschlug, rührte er sich nicht, sondern nahm ihre Bedenken stillschweigend zur Kenntnis. „Vorsicht…“, raunte er gepresst. „Ich habe eine besondere Schwäche dafür mir Dinge anzueignen, die mir nicht zustehen. Nennt es einen Wesenszug, der die Jahrzehnte überdauert hat.“ Dumm war es von ihm, sie ziehen zu lassen. Dumm und unverantwortlich aber er spürte instinktiv, dass sie ihm die Wahrheit offenbart hatte und darüber hinaus vermutlich noch etwas mit auf diesen kalten, einsamen Weg gegeben hatte, das ihm selbst der ermordete Leif ans tote Herz gelegt hätte: ‚Mach nicht denselben Fehler, den ich einst beging.‘ Leicht senkte er den Kopf und schloss die Augen. „Wir haben einiges zu verlieren ihr und ich; noch. Aber es mag der Tag kommen, an dem sich dies zumindest bei mir drastisch ändern dürfte. Und sollte dieser Tag kommen, wird nichts was ihr sagt irgendetwas daran ändern, was ich zu tun gedenke, solltet ihr euer Versprechen nicht halten. Bis dahin vergesst euer Wort nicht, denn wenn ihr alle längst zu Staub geworden seid, werde ich noch immer hier sitzen… und warten.“ Nachdem sie das Wachhaus ohne ein weiteres Wort zu verlieren verlassen hatte, dauerte es eine gute Weile bis wieder Bewegung in den Hauptmann kam. Schwer ließ er sich auf den Holzschemel sinken, der unlängst des Tisches mit den wild verstreuten Spielkarten stand. Dort vergrub er das Gesicht in den Händen und fuhr sich über das Gesicht. Und inmitten dieser dämmrigen Dunkelheit, die nur von ein wenig Fackellicht erleuchtet und vom prasselnden Regen und Dröhnen der Glocken erfüllt wurde, sah man einen leicht rötlichen Glanz in seinen Augen, den er vor anderen, nicht nur aus ganz offensichtlichen Gründen, stets verbarg. Sachte hob er den Kopf an die Decke und starrte müde in die finstere Leere. „Jetzt hast du mich mit all diesem Dreck hier sitzen lassen…“ Leiser fügte er hinzu: „Ruhe in Frieden alter Freund… ich werde dich vermissen.“ Schluckend, wischte er sich mit dem Handschuh über die Augen und würgte den Kloß in seinem Hals hinunter.

Hintergrundmusik - https://www.youtube.com/watch?v=_jklo0tXItU

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- Do not go gentle into that good night. Rage, rage against the dying of the light. -


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 Betreff des Beitrags: Re: Der Klang von Hochzeitsglocken
BeitragVerfasst: Mi 8. Mär 2017, 19:51 
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Thyra, Irgendwo auf der Nordsee

Eisiger Regen peitschte Thyra ins Gesicht und auf ihren Lippen konnte sie das Salz des Meeres schmecken. Sie zog ihre Kapuze enger um sich und vergrub ihr Gesicht in dem seidigen, rötlich-schimmernden Fuchsfell mit dem diese gesäumt war. Sie schloss für einen Moment die Augen und ließ sich in einer ihren Erinnerungen treiben. Erik war damals mit ihr auf der Jagd gewesen, als sie dieses Fell geschossen hatte. Die klamme Kälte des Wetters kroch ihr nicht nur in die Knochen, sondern breitete sich bei dem Gedanken auch irgendwie tief in ihr aus und sie spürte wie sie traurig lächelte als sie an ihren Bruder dachte. Erik war immer der besonnene und geduldige von beiden gewesen, insbesondere auf der Jagd. Sie hatten Stunden im Schnee gelegen, bis ihnen plötzlich der Fuchs über den Weg gelaufen war. Zugegeben, sie war immer die bessere Schützin gewesen, aber wenn ihr Bruder nicht gewesen wäre hätte sie es nie ausgehalten so lange still an einem Ort liegen zu bleiben. Eine einzelne Träne rann ihre Wange herunter. Erik war nicht mehr hier, sie hatte ihren kleinen Bruder im Stich gelassen, genauso wie all die anderen unschuldigen die der Jagd zum Opfer gefallen waren. Einer der Männer hatte ihr die grausame Wahrheit verraten, hatte ihr von Tod Balduins, sowie Karls Tante und Mutter und jenen erzählt die zur falschen Zeit am falschen Ort waren. Wofür war all dieses Blut vergossen worden? Der ewige Kampf erschien ihr nun plötzlich so sinnlos und falsch, jetzt wo es beinahe zu Ende war. Sie hatte ihre Mutter über all die Jahre abgelehnt, hatte sie für ihre Entscheidung alles hinter sich zu lassen verflucht und jetzt, als sie endlich begann sie besser zu verstehen war sie nicht mehr da. Thyra seufzte und klammerte sich an der feuchten Reling fest bis ihre Knöchel weiß hervortraten. Das Unwetter gab ihr Halt und Kraft, während es dem Boot immer mehr zusetzte. Sie segelten nicht mit ihrem eigenen Schiff, sie hatte ein Handelsschiff gekapert um im Hafen von Seebrügge nicht aufzufallen. Diesen Zweck erfüllte das Gefährt zwar hervorragend, aber zum Segeln auf rauer See war es wenig geeignet. Ihr Vater hatte von ihr verlangt, dass sie den Sturm auflöste, dass sie direkt bis nach Aros durchsegeln konnten, aber eine solche Tat überstieg ihre Kräfte bei weitem. Es war eine Sache ein kleines lokales Unwetter zu verursachen, oder das bestehende Wetter ein wenig zu manipulieren. Aber ein Sturm dieser Größe, der bis weit über den Horizont reichte in Wohlgefallen aufzulösen war schlicht und ergreifend unmöglich. Ihr Gesicht war inzwischen ganz nass und das Salz ihrer Tränen hatte sich mit dem des Ozeans vermischt. Thyra schluckte. Sie hatte sich entschieden, um ehrlich zu sein hatte sie sich schon in dem Moment entschieden etwas zu tun als sie Karl vor dem bevorstehenden Angriff gewarnt hatte. Sie würde versuchen einen kleinen Teil des Schadens wieder gut zu machen. Die Jagd war fast beendet, aber es war noch nicht zu spät für sie Einfluss auf ihren endgültigen Ausgang zu nehmen. Sie flüsterte zu sich selbst. 'Ich habe es endlich verstanden Erik. Ich werde das Richtige tun und du wirst stolz auf mich sein.'

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Es war an der Zeit ihren Plan in die Tat umzusetzen. Es stimmte was sie gesagt hatte, sie konnte den Sturm nicht beherrschen, aber sie konnte ihn benutzen, mit ihm zusammen arbeiten. Thyra schloss die Augen und konzentrierte sich. Der Wind bäumte sich noch stärker auf und riss an Seilen, Holz und Stoffen. Die Segel schienen bersten zu wollen, die Planken knarrten dank der zusätzlichen Kraft die an ihnen zerrte und mit erheblicher Wut trieben sie die Kogge nun immer weiter in Richtung Küste. Die Wellen wurden höher und Gischt verteilte sich auf der Reling. Erste Warnungen ihrer Verwandten begannen zu ertönten, während man am Horizont langsam das schwache Perlmutt des nahenden Tages ausmachen konnte. Jetzt musste alles schnell gehen und mit eiligen Schritten begab sie sich auf den rutschigen Planken in Richtung Lagerraum unter dem Deck. Leif wurde in einer geteerten Kiste aufbewahrt und von Ulf bewacht. Sie sendete ein Stoßgebet zu Loki, dass er ihr bei ihrer geplanten Trickserei helfen möge. Erik war immer der mit den Ideen gewesen, während es immer lieber gewesen war Anweisungen zu befolgen. Das war sicherer, aber nun lag es an ihr über sich hinauszuwachsen. Als sie das Lager erreicht hatte stieg Ekel in ihr auf. Leif Thorson lag, aus seiner Kiste befreit regungslos auf dem Boden während Ulf seine Blase auf ihn entleerte. Kurz danach trat er ihn mit aller Kraft in die Rippen, obwohl er peinlichst genau darauf achtete den Pflock aus Eschenholz nicht zu bewegen der aus seiner Brust ragte. Thyra fasste sich ein Herz und trat hervor. "Ulf du elender Dummkopf!" Sie schrie beinahe und mit ein klein wenig Genugtuung sah sie wie sich der angesprochene erschrocken umdrehte. Mit Abscheu sah sie, dass sein Gemächt noch immer aus der Hose hing. "Pack deinen vertrockneten Schwanz ein und verstaue den Dämon! Dann komm hoch, jede Hand wird an Deck gebraucht, wir müssen die Segel einziehen um sicherzugehen, dass wir nicht alle elendig ersaufen! Eil dich und ich sorge persönlich dafür, dass Ragnarsson von all dem hier erfährt!" Sie sah die Furcht in deinen Augen als die ihren Vater erwähnte und wandte sich ohne ein weiteres Wort von dem Mann ab. Sie hatte alles vorbereitet, aber jetzt kam es auf jede Minute an. Ihr Weg führte sie nicht zurück ans Deck, sondern weiter in den Bauch des Schiffs wo sie sich in einer dunklen Ecke versteckte. Ulfs schwere Schritte kamen schließlich näher, nur um dann gleich wieder nach oben hin zu verhallen. Das war ihr Moment dachte sich Thyra, während sie schon nach einem Sack griff den sie für diesen Moment bereitgelegt hatte. Der Lagerraum war leer und nur der stechende Geruch nach Urin erinnerte noch an die Anwesenheit von Ulf zuvor. Thyra ging ans Werk und öffnete mit einigen geschickten Handgriffen die Kiste, in welcher Leif transportiert wurde. Der Nordmann vor ihr gab ein erbärmliches Bild ab blutig, nackt und besudelt lag er da wie die Leiche die er war. Sie erinnerte sich selbst daran, dass sie keine Zeit zu verlieren hatte und mit größter Kraftanstrengung beförderte sie ihren Ahnen aus seinem hölzernen Gefängnis. Sie zog einen schweren, schwarzen Stoff aus dem Sack und wickelte ihn vorsichtig darin ein. Dann zog sie ihn in Richtung einiger der Fässer die zur ursprünglichen Ladung des Handelsschiffes gehört hatten. Der sauer-fruchtige Geruch war unverkennbar, als sie eines der Gefäße öffnete, denn in einigen von ihnen wurde unter anderem Essig transportiert. Sie achtete darauf nichts zu verschütten und mit einer letzten Anstrengung beförderte sie ihre tote, starre Fracht in das Fass und versiegelte den Deckel wieder. Nur für einen Moment lehnte sie sich an die Wand des der Kogge zurück und gönnte sich die Möglichkeit durchzuatmen. Schweiß lief ihr über die Stirn und Rücken, aber noch war sie nicht fertig. Voller Entschlossenheit schnappte sie sich das Bündel und rannte wieder zur Kiste, während sie nach einer Erschütterung darauf achten musste nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Die Schreie von oben wurden langsam lauter - und panischer.

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Thyra griff in ihren Beutel und holte einen hölzernen Gegenstand hervor. Sie hatte in den letzten Tagen einen beinahe identischen Pflock geschnitzt und diesen ein wenig angesengt. Sie legte diesen in die Kiste und streute darüber den verbliebenen Inhalt den sie vorbereitet hatte. Grauschwarze Asche rieselte herab und füllte den hölzernen Sarg. Thyra hoffe so sehr, dass es reichen würde ihre Familie zu täuschen, sonst wäre alles umsonst gewesen. Mehr konnte sie aber nicht tun und ohne weiter nachzudenken verschloss sie den Deckel ohne ihn aber ordentlich zu verschließen. Sie hatte schon zu viel Zeit hier unten verbracht, sie musste zurück auf Deck und wurde innerhalb kürzester Zeit von Schreien und Kommandos, sowie einer eiskalten Welle empfangen. Zuvor hatte sie geschwitzt und ihr war heiß gewesen und noch ehe sie es wirklich realisierte wurde ihr Körper von klammer Kälte ergriffen. Die Küste war erschreckend nahe gekommen und bald würden sie auf dem felsigen Untergrund auflaufen. Thyra erlaubte sich den winzigsten Anflug eines Lächelns denn genau das sollte passieren. Sie bemerkte es nicht sofort, doch zu ihrem eigenen Entsetzen realisierte sie, wie sie an Fahrt verloren und die Kogge sich stabilisierte. Panik und Verwirrung stiegen in ihr auf. Das war völlig unmöglich, denn immerhin riss der gnadenlose Wind noch immer mit aller Kraft an den Segeln. Es dämmerte ihr langsam was passierte. Ihr Vater stand am Bug des Schiffes und schien die Fahrt auf die Küste mit aller Macht die er aufbringen konnte aufhalten zu wollen. Ihr Magen zog sich schmerzhaft zusammen. Sie hatte alles geplant, sich auf Eventualitäten vorbereitet, aber nichts darauf. Die angestrengte und gepresste Stimme ihres Vaters erreichte sie schließlich und holte sie aus ihren Gedanken. “Thyra! Bei allen Göttern hilf mir und konzentriere dich!” Ihr Mund reagierte bevor ihr Verstand eingreifen konnte. “Ich tue was ich kann Vater.” Ratlos und mit sorgenvollen Gesichtsausdruck wurde ihr Austausch von dem Rest der Kinder von Vidarr verfolgt. Es war jedem hier klar, dass wahrscheinlich nur noch die beiden etwas ausrichten konnten, aber Thyra schob diese Gedanken weit weg. Sie hatte nicht gelogen, sie gab ihr Bestes aber nicht um Ragnarsson zu helfen, ganz im Gegenteil. Gischt und Wasser schlugen ihr immer wieder ins Gesicht und hinterließen nichts als kalte Haut und klamme Kleidung. Trotzdem lief ihr der Schweiß wieder in Strömen an Rücken und Gesicht herunter. Sie hatte ihre Fähigkeit noch nie so stark kanalisieren müssen und sie spürte wie sehr sie das Unterfangen erschöpfte den Wind gegen die Kräfte ihres Vaters in die Segel zu schicken. Ihr Körper schmerzte und fühlte sich an als wollte er sie zerreißen, aber noch gab sie nicht auf. Alles um sie herum verschwamm und wurde zu einer einzigen grauen Masse, die ebenso irreal wirkte wie alle Geräusche. Von irgendwo hörte sie ihren Vater schreien, dann riss unmissverständlich eine der Segelplanen. Blut tropfte aus ihrer Nase und sammelte sich auf ihrer Lippe. Sie konnte Eisen schmecken und schließlich gaben ihre Knie einfach nach. Die junge Kriegerin schlug hart auf dem Holzboden auf, aber das war ihr in diesem Moment egal. Thyra hatte das Gefühl ein Jahrhundert schlafen zu können, aber sie schaffte es irgendwie die Augen geöffnet zu halten. Am Horizont ging langsam die Sonne auf und die ersten zarten Strahlen gaben Thyra noch einmal etwas Kraft. Sie lächelte ein wenig, denn jetzt war es fast geschafft und in einer letzten Welle von Kraft, schickte sie den Wind nicht nur in die Segel, sondern auch hinter den Bug und gegen ihren Vater. Er verlor das Gleichgewicht und seine Konzentration und Kontrolle über die Kogge brach zusammen. Das Deck neigte sich plötzlich und Schreie ertönten, während Seile, Fässer und allerlei lose Teile des Schiffes begannen in eine Richtung zu rollen. Dann schließlich und zu ihrer unendlichen Erleichterung donnerte ein heftiger Ruck durch das Schiff und schien es in seiner Gänze zerreißen zu wollen. Thyra wusste sie hätte das Gleichgewicht verloren, hätte sie nicht schon am Boden gelegen. Trotzdem wurde sie gegen die Reling geschleudert und verspürte einen Schmerz der ihr für einen Moment den Atem nahm. Die Schreie verstummten plötzlich, weit entfernt konnte man die Sonne hinter den dunkelgrauen Sturmwolken sehen und nur noch der Wind zerrte an den zum Teil zerfetzten Segeln. Sie waren auf Grund gelaufen, irgendwo an einer unbekannten Nordseeküste. Sie hatte es geschafft.

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Die Nacht war wieder angebrochen und eine unheimliche Stille lag über der provisorisch eingerichteten Zuflucht der Kinder von Vidarr. Thyra hatte beinahe den ganzen Tag geschlafen, ebenso wie ihr Vater. Die letzte Nacht hatte sie beide viel Kraft gekostet. Ihr Schiff war trotz ihres Kampfes weniger schlimm beschädigt als anzunehmen war, aber dennoch war es weit davon entfernt seetüchtig zu sein. Ein tiefer Riss durchzog die Steuerbordseite und einige der Segel waren gerissen. Die Reparaturen würden einige Zeit in Anspruch nehmen und Thyra wunderte sich, ob es nicht einfacher wäre nach einem neuen Schiff Ausschau zu halten, oder den Landweg nach Hause einzuschlagen. Es gab nur ein paar leicht Verletzte in ihrer Gruppe und viele ihrer Familienmitglieder hatten die Stunden des Tages genutzt Feuerholz zu sammeln und ein paar provisorische Verschläge zu bauen um den Naturgewalten zu trotzten. Aber das war nicht der Grund wieso eine so schwere und angespannte Stimmung über ihnen allen lag. Ihr Plan hatte wirklich Erfolg gehabt und alle dachten Leif wäre tot, verbrannt in der aufgehenden Morgensonne, aber mit dem was dieser Entdeckung gefolgt war hatte Thyra nicht gerechnet. Ein konstanter Stich der Furcht durchfuhr die junge Kriegerin, denn alles was gerade passierte war ihre Schuld. Ulf lag in Ketten und war an einem in den Boden gerammten Mast festgemacht. Man warf ihm vor der Familie großen Schaden zugefügt zu haben, weshalb man nun über ihn richten würde. Irgendwie hoffte Thyra nach wie vor, dass sich die Situation allem Anschein zum Trotz entspannen würde auch wenn sie nur noch schwach daran glauben konnte. Ihr Vater war so unendlich wütend gewesen als er die vermeintlichen Überreste von Leif Thorson entdeckt hatte. Er schien wild, einem Berserker gleich der nicht wusste, wohin mit seiner Kraft und Wut. Es war ein furchtbarer Anblick gewesen und jeder der anwesenden Männer und Frauen ihrer Familie, sie eingeschlossen hatten sich getraut ihn nach seinem Wutanfall anzusprechen.

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Überall brannte rußende Fackeln, die ihr flackerndes Licht und unangenehmen Gerüche über den kleinen Strand verteilten, an welchem sie sich zusammengefunden hatten. Es wurde lediglich leise geflüstert und alle mutmaßten was wohl gleich mit Ulf passieren würde. Eine Stimme donnerte schließlich durch die Stille, eine die vor Wut, Ablehnung und Feindschaft nur so zu trotzen schien. Ragnarsson trat hervor. Als Anführer der Kinder oblag es ihm Anklage und Urteil zu sprechen. Ihr Vater überragte den auf die Knie gezwungenen Angeklagten in bedrohlicher Art und Weise, auch wenn dieser in keinem Moment Furcht zeigte. “Ulf Vidarrson! Du wirst beschuldigt deine Pflichten verletzt und deine Sorgfalt vernachlässigt zu haben. Diese Taten haben zu schlimmen Schaden für uns Kinder von Vidarr geführt und dich, mich und alle den du verpflichtet bist um ihre wohlverdiente Rache gebracht.” Das Gesicht ihres Vaters war wie aus Stein und ohne einen Hauch von Mitgefühl. “Durch deine Nachlässigkeiten wurde der Ahn der Sonne ausgesetzt und um seine wohlverdiente Strafe gebracht. Was hast du zu deiner Verteidigung zu sagen?” Ragnarsson ließ eine rhetorische Pause und der Strand war inzwischen absolut still. Nur das Knacken der Fackeln, sowie die sich brechenden Wellen und der immer noch heulende Wind erfüllten die Kulisse. Alle warteten darauf das was Ulf zu sagen hatte, auch wenn Thyra wusste das er wahrscheinlich eh nicht viel würde ausrichten können. Sie kannte ihren Vater und wusste, dass das Urteil bereits gefällt worden war. Er wollte jemanden bestrafen und würde sich diese Genugtuung nicht auch noch entgehen lassen. Der Angeklagte versuchte sich aufzurichten soweit es seine Fesseln zuließen und reckte den Kopf stolz in die Höhe. Dabei suchte er den Blick seines Klägers und Thyra konnte selbst in der Dunkelheit das Feuer sehen, welches in den Augen des älteren Mannes loderte. “Ihr alle wisst, wer ich bin. Ich bin ein stolzes Mitglied der Kinder von Vidarr, welches seine Aufgaben immer ernst genommen hat und sich keine Schlamperei zu Schulden kommen lässt, egal was man mir plötzlich vorwerfen mag!.” Er lachte beinahe, irgendwie siegessicher und bei diesem Anblick lief Thyra ein eiskalter Schauer über den Rücken. “Wie oft habe ich mein Leben für die Familie und die Jagd riskiert und wie oft habe ich dabei versagt?” Er schüttelte mit dem Kopf wie um auf seine eigene Frage zu antworten und blickte in die Menge. Einige der Anwesenden schienen sich sogar, beschämt von seinen Worten abzuwenden. “Ich habe die Kiste mit aller Sorgfalt wieder verschlossen und ich war nicht der letzte oder einzige der Zugang zum Ahnen hatte.” plötzlich riss er an seinen Ketten und zeigte mit seiner muskulösen Hand auf Thyra. Der Himmel schien plötzlich über ihr zusammen zu brechen, oder die Erde sie zu verschlucken. Irgendwie widerstand Thyra aber dem Drang sich panisch umzusehen oder einen panischen Laut von sich zu geben. Ulf hatte keinerlei Beweise nur eine Vermutung, aber auch wenn sie äußerlich gelassen blieb, konnte Thyra spüren wie die Panik in ihr aufstieg. “Wenn ihr mich in Ketten legt, dann solltet ihr das auch mit ihr tun.” Gemurmel machte sich in der Menge breit und wie ein donnernder Blitz brachte Ragnarsson die Gruppe mit einem einzigen scharfen Befehl zum Schweigen. Die Spannung in der Luft konnte man beinahe berühren. “Ulf du wagst es meine Tochter zu beschuldigen? Die Heldin, die uns auf die Spuren des Ahnen geführt hat? Du verteidigst dich damit, dass du deine Schuld anderen, ja sogar Familienmitgliedern aufbürden willst?” Ekel und Ablehnung waren mit voller Kraft in die Sprachmelodie ihres Vaters zurückgekehrt. Jeder der ihm zuhörte, wusste, dass er seine Meinung bereits gefällt hatte und das begann den versammelten Mitgliedern ihrer Familie zu missfallen. Ihre Verwandten waren so widersprüchlich wie es nur ging. Sie hatten kein Problem damit ihre Feinde, ohne Mitleid oder Rücksicht zu Strecke zu bringen, taten es aber nur wenn sie die Gründe dafür für gerecht, fair und für so zweifelsfrei wie möglich erwiesen hielten. Das Geflüster wurde lauter und die angespannte Ruhe begann sich einen langsam Feuer fangenden Streit zu verwandeln. Von irgendwoher hörte sie ein Flüstern, dass sie nach unten gegangen war. Thyra senkte ihr Haupt und versuchte den Blick nicht vom Boden zu nehmen, denn sie hatte die Befürchtung in jedem Moment an dem Druck und der Anspannung zerbrechen zu müssen. Der Kreis wurde plötzlich größer, formte sich um sie und alle Augen schienen auf sie zu starren.

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Schließlich erhob sich eine weitere Stimme, eine die ruhig, weiblich und absolut überzeugt von sich selbst klang. Sigarda trat in den Kreis, ein Stück in die Richtung von Thyra und Ulf während sie ihren Fellmantel enger über die Schultern zog. Noch bevor sie gesprochen hatte, schien Sigarda jeden der Anwesenden mit ihren katzenartigen Augen angeblickt zu haben und fokussierte so die Aufmerksamkeit der Kinder von Vidarr von den Angeklagten auf sich selbst. Ihre Stimme war leise, kein Flüstern aber weit von der Intensität und Schärfe der beiden Männer die vor ihr gesprochen hatten entfernt. “Ulf hat gelogen.” Mehr verkündete sie nicht und wieder brach Gemurmel aus, während das Gesicht des angeketteten Mannes zu Eis erstarrte. Sigarda blickte nun direkt Thyra an und sie fühlte sich als würden die grün-blauen Augen direkt an ihrer Seele fressen. Ihr war plötzlich ganz kalt und sie musste sich zusammenreißen um nicht zu erschaudern. Sie hörte die Stimme der anderen Frau, aber es war für Thyra als würde Sigarda nur zu ihr sprechen. “Ulf lügt, denn er weiß nicht, ob er die Kiste wirklich gründlich verschlossen hatte und außerdem glaubt er selbst nicht daran, dass Thyra etwas Unrechtes getan haben könnte oder auch nur einen Fehler begangen hat..” Die Menge hing geradezu an Sigardas Lippen, kannten und fürchteten sie doch ihre Gabe ohne Zweifel zwischen Wahrheit und Lüge zu unterscheiden sowie ihrer Reputation nie eine Lüge zu sprechen. Sie sprach weiter. “Um alle Zweifel hier ein für alle mal zu beseitigen…” Sie schaute wieder in die Menge. “Thyra ich frage dich hier und jetzt, vor unserer Familie: Hast du dich am Ahnen oder seinem Sarg zu schaffen gemacht?” Die Lüge, das hoffentlich rettende Wort entließ Thyras Mund bevor sie überhaupt denken konnte. Es war als hätte ihr Instinkt und ihr Wille zu überleben von ihr Besitz ergriffen und sie konnte nichts dagegen tun. “Nein.” Sigarda nickte nur. “Sie sagt die Wahrheit.” Dann drehte sie sich einfach weg und die kalten Augen lösten sich von ihrer Seele, während sich Thyra fragte was gerade passiert war. In ihrem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Warum hatte Sigarda gerade Partei für sie ergriffen? Wohlwissen das sie gelogen hatte? Sie standen sich nicht sonderlich nahe...war es vielleicht für ihren Vater…?” Es waren die Worte Ragnarssons die sie aus ihrer Gedanken rissen und wieder ins hier und jetzt holten. “Ihr habt es gehört Kinder von Vidarr. Wie viele Beweise braucht ihr noch? Ich rufe euch daher auf eure Stimme abzugeben. Ich frage euch, wer ist überzeugt von der Schuld und den Vorwürfen die wir hier verhandeln?” Alle Hände des Kreises gingen nach oben, während dem immer noch geschockte Ulf irgendetwas klar zu werden schien. Selbst Thyra hob ihren Arm, auch wenn sich dieser schwer wie Blei anfühlte. Übelkeit breitete sich in ihrem Magen aus. Sie verurteilte gerade einen Unschuldigen zum Tode, für ein Verbrechen das sie begangen und eine Schuld die sie auf sich geladen hatte. Sie wollte nicht das es soweit kam. Sie hatte nur das Richtige tun wollen, aber sie brachte es auch nicht über sich die Wahrheit zu sagen. Zu viele waren inzwischen in ihr Geflecht aus Lügen verstrickt worden. Ihre Übelkeit wurde größer, als sie an Erik dachte und nur mit Mühe konnte sie ein paar Tränen unterdrücken. 'Ich wollte das du stolz bist auf mich bist kleiner Bruder, aber ich habe wieder einmal alles schlimmer gemacht. Es tut mir so Leid.'

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Als sie wieder aufblickte war klar, dass das Ergebnis einstimmig war. Ragnarsson hatte das zufriedene Schmunzeln eines Mannes auf seinen Zügen der bekommen hatte was er wollte ohne sich sonderlich dafür anzustrengen. Er räusperte sich. “Für deine Verfehlungen und dein ehrloses Handeln, deine Lügen und Taten gegen die Familie verurteile ich zum Tode Ulf.” Thyra sah viele Nicken. Die Strafe war in diesem Falle angemessen, aber ein Handzeichen deute an, Ragnarrson noch mehr zu sagen hatte. “Durch deine Feigheit und falschen Anschuldigungen hast du darüber hinaus die Götter entehrt. Du hast deinen Eid gebrochen der Familie gegenüber immer treu zu bleiben, daher verurteilte ich dich zum Tod durch den Blutadler. Möge dieses Opfer einen Teil deiner Ehre wiederherstellen und die Götter uns gewogen machen.” Thyra widerstand dem Drang eine Hand vor den Mund zu schlagen, aber sie sah das einige in der Familie es tate. Es gab wenige Methoden einen Mann grausamer sterben zu lassen als durch den Blutadler und ein eigenes Familienmitglied diesem Urteil ausgesetzt zu sehen irritierte die Männer und Frauen um sie herum, sie selbst eingeschlossen. Ulf war während all dem überraschen ruhig geblieben und ein kehliges Lachen zerstörte die vorübergehende Ruhe die nach der Verkündung des Urteils eingetreten war. Sie hatte gespürt wie Ulf Augen sie durchbohrt hatten, aber sie hatte den Mann nicht direkt angesehen. Jetzt tat sie es aber doch.”Oh Ragnarsson du bist ein Narr. Ein wahnsinniger von Ehrgeiz zerfressener Narr. Auf alles vorbereitet, mit allen Wassern gewaschen und doch so blind für das offensichtliche.” Mehr sagte er nicht und lediglich sein Lachen, das beinahe an einen Wahnsinnigen erinnerte war am Strand zu hören.

Es dauerte nicht lange, bis die Vorbereitungen für die Zeremonie des Blutadlers getroffen waren. Einige der Männer hatten aus Holz und Ästen eine Art Podium aufgebaut in dessen Mitte der Mast fest verankert wurde. Ulf war bereits in Ketten gelegt und trug kein Hemd. Er hatte nichts mehr gesagt, nicht mehr gelacht, sondern schien einfach sein Schicksal akzeptiert zu haben. Es wurde wenig gesprochen und die Gefühle der meisten Anwesenden schien bezüglich dem was kommen würde geteilt zu sein. Ragnarsson würde das Urteil vollstrecken. Als Anführer war es Pflicht und Ehre zugleich als Henker zu fungieren. Thyra wollte nicht sehen wie ein unschuldiger Mann ihretwegen exekutiert wurde, aber sie wusste sie durfte den Blick nicht abwenden, alleine schon aus Respekt oder eher aus Schuld. Es war soweit. Ragnarsson trat auf das Podium. Seine Miene war ernst und in seiner Hand hielt er einen scharfen Dolch, welchen er in den Himmel streckte. “Ihr Götter wir opfern euch diesen Mann, auf das seine Verbrechen gesühnt werden.” Ragnarsson trat einen weiteren Schritt an den Mann heran und setzte das Messer an Ulf Rücken an. Ulf hielt sich tapfer bei den ersten Schnitten mit denen ihm Muskel und Haut vom Rücken geschält wurden. Das hätte ihr Schicksal sein sollen dachte sich Thyra voller Grauen, welches sich noch verstärkte als Ulf ihren Blick suchte. Er ließ sie nicht mehr aus den Augen und der Augenkontakt wurde nur unterbrochen wenn er vor Schmerz schrie. Sie konnte sich nicht abwenden, war beinahe wie gelähmt. Inzwischen hatte Ragnarsson zur Axt gegriffen und begann die Rippen die er am Rücken freigelegt hatte von der Wirbelsäule zu trennen. Thyra sah nur Blut und hörte weitere Schreie, während die Eindrücke langsam begannen zu verschmelzen. Sie wusste nicht genau wann Ulf ohnmächtig geworden war, aber sie erinnerte sich noch voller Schrecken an das Geräusch was die Nachtluft erfüllte, als ihr Vater die abgetrennten Rippen nach außen klappte. Es wirkte schon wie Flügel, aber noch war die Grausamkeit nicht beendet und Ulf noch nicht völlig tot. Der verstümmelte Körper dampfte in der Kälte der Nacht und irgendwann griff Ragnarsson in den nun offenliegenden Rücken und zog vorsichtig beide Lungenflügel aus dem Körper, um sie auf die aufgeklappten Rippen zu legen. Sie bewegten sich noch immer, pumpten noch immer Luft und für einen Moment sah es so aus als würden die Flügel sich bewegen, bevor diese letzte Bewegung erstarrte und Ulf endgültig tot war. Es gab keine Gedichte, keine Trauergesänge für den Toten, nur Stille. Die meisten verließen schließlich den Richtplatz, ebenso wie Thyra selbst. Ihre Schritte wurden schneller und schließlich konnte sie nicht mehr an sich halten. Sie übergab sich an einen nahe gelegenen Baum und wischte sich den Mund mit ihrem Handrücken ab. Alles schmeckte nach Galle und der gerade errungene 'Sieg' verwandelte sich zu nichts als Asche in ihrem Mund.

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- Do not go gentle into that good night. Rage, rage against the dying of the light. -


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