Vampire: Die Maskerade


Eine Welt der Dunkelheit
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 Betreff des Beitrags: Zusammenkommen ist ein Beginn
BeitragVerfasst: Di 1. Dez 2015, 22:24 
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Zusammenkommen ist ein Beginn, zusammenbleiben ist ein Fortschritt, zusammenarbeiten ist ein Erfolg

Es war der 10. Dezember 1221, der Herbst hatte Flandern noch immer fest im Griff, Es gab mehr Schlamm als Straße, mehr Nebel als Dunst, mehr Dunkelgrau als Nachtschwarz. Das Wasser auf den Kanälen war mitunter von einer hauchdünnen Eisschicht überzogen, die im Laufe des Tages dahin schmolz um das Wasser nachts erneut mit einer feinen Haut zu überziehen. Das Wetter schien schon seit einigen Wochen stets gleich zu bleiben und die Aussicht auf ein warmes Zimmer, geheizt durch einen mit Feuerholz geheizten Kamin hielt den hielt Lucine häufiger als sonst in den Mauern seines Anwesens.
Ein festes Klopfen an die Haustür schreckte den Gangrel aus seinen Gedanken.
Er hatte wohl eine gute Weile dort schweigsam und sinnierend verbracht. Mittlerweile war er sogar das Feuer seines prasselnden Kamins gewohnt, sodass er den ausladenden, lederbespannten Stuhl für kainitische Verhältnisse sogar ziemlich nah daran platziert hatte. Manche mochten ihm ja ohnehin unterstellen, besonders gerne mit dem Feuer zu spielen. Allein dieser Gedanke, ließ einen Mundwinkel ein Stück weit nach oben gleiten. Die erdverkrusteten Stiefel standen neben dem Kamin und trockneten vor sich hin, während der lange Spieß über den aufgestapelten Holzscheiten, trostlos leer blieb. Wenn er daran dachte, dass er noch vor nicht allzu langer Zeit Jean ein Wildschwein gebraten hatte... Der Untod war schon seltsam. Langsam drehte er den Kopf Richtung Tür und wollte schon nach Gretlin rufen, als ihm wieder einfiel das diese es ja vorgezogen hatte zu Leif zu ziehen. Er war ja in ihren Augen ein scheußliches Monster und damit teilte sie wohl die Auffassung von Liliane- Aurora von und zu Erzhausen-Dicknase. Seufzend erhob er sich aus seiner bequemen Sitzgelegenheit und schritt auf die Tür zu. "Ja? Wer ist da?" Laut und deutlich, sodass man ihn gut verstehen konnte.

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Lucien erkannte das vertraute Gesicht von Marlene in der Tür. Er hatte sie bereits seit einigen Wochen nicht mehr gesehen und bemerkte sofort die tiefen Schatten unter ihren Augen und den besorgten Gesichtsausdruck. Sie war hochschwanger, die Nachricht war ihm schon im Frühjahr mitgeteilt worden, und in einen dicken Mantel gehüllt. An der Hand hatte sie den Jungen, Hendrik, der ihn mit großen hellen Augen interessiert anblickte.
„Lucien? Hast du einen Augenblick Zeit? Ich weiß, du bist viel beschäftigt…“
Er nickte nur knapp mit dem Kopf und versuchte sich an einem wohlwollenden Lächeln, obgleich er seine Sorge um die junge, werdende Mutter nur schwer zu überspielen konnte. Es hatte ihn damals gar nicht mehr sonderlich überrascht, dass Marlene schwanger geworden war, immerhin planten sie und Jean das schon eine ganze Weile. Bisher waren sie nur Zieheltern gewesen aber demnächst stünde wohl der eigene Nachwuchs ins Haus. Ein merkwürdiges Gefühl, wenn er so darüber nachdachte. Kainiten vermehrten sich über den Kuss, wenn man das denn als Fortpflanzung betrachten wollte. Marlenes Kind würde ein Teil von ihr und Jean werden. Lucien war tot, die beiden aber lebten und führten abseits des manchmal recht fordernden Alltags, ein recht glückliches Leben. "Ich habe rein gar nichts zu tun. Draußen frieren die Kanäle langsam ein und die Hälfte der Wachmannschaften wärmt sich ohnehin an warmen Branntwein auf anstatt zu patrouillieren. Komm rein." Er öffnete die Tür ein Stück und ließ beide eintreten, rückte sodann zwei weitere Stühle ans Feuer, damit Marlene und Hendrik Platz nehmen konnten. Seine grauen Augen streiften Hendrik, den Sohn Alyssas der noch immer keine Ahnung hatte wer seine wirklichen Eltern waren. Nun, er mischte sich nicht in solche Dinge ein aber die Besonderheit des Jungen, machte ihm noch immer Sorgen. "Du siehst aus als hättest du ewig nicht mehr geschlafen. Du solltest dich ausruhen Marlene. Ich weiß du kannst die Arbeit nicht lassen aber du bist schwanger und Jean würde es sich nie verzeihen wenn dir oder dem Kind etwas zustoßen würde." Er griff mit einer Hand nach rechts und warf ein dickes Holzscheit ins Feuer. "Was kann ich für dich tun?"
Sie beugte sich zu dem kleinen Jungen und sah ihn ernst an. „Hendrik? Geh‘ bitte mal in den Stall und schau‘ nach Ajax, ja? Schau, dass du dich draußen ein klein wenig nützlich machen kannst, ja? Ich komm gleich nach dir sehen.“ Sie fuhr dem Knirps behutsam über die Locken und gab ihm einen Stups in Richtung Gartenpforte. Sie folgte Lucien und blieb vor dem Kamin stehen. Sie streckte ihre kalten Finger der Wärme entgegen. Dann wandte sie sich zu Lucien um. Ihre Stimme war ungewohnt leise.
„Jean ist vor zwei Wochen nach Gent aufgebrochen. Er war dort mit Balduin verabredet. Offizielles und persönliches Treffen, hat er mir gesagt. Balduin hat wegen einem festlichen Anlass um 20 Männer der Stadtwache gebeten, die Jean begleitet hat. Er hätte bereits vor einer Woche zurück sein sollen. Ich habe nicht ein Mal eine Nachricht erhalten… Das passt nicht zu ihm.“
Sie seufzte.
„Er hatte den Jungen von Alida dabei, Konstantin. Alida hat darum gebeten, dass Jean ihn ein Jahr lang unter seine Obhut nimmt, ihm alles beibringt was es zum Thema Kampf, Organisation, Verteidigung und so weiter zu wissen gibt. Der Junge ist auch bereits seit einer Woche hier. Meinte, Jean hätt ihm aufgetragen allein zurück zu reisen. Jean lässt einen 16 Jährigen doch nicht gern allein durch die Lande ziehen…“
Wieder schüttelte sie den Kopf.
Lucien ließ sich wieder in seinen Stuhl zurücksinken und hob leicht fragend eine Augenbraue. Er hatte sich nicht getäuscht: Marlene hatte in all der Zeit in der Jean schon längst hätte wieder zurückkommen sollen, kein Auge zugemacht. Dies und ihre Schwangerschaft, als auch die täglichen und nächtlichen Anforderungen die es mit Henrik zu meistern galt, hatten sie sichtlich gezeichnet. Stumm nickte er und starrte nachdenklich ins Feuer. "Balduin war persönlich bei euch im Haus und hat Jean darum gebeten oder hat er ein Schreiben erhalten?" Seine Augen wanderten in Richtung Marlene.
Die rotblonde Frau schüttelte den Kopf. „Nein, das ging alles über offizielle und später inoffizielle Briefe an die Stadtwache und später an Jean selbst. Die beiden schienen sich sehr über das Treffen zu freuen. Jean hat mir die Briefe gezeigt und soweit ich das beurteilen kann und soweit ich Balduin und seine Handschrift kenne, waren die Briefe echt.“ Sie versuchte sich zu erinnern. „Balduin hat 20 der besten Wachmänner angefordert. Vor Weihnachten gibt es in Gent ein offizielles Fest und die Grafenfamilie wird sich dort offen zeigen. ZU deren Schutz sollte eine Erhöhung der Einsatztruppen statt finden. Jean war nur allzu bereit, die Männer persönlich auszuwählen und nach Gent zu ziehen“
„Lucien. Ich mache mir Sorgen um ihn. Wenn ihm etwas zugestoßen ist? Jean ist ein famoser Kämpfer, hat von einem der besten gelernt…“ Sie schluckte. Lucien merkte, dass ihr die Worte ausgingen. Gedankenverloren strich sie sich über den dicken Bauch. Sie wirkte ungewohnt ausgezehrt.
Der Gangrel kratze sich das Gesicht verziehend am stoppeligen Kinn und nickte nur bestätigend. "Jean ist ein großartiger Kämpfer. Was ich ihm nicht mehr beibringen konnte, hat ihn mittlerweile die jahrelange Erfahrung gelehrt. Wenn wir uns messen würden, dann würde ich wahrscheinlich nur aufgrund meines dunklen Erbes gewinnen." Langsam erhob er sich und schritt zu den schweren Lederstiefeln, unter denen sich bereits eine kleine Wasserpfütze gebildet hatte. "Und selbst wenn er, so wie du sagst, diesen merkwürdigen Konstantin mitgenommen hat, so hätte er ihn niemals allein von Gent nach Brügge reisen lassen. Das würde er nur tun, wenn es gar keine andere Möglichkeit gäbe. Außerdem sieht es ihm wirklich nicht ähnlich, gar keine Nachricht zu hinterlassen zumal er auch zwanzig unserer Leute mitgenommen hat." Er griff nach einem Stiefel und zog ihn straff über den Fuß. "Sind die anderen Gardisten zurückgekehrt? Hast du versucht Balduin eine Nachricht zukommen zu lassen oder dem Rat von Gent? Wir haben da ja ganz verträgliche Kontakte mittlerweile."
Sie schüttelte den Kopf. „Ich will nicht wie die nörglerische Ehefrau wirken, die ihrem Mann hinterher spioniert..“ Sie seufzte. „Ich habe an Balduin geschrieben aber bisher ist keine Nachricht eingetroffen. Ich habe den Brief auch erst vor drei Tagen einem Boten mitgegeben. Da kann ich noch keine Nachricht erwarten. An einen kainitischen Rat wage ich mich nicht zu wenden.“
Er lächelte verständnisvoll gerade zu ihrer letzten Aussage bezüglich des Rates. "Ich auch nicht. Das sind im Zweifelsfall ohnehin immer die letzten die einem wirklich helfen können oder wollen." Der zweite Stiefel fand seinen Weg über die Füße des Gangrels und er zog knapp und heftig, am harten Leder um einen ordentlichen Sitz zu gewährleisten. Alles deutete daraufhin, dass er sich bereit machte, heute noch nach draußen zu gehen. "Es ist bereits eine Woche her wie du sagst und eine Rückantwort würde wieder nur Zeit kosten. Ich gebe dir vollkommen recht: Da stimmt etwas nicht und ich habe keine Lust zu spekulieren." Lucien griff zu seinem Schwert, das am Stuhl auf dem er soeben noch gesessen hatte angelehnt gewesen war und schnallte sich den Gurt um; zog die Riemen straff. Einige weitere Schritte führten ihn zu einer schmalen Ablage, auf dem er einen pelzgefütterten, dicken Mantel gelegt hatte. Marlene würde ihn sofort am Wolfsfell wiedererkennen, es war das Weihnachtsgeschenk von Liliane gewesen. Nachdem er ihn sich angelegt hatte, tat er ein paar Schritte auf und Marlene zu und legte ihr die behandschuhte Hand auf die Schulter. Sein Blick war fest. "Ich weiß nicht, was da wieder vor sich geht aber ich verspreche dir, dass ich mit Jean zurückkomme oder gar nicht. Was immer ich da drüben auch töten mag, wenn es um ihn geht soll Gent meinetwegen in Blut ersaufen."
Seine Schritte klangen dumpf als das Holz unter seinen Füßen ächzte und er sich in Richtung Ausgang aufmachte. Er warf noch ein letztes Mal einen Blick zurück zu der schwangeren Frau. "Schließ die Tür wenn du gehst und verwahre den Schlüssel für mich, bis ich wiederkomme. Ich hatte nie einen Sohn und werde nie einen haben aber Jean kommt dem immer noch am nächsten."
Marlene schluckte schwer. Wieder nickte sie, dann trat sie auf den hochgewachsenen Mann zu und umarmte ihn kurz. „Pass gut auf dich auf Lucien. Vielleicht weiß Konstantin noch etwas Wichtiges… Vielleicht solltest du mit ihm reden bevor du aufbrichst? Der Weg nach Gent ist bei diesem Wetter kein leichter.“
Der finster drein blickende Mann nickte kaum merklich und es war ihm anzusehen, dass ihn dunkle Gedanken quälten. Von allen Sterblichen mit denen er im Laufe der Jahre zu tun gehabt hatte, war Jean der wohl mit weitem Abstand wichtigste für ihn gewesen. Zum einen weil er wohl tatsächlich blutsverwandt war, zum anderen weil er ihn als sein Mündel betrachtete. Lucien Sabatier war bleich und schweigsam geworden, was vermutlich bei weitem bedrohlicher war als wenn er einen vollmundigen Spruch zum Besten gab. Diesmal meinte es der Schattenwolf und Hauptmann der Stadtwache ernst. "Ich glaube nicht, dass es Jean war der den Jungen heimgeschickt hat, da haben sicher wieder ein paar ausgefuchste Trickser ihre Finger im Spiel. Zu welchem Zweck kann ich nicht sagen aber ich werde es herausfinden. Zwar wird mir der Junge nicht viel Nützliches sagen können aber ich werde es trotzdem versuchen. Er ist bei Alida oder?"
Marlene nickte. „Ja, da Jean derzeit nicht in Brügge ist hat der Junge keinen Grund bei der Stadtwache seien Zeit zu verbringen. Bei dem Wetter kann man’s einem ja auch nicht verübeln… Draußen auf den Mauern und in den Gassen patrouillieren ist derzeit keine große Freude. Er hat gestern Abend Hendrik vorbei gebracht und erzählte beiläufig, dass er heute mit Georg zusammen sitzen wird. Irgendein Projekt der Familie, von dem die beiden erst berichten wollen, wenn es fertig ist. Sie treffen sich in den offiziellen Räumen in der Innenstadt, die für Treffen mit anderen Händlern oder Geschäftspartnern vorgesehen sind. In einer Parallelstraße in der Nähe des Belfried.“
"In Ordnung. Was immer die van de Burse wieder fantastisches aushecken, es wird warten müssen bis ich mit Konstantin gesprochen habe. Ich melde mich bei dir, versprochen." Er wollte schon gehen, wandte sich dann aber noch ein weiteres, letztes Mal um und sah Marlene tief in die Augen. "Du weißt, dass ich alles tun werde wozu ich fähig bin um ihn dir wieder zu bringen?" Scheinbar war es nur eine rein rhetorische Frage, die er im Grunde nicht beantwortet wissen wollte. "Überarbeite dich nicht und sei unbesorgt. Du weißt, wen du auf die Suche nach ihm schickst." Damit trat er durch die Vordertür und verschloss diese wieder. Spritzend klatsche das brackige Eiswasser gegen seine Stiefel, als er sich auf den Weg zu den Besprechungsräumen der Familie van de Burse machte. Er glaubte sich an den genauen Weg noch halbwegs erinnern zu können, auch wenn ihm der Handel von Alida recht egal war und die Lokalität ihm deshalb eigentlich nicht wirklich geläufig war. Lucien ging aufrecht und zog die fellumrandete Kapuze tief ins Gesicht. Wer ihn nicht kannte, hätte sofort einen großen Bogen um die finstere Gestalt gemacht. Und wer ihn kannte, mied ihn gerade deshalb umso mehr.

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Lucien fand das Gebäude ohne Umschweife. Das Wappen mit den drei Geldsäcken war an die Hauswand gemalt und leuchtete selbst bei dem alles einhüllenden Nebel in Gelb und Rot. Ein schmächtiger Angestellter, der in der Nähe der Tür den Posten des Wachmannes übernommen hatte und den man wohl dazu abgestellt hatte, hier die Nacht über die Augen offen zu halten, ließ ihn ohne lange Umschweife passieren, nachdem er nach seinem Anliegen gefragt hatte. Der Mann war auch des Öfteren als Pförtner im Anwesen der van de Burse zugegen gewesen und wusste, dass man den Hauptmann der Stadtwache immer sofort passieren ließ. Er klopfte an die Tür der Stube und steckte den Kopf in das Zimmer.
„Lucien Sabatier. Er wünscht euch, Konstantin, zu sprechen.“ Die Tür ging von allein ein Stück auf und der braunhaarige Gangrel konnte hinein spähen. Er erkannte das Kind von Alida, Georg, und daneben den jungen Mann.

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Lucien wusste, dass Alida ihn als Jungen vor 5 Jahren aus Konstantinopel mitgebracht hatte. Lucien war dem Jungen bisher noch nie persönlich über den Weg gelaufen. Soweit man Alidas Schilderungen glaubte, war Konstantin ein fähiger, interessierter und sehr wissbegieriger Mann. Sie witzelte gern, dass er ihr immer wieder etwas beibrachte und nicht umgekehrt.
Die beiden Männer standen vor einem Modell mit mehreren spitzzulaufenden Holzblöcken, offensichtlich Modellen für Häuser. Der jüngere erhob sich und kam nach einem Nicken in Georgs Richtung rasch auf ihn zu. Er blieb kurz eine Sekunde stehen und musterte den Gangrel. Er schluckte hörbar bevor er näher kam und verbeugte sich leicht. „Lucien Sabatier? Was kann ich für euch tun?“ Er sprach noch immer mit einem leicht griechisch anmutenden Dialekt, den man nur bei genauem Hinhören wahrnahm.
Lucien warf einen knappen Blick über die Schulter des jungen Mannes, wo sein Blick die vielen kleinen Holzklötzchen traf die wohl Häuser darstellen sollten. Wenn er daran dachte, dass er selbst eine kleine Miniaturversion von Brügge in den Katakomben unter der Stadt eigenhändig geschnitzt und entworfen hatte, musste er beinahe ein leichtes Lächeln unterdrücken. Besser gesagt hätte er es unterdrücken müssen, wenn die Situation nicht zu brisant gewesen wäre. Gewohnt nonchalant, redete der Gangrel nicht lange um den heißen Brei herum.
"Konstantin, ich wollte mit dir sprechen und hoffe du schenkst mir einen Augenblick. Es geht um Jean, den du ja zusammen mit zwanzig Gardisten zu dieser politischen Farce nach Gent begleitet hast. Er ist bereits eine Woche überfällig und hat sich nicht gemeldet. Marlene meinte, du hättest ihr erklärt dass er selbst dich zurückgeschickt hätte. Stimmt das?"
Konstantin überlegte bevor er sprach. „Jean hat sich mit dem Herren von Zeebrügge getroffen und ihm die Wachleute präsentiert, die der gräflichen Familie für ihr Fest zur Verfügung stehen werden. Er hat im Anschluss mehrere Tage mit dem ehemaligen Thronfolger verbracht. Ich glaube, die beiden waren jagen. Ich selbst war derweil in Gent unterwegs, hab mir die Stadt angeschaut, ein paar Botengänge für Alida erledigt.“
Er musterte den Gangrel mit seltsamen, ungewohntem Interesse.
Der wiederum ließ sich davon nicht irritieren und legte den Kopf leicht schief. "Ich verstehe. Also er und Balduin waren jagen während du ein wenig durch das prachtvolle Gent flaniert bist und nebenbei ein paar kleine Geschäfte für Alida getätigt hast, gut. Er kam dann wohl wieder von seiner erfolgreichen Jagd zurück und... dann hat er dich alleine nach Brügge zurück geschickt? Was hat er dir gesagt, als dir eine Rückkehr auftrug?" Was immer den jungen Mann an Lucien zu stören schien, er beachtete es nicht weiter. Entweder hatte Alida Konstantin davon erzählt oder aber auch nicht. Dies war weder der Ort noch der Zeitpunkt ihm sein wahres Wesen zu offenbaren.
Konstantin nickte nachdenklich. „Er hat mich tatsächlich allein nach Brügge geschickt. Er wirkte besorgt. Er meinte, er gäbe noch eine Kleinigkeit, die er erledigen müsse… hat mir aber nicht erzählt, worum es ging.“ Der junge Mann wandte noch immer nicht den Blick ab, was wohl die meisten Sterblichen bei Luciens eher düsterer Aura getan hätten. Er leckte sich kurz über die trockenen Lippen.
„Es gab eine seltsame Begebenheit während wir in Brügge waren, aber jetzt wo ich euch hier so vor mir stehen sehe verstehe ich es besser: Jean hat mich eines Abends im Haus der Familie Borluut abgeholt. Ich habe Papiere unterschreiben lassen, mir von einem Freund von Alida namens Belinkov, der ebenfalls an dem Abend zu Gast bei den Bruhjah war, Briefe für Alida mitgeben lassen… egal... ich schweife ab. Ein Mann kam auf Jean zu. Er schien Jean zu kennen, sprach ihn direkt an. Er meinte, es wäre Zeit für ein Gespräch, Zeit ein für alle Mal Dinge zu klären. Er hielt Jean wohl für euch, denn irgendwann sprach er Jean mit eurem Namen an. Man kann’s ihm nicht verübeln, wenn ihr mich fragt. Eure Ähnlichkeit ist verblüffend. Jean hat es klar gestellt, erklärt, dass er euer Neffe und nicht der Hauptmann der Nachtwache sei. Der Mann wirkte amüsiert, wenn ihr mich fragt, und zog dann wieder nach einem Gruß an euch davon.“ Die dunklen Augen sahen den Gangrel fragend an
Lucien wirkte für einen Moment wie eingefroren und sein Blick verriet keine Regung. Beinahe so, als wäre er wirklich nicht mehr als eine Leiche die jemand auf erschreckend kunstfertige Weise, aufrecht hingestellt hatte. Dann kam wieder etwas mehr Leben in den nach wie vor finster dreinblickenden Gangrel. "Ich verstehe. Was immer ihr in Gent gemacht habt, welche Briefe und Verträge es zu holen oder zu unterzeichnen gab. Nach der Jagd mit Balduin trat demnach dieser Mann an Jean heran, weil er ihn für mich hielt und eine gewisse Sache ein für allemal klären wollte. Und Jean schickte dich dann in großer Besorgnis zurück nach Brügge. Sogar obwohl er wusste dich damit unnötigen Gefahren auszusetzen, die jemandem in deinem Alter nicht so ohne weiteres zuzumuten sind." Er nickte erneut und langsam kam ihn ein sehr grausamer und erschreckender Gedanke. "Nannte der Fremde Mann einen Namen oder kannst du ihn beschreiben?"
Konstantin schüttelte das Haupt. Er war nur wenig kleiner als Lucien. „Der Mann nannte keinen Namen.“ Der Junge überlegte eine Weile. „Er war hoch gewachsen, eher etwas hager. Braune Augen, halblanges braunes glattes Haar. Ebenmäßige Züge. Von der Art wie er sich kleidete und wie er wirkte würde ich ihn eher für einen Gelehrten oder Geistlichen halten. Allerdings trug er keine Kutte oder Habit. Also scheidet die letzte Möglichkeit aus.“
Der Hauptmann legte dem jungen Konstantin die Hand auf die Schulter und nickte bekräftigend. "Ich glaube ich weiß bereits um wen es sich handelt. Vielen Dank für deine wertvolle Hilfe Konstantin. Und wenn ich es erwähnen darf... du hast dich für dein Alter nicht schlecht geschlagen. Der Weg von Gent nach Brügge und wieder zurück, mag keine Weltreise sein aber es bleibt dennoch gefährlich genug. Du bist auf einem guten Weg Junge." Er tappte ihm noch ein zweimal anerkennend auf die Schulter und wandte sich dann zum Gehen. "Viel Erfolg bei eurem Projekt und grüß Alida von mir, wenn du sie siehst." Dann verließ er das Gebäude und er hatte es dabei ziemlich eilig.

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Zuletzt geändert von Alida am Di 24. Mai 2016, 09:54, insgesamt 1-mal geändert.

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Verfasst: Di 1. Dez 2015, 22:24 


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 Betreff des Beitrags: Re: Zusammenkommen ist ein Beginn
BeitragVerfasst: Do 3. Dez 2015, 19:49 
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Lucien hatte sich noch in derselben Nacht auf den Weg nach Gent gemacht. Ajax war ausgeruht aber Lucien kam bei den schlechten Wetter- und Straßenverhältnissen alles andere als rasch voran. Er spürte die Dämmerung schließlich mehr in den Knochen als dass er bei dem dichten Nebel ein Hellerwerden seiner Umgebung bemerkte. Er überlegte draußen den Tag zu verbringen. Die Erde war sicherer als so manche Herberge, entscheid sich dann jedoch dagegen. Ihm selbst würde ein Tag unter freiem Himmel nur verdreckte Kleidung bescheren aber das Pferd war als lebendes Wesen nicht für Schnee, Schlamm, klamme Kälte und eisigen Wind gemacht.
Er kehrte bei der Herberge „Zum Speckfürst“ ein und erhielt auch bald das hinten in den Hang hinein gelegene Zimmer, das er bereits bei seinem letzten Aufenthalt bewohnt hatte, während ein junger Bursche den Hengst in den warmen Stall führte.
Das breite Bett war weich mit Stroh und Daunen gefüttert und Lucien bemerkte kaum wie er einschlief.
Er hatte das Gefühl, das ihn von irgendwo etwas zog, oder dass er in eine Richtung lief aus der eine anziehende Wirkung auf ihn einwirkte. Er ging nicht, aber dennoch war er plötzlich an einem Ort, den er vorher nie betreten hatte.

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Es handelte sich um eine große Küche. Geräucherte Schinken hingen von der Decke, dufteten herrlich, frisches Obst lug auf dem Tisch zum Naschen ein und auf dem Herd kochte ein deftiger Eintopf mit reichlich Wild. Die Feuerstelle verströmte eine fast unangenehme Hitze. Lucien spürte wie sein Magen sich vor Hunger verkrampfte.
In einem Nachbarraum war eine fast schrille Stimme zu vernehmen, die in gewohnt herrischem Ton ihre Order gab. „Jean, du Faulpelz. Bring die zwei Tabletts sofort zu unserem Herrn.“
Die Antwort, die folgte war ein so leises Genuschel, dass Lucien sie nicht vernehmen konnte.

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 Betreff des Beitrags: Re: Zusammenkommen ist ein Beginn
BeitragVerfasst: So 6. Dez 2015, 15:43 
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Missmutig wanderten seine Augen über die merkwürdig surreale Szenerie. Allein schon das Gefühl seines qualvoll knurrenden Magens, war ein sicheres Anzeichen dafür, dass er sich nur an einem möglichen Ort befinden konnte: Eine Traumlandschaft, ähnlich jener die er schon zuvor einmal in Brügge betreten hatte. Damals hatte er sich sozusagen selbst in den Untod geholt und war von einer Bestie zurück in einen Menschen, oder zumindest etwas menschenähnlicheres verwandelt worden. Lange hatten er und die anderen Bewohner gerätselt, wer soviel Macht haben konnte, sie alle in einen Traum zu sperren aber schlussendlich waren sie alle zum selben Urteil gekommen - Sebastian hatte es getan. Der eigentliche Sinn hatte sich ihnen entzogen aber er war ihnen allen erschienen. Seine Schritte führten ihn näher an die reich gedeckte Tafel heran und er riss ein Stück von einem gebratenen Hühnchen vom Teller und schlang es hungrig-schmatzend hinunter. Wie einfallsreich - erneut war er menschlich. Da hatte Sebastian aber wieder mal ganze Arbeit geleistet. Selbst die Stimmen kamen ihm irgendwie vertraut vor und der letzte Ruf, ließ annehmen das Jean jeden Moment um die Ecke gerannt kommen würde. Der Gangrel stellte sich ans Feuer und wärmte seine Finger. Wie immer ließen ihn die Flammen nicht zurückweichen, nicht einmal ein knappes Stück. Er hatte Appetit und ihn fror; als Sterblicher musste er die Flammen nicht fürchten. Hin und wieder blickte er über seine Schulter in die Küche. Im Grunde wartete er auf den Hexer und erwartete ihn im nächsten Moment wie eine Handpuppe aus der Kiste springen zu sehen, mit diesem dümmlich-überlegenen Grinsen, seine kryptischen Ankündigungen machend.
Nichts davon geschah. Es folgte nur wieder die herrische Stimme aus dem Nachbarzimmer: „Es ist mir egal, ob du Besseres zu tun hast. Wenn du dich nicht sputest, dann wird‘ ich dir Beine machen.“
Er seufzte. Welchen Zweck Sebastian mit diesen nächtlichen Theaterstücken verfolgte, war ihm immer schon ein Rätsel gewesen und so blieb ihm wohl nichts anderes übrig, als der Sache auf den Grund zu gehen. Man hatte schon einmal versucht aus diesen Träumen so mir nichts, dir nichts zu entkommen - das war damals nicht möglich gewesen. Wahrscheinlich wäre es jetzt nicht anders. Seine Schritte trugen ihn zur Küche und er drückte die Tür besonders behutsam und leise auf. Schön was für witzige Projektionen sein Unterbewusstsein ihm vorspielte. Jean in der Küche, was für eine Szene. Allein dafür hätte er Sebastian gerne geschlagen.
Lucien erkannte zunächst eine breite Gestalt im Schein eines großen Feuers.

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Die Küche war ausgesprochen groß, wahrscheinlich für eine reiche Familie oder ein Adelshaus. Die Frau war breit, trug ein sauertöpfisches Gesicht und hatte in der Rechten einen Kochlöffel, den sie drohend erhoben hielt.
„Los, los.“
Ihr gegenüber stand ein Junge von wohl 12 Jahren. Obwohl Lucien nur den Rücken erkannte wusste er sofort, dass dies eine Version von Jean sein musste, die er zuletzt vor rund 20 Jahren gesehen hatte.

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Die Stimme des Jungen klang fremd und zugleich bekannt in seinen Ohren. Der Tonfall war ungewöhnlich scharf für das Alter.
„Und? Was willst du jetz machen? Mich mit dem Kochlöffel erschlagen? Mach dich nicht lächerlich, Jutta. Geh mir aus dem Weg. Such dir jemand anderen für die Arbeit.“
Lucien legte den Kopf leicht schief und musterte den jungen Jean. War das ein Ausschnitt aus seinem Leben als Bediensteter am Königshof? Geradewegs diese Zeit, in der er Balduin kennengelernt hatte? Möglich wäre es, fragte sich nur ob der junge Jean sich der Beschaffenheit dieses Traumes ebenfalls bewusst war. Für gewöhnlich waren diese Träume ja wie auf wundersame Weise 'geteilt' worden. Er war sich nicht sicher aber klopfte bestimmt an die Holztür zur Küche um sich der Aufmerksamkeit der dicken Köchin sicher sein zu können. "Verzeiht, das ich hier so unangemeldet eindringe aber ich suche einen Herrn namens Sebastian. Habt ihr ihn zufällig gesehen?" Das hörte sich schon allein in seinen Ohren merkwürdig an aber er war sich sicher das des Rätsels Lösung wie immer beim Hexer zu finden war.
Die Frau blitzte Jean wütend an, hieb mit dem hölzernen Kochlöffel nach den Fingern des Jungen ohne ihn jedoch zu treffen und kam mit einigen bedrohlichen Schritten auf Lucien zu. Obwohl sie einen Kopf kleiner als er war, wirkte sie in ihrer Breite und mit dem griesgrämigen Gefühl wie eine wütende Bulldogge.
„Und wer seid ihr? Ihr habt hier in MEINER Küche nichts verloren. Und jemand namens Sebastian gibt’s hier nicht“ Sie klopfte mit dem Kochlöffel in ihre andere Handfläche.
Jean war mit einem kurzen Grinsen, das er erst im letzten Moment als er neben dem Küchendrachen Halt machte, herunterschluckte näher gekommen. „Das hier, Jutta, ist Meister Sabatier, Hauptmann der Stadtwache und treuer Diener des Grafen. Ihr solltet euch nicht mit ihm anlegen. Ich glaube, ich habe einen Mann namens Sebastian gesehen…“ Hoffnungsvoll blitzten seine Augen Lucien an.
Mit einem knappen Schmunzeln, nickte der Hauptmann Jean anerkennend zu. "So ist es. Hauptmann der Stadtwache und gelegentlicher Aufpasser des Grafen. Seid so gut Jutta und sucht euch einen anderen Küchenjungen, dieser hier wird gebraucht. Seine Aufgaben wird er bei der Wache verrichten, denn einige Pferde müssen noch versorgt werden." Und er sagte das mit der Beiläufigkeit des Hauptmanns, der er hätte sein sollen und der er ja auch irgendwie nach wie vor war. Er nickte Jean noch einmal knapp zu und schickte sich dann an die Küche zu verlassen. "Im Übrigen würde ich euch bitten für mich und den Jungen eine kleine Stärkung aufzutischen. Es muss nichts Besonderes sein. Ein wenig Brot, Schinken und Käse sollten genügen." Dann trat er aus der Küche und setzte sich wie selbstverständlich an den hölzernen Tisch. Er hatte Hunger. Ein merkwürdiges Gefühl, das er schon gar nicht mehr kannte aber das nun dennoch vorhanden war. Zunächst würde er etwas essen, danach würde er zusammen mit Jean Sebastian suchen gehen.“
Der Frau blieb staunend der Mund offen stehen. „Aber… das Essen für den Grafen… Ihr…?“
Jean wedelte mit der Hand. „Jutta, du hast es doch gehört. Ich werde hier gebraucht. Außerdem liebt der Hauptmann frisches Bier. Du solltest ein paar Humpen im Keller zapfen gehen. Wir wollen doch nicht, dass er sich in den umliegenden Häusern mal umschauen geht und nachsehen lässt wer welche Vorräte im Keller hat, nicht wahr? Manche Kisten mit edlen Früchten und gepökelten Wachteln sollen ja tatsächlich das Wappen Flanderns tragen…“
Die Köchin schluckte und machte sich so schnell sie konnte auf dem Weg aus der Küche.
Sie waren allein. Jean griff nach Schinken und Wurst, die in einem der Regale standen und holte einen frischen Laib Brot hinter dem Backofen hervor. Er stellte alles vor Lucien ab und musterte den Mann fragend.
„Es ist komisch dich essen zu sehen…“
Er dachte über irgendetwas nach, das ihm anscheinend nicht recht einfallen wollte.
Aus den Augenwinkeln verfolgten die Blicke des Hauptmanns die Köchin, wie um sicherzugehen dass sie tatsächlich verschwunden war. Die Worte Jeans waren es schlussendlich, die den letzten Ausschlag dafür gaben. Es hatte schon wirklich etwas für sich der 'Hauptmann' zu sein, obgleich er von diesem Titel nicht häufig Gebrauch machte. Jedenfalls nicht um bei der Zivilbevölkerung Dinge durchzusetzen, die er nicht auch anders bekommen hätte. Aber wie dem auch sei, die Köchin war verschwunden, der Brotkorb und die anderen Köstlichkeiten waren vor ihm aufgetürmt. Er nahm die ledernen Handschuhe ab und warf sie auf den Tisch vor sich, bevor er ein großes Messer ergriff um den Speck von der Schwarte zu befreien. Grunzend biss er nacheinander in den Schinken und Speck, während die andere Hand einen Brocken Brot aus dem Laib brach. Schmatzend und kauend sah er sich im Raum um und nickte dem Jungen Jean bestätigend zu. "Geht mir genauso aber was soll ich schon machen? Es ist ein Hungergefühl, ähnlich dem nach Vitae und doch wieder anders. Normalerweise würde mir speiübel werden aber in diesen traumartigen Gebilden, gilt eine andere Realität." Er warf Jean ein großes, rindenloses Stück Speck zu und säbelte ein wenig Käse von einem halbrunden Laib ab. Gelinde ausgedrückt aß er wie ein Schwein. "Hast du ihn schon gesehn? Den Hexer? Ich frage mich was er uns diesmal für Aufgaben auferlegt. Der kleine Sebastian wird langsam wieder wirklich lästig."
Jeans Augen verengten sich grübelnd. „Das alles hier ist nur ein Traum?“ Der Junge unterdrückte sein Erstaunen, blieb sicher eine halbe Minute unschlüssig stehen. Dann schüttelte er den Kopf wie um sich selbst zu sammeln. Dann nahm er gegenüber von Lucien Platz und griff nach einem Stück Brot.
Sein kurzes Auflachen war bitter. „Oh ja. Das hier ist ein Traum. Es kam mir alles so vertraut vor… Ich hab diesen Traum schon hunderte Male geträumt: Meine Mutter kommt darin um. Immer auf andere Weise und ganz gleich, was ich tue, wie ich handle: Am Ende liegt sie in einer Blutlache in meinen Armen.“ Wieder schüttelte er den Kopf. „Dann kann ich ebenso gut hier sitzen und etwas Sinnvolles tun, findest du nicht?“ Er strich mit dem Messer dick Butter auf die Scheibe.
„Es tut mir leid. Ich hab Sebastian nicht hier im Traum gesehen, auch wenn ich das behauptet habe. Ich hab nur die Gelegenheit nutzen wollen den Drachen aus der Küche zu bekommen. Geht es Marlene und Hendrik gut?“ Er musterte seine Finger, schein sich darüber zu ärgern, dass er zu Lucien aufsehen musste. Seien Worte waren eher an sich selbst gerichtet. „Verdammte Träume…“
"Also kein Sebastian?", fragte Lucien schmatzend, dabei eine Augenbraue hochziehend. Er schien keine wirkliche Antwort auf seine Frage zu erwarten, sondern spuckte stattdessen ein Stück Fett aus, an dem noch ein Stück Schwarte klebte. "Ja, es ist ein Traum. Ich bin eigentlich gerade beim Speckfürst untergekommen, auf halbem Weg nach Gent um nach dir zu suchen...." Seine Augen fixierten Jean. "Tut mir leid dass wir akkurat in diesem Alptraum festsitzen aber vielleicht, hat es auch eine tiefere Bedeutung, die wir erst nach und nach in Erfahrung bringen werden. Genauso wie beim letzten Mal, wenn du dich erinnerst." Er biss erneut ein Stück Brot ab. "Du wurdest von Balduin dazu aufgefordert, eine Ehrenkompanie zum Schutz der hohen Damen und Herren nach Gent zu entsenden und hättest dort angeblich Konstantin alleine nach Hause geschickt, nachdem dich jemand angesprochen hätte, der dich für mich hielt..." Luciens Augen wichen nicht von dem Jungen. "War es Sebastian? Hält er dich gefangen? Wo bist du momentan?"

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Der Weg zum Ziel beginnt an dem Tag, an dem du die hundertprozentige Verantwortung für dein Tun übernimms.
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 Betreff des Beitrags: Re: Zusammenkommen ist ein Beginn
BeitragVerfasst: So 13. Dez 2015, 17:40 
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Jean zog die Stirn kraus. Er bemühte sich sichtlich die Erinnerungen zu ordnen und sie von den Eindrücken des Traumes zu trennen. Schließlich nickte er und schob sich ein Stück Brot in den Mund. Er sprach während er kaute.
„Ich hab keine Ahnung wie der Sebastian aussieht von dem du ab und an erzählt hast, aber ein Mann hat mich in Gent angesprochen, weil er mich für dich hielt. Er meinte, es wäre an der Zeit ein für alle Mal die Dinge zu klären. Ich hab am Anfang gar nicht kapiert, was er wollte, hab dann aber rasch begriffen, dass das wohl ne Sache mit dir sein muss und das richtig gestellt. Er fand es erheiternd, das konnt ich ihm ansehen, als ich mich als deinen Neffen vorgestellt hab.“ Jean griff nach einem dicken Stück Wurst. „Ich war an diesem Abend noch bei Balduin zu Besuch, aber ich hab relativ rasch gemerkt, dass mich irgendjemand verfolgt hat. Ich hatte keine Ahnung um wen es sich gehandelt hat, aber egal wie sehr ich mich bemüht hab‘, ich hab denjenigen nicht zu Gesicht bekommen. Es erschien mir schließlich sicherer Konstantin allein nach Brügge zu schicken um herausfinden zu können, wer sich solche lustigen Spiele mit mir erlaubt. Der Junge ist am nächsten Tag einfach mit einem Tross Reisender mitgewandert. Fähiger Bursche, der kommt gut allein klar.“
Wieder musste der Junge, der ihm gegenüber saß, nachdenken.
„Ich hab versucht dem Kerl aufzulauern, aber irgendetwas lief nicht so wie geplant. Und plötzlich wurde ich verfolgt… Ich bin abgehauen, hab mich kurzzeitig versteckt, aber egal wo ich hin bin, der Kerl war mir immer dicht auf den Fersen. Erst als die Sonne aufging, hatte ich Ruhe. Wenn ich mich recht erinnere bin ich bei Balduin untergekommen …“
Jean griff nach dem Küchenmesser, schnitt ein Stück Schinken ab und prüfte dann die Schärfe der Klinge mit dem Zeigefinger. „Schauen wir mal, was die nächste Nacht bringt. Wär‘ ja gelacht, wenn ich mich von einem dahergelaufenen Kerl in die Enge treiben lassen würde.“ Sein Blick war zornig.

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"Alea iacta est." oder "Die Würfel sind gefallen." - Lateinisches Sprichwort


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 Betreff des Beitrags: Re: Zusammenkommen ist ein Beginn
BeitragVerfasst: So 13. Dez 2015, 19:39 
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Registriert: Do 18. Jun 2009, 14:04
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Lucien schlang den letzten Bissen Speck hinunter, goss sich dann aus einem nahestehenden Krug in einen irdenen Becher Wein ein und leerte diesen in einem Zug. Der Geschmack war ihm nicht neu aber immerhin war sein letzter Schluck Wein doch einige Jahrzehnte, beinahe zwei Jahrhunderte her. Er konnte sich nicht entsinnen, während des letzten, bedrohlich real wirkenden Traumes, etwas getrunken oder gegessen zu haben. Woher kannte der Erschaffer dieses Traumes den Geschmack von Wein oder besser gesagt: Wie brachte er nunmehr ihn dazu eine beinahe verlorene Erinnerung wachzurufen, die eine halbe Ewigkeit zurücklag? Kainiten bedienten sich mysteriöser, übernatürlicher Kräfte und Fähigkeiten aber so etwas Derartiges, hatte er noch nie zuvor erlebt. Es wirkte wie Magie und wo Magie ins Spiel kam, war der Bluthexer Sebastian nicht weit. Andererseits wollte er nichts überstürzen. Als Sebastian die Traumlandschaft der letzten Konfrontation erschaffen hatte, war er selbst auch anwesend gewesen. Offenbar hatte er es dieses Mal vorgezogen, die Regeln des Traumes ein wenig abzuändern oder er war, so schwer es zu glauben war, nicht der Verursacher dieser trügerischen Macht. Wenigstens war Jean für den Moment sicher. Das war immerhin etwas.

"Es tut gut zu wissen, das es dir soweit gut geht und Balduin bei dir ist. Stell sicher, dass der Grafensohn über die jüngsten Vorgänge in Gent informiert wird und entsprechende Maßnahmen ergreift. Wer immer dich verfolgt tut das aus der Vorstellung heraus, du wärest irgendwie mit mir verbunden. Ob er tatsächlich weiß, das du nicht mein Neffe bist, er dir diese kleine Lüge abkauft oder nur hofft auf den echten Lucien Sabatier zu treffen, wenn er dir lange genug folgt, ist nicht von Belang. Jemand der 'eine alte Rechnung' mit mir offen hat, wird gewiss nicht zögern zu tun was notwendig ist, um an mich heranzukommen."

Der Gangrel erhob sich und griff nach seinen ledernen Handschuhen, die er sich nacheinander über- und anschließend stramm zog.

"Du hast getan was du konntest. Wenn er bei Sonnenaufgang verschwunden war, stehen die Chancen nicht schlecht, das du einem von uns begegnet bist. Und wenn nicht einmal ich Gerrit finden kann, wenn er es vorzieht sich buchstäblich wieder einmal in Nichts aufzulösen, wie hättest du diesen untoten Verfolger dann abschütteln können? Ich zweifle nicht an deinen Fähigkeiten Jean aber wer immer hinter dir her ist, wird mit den Möglichkeiten der Sterblichen nicht aufgehalten werden können. Was Konstantin betrifft..." Er lächelte schief. "... gebe ich dir im Übrigen recht. Zwar würde ich ihm kein Schwert in die Hand drücken aber dumm ist der Bursche keineswegs. Ein scharfer Verstand erspart einem häufig die scharfe Klinge. Und wenn wir den Kerl erst gefunden haben, verspreche ich dir das du ihn auch zu Gesicht bekommen wirst."

Mit seiner rechten Hand, deutete der Hauptmann auf einen solide Holztür unlängst der Feuerstelle. "Wenn ich mich nicht irre, dürfte es dort hinausgehen. Lass uns zusehen, dass wir aus diesem verdammten Traum erwachen. Danach treffen wir uns sobald wie möglich bei Balduin in Gent." Er schritt auf die Tür zu umfasste den Griff.

"Schauen wir mal, was wir diesmal aufbieten müssen um wieder in unseren Betten zu erwachen. Nimm das Küchenmesser mit, man weiß nie."

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Through action, a Man becomes a Hero.
Through death, a Hero becomes a Legend.
Through time, a Legend becomes a Myth.
By learning from Myth, a Man takes action.
~Corazon~


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 Betreff des Beitrags: Re: Zusammenkommen ist ein Beginn
BeitragVerfasst: So 13. Dez 2015, 21:32 
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Registriert: Mi 17. Jun 2009, 20:52
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Sobald Lucien durch die Tür geschritten war, begann seine Umgebung zu verschwimmen. Von irgendwoher ertönte die leise Stimme eines Jungen wie aus weiter Ferne. „Lucien? Was…?“
Er spürte sein Blut, dass in seinem Körper pulsierte und das Blut, das er vor Jahrzehnten durch Jean erhalten hatte und allein der Entschluss, diesen Traum zu verlassen genügte um die Kraft frei zu setzen, daraus zu entkommen.
Er erwachte kurzzeitig, bemerkte eine goldene Helligkeit, die schwach durch den Türspalt schien… Mittag… dann verspürte er wieder das seltsame intensive Ziehen, dass ihn zu Beginn des Tages in die merkwürdige Traumlandschaft geholt hatte, doch es war nicht stark genug: Lucien fiel in einen tiefen traumlosen Schlaf.
Er erwachte erst wieder am nächsten Abend

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Der Weg zum Ziel beginnt an dem Tag, an dem du die hundertprozentige Verantwortung für dein Tun übernimms.
Dante Alighieri


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 Betreff des Beitrags: Re: Zusammenkommen ist ein Beginn
BeitragVerfasst: Sa 26. Dez 2015, 11:52 
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Von Tieren und Hexern

Lucien wollte sich das Spektakel rund um Sebastian, Lilliana und Leif nicht weiter ansehen. Es ging ihn nichts an. Im Grunde hatte er sich geistig und mental schon auf den Weg Richtung Jaques de Camarque gemacht aber irgendetwas hinderte den Gangrel daran, einfach das Haus der Boorluts zu verlassen. Es lag nicht an der Tatsache, in weiterer Folge wieder dem altbekannten Ventrue gegenüberzustehen:
Jean war das Problem.
Diese Träume in denen er immer wieder gerufen wurde waren drängender und präsenter geworden, und wenn es nach Lucien ging durfte Gent mitsamt Mann und Maus zur Hölle fahren, mit Fanfaren und Trompeten. Er war für Jean gekommen, im besten Falle noch für Balduin.
Aber alles zu seiner Zeit und eines nach dem anderen…
Lucien schritt an Lilliana vorbei, die noch immer im Gang stand.

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"Versuch einmal in deinem Leben nicht allen wie ein Hund hinterherzulaufen. Wir müssen uns nicht immer alle liebhaben, sondern können uns manchmal richtig gut hassen." Er grunzte kurz, ließ sie stehen und hämmerte dann an die Tür des Hexers. "Sebastian. Mit was immer sie dich schon vollgelabert hat, ich bin aus einem anderen Grund hier - es geht um dich und mich. Gib mir fünf Minuten und du bist mich wieder los."

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(sorry, das muss sein :P )

Die Tür wurde voller Wucht aufgerissen. Das Gesicht, das ihm entgegenblickte war eine Maske aus Zorn.

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„Was willst du, Sabatier?“ Er spie die Worte fast aus.
"Dir weder einreden, das du uns irgendetwas schuldig bist, noch an deine Menschlichkeit appellieren. Du kennst mich, Sebastian. Ich sage immer die Wahrheit, brauche keine geschliffene Rhetorik oder fromme Wünsche, ich sage wie es ist und was ich denke. Und ich will dich sprechen, nicht weil Gent zum Teufel geht oder weil angeblich irgendein abtrünniger Hexer hier herumspukt oder komische Nosferatu Herrschaft spielen. Auch nicht weil Leif keine Lust hat irgendwelche Versprechungen zu machen." Er verschränkte die Arme. "Ich bin in diese Stadt gekommen, weil irgendjemand angeblich eine Rechnung mit mir offen hat - ob du das bist kann ich nicht sagen, aber es liegt nahe."
Der braunhaarige Hexer ließ ein überdrüssiges Seufzen folgen. Man konnte seine Gedanken fast an seinem Gesicht ablesen… Dass ihn diese Geschichte ausgerechnet in diesem ungelegenen Moment verfolgen musste… Er blickte über seine Schulter in das von Kerzen erhellte Zimmer, schien zu überlege.
Dann verengten sich die dunklen Augen des Hexers zu misstrauischen Schlitzen. Seine Stimme war ein kaum hörbares wütendes Flüstern. „Ich bin kein Narr, Sabatier. Ich hab nach wie vor dein Wort, dass du mir solange wir in Gent weilen nicht an die Existenz willst? Falls ja, komm rein. Aber wenn das eine Falle werden soll, wenn du mir mit Klauen oder Schwert zu nahe kommst, dann lass dir eins gesagt sein: Im Gegensatz zu meinem Bruder kann ich mich wehren. Und wenn ich kann nehm‘ ich dich mit in die Hölle.“ Ein hartes Grinsen, das nicht die Augen erreichte, erschien auf seinem Gesicht. Dann hielt er dem Gangrel die Tür auf.
Lucien schlüpfte an ihm vorbei. "Wenn wir beide zur Hölle fahren würden, hätte die Nacht sogar noch was Gutes gehabt, zumindest für die Sterblichen. Findest du nicht?" Er lächelte schief. Bei der Bemerkung erkannte er eine kurze Erwiderung des schiefen Lächelns auf den Zügen des Tremere.
„Das hab ich auch schon mal zu jemandem gesagt… Ich denke, da fehlen uns dann noch ein paar auf unserem Weg in die Hölle…“ sprach er mehr zu sich selbst als zu Lucien.
Sobald die Tür hinter ihm ins Schloss viel, wandte Lucien sich zu dem Tremere um. "Ich mach‘s kurz, weil ich weiß, dass du mich nicht riechen kannst und das beruht auf Gegenseitigkeit, keine Sorge. Ich habe in letzter Zeit wieder diese seltsamen Träume. Jean kommt darin vor und in letzter Zeit ruft er nach mir, es klingt wie ein Hilferuf.
Wir dachten alle immer, du wärst der Auslöser für diese hochrealistischen Träume, aber da bin ich mir momentan nicht so sicher." Lucien schüttelte den Kopf. "Irgendjemand in dieser Stadt will mit mir eine Rechnung begleichen und hat das direkt zu Jean gesagt - warst du das? Mir wäre es lieber, du wärst es gewesen, das macht die Sache einfacher."
Bei Luciens Ausführung zog Sebastian nur die Augenbrauen hoch und blickte fragend. „Du erwartest jetzt ernsthaft von mir, dass ich eine Ahnung habe, wovon du redest? Wer ist Jean?“ Er deutete zu einer Sitzgruppe in der Nähe eines geschlossenen Kamins in der Lucien Platz nehmen konnte.
Dann schritt er näher an die Tür heran, biss er sich selbst in den Handrücken und begann mit seinem Blut einen Kreis auf die Tür zu zeichnen.

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Der Gangrel beobachtete argwöhnisch die Sitzgruppe, auf die der Tremere gezeigt hatte. Natürlich verabscheute er Magie, natürlich verabscheute er die Hexer aber was blieb ihm anderes übrig? Vermutlich wirkte es und würde die beiden irgendwie... schützen. Wie sagte Liliane? Irgendwo musste Vertrauen anfangen. Widerlich. Hier ging es nicht um Vertrauen sondern um Jean. Das war bei weitem wichtiger. Er nahm Platz.
Lucien erkannte schließlich einen seltsamen Stern aus runden und geraden Strichen mit mehreren Symbolen darin und darum. Ein paar leise gemurmelte Worte begleiteten das seltsame Treiben. Schließlich blickte der Hexer zu seiner Hand, schloss die Wunde und wandte sich wieder dem Gangrel zu.
Er nickte zu dem seltsamen Pentagramm. „Nur eine Vorsichtsmaßnahme… Nach der Aktion von Vorhin hab ich keine Lust auf Eindringlinge. Weder bei Tag noch des Nachts.“ Er trat näher zu Lucien heran und beäugte ihn misstrauisch.
"Jean ist sozusagen mein Mündel, wobei das weit hergeholt ist, denn er ist bereits ein erwachsener Mann, der mir bemerkenswert ähnlich sieht. Geradezu zum Verwechseln ähnlich, fürchte ich." Der Hauptmann von Brügge flegelte sich in dem ledernen Sessel. "Er ist hier in Gent, vermutlich bei der Grafenfamilie und wurde verfolgt. Hat versucht den Spieß umzudrehen und ist leider gescheitert. Aber er ist mir schon einmal im Traum begegnet, diese Art von Traum, in dem wir beide uns auch schon über den Weg gelaufen sind. Diese beinahe realen Traumvarianten. Und in letzter Zeit habe ich tagsüber das Gefühl, er würde nach mir rufen, was verrückt klingt - aber so ist es nun einmal." Er hustete kurz.
"Nun, er wurde von irgendeinem Fremden angesprochen weil dieser ihn für mich hielt. Jean konnte die Sache aufklären, aber der Fremde sprach davon, dass er noch eine Rechnung mit mir offen hätte. Da dachte ich an dich." Er sah ihn lange an. "Warst du bei meinem Doppelgänger wider Willen?"
Ein schmales Lächeln war bei seinem Gegenüber zu erkennen. „Der junge Mann heißt also Jean?“ Sebastian nickte und ließ sich dann am anderen Ende der Sitzgruppe im sicheren zwei Meter Abstand zu dem Gangrel nieder. „Er sieht dir wirklich zum Verwechseln ähnlich… Zufall oder hat da ein befreundeter Drachen nachgeholfen? Es kann mir gleich sein.“ Der braunhaarige Mann schüttelte den Kopf, wie um das schiefe Lächeln und den Gedanken wieder zu vertreiben. „Ja. Ich habe ihn wirklich vor einiger Zeit hier angetroffen und dachte, es würde sich um dich handeln. Aber der Junge hat das Missverständnis ja sogleich aufgeklärt. Hat sich als dein Neffe vorgestellt. Ich hab ihn mir näher angeschaut. Er scheint einen guten Charakter zu haben.“ Eine weitere Bemerkung lag dem Hexer wohl auf der Zunge doch er verkniff sie sich.
Der Hauptmann schüttelte den Kopf. "Er ist natürlich in keinster Weise mit mir verwandt, das dürfte dir klar sein, aber wie immer müssen die Menschen irgendetwas haben, woran sie glauben können. Im Übrigen war kein Drache am Werk, wir haben es eingehend überprüft. Höchstwahrscheinlich entstammt er einfach meiner Familienlinie, so merkwürdig das klingt." Er ließ das Thema wieder fallen, es schien ihn auch nicht wirklich zu stören, Sebastian dies mitzuteilen. Man hätte es ihm als Schwäche auslegen können und offenbar war sie das auch.
Allerdings versuchte er Jean stets aus all den kainitischen Problemen rauszuhalten. Aber manchmal geriet der junge Familienvater auch ganz ohne den Gangrel zwischen irgendwelche Fronten. Da brauchte es gar keine Tremere.

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Er nickte Sebastian zu. "Das warst also tatsächlich du? Gut zu wissen, dann hat sich zumindest dieses Rätsel aufgeklärt. Du bist ihm nicht zufällig eine Zeitlang gefolgt ohne dass er dich gefunden hätte? Ein wenig Gespenst gespielt, hm?"
Sebastian schüttelte skeptisch den Kopf. „Warum sollte ich das tun? Ich hab bei weitem besseres mit meiner Zeit anzufangen als jungen sterblichen Ghulen hinter her zu jagen? Die Stadt hier hat genug Probleme…“
"Er ist kein Ghul, du weißt, dass mir so etwas nicht liegt. Ich versklave niemanden. " Und sein Lächeln wurde breit bei jenen Worten. Schließlich nickte er bestätigend. "Also der Verfolger warst nicht du, verstehe. Schade eigentlich, das kann nur bedeuten, dass jemand anderes hinter ihm her war und wenn man sich die aktuelle Situation in Gent besieht, ist dies sogar wahrscheinlicher."
Er zuckte mit den Schultern, offensichtlich nahm er das Sebastian ohne weiteres so ab. "Macht es aber auch zugleich schwieriger, weil wir um dieses Rätsel zu lüften, die aktuellen Probleme angehen müssen und davon gibt's nicht wenige." Seine Hand glitt kurz über den schroffen Dreitagebart. "Also.. du willst die Rechnung begleichen? Was schwebt dir vor, lieber Sebastian? Wie willst du mich um die Ecke bringen?"
Zunächst erschien wieder das schwache Lächeln, dann beugte sich der Hexer nach vorne, stützte die Ellenbogen auf die Knie, faltete die Hände und ließ das Kinn nachdenklich darauf sinken. Die Züge wurden grüblerisch, fast etwas melancholisch.
„Ich wollte dich nie um die Ecke bringen.“ Kurz lachte er tonlos auf und sein folgender Ton war hart und kalt. „Das wäre zu einfach gewesen. Ich wollte Rache. Ich wollte dich bestrafen für all das, was du getan hast. Weil ich der Meinung war, dass ein Monster wie du es verdient zu leiden… lange…“
Er schwieg mehrere Minuten und sein Blick bohrte sich dabei fast in sein gegenüber. „Aber du bist vieles, mit Sicherheit auch ein Monster… aber wir alle tragen diesen Teil in uns…“ Er seufzte traurig und wandte den Blick ab. „Aber was immer geschieht, es macht das, was geschehen ist nicht rückgängig.“ Wieder verging eine Minute. „Ich bin Gretlin einst im Traum begegnet… Sie hält dich für einen ehrbaren Charakter und andere mit denen ich geredet habe kamen zu dem gleichen Schluss…“
"Dann bist du besser über mich informiert, als ich über dich, Sebastian. Ich habe nie wirklich verstanden, was du wolltest. Das einzige was ich immer wieder gesehen habe war, dass du uns auf die eine oder andere Weise übel wolltest. Oder nicht übel... wie soll ich das formulieren?" Er überlegte. "Du hattest einen Plan und der wurde ausgeführt, komme, was da wolle. Wenn du etwas dazu tun musstest, dann hast du es getan. Das kann ich akzeptieren, trotzdem hat uns das nicht gerade zu Freunden gemacht. Aber das macht nichts. Ein ehrlicher Feind ist mir zehnmal lieber als all die falschen Freunde, von denen wir, da bin ich überzeugt, reichlich in- und außerhalb der Stadt haben. Da weiß man woran man ist. Ich habe immer mit offenen Karten gespielt. Viel kann man mir vorwerfen, aber das nicht."
Sebastian sah ihn scharf an. „Ich habe nie etwas getan, das einem Brügger ernstlich geschadet hätte. Dich nehme ich aus dieser Behauptung aus. Dir hätte ich gern den Schmerz zugefügt, den du mir zugefügt hast… Aber das hab ich hinter mir gelassen.“
Luciens Kopf senkte sich etwas auf die Höhe Sebastians herab. "Weißt du was, Sebastian: Töte mich und es wird nichts geschehen. Es macht deinen Bruder nicht wieder lebendig, es ändert nichts daran, dass du untot bist oder dass Leif dich verabscheut. Es ändert nichts an deinem Schmerz oder deinen Problemen. Bestenfalls verändert sich was in der Politik, weil ein Brügger Vollidiot den Löffel abgegeben hat. Ein paar Aasgeier mehr." Er grinste. "Das ist ja das Lächerliche an dem ganzen hier: Was immer wir tun, durch diese Zeitlosigkeit, ist es bestenfalls ein paar Jahre von Wert für uns." Sein Blick wurde ungläubig. "Und seit wann spukst du bei Gretel im Traum herum? Das Mädchen hat genug Verwirrung da oben im Kopf. Es freut mich aber, dass du beschlossen hast von meiner Ermordung abzusehen. Ich habe ebenfalls keinen Bedarf mehr an deinem Kopf. Es ändert nichts. Weder für dich, noch für mich."
Sebastian sah Lucien noch immer abschätzend an. Wieder huschte ein kurzes abwägendes Lächeln über seine Züge. „Beantworte mir doch bitte eine unbedeutende Frage! Wenn ich deinen geliebten ‚Neffen‘ in meiner Gewalt hätte, ihm all die kleinen Grausamkeiten antun würde, die ich all die Jahre für dich vorbereitet hatte, was würdest du mit mir anstellen?“
"Nichts", antwortete er ausdruckslos. "Ich würde es nur schade finden, dass du einem jungen Familienvater das Leben nimmst. Seine Frau ist schwanger und erwartet bald ein Kind. Und sein einziger Fehler war irgendetwas mit mir zu tun zu haben. Deshalb halte ich mich normalerweise auch fern von den Menschen, das ist besser für alle." Er hob die Schultern. "Oder wie Prinzessin Erzhausen es formulieren würde: Am Ende hätten wir beide nur verloren. Vielleicht würde ich Brügge auch verlassen, weil ich mich für seinen Tod verantwortlich fühlen würde. Das wäre dann ohnehin der richtige Zeitpunkt zu gehen. Aber ich habe keine Lust hinter dir herzujagen. Du hast mich Monster genannt: Wenn du das tun würdest bist du nicht besser als ich. Und alles, was man mir vorwirft, wird ad absurdum geführt."
Sebastian nickte. „Ja. Hass und Rache unterhalten sich ewig wie ein Feuer, das nie ausgeht bis alles niedergebrannt ist. Jean, Jakob… wie auch immer die heißen, die uns wichtig sind. Sie kommen alle in diesem Kampf um, den wir Kainiten führen, wenn wir es nicht zu verhindern wissen.“
Lucien nickte knapp. Zu den Worten des Tremere hatte er nicht wirklich viel hinzuzufügen. Vor allem nicht zu dem Feuer das ewig loderte. Es war das Wesen der Kainiten sich bis in alle Ewigkeiten gegenseitig umzubringen.
"Ich betrachte diese Unterredung somit als Waffenstillstand. Von mir aus kannst du auch ruhig Brügge unsicher machen, auch wenn Leif das nicht gefallen würde. Wir sind ja ohnehin früher oder später drauf und dran Bündnisse mit deinem Clan zu schließen. Wir können nicht immer alle hassen. Das ist der Teil am Untod den ich persönlich verabscheue."
Sebastian biss sich nachdenklich auf die Lippen und schüttelte dann den Kopf. „Ich hab den Jungen seit der Nacht vor einigen Tagen nicht mehr gesehen und ich hab auch keine Ahnung, wo er sich aufhält.“ Er setzte sich wieder gerade auf. „Ich bin dir damals vor Jahrzehnten in dem Traumgespinst begegnet. Ich wusste, du würdest irgendwann dort auftauchen. Fast alle mit denen man verbunden ist, tauchen früher oder später dort auf. Der Junge, Jean, er war auch dort, oder?“
Der Gangrel kratzte sich am Kinn. "Jean war damals auch dort, ja, auch wenn er kaum mehr als ein Knabe war, so hat er doch irgendwie ein halbes Leben in diesem Traum verbracht. Es war nicht zuletzt dieser Traum, der uns näher aneinander gerückt hat. Aber er ist frei und erwachsen und vor allem lebendig, jetzt lebt er sein eigenes Leben, macht seine eigenen Fehler und liebt wen er möchte." Sein Blick verfinsterte sich. "Und gerade wird er wieder in etwas Übernatürliches hineingezogen. Und es ist noch nicht mal meine Schuld, er hat nur seinen Dienst getan. Im Traum oder in diesem halbwachen Zustand zwischen Tag und Traum, glaube ich manchmal, dass er mich durch dieses Gespinst ruft. Wir müssen das mit Camarque schnell über die Bühne bringen, ich mache mir Sorgen."
Sebastian schien nachzudenken. „Der Junge hat also gerufen… Und, hast du ihm antworten können? Vielleicht kann er dir im Traum mitteilen, wo er steckt und was los ist. Aber das weißt du sicherlich.“
Er nickte. "Ja, sowohl er als auch ich wissen das Kommunikation über diese Träume möglich ist aber..." Luciens Miene verzog sich grimmig. "Ich konnte ihm nicht antworten. Es war als ob ich nicht zu ihm durch käme, als ob mich etwas... behindern würde, uns absichtlich trennt." Er sah den Hexer an. "Was weißt du über diese Träume? Wer ist der Erschaffer und warum? Und wie ist so etwas überhaupt möglich? Ist der Traummeister hier in Gent?"
Sebastian nickte langsam. „Ich weiß ein wenig…“ Wieder sah er ihn lange an und sein Blick wurde hart. „Aber warum sollte ich dir helfen, Jean wieder zu finden? Noch vor einer knappen halben Stunde hab ich da unten im Verhandlungsraum der Borluuts gesessen und mir wurde mehr als deutlich gemacht, dass mir in der Anwesenheit von dir und deinen Brügger Landsleuten jederzeit der Kopf von den Schultern geschlagen werden kann. Nimm’s mir nicht übel, aber es gibt Zeiten, da hab ich es alles einfach nur so unglaublich satt und der Name Brügge allein ruft in mir eine Übelkeit hervor, bei der ich mich am liebsten übergeben würde.“ Wieder war Wut in seinen Augen zu erkennen. „Ich hab eine Menge für diese vermaledeite Stadt und ihre Bewohner riskiert und sitz hier und weiß nicht mal, ob ich heil aus Gent raus komme nur weil IHR von der guten Frau Borluut eingeladen worden seid euch um die gleichen Probleme zu kümmern wie ich. Sie muss schon sehr verzweifelt sein, sonst wäre sie nicht so unverschämt uns an den gleichen Tisch setzen zu wollen. Jeder Kainit in Flandern weiß, was ihr mit Tremere anstellt, die euch über den Weg laufen…“
"Oh, dir wird schlecht wenn du den Namen Brügge hörst? Dann haben wir schon eine Gemeinsamkeit. Manchmal frage ich mich was den Sauhaufen da drin überhaupt zusammenhält. Vermutlich einfach unsere Sturheit und Glück." Lucien grinste ihn schief an, wie er das immer zu tun pflegte wenn ihm etwas besonders erheiternd vorkam. "Was die gute Madame Brotrinde angeht gebe ich dir recht: Sie versucht alles um die Stadt wieder unter ihre Kontrolle zu bringen, weil ihr nicht mehr viele Alternativen bleiben. Ich glaube ja, dass diese Nosferatu mit magischer Hilfe das erreicht haben, wovor sich jetzt alle so fürchten. Das ist dein Part - die 'unerlaubte' Magie. Wir hacken uns nur durch die Reihen wenn wir den Drahtzieher gefunden haben, wie üblich."
Er legte den Kopf leicht schief. "Ich will nichts zu Jean direkt wissen, sondern zu den Träumen an sich. Ich bin überzeugt davon, dass ich herausbekommen kann wo er sich momentan befindet, allerdings habe ich diese Traumlandschaften nie ganz verstanden. Es geht nicht um Gent sondern um mich, lieber Sebastian. Diese Traumsache ist was Privates."
Der Hexer ließ einige Minuten vergehen bevor er weiter sprach. „Lucien?“ Er deutete mit dem Daumen zu einem unbestimmten Punkt unter sich. Der Hauptmann wusste, dass sich dort das Versammlungszimmer befand. „Ihr seid nicht bereit, mir zu garantieren, dass ich mit heiler Haut wieder aus Gent heraus komme… und dann bittest du mich darum dir zu erklären, wie du im Traum die nötigen Informationen erhalten kannst um dem Jungen zu helfen? Warum sollte ich dir und Jean helfen?“ Ein trauriges Lachen folgte. „Versteh mich nicht falsch, aber ihr Brügger seid ein Haufen von dem man sich fern halten sollte, wenn man als Hexer überleben will.“
"Gent interessiert mich nicht, Sebastian. Du leider auch nicht wirklich obwohl ein Tässchen Tee und ein paar Kekse sicher fantastisch wären, aber da musst du zu Liliane gehen. Im Übrigen nennt sie sich jetzt Aurora. Was für eine tolle Tarnung oder? Hat sie sich ganz alleine ausgedacht, unsere ausgefuchste Toreador. Kein Wunder das Brügge noch immer hochangesehen ist, bei solch formidablen Kainiten." Er lachte kurz auf. "Ein Salubri, der fast gleich viele getötet hat, wie nun von seinem Clan draufgehen. Ein Drache der sich weigert einer zu sein, ein altersschwacher Nosferatu der langsam die Lust am 'regieren spielen' verliert und schließlich der Gangrel, der irgendwo dazwischen herumläuft ohne wirklich zu wissen, was er da eigentlich tut." Lucien streckte ihm die behandschuhte Hand hin. "Wenn du mir sagst, was ich über den Traumerschaffer wissen muss, lasse ich dich völlig unbehelligt aus Gent abziehen sobald diese Sache erledigt ist. Dazu wäre aber nicht einmal diese Unterredung notwendig. Auch wenn du es wohl mittlerweile zu einiger Prominenz in deinem Clan gebracht hast, wirst du dich nicht so dumm anstellen um im hochverehrten Auftrage der Madame Brotrinde von Gent zu versagen oder dich von persönlichen Fehden verwirren lassen. Es bringt mir nichts dich zu töten. Ich hasse deinen Clan und vertraue ihm nicht aber was nützt es wenn ich dich hier einen Kopf kürzer mache? Du bist nicht mehr so wichtig, Sebastian. Du warst es vielleicht einmal aber wir haben schlimmere Feinde, die an unsere Tür klopfen. Du übrigens auch."

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Sebastian erhob sich aus seinem Stuhl. „Wenigstens seid ihr Brügger mittlerweile wohl so ehrlich und gebt euer Wort nicht mehr um es später im Anschluss zu brechen. Damit hat sich doch schon viel geändert, nicht wahr?“ Der Sarkasmus war wieder deutlich zu hören. Er deutete auf das Symbol an der Tür. „Ich versuche selbst für meine Sicherheit zu sorgen. Das erscheint mir erfolgsversprechender.“ Sebastian atmete lang ein, schloss die Augen und ließ die Luft wieder entweichen. Er schien sich zu sammeln. „Verzeih mir, aber zu viel hat sich zugetragen und die Dinge sind nun einmal so wie sie sind. Vielleicht solltest du jetzt gehen?“ Er trat einige Schritte auf die Tür mit dem Symbol, das den Raum sicher versiegelte, zu und blieb neben einer Kommode stehen. Der Hexer schien darauf zu warten, dass Lucien sich erhob.
Lucien nickte. "Wenn es sich bei unserem Drahtzieher tatsächlich um einen magisch begabten Kainiten handelt, dann hast du, wie du richtig festgestellt hast, die größten Chancen zu überleben. Du bist mit der Magie vertraut, wir nicht. Das war schon immer dein, als auch der Vorteil deines Clans." Der Gangrel stieß sich kräftig aus dem Sessel und kam wieder auf die Beine, wandte sich zum Gehen. "Es gibt nichts zu verzeihen, denn du hast nichts falsch gemacht. Lediglich eine Entscheidung getroffen, die ich akzeptieren werde. Gehab dich wohl Sebastian von Augsburg. Vielleicht findest du einst das, wonach du dich sehnst. Alles Gute."
Er hielt einen Moment inne. „Du hast mich gefragt, warum du mir helfen solltest, Jean zu finden? Es gibt wohl keinen Grund für dich. Aber Jean und deinen Bruder Jakob verbindet eines: Beide waren uns wichtig und sie haben den einen Fehler gemacht mit uns in Kontakt geraten zu sein, und mit einer Welt, die alles andere als ungefährlich ist.“
Damit wollte er schon den Türgriff umschließen.
Mit einer raschen Bewegung riss Sebastian den Gangrel am Arm zurück, bevor seine Finger die Klinke umfassen konnten. Seine Stimme war leise. „Keine gute Idee…“ Er nickte in die Richtung des Pentagramms. Wieder überlegte er kurz.
Lucien hätte vielleicht überrascht sein müssen, als ihn der Tremere so einfach nach hinten riss, bevor er noch die Türklinke hätte ergreifen können aber irgendwie war er das nicht. Er betrachtete die blutigen Symbole. Ohne Zweifel: Der Hexer hatte dafür gesorgt, dass nichts und niemand so einfach hier herein gelangen konnten. Hatte er solche Türen nicht schon einmal angefasst und dann erschrocken wieder losgelassen, als diese einen brennenden Schmerz durch seinen Arm gejagt hatte? Er glaubte es zumindest.

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Der Hexer griff in die oberste Schublade der Kommode und zog etwas hervor. Er sah kurz auf die Gegenstände und drückte sie Lucien ohne langes Zögern in die Hand. Lucien erkannte ein Stück weiße Kreide, eine Bienenwachskerze und drei alte abgegriffene Spielkarten.
„Hier! Für Jean.“ Ein schwaches Lächeln war zu erkennen. „Jakob hätte gewollt, dass ich dir das gebe. Da bin ich mir sicher. Die Welt, der Tod und der Mond...“

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Ein zweideutiges Grinsen legte sich auf seine Züge. „Du weißt sicher: Das Heil findet man im Gebet, nicht wahr? Würde Aurora oder Lilliana oder die versammelte Priesterschaft von Brüssel jetzt wohl beteuern… oder vielleicht auch nicht. Wer weiß das schon? Zeichne ein Kreuz, positionier die Kerze in der Mitte, leg die Karten davor aus und bete zu Gott, Odin, Jupiter, Luzifer oder wem auch immer. Ich vermute es geht dabei nur darum den Geist frei zu bekommen. Konzentrier dich auf Jean, auf das erste Mal, als ihr euch im Traum begegnet seid. Dann warte auf die Sonne und geh zu Bett. Ich weiß nicht, ob das der wirklich richtige Weg ist und ein Traummeister wie Achmet der Träumer würde wahrscheinlich vehement widersprechen, aber bei mir hat es, wie du dich ja schon selbst in unserem gemeinsamen Traumgespinst überzeugen durftest, meist funktioniert. Und mehr brauchst du nicht, oder?“
Luciens Blick wanderte auf die Utensilien, die Sebastian ihm überreichte und er hob kurz eine Augenbraue. Beten? Das war wohl nicht ganz sein Ernst oder?
"Danke", sagte er schließlich und verstaute die Gegenstände in einem Tragebeutel. "Was Achmed der teuflische Träumer sagen würde weiß ich nicht, aber solange es funktioniert, tanz ich sogar mit einem Blumenkranz im Haar ein lockeres Maitänzchen dazu und preise den Herrn.“
Sebastian verkniff sich bei der Vorstellung ein Grinsen bevor er wieder ernst wurde „Auch dir viel Glück. Vielleicht sind wir wirklich eines Tages in der Lage, das, was vorgefallen ist, hinter uns zu lassen…?“ Er griff selbst nach der Klinke.
Luciens Blick viel auf die Türklinke, die nunmehr vom Hexer hinabgedrückt wurde. Ja, scheinbar war er der einzige der die Tür gefahrlos öffnen konnte. "Ich habe es bereits hinter mir gelassen, Sebastian. Wäre das nicht so, wärst du schon Asche." Und das klang wieder für jemanden wie Lucien, seltsam logisch und nachvollziehbar.
Wieder zögerte der Hexer kurz. „Eines noch: Wenn du kannst, pass auf Gretlin auf. Ich weiß nicht, ob sie noch Kontakt zu Leif hat, aber falls dem so ist, hab ein Auge auf sie. Das mag besser für sie sein. Leif wird mir das, was vorgefallen ist bis zum Ende aller Tage und Nächte nicht verzeihen und er vermutet, dass es eine Verbindung zwischen ihr und mir gibt. Ich möchte nicht, dass sie leidet für, das, was er mir vorwirft.“ Wieder folgte ein kurzes Seufzen.
Als die Sprache auf Gretlin kam nickte der Gangrel stumm. "Wenn das hier funktioniert, werde ich Gretlin anraten in Bezug auf Leif vorsichtig zu sein. Direkt aufpassen auf sie kann ich nicht, denn das Mädchen bräuchte eine Rundumüberwachung, ähnlich wie Liliane." Er wollte schon an Sebastian vorbeigehen, wandte sich dann aber noch einmal ihm zu. "Sie ist Tremere nicht wahr? Niemand veranstaltet so eine Hetzjagd auf ein dummes Malkavianer Gör. Das war etwas Persönliches, etwas Wichtiges." Lucien sah ihn hart an. "Sie nur zu, dass dein kleines Spiel uns nicht alle ins Verderben reißt. Dein Clan macht auch vor den eigenen Leuten nicht halt." Damit wandte er sich zur Tür.
Wieder schüttelte der Hexer den Kopf. „Es geht nicht um Clanszugehörigkeit. Es geht um das, was sie einmal gewusst, was sie vergessen hat. Die einen wollen dieses Wissen, die anderen fürchten es. Und keiner weiß, ob sie es noch in ihrem Kopf hat.“ Ein schwaches Lächeln erschien auf seinen Lippen und er deutete mit einem Finger an die Stirn. „Ich glaube, dass sie all das noch irgendwo da drin hat. Ich hoffe es.“ Er schien über irgendetwas nachzudenken. „Ich denke, du hättest sie gemocht, damals, als Bücher nur beschriebenes Papier waren, Menschen noch Freunde sein konnten, Ziele erreichbar waren…“ Dann war wieder ein Schatten zu erkennen. „Lange her… und das Schicksal holt uns alle ein… und manche werden dabei überrollt.“
"Du weißt, dass es eine sehr einfach Möglichkeit gibt das Problem zu lösen oder? Wenn das, was sie in ihrem Kopf hat auf die eine oder andere Art gefährlich werden kann, weil es jemand fürchtet und ein anderer haben kann dann...." Er sah ihn ausdruckslos an.
Wieder erschien das Lächeln auf dem Gesicht des hochgewachsenen Mannes. „Haben wir nicht alle das ein oder andere Wissen in unseren Köpfen, das für gewisse Kainiten oder auch Sterbliche tödlich sein könnte?“ Die Anspielung war eindeutig.
Lucien lächelte und nickte anerkennend. Touché. "Ganz ohne Frage, Herr von Augsburg." Er ging durch die Tür. "Die Frage ist nur, ob es dir das alles wert ist. Wir könnten es alle so einfach haben. Leb wohl, Sebastian, und viel Erfolg. Ich werde dir die Kerze, als auch die Karten im Gasthof zum See zwischen Brügge und Gent hinterlegen lassen."
Sebastian schüttelte den Kopf. „Das sind nur ein paar alte Spielkarten und eine Kerze. Mehr nicht. Nichts Mystisches, Geweihtes… Behalt sie. Viel Glück bei der Suche.“ Wieder vergingen einige Sekunden. „Pass auf dich, eure Stadt und deine Leute auf, Sabatier.“ Er nickte Lucien noch ein Mal zu und schloss dann die Tür hinter sich.

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 Betreff des Beitrags: Re: Zusammenkommen ist ein Beginn
BeitragVerfasst: Sa 26. Dez 2015, 18:00 
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Sebastian, Sebastian - immer wieder tauchte Sebastian auf wie Schimmel an einer Wand auch wenn man noch so sehr versuchte diese davon zu befreien. Leif hätte am liebsten ausgespuckt um die Bitterkeit in seinem Mund, welche durch das letzte Treffen verursacht wurde loszuwerden, auch wenn er wusste das das sicherlich nicht viel gebracht hätte. Im Grunde ärgerte sich der Salubri, dass der Tremere immer noch eine so große Macht über seine Emotionen hatte, auch jetzt wo der Blutsvertrag gebrochen war. Die Arroganz und Selbstgerechtigkeit des Hexers machte ihn krank und im groben und ganzen konnte er sogar mit Lilliana in Konkurrenz treten bezüglich seines Gehabes. Leif seufzte einmal tief. Aber all das brachte ihn im Moment nicht weiter, schon gar nicht die kindliche Reaktion des Hexers sich schmollend in sein Schlafzimmer zurück zu ziehen. Je ehr sie das Problem gelöst hätten, desto ehr könnte er diese vermaledeite Stadt endlich wieder verlassen. Plötzlich fiel Leif etwas ein. Etwas das ihn viel mehr interessierte als ein Besuch bei Jaques de Carmaque. Leif ließ Lilliana, Aurora oder wer auch immer sie gerade war einfach stehen und suchte einen der Diener um sich einen kleinen Spiegel bringen zu lassen. Dann ging er in Richtung von Sebastians Zimmer und wartete bis Lucien dieses wieder verlassen hatte. Der Salubri hatte keine Ahnung ob sein Plan jetzt klappen würde, denn er hatte das Ritual schon 20 Jahre nicht mehr benutzt welches ein Überbleibsel aus seiner Traumreise gewesen war. Schließlich zerbrach der den Spiegel und blickte in eine der Scherben während er Blut verbrannte. Wenn die Magie noch funktionierte würde sein Körper durchlässig werden und er könnte durch die Wand in Sebastians Zimmer gehen um noch einmal mit dem elenden Hexer zu reden.

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 Betreff des Beitrags: Re: Zusammenkommen ist ein Beginn
BeitragVerfasst: Sa 26. Dez 2015, 22:00 
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Der Hauptmann der Brügger Stadtwache kam auf den Salubri zu ohne ihn wirklich zu bemerken. In der Hand hielt er mehrere Gegenstände, die er eindringlich studierte.

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So weit Leif das beurteilen konnte handelte es sich um Spielkarten. Gedankenverloren ging er in dem breiten Gang an Leif vorbei, der im Schatten einer Nische stand.

Leif spürte noch im selben Moment in dem er das Ritual ausführte das seltsame elektrisierende Pochen, das sich automatisch einstellte und über seine Haut ausbreitete.
Das Wissen, das er einst erlangt und die Fähigkeit, die er vor langen in einem Traum erworben hatte waren nach wie vor die seinen: Mühelos schritt er von dem hell erleuchteten Flur durch die Wand in das dämmrige, mit Kerzen erhellte Zimmer.
Er benötigte nur einen Sekundenbruchteil um seine Augen an die Umgebung zu gewöhnen. Er erkannte eine Sitzgruppe direkt vor ihm, ein Bett an die Wand gerückt zu seiner Linken, die Zimmertür mit einem seltsamen roten Symbol bemalt an der rechten Zimmerseite.
Dann konnte er den Hexer ausmachen. Der hochgewachsene Mann stand mit dem Rücken zu ihm vor dem Kamin und ließ unschlüssig ein altes, abgegriffenes Kartenspiel durch die Finger gleiten. Er schien den Eindringling nicht bemerkt zu haben, nahm schließlich die Schultern zurück und ließ sich im Schneidersitz vor dem Ofen nieder. Er mischte die Karten ein Mal durch, breitete mehrere vor sich aus und deckte schließlich die oberste auf.

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 Betreff des Beitrags: Re: Zusammenkommen ist ein Beginn
BeitragVerfasst: So 27. Dez 2015, 11:24 
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Leif hörte auf in die Scherbe des Spiegels zu blicken, materialisierte sich wieder und stand nun im Zimmer des Hexers. Er rührte sich keinen Meter und blieb einfach nur stocksteif stehen und beobachte dessen Treiben. Ekel und Hass die er immer spürte wenn er diesen Mann sah bauten sich in ihm auf und versuchte so gut es ging seine Emotionen in Zaum zu halten. Er stand einfach nur ausdruckslosem Gesicht da und beobachtete den Tremere bei seiner Tätigkeit.

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