Liliana ritt als würde sie verfolgt, gönnte ihrem Pferd nur die nötigste Rast. Sie spürte, wie es um sie herum mehr und mehr Herbst wurde. Die Blätter verfärbten sich bunt um dann schließlich im farblosen Nebel des späten Oktober zu verschwimmen.
Sie hielt sich an die kleinen Dörfer und auch großen Städte, die mit den entsprechenden Wegen verbunden waren. Immer wieder begegneten ihr zwielichtige Gesellen, einmal wurde sie ausgeraubt, aber man nahm ihr nur den kleinen Beutel, den sie an ihrem Gürtel trug und übersah die eigentlich wertvollen Dinge, die sie besaß.
Obwohl sie seit so langer Zeit in Flandern weilte klang ihre Muttersprache schließlich doch freundlich und vertraut in ihren Ohren wie ein altes, fast vergessenes Kinderlied. Zumindest weckte es die gleichen Empfindungen.
Schließlich erblickte sie den Dachfirst des kleinen, im mittlerweile fast kahlen Wald gelegenen Klosters. Von irgendwoher erscholl der leise volltönende Klang einer Glocke, die zum Gebet rief.
Sie ritt durch das Tor und wurde vom Pförtner, einem kleinen zahnlosen Mann, in schwarzer Kutte, den sie bereits bei ihrem ersten Aufenthalt angetroffen hatte, zu den Gemächern ihres Erzeugers geführt. Das Männchen nickte ihr noch einmal zu und verschwand dann in einem der dunklen Gänge.
Wie schon bei ihrem letzten Besuch, zog sie sich aus Respekt und Demut vor dem Haus des Herrn einen Schleier über ihr Haar und hielt sich dezent zurück. Die Glocke, welche die Mönche zum Gebet gerufen hatte, ermöglichte ihr zum einen das schlicht eingerichtete Gemach ihres Erzeugers zu betreten ohne von den Brüdern allzu sehr beachtet zu werden, andererseits würde sie Georg erst wieder sehen können, wenn er selbst von seinem Gebet zu Gott wieder in seinem Zimmer ankam. Auch Bruder Levikus, nun wieder der Ghul ihres Erzeugers, war bestimmt beim Gebet. Lilliana setzte sich in den schlichten geschnitzten Holzsessel und betrachtete fasziniert, dass ihr bisher unbekannte neu angebrachte Mosaik an seiner Wand. Beim letzten Besuch war es noch verhüllt gewesen und sie hatte Mühe sich vom Anblick des Herrn zu lösen . Entschlossen stand sie auf und kam dem Mosaik immer näher, fuhr sachte mit der Hand über die einzelnen Steine, betrachtete die Farbgebung und den Verputz. Ja, hier hatte der Künstler sein Herzblut gegeben. Maria mit dem Kinde Jesu.
Es dauerte nicht lang bis sich die Tür hinter ihr erneut öffnete. Ihr war bewusst, dass Bruder Georg die Messe vorzeitig beendet hatte um in diesem Moment vor ihr zu stehen. Sein Gesicht war von Sorge geprägt und ein bitterer Zug lag um seinen Mund. Er schlug das Kreuzzeichen
„Möge der Herr allzeit mit euch sein, mein Kind.“ Er trat einen Schritt näher und hieß sie an dem großen Eichentisch Platz zu nehmen. Er selbst ließ sich im breiten Stuhl auf der anderen Seite nieder.
„So hat euch meine Nachricht erreicht? Das ist gut. Auch wenn sie zu spät gekommen ist.“
Sie ging in eine leichte Referenz, als ihr Erzeuger den Raum betrat, kam dann aber sofort wieder hoch und bekreuzigte sich ebenfalls, ehe sie an seinem Eichentisch Platz nahm und eine überraschte Miene zeigte, die schnell in Besorgnis wechselte. "Nein mein Vater, eure Nachricht erreichte mich nicht. Mehr aber eine Warnung mich hierher zu begeben, zu euch. Etwas ist mit meiner Nachfahrin geschehen. Ist euch etwas geschehen? Den Brüdern?"
Bruder Georg schüttelte leicht das Haupt. „Es ist ungefähr zwei Wochen her, da erschien ein Mann an unserer Pforte, der Einlass erbat. Er war von großem Wuchs mit ungewaschenem langem braunen Haar, von Dreck starrend. Er erhielt die Erlaubnis wie jeder Reisende mit uns Speis und Trank zu teilen und in unsere Gebete einzustimmen, sofern er sein gigantisches Breitschwert zuvor am Tor lassen wolle, doch sein Belang war anderer Natur. Er erkundigte sich nach dem Kind Marie und es dauerte nicht lang bis er die nötigen Informationen beisammen hatte. Schließlich stand er in ebendiesem Zimmer und bat mich im Namen des Herrn das Kind mitnehmen zu dürfen. Ich lehnte strikt ab. Ihr gabt das Mädchen in unsere Obhut um es zu schützen und es einem Fremden anzuvertrauen war wider jeglicher Vernunft. Noch in derselben Nacht stand er im Hof des Kreuzganges und schrie aus Leibeskräften immer und immer wieder den Namen „Marie“. Sie stand am Fenster, öffnete es schließlich und betrachtete den seltsamen Hünen. Er meinte, er würde auf sie warten. Meine Brüder, die weniger sanfter Natur sind und bereit waren später für ihre Sünden die Beichte abzulegen, warfen ihn mitsamt seiner Waffen genauso ungewaschen wie zuvor in hohem Bogen aus unserem Kloster. Ich suchte Marie auf, sprach beruhigend zu ihr. Am nächsten Morgen jedoch war das Kind verschwunden und es fehlte jede Spur.“ Er sah sie eindrücklich und mit betroffenem Gesicht an. „Ich befürchte, sie wurde entführt.“
Je weiter er sprach, um so mehr wich die Besorgnis in ihrem Gesicht einer echten Panik. "Marie" hauchte sie nur leise. "Aber wieso nur ist sie von diesem Wege abgekommen?" Lilliana stand aus dem Sessel auf. "Sie sollte schon bald nach Brügge wieder zurückreisen und bis auf Alida van de Burse und meinem Haushalt in Brügge wusste niemand von den Plänen, was mit Marie weitergeschehen wird." der Inhalt der Worte waren ihrem Erzeuger bereits wohl bekannt, aber er merkte wie sie begann die gesammelten Informationen aus ihrem Gedächtnis zusammenzufassen, dabei schritt sie im Raum auf und ab. "Nannte er seinen Namen mein Vater? Trug er ein Wappenzeichen? Hat er Gewalt gegenüber den Brüdern angewendet?" sie schritt wieder zu ihrem Erzeuger zurück und blieb vor ihm stehen, sich beruhigend, indem sie ihn ansah. Ihr Vorbild, wie er vor ihr saß. "So werde ich diese von Gott gestellte Aufgabe annehmen. Sie ist noch nicht verloren."
Bruder Georg sah traurig zu wie sie dahin schritt. „Er nannte sich Lux, erklärte, er käme vom Lech, doch sein Dialekt war nicht Bayrisch. Auf seinem Mantel war ein Wappen aufgestickt, das an einen Baum in einem Topf erinnerte wie ich es einst in einem anderen Kloster gesehen habe, wo Lorbeer in Kübeln gepflanzt wurde. Ihr dürft nicht an Marie zweifeln, Liliana. Ihr Herz ist rein und klar. Oder mögt ihr daran zweifeln? Nie würde sie vom Weg abkommen oder euren Worten nicht gehorchen.“ Er zögerte kurz. „Ich habe einige Mönche auf die Suche nach ihr geschickt, aber kein Zeichen konnte gefunden werden. Liliana: Ein wichtiges Detail gilt es des Weiteren zu klären: Bei dem Mann handelte es sich um einen Kainiten
Lilliana setzte sich ihm wieder gegenüber. Sie war wieder gefasst. "Ich zweifle nicht an ihrem Herzen mein Vater, aber nach langer, langer Zeit habe ich ein kleines Kind, keinen Erwachsenen bei mir aufgenommen und zum ersten Male sehe ich so manches Mal ihre Entwicklung mit eigenen Augen und auch wenn ich nicht ihre Mutter bin, so sind alle meine Kinder Teile meines Herzens." Lilliana schwieg und lehnte sich mit geschlossenen Augen zurück, öffnete aber nach einer kleinen Pause wieder den Mund. "Lux vom Lech ist kein Name, der mir bislang begegnet ist. Ein Kainit sagtet ihr Vater?" sie öffnete die Augen " so stellt sich mehr denn je die Frage, woher er von Marie gewusst haben kann." eine Pause erfolgte erneut. "kein Zeichen? Keine Spur? Nun, ich besitze noch nicht das nötige Wissen jedem Wappen seine Familie zuzuordnen, aber vielleicht unser ehemaliger Sheriff von Brügge Carminus, er weilt wieder hier in den deutschen Landen."
Bruder Georg nickte. „Von diesem Mann habe ich gehört. Dennoch ist mir nicht bekannt wo in diesem Reich er sich aufhalten mag. Vielleicht befindet sich in unserer kleinen Bibliothek ein Buch über Heraldik, das dir weiter helfen mag.“
Sie nickte ihm zu. "Carminus hatte uns gesagt, wo wir ihn finden können, aber da du dieses Buch vorgeschlagen hast, besteht die Möglichkeit dort ebenfalls Antworten zu finden. Hat dieser Lux vom Lech ebenfalls erkannt, dass ihr beide Kainiten seid und seinen Clan genannt? Und nach was für einem Dialekt hat er stattdessen geklungen Vater, wenn es nicht der tiefe südliche Dialekt war?" sie senkte den Kopf und verstummte für einen Augenblick. "Ich frage euch soviel mein Vater, dabei fragte ich gar nicht nach eurem Befinden und dem des Klosters. Die Brüder dürften aufgeregt gewesen sein, hier in dieser abgelegenen ruhigen Gegend einen solchen Aufruhr zu erleben."
Georg winkte ab. „Derzeit ist das Wohlergehen des Klosters nicht von Belang für euch, mein Kind. Der Herr wacht über uns und hält schützend die Hand über seine Schafe.“ Wieder schlug er das Kreuz. „Er nannte keinen Clan und gab sich auch nicht zu erkennen. Nur meiner Gabe zu Sehen verdanke ich mein Wissen. Sein Dialekt? Ich hätte ihn von hier, aus dieser Gegend eingeschätzt… Ich werde gleich einen der Brüder schicken damit er euch in die Bibliothek bringt. Ich folge sobald es meine Aufgaben ermöglichen.“ Er griff nach einer kleinen Glocke
Sie nickte kurz und bündig. "wie ihr wünscht." sie zog sich die Kapuze etwas strenger wieder ins Gesicht und ging dann mit dem eintretenden Bruder, der von ihrem Erzeuger kurz instruiert wurde in die Bibliothek des Klosters. Dort wartete sie gewissenhaft bis sie etwas abseits sich an einen etwas älteren Holztisch mit einigen gesplitterten Ecken setzte und das besagte Buch vorsichtig vor sich hinlegte. Eine kleine Kerze spendete das notwendige Licht für die Nacht, stand aber geschützt und gesichert in einiger Entfernung zu allen empfindlichen Dokumenten. Lilliana nickte einmal zu sich selbst und machte sich dann an die Arbeit. Heraldik, ein Teil eines Wissens, den sie wohl in absehbarer Zeit häufiger lernen würde müssen.
Man brachte sie in die Bibliothek und ließ sie mit einer Kerze allein. Sie fand das Buch aufgrund der guten Ordnung auf Anhieb und begann vorsichtig die alten Seiten umzublättern. Die Schrift war vergilbt und aufgrund der vielen Schnörkel kaum lesbar. Liliana benötigte bis zum Ende der Nacht. Schließlich hatte sie die Information, die sie benötigte: Augsburg am Lech
Sie fühlte sich erschöpft, aber glücklich. Sie vergilbten Schriften zu entziffern war mühselig gewesen, aber der Ort entschädigte alles. Sie ließ ihre Gedanken schweifen um einen Bindung zu dieser Stadt zu finden. Doch ihre einzige war auch ihre unerfreulichste: Sebastian von Augsburg. Sie seufzte. Nein, der Tremere hatte hier nicht seine Finger im Spiel und sie entschuldigte sich in Gedanken bei ihm für ihre negative Einstellung betreffend seiner Person. Sie klappte das Buch wieder zusammen und legte es wieder zurück an seinen Platz, ehe sie vorsichtig das Licht löschte und ihrem Erzeuger einen kurzen Bericht über ihren Erfolg gab, inklusive ihres Vorhabens Augsburg am Lech aufzusuchen.
Bruder Georg verstand ihr Vorhaben und gab ihr seinen Segen mit auf den Weg. Wann immer sie seinen Schutz bedürfe: sie wisse, wo er zu finden sei
Lilliana bekreuzigte sich ein weiteres Mal, nachdem er ihr seinen Segen gab und machte sich dann zunächst zu den Stellen, wo sie Tarbas striegelte und alles, soweit es möglich war, für den kommenden Ritt in der nächsten Nacht in Richtung Augsburg vorbereitete.
Liliana erreichte die Stadt am Lech einige Wochen später.
Breite morastige Handelsstraßen verbanden sie mit den weiteren Städten des Heiligen Römischen Reiches und der angrenzenden Länder. Seit ungezählten Zeiten schon war Augsburg eine der wichtigsten und mächtigsten Städte und, so hatte sie auf ihrer Reise erfahren, derzeit die drittgrößte deutschsprachige Metropole.
Sie ritt über eine Brücke, die das schnell dahin fließende Wasser des kleinen Stroms überspannte und gelangte mühelos durch die Tore ins Innere der Stadt.
Zweitstöckige Fachwerkhäuser säumten breite gepflasterte Straßen. Ein Nachtwächter drehte mit seinem Hund die Runde und entzündete hoch angebrachte Lampen. In der Ferne roch sie frisches Brot, zu ihrer Linken spielte in einem Gasthaus laute ausgelassene Musik
Lilliana wusste, dass sie ihre Anwesenheit den hiesigen Kainiten der Stadt anzeigen musste. Gerade weil sie hier nur Gast war und einen der ihren auch suchte. Sie schritt mit Tarbas weiter, vorbei an dem Gasthaus auf der Suche nach etwas ähnlichem wie dem Belfried in Brügge, gleichzeitig erkundigte sie die Gegend. Wo lebten die Adligen, wo lebten die Händler? Gab es Parallelen zu Brügge? Erkannte sie das von Georg beschriebene Wappen vielleicht bei der Stadtwache wieder?
Liliana ritt langsam durch die Straßen. Die Stadt wirkte in sich geschlossen: eine Einheit und desto näher sie dem Zentrum kam desto mehr erinnerte sie dieses an ein schlagendes pulsierendes Herz. Trotz der späten Stunde waren Menschen auf den Straßen, gingen langsam nach Hause. Manch einer sang ein leises Lied vor sich hin. Die Gassen waren beleuchtet und soweit sie das beurteilen konnte, sauberer als die meisten Straßen in größeren Städten. Desto näher das Zentrum rückte umso prächtiger und reich verzierter wurden die Häuser und in der Mitte der Stadt waren neben dem großen Dom ein Rathaus und ein Richthaus zu erkennen. Beide sahen verschlossen aus.
Die Menschen waren ihr gegenüber freundlich, sehr hilfsbereit und nannten ihr die Namen von Gaststuben, Adelshäusern, was immer ihr beliebte
Lilliana nickte den Leuten immer lächelnd zu und bedankte sich höflich für die erteilten Auskünfte. Wenn es eine parallele zu Brügge gab, dann sollte sie zum Rathaus reiten. Gleichzeitig beschrieb sie den Leuten, wo sie den Eindruck hatte, dass diese sich gut mit ihr verstanden, das Wappen des Fremden Mannes.
Das ältere Ehepaar, dem sie das Wappen erklärte, lachte erfreut auf. „Aber Kind. Des isch doch des von unschrem schöne Augschburg.“ Das Rathaus war unbeleuchtet. Davor lag ein Bettler, der sich gegen die Kälte in mehrere dicke Decken gehüllt hatte. Erst in diesem Moment bemerkte Liliana wirklich wie kalt es war. Wahrscheinlich wenige Grad über null und der dicke wabernde Nebel, der das ganze Land in seinem kalten Griff hielt und dessen Feuchtigkeit alles durchdrang machte es nicht besser.
wiederum bedankte sich Lilliana bei dem Ehepaar. Alles wies hier auf Augsburg hin. Es war kein Wappen eines Adligen, vielleicht doch der Stadtwache. Sie stieg vor dem Rathaus von ihrem Pferd und nahm es bei den Zügeln und atmete bewusst ein und aus. Während ihr Blick über den Bettler streifte und sich vergewisserte, dass er gegen die Kälte ausreichend geschützt war, sah sie vor ihren Augen wie der Nebel wegen ihres vorgetäuschten Atmens sich verwirbelte. Interessant...sie ließ den Blick über den Platz gleiten und konzentrierte sich auf die verwirbelten Wölkchen vor den Mündern der Leute. Oder war gar einer dabei bei dem der dicke Nebel sich nicht verwirbelte?
Ohne ihre übersinnlichen Kräfte gelang es ihr nicht ihr Vorhaben durch zu führen, doch sobald sie ihr Bewusstsein erweitere und jeden einzelnen Bewohner sorgsam musterte erkannte sie eine Gestalt in einer der dunklen Seitengassen, die mit ebenso sorgsamem Blick ihre Umgebung zu mustern schien wie sie. Kein Lufthauch entstieg seinem Mund und der Blick der braunen Augen war seltsam bohrend.
Lilliana legte ein zurückhaltendes leichtes Lächeln auf, als ihr Blick auf seiner Gestalt ruhen blieb. Dabei atmete sie wieder aus und ein und behielt dieses kleine Täuschungsmanöver bei, während sie sich zusammen mit Tarbas am Zügel auf den Weg in seine Richtung machte. Dabei behielt sie ihre Umgebung weiter im Auge. In einem gewissen Abstand blieb sie vor ihm stehen, so dass sie nicht ganz in der dunklen Seitengasse hineinragte. "Ich grüße euch mein Herr und wünsche euch einen ruhigen Abend. Ich habe an Anliegen an euch und würde mich deswegen gerne mit euch unterhalten." Ihre Augen blieben nun vollends an seiner Gestalt haften und sie aktivierte ihre Kräfte.
Es handelte sich um einen Mann mit rotem Haar und Bart, ungewaschen, nach Met und billigem Wein sowie dem billigen Parfum einer Hure stinkend.
An seinen Lippen klebte das zarte Rot seiner letzten Mahlzeit und er fuhr sich mit dem Ärmel seines zerschlissenen Gewands über den Mund.
Er trat weiter in die Dunkelheit der dunklen schmalen Gasse. Eindeutig ein Kainit, verriet die blasse Aura. Auf der Jagd die Farben
"Oh, es war nicht meine Absicht euch zu stören." Lilliana blickte noch einmal auf ihre Umgebung nach möglichen Fremden, die sie beobachteten Ausschau haltend, ehe sie ihm wenige Meter in die dunkle Gasse folgte." Lilliana atmete weiter normal und der Nebel verwirbelte erneut vor ihrem Mund. Sie wartete ob er irgendwann stehen blieb, sprach aber leiser weiter, so dass er es hören würde können. "Ich möchte nur meine Anwesenheit in dieser Stadt den hiesigen Leuten anmelden."
Der Mann lachte leise, blickte sie schräg an. Sein Finger deutete zum Marktplatz. Er sprach mit dem breiten schwäbischen Dialekt der Umgebung. „Da drübe isch es Rathaus. Macht morsche in ne Früh widder uff.“ Obwohl die Stimme mürrisch klang blitzte es kurz in seinen Augen auf. Er ging weiter in die Dunkelheit, war kaum noch zu erkennen. Sie war nicht bereit ihm zu folgen.
Lilliana seufzte leicht auf. Es war ihr bewusst welches Zeichen ausging und bei der Jagd selbst wollte sie auch nicht gerne gestört werden. "Ich warte beim Rathaus auf euch, es soll nicht euer Schaden sein." Damit kehrte sie der Gasse dem Rücken und stieg wieder auf ihr Pferd. Ihm weiter folgen würde sie nicht.
Liliana wartete lange vor den Stufen der Treppe, die zum Rathaus führte, aber der Mann erschien nicht auf dem Platz. Nach und nach lehrte sich der Ort. Stille und Nebel breiteten sich wie eine Mauer um sie herum aus
Wenige Meter und wieder war sie an ihrem Ausgangspunkt. Dem Rathaus. Der Bettler lag noch immer in seiner Ecke und war schon am Schlafen, während Lilliana die Umgebung im Auge behielt. Doch irgendwann wurde es auch ihr zu viel und sie trat den üblichen Weg an sich ein Tagesquartier finden zu müssen. Üblicherweise die Gasthäuser hier in Augsburg in denen sie Tarbas unterbringen konnte. Langsam und bedacht schritt sie mit ihrem Pferd durch den Nebel, durchbrach die Wand der Stille mit dem klackernden Hufen des Pferdes und ihre Augen schweiften durch die dunklen Gassen, während sie wie gewohnt ein und aus atmete.
Es war stiller und stiller geworden. Plötzlich vernahm sie ein Huschen über sich und dann das Geräusch aufgewirbelter Steine.
Eine Gestalt sprang von oben vor ihr herab und landete mit katzenhafter Anmut auf den Pflastersteinen. In der Hand prangte ein breites Schwert. Der Blick mit dem der schlanke Mann sie musterte war voller Misstrauen.
„Was wollt ihr hier? Ihr habt hier nichts verloren. Habt ihr mal was von der zweiten Tradition gehört? Eins sage ich euch: ich bin nicht hier um euch Respekt und unsere Regeln zu lehren!“ Die Stimme war schneidend wie eine blanke Klinge und genauso kalt wie diese Nacht
Lilliana blieb ruhig und brachte Tarbas augenblicklich zum Stehen, als die Gestalt vor ihr auftauchte. Ihr Pferd wandte sich und wurde unruhig, konnte aber durch ihre Erfahrung bald gebändigt werden. "Ich wünsche euch auch einen ruhigen Abend. Seid versichert, dass ich weiß, was die Etikette verlangt." sie atmete wieder ein und aus, ehe sie fortfuhr, dabei sah sie ihm nicht direkt in die Augen und setzte ihr ehrliches charismatisches Lächeln auf mit dem sie in diese Stadt geritten war "Aus diesem Respekt heraus wartete ich eine lange Zeit am Rathaus und fragte höflich einen Mann, der allerdings auf der Jagd war und keine Zeit für mich erübrigen konnte. Umso mehr erfreut es mich, dass er wohl doch sich um die Gastfreundlichkeit bemüht und meine Anwesenheit euch gemeldet hat. Ich habe es nicht vermocht euch noch vor Ende der Nacht zu finden. Sehr freundlich von euch, dass ihr mir diese Aufgabe abgenommen habt und mich fandet. Mein Name ist Lilliana von Brügge.
Die Lippen des Mannes kräuselten sich verächtlich und sie konnte seine blanken spitzen Zähne sehen. „Wenn euch, das, was von eurem Leben übrig ist lieb ist, dann folgt ihr mir jetzt ohne große Aufmerksamkeit zu erregen.“
Weder das Kräuseln seiner Lippen, noch die ausgesprochene Drohung bewirkten eine Veränderung bei ihr. Sein Verhalten kam ihr zu vertraut von einer anderen bekannten Person vor. Sie lächelte ihn weiter höflich an und setzte Tarbas wieder in Bewegung. "Ich danke euch!" Damit beendete sie die Unterhaltung und folgte dem fremden Mann.
Er ging vor ihr her, langsam, abwartend, fast lauernd. Die Gebäude wurden ärmlicher und schließlich kam er vor der Stadtmauer zum Stehen. Er gab einem Wachmann einen kurzen Wink mit dem Kopf, der sofort parat stand um Lilianas Pferd in den Stall zu führen. Der schlanke Mann stapfte eine Treppe mit hohen Stufen zu einem Turm hinauf, wartete, dass sie ihm folgen konnte und pfiff dann ein Mal auf den Fingern. Ein Signal, das die Toreador nicht verstand, das aber sofort dazu führte, dass mehrere bewaffnete Männer in Rüstungen auf der Straße Stellung bezogen. Er schloss eine dicke Eichentür auf und ließ sie eintreten. Danach versperrte er erneut. Liliana befand sich mit dem Mann in einem Raum ohne Fenster. Am anderen Ende des Raumes befand sich eine weitere Tür. Sie wusste, was dahinter lag: der Gang zum Gefängnis der Stadt.
Der Mann legte sein Schwert vor sich auf einen breiten Schreibtisch und befahl ihr sich zu setzen. Er faltete die Hände wenige Zentimeter vom Knauf der Waffe und blickte sie scharf an.
„Hier in unserer Stadt, in Augsburg, kündigt man sein Kommen an BEVOR! Man die Stadt betritt. Mitten in der Nacht in den Straßen aufgegriffen werden ist kein Beweis des Respekts und der Zuverlässigkeit. Wenn man nicht weiß an wen man sich wenden soll stellt man Erkundigungen ein, BEVOR! man weitere Schritte unternimmt. Jeder Kainit weiß das. Also: Was habt ihr zu eurer Verteidigung vorzubringen?“
Es war das erste Mal, dass sie ein mulmiges Gefühl beschlich, als sie dem Wachmann Tarbas Zügel in die Hand drückte und mit einem leisen "Benimm dich" kurz über die Flanke strich und ihn danach entließ. Das darauffolgende Schauspiel verfolgte sie mit den Augen, aber es schien bei ihr keine Überraschung auszulösen, vielmehr blieb die zurückhaltende Höflichkeit bestehen und sie setzte sich in den ihr angebotenen Sessel. "Es gibt keine Verteidigung fremder Mann für etwas, was bereits geschehen ist. Es gibt nur eine Entscheidung, die getroffen wurde. Würde ich hierher kommen, weil ich es selbst möchte, so würde ich mein Kommen hier ankündigen, so wie ihr euer Kommen in Brügge ankündigen würdet. Ihr würdet vorher von meinem Kommen erfahren und mich mit Höflichkeit begrüßen, so wie ich es auch bei euch tun würde. Ich würde ein kurzzeitiges Aufenthaltsrecht bekommen und ich bin sicher einige Kainiten der Stadt könnten die Gelegenheit wahrnehmen mich sprechen zu wollen. Doch nun sitze ich hier, vor euch und habe mein Kommen nicht euch vorab gemeldet und ihr fragt euch noch wieso ich mich dennoch bemühe die Kainiten der Stadt zu finden und sie danach frage wem ich dem Respekt schulde mich ihm vorzustellen ganz wie es die fünfte Tradition verlangt?" sie machte eine Pause nach dieser Frage und sah ihn an. "Deshalb bitte ich euch nun mit aller gebotenen Höflichkeit mir den Namen des Prinzen zu sagen. Es soll euer Schaden nicht sein, denn ich wäre euch zu großem Dank verpflichtet und kann ganz wie es die fünfte Tradition verlangt mich dem Herrscher dieser Domäne vorstellen und mein Anliegen an ihn vortragen. Ich weile hier nicht, weil es mein Wunsch ist, denn ich besuche auch lieber mir fremde Domänen mit einer Vorankündigung, aber ein Kainit mit dem Wappen eurer Stadt hat gegen die fünfte Tradition in der Domäne meines Erzeugers verstoßen und sie mit Füßen getreten und dazu noch jemanden entführt. So versteht bitte mein Anliegen.
Der Mann hatte offensichtlich entschlossen, dass keine Gefahr von ihr ausging. „Ihr habt gegen die zweite Tradition verstoßen. Ist euch bewusst wie ich euch zu strafen habe? Niemand dringt unangemeldet in diese Domäne ein. Ob ihr irgendeinem Kainiten in dieser Nacht davon berichtet habt, dass ihr hier seid, mag stimmen oder auch nicht. Niemand war bei mir um für euch zu sprechen. Sei es oder nicht. Ihr habt gegen das Gebot verstoßen!“
Er erhob sich. „Mein Name ist Matthias von Augsburg, ich habe den Posten der Geißel in dieser Stadt inne. Seit ich mich um die Sicherheit der Stadt bemühe herrscht hier Ordnung und kein Kainit wurde mehr von einem anderen Fremden gerichtet. Ich, Liane von Brüggel, trage die Verantwortung dafür, dass es so bleibt.“ Er baute sich zu voller Statur auf und wirkte trotz seiner schmalen Gestalt eindrucksvoll. „Ich beabsichtige nicht euch zu richten, wie ich es sonst täte. Ich werde mich mit dem Obersten besprechen. Er soll entscheiden, wie es mit euch weiter geht. Harrt hier in diesem Raum aus und verlasst ihn nicht. Solltet ihr es dennoch tun, das schwöre ich euch, wird eine Blutjagd ausgerufen, die zu eurer Vernichtung führt so wahr ich hier stehe.
Lilliana blieb auch weiterhin ruhig sitzend. Überzeugt von sich und dem was sie ihm eben versucht hatte zu erklären, entlockten seine Äußerungen ein nicht sichtbares inneres Seufzen von ihr. "Mathias von Augsburg, Ich danke euch für euer Entgegenkommen. Selbstverständlich werde ich euren Anweisungen wie auch schon zuvor Folge leisten. Es ist keine weitere Drohung nötig." Damit blieb sie sitzen, die Finger ineinander verschränkt, harrend der weiteren Zukunft in Augsburg.
Matthias nickte. „Ja, ich hab euch für eine kluge Frau gehalten. Ich wünsche für euch, Sebastian kommt zu dem gleichen Schluss.“ Mit diesen Worten begab er sich Richtung Tür.