Vampire: Die Maskerade


Eine Welt der Dunkelheit
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 Betreff des Beitrags: Schatten des Südens
BeitragVerfasst: So 28. Feb 2016, 16:53 
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Italien ohne Sizilien macht gar kein Bild in der Seele: hier ist erst der Schlüssel zu allem." - Johann Wolfgang von Goethe, Italienische Reise

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Es begab sich vor gar nicht allzu langer Zeit, da hatte der Hauptmann der Nachtwache von Brügge, erneut eine schicksalsträchtige Reise nach Italien antreten müssen. Wie weit ihn diese Odyssee noch führen würde und welche Bekanntschaften er auf seiner anstrengenden Reise noch machen sollte, war ihm zu diesem Zeitpunkt aber noch gänzlich unbekannt. Denn wie immer begann auch die längste Reise, mit dem ersten zögerlichen Schritt, der in diesem Falle in Form eines vermeintlichen Angriffs auf den jungen Hendrik getan wurde. Man hatte Lucien herbeigerufen, da das Mündel seines Vertrauten Jean und seiner Frau Marlene, schreiend in den nächtlichen Straßen der Stadt aufgefunden worden war. Seine Arme wiesen tiefe Löcher auf, Wunden die man ihm vielleicht nur mit roher Kraft und eisernen Fleischerspießen hätte zubringen können – merkwürdigerweise bluteten diese nicht und sahen nur eigenartig verformt aus.

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Schnell war klar, dass ein fremder Former für diese Tat verantwortlich sein musste; Hendrik selbst, schien zu verstört um von dem Angriff berichten zu können und so gab Lucien das Versprechen, den oder die Verantwortliche zu suchen. Erfolglos durchstreifte er zunächst die finsteren Gassen der Stadt, befragte Zeugen und Passanten, die ihm aber auch nicht recht weiterhelfen konnten. Schlussendlich stand fest, dass der Täter vorerst unerkannt bleiben würde und man sich vordergründig um die ‚Heilung‘ des Jungen kümmern musste. Alida war gerade nicht in der Stadt und so schien die einzige Möglichkeit auf Hilfe, in einem Besuch bei deren russischen Freund Sergej Belinkov zu liegen, der sich augenblicklich in Genua aufhielt. Jean versprach den Hauptmann zu begleiten und auch Marlene ließ sich nicht davon abbringen, sich dem Tross anzuschließen – immerhin ging es um das Wohl ihres Mündels. Wenig begeistert von der Aussicht, seine gesamte Ersatzfamilie samt Kindern mit nach Italien zu begleiten, willigte Lucien nach einigen Diskussionen doch noch ein und überließ Jean die Vorbereitungen zur Reise. Er selbst würde seiner Domäne, dem Wald in der Nähe der alten Drachenfeste; dem Teufelsturm noch einen Besuch abstatten müssen. Wohl war der vergiftete Geist des Hexor bereits wieder ins Reich der Verbannung entsandt worden, dennoch schien sein Krankheiten verbreitender Einfluss, nach wie vor über seinem Wald zu liegen. Nur mühsam schien die vormals so üppige Natur sich von den grotesken Taten der geisterhaften Erscheinung zu erholen und der Gangrel war mittlerweile mit seinem Latein am Ende.

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Gerade als er sich anschickte die Domäne wieder unverrichteter Dinge zu verlassen, schälte sich eine merkwürdige, weibliche Gestalt aus den Schatten, deren bleiche Haut mit seltsamen Farbbemalungen übersäht war. Es hatte den Anschein, als wären es Kriegsbemalungen. Ihre wilden Haare, waren zu engen Zöpfen geflochten und die schweren Roben, ließen die Vermutung aufkommen, es handle sich um eine Hexe oder Schamanin. Die schien sich nur kurze Augenblicke später zu bestätigen, als die Frau sich als schottische Vertreterin einer Seitenlinie seines Clans zu erkennen kam und den Hauptmann um seine Hilfe bat. In ihrem Heimatland, den Schottischen Highlands würde die Katholische Kirche den alten Glauben und damit ihre uralte Macht zerstören – Menschen jeden Alters würden der Hexerei angeklagt und verbrannt, darunter auch viele ihrer Schwestern. Sie schlug ihm einen Handel vor: Der Gangrel solle nach Sizilien reisen um dort die Samen einer bestimmten Pflanze, aus den kaiserlichen Gärten zu entwenden mit deren Hilfe sich die Schottin erwartete, die Eindringlinge aus ihrer Domäne wieder zu vertreiben.

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Offensichtlich musst es sich hierbei um recht merkwürdige, schamanistische Zauberkunst handeln, denn sie sonst hätte man die Kirche mit einer paar Büscheln Kraut aufhalten können? Die Frau schien jedoch ziemlich zuversichtlich diesbezüglich und gab ihm überdies zu verstehen, dass sich in diesen Gärten zudem die Antwort auf seine eigenen Fragen versteckt hielt. Eine weitere Pflanze, deren Samen über seinem Wald verteilt, die letzten Reste der Krankheit des Hexor entfernen und somit dem Land zu neuer Blüte verhelfen würden. Von beiden Gewächsen, erhielt der Gangrel eine knappe Beschreibung auch wenn er noch zögerte sich auf diesen merkwürdigen Handel einzulassen. Als Beweis, entnahm die Frau ihrem ledernen Beutel einen halb verfaulten Kaninchenkopf, den sie mit einem Pfirsichkern füllte und ihm auftrug, diesen zu vergraben. Nun, war es immer noch tiefster Winter – das unter diesen Witterungsbedingungen ein Baum erwachsen würde, völlig undenkbar.

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Lucien bat sich Bedenkzeit und versprach sich am morgigen Abend wieder mit der Frau zu treffen um ihr seine Entscheidung mitzuteilen. Auf dem Rückweg zu Jean und Marlene, vergrub er den Pfirsichkern aus einer simplen Laune heraus in der gefrorenen Erde des Gartens von Liliane von Erzhausen, welche ja bereits einen derartigen Baum ihr Eigen nannte. Er erhoffte sich nicht viel davon, musste aber nach einigen Augenblicken feststellen, dass der ‚verzauberte‘ Kern tatsächlich anfing zu wachsen und zu gedeihen. Bereits nach einigen Minuten war ein kleiner Baum gewachsen, der sich trotz Wind, Schnee und Wetter weiter in den Nachthimmel kämpfte. Dies schien im Beweis genug, der merkwürdigen Hexe aus Schottland trauen zu können. Wenn das üppige Leben dieses Zaubers solch ein Wunder vollbringen könnte, dann würde dieses wuchernde Leben auch das letzte Gift aus dem Boden seines Waldes pressen.

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Zurück bei Jean angekommen, teilte er ihm die seltsame Begegnung mit und bat ihm um seine Hilfe. Der frischgebackene Hauptmann der Tagwache willigte ohne zu Zögern ein und schon in der darauffolgenden Nacht, machte man sich auf den Weg nach Genua. Die Reise verlief ohne besondere Vorkommnisse, unter Tags schlief der Gangrel in einen eigens dafür präparierten Karren, nachts übernahm er die Führung der Reisegruppe. So kam man recht zügig voran und erreicht Genua in annehmbarer Zeit. Sogleich suchte Lucien den russischen Tzimisce auf und berichtete ihm von den Geschehnissen in der Stadt; klärte ihn über die seltsamen Verwundungen des Knaben Hendrik auf.

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Belinkov versprach, sich auch im Sinne seiner Clansschwester Alida um die Wunden des Jungen zu kümmern und entließ den Gangrel vorerst. Dieser wiederum vertrödelte aber keine Zeit und organisierte für sich und Jean einen Überfahrt nach Sizilien. Bedauerlicherweise war das nächste Schiff dem Kreuzzug geweiht und hatte eine ganze Kompanie aus gottesfürchtigen Rittern an Bord. Es half alles nichts, man würde sich mit den Kreuzrittern arrangieren müssen – die Zeit drängte und der Hauptmann wollte auf keine, möglicherweise günstigere Gelegenheit warten. Belinkov indessen, hatte sich um die Verletzungen des Jungen gekümmert und in einer ruhigen Minute, zog er den Gangrel zur Seite, um ihm die wichtigen Erkenntnisse seiner Untersuchungen des jungen Hendrik mitzuteilen. Offenbar war der Junge so voller Angst gewesen, das er seine Finger selbst in sein Fleisch gebohrt hatte, das sich wie Wachs unter seinen Berührungen geteilt hatte – Hendrik war dazu in der Lage Fleisch zu formen, wie Belinkov selbst oder Alida. Ganz offensichtlich ein ‚Geschenk‘ seines Wiedergängerblutes. Er gemahnte Lucien zur Vorsicht und betonte wie wichtig es wäre, dem Jungen den Umgang mit dieser Fähigkeit zu vermitteln, vor allem da dieser ja wie ihm zu Ohren gekommen war, des Öfteren seine Wut nicht zu kontrollieren vermochte.

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Lucien bedankte sich für diese wichtigen Informationen und machte sich einen geistigen Vermerk, auf jeden Fall noch einmal mit Alida diesbezüglich ein klärendes Gespräch zu führen. Hendrik war kein gewöhnlicher Junge und die Umstände seiner Geburt noch bei weitem mysteriöser; ihn einfach zu Jean und Marlene in Pflege zu geben ohne sich über die Tragweite dieser Entscheidung völlig bewusst zu sein, war für ihn grob fahrlässig. Alida würde handeln müssen – Hendrik war das Kind ihres Ghuls und es lag daher in ihrer Verantwortung. Doch das würde warten müssen, bis er wieder aus Sizilien zurück wäre.

Hendrik hatte sich einigermaßen beruhigt und war wieder an Marlene übergeben worden, die sich mit ihm zurück nach Brügge aufmachen würde, während Lucien und Jean ihre gemeinsame Reise Richtung Sizilien antraten. Sizilien war von jeher das Stammland der Lasombra gewesen und der Gangrel hatte ein verdammt mieses Gefühl bei dem Gedanken, dem mächtigen Sitz der dunklen Schatten so nahe zu kommen. Es rankten sich ja allerlei böse Gerüchte um diesen trügerischen Ort. Nichtsdestotrotz, ließ er sich von Belinkov einen Kontaktmann nennen: Pater Lorenzo, ein Lasombra der sich um die Geschäfte der Insel als auch der Stadt Palermo als solches kümmerte. Ein offizieller Vertreter und erster Ansprechpartner für alle Reisenden und Bittsteller. An diesen würden sie sich wenden müssen. Man dankte dem Russen und ging an Bord des Kreuzritterschiffes, wo man versucht sich bedeckt zu halten aber in den darauffolgenden Nächten, nicht umhin kam als braver Christ an gelegentlichen Messen und Gebeten teilzunehmen.

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Allen voran war der Knappe Thomas, der einen ehrwürdigen Ritter namens Bennington unterstellt war erpicht darauf, dass Jean und Lucien sich den erlösenden Worten des Herrn hingaben. Der Gangrel kratzte seine letzten liturgischen Kenntnisse aus seinem Gedächtnis, wurde aber immer wieder von Thomas berichtigt und freundlich unterstützt. Ja, das letzte Gebet war schon ein wenig her – störte aber weder Thomas noch die anderen Ritter; allein der ‚Glaube‘ zählte. Der Glaube an den Sieg der einzig wahren Religion, denn nichts anderes war der Grund dieses erneuten Kreuzzuges von dessen Richtigkeit die Ritter an Bord allesamt felsenfest überzeugt schienen. Man hielt sich bedeckt und ließ den Eiferern ihren Frieden; was zählte war die sichere Überfahrt.

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In Palermo angekommen, schickte der Hauptmann Jean eine Unterkunft für sie zu suchen und bereits erste Informationen bezüglich des exotischen Gartens einzuholen. Der Garten war nämlich das stolze Prachtstück des deutschen Kaisers Friedrich, der es scheinbar vorzog seine Zeit als Monarch in der Abgeschiedenheit der italienischen Küsten anstatt im Herzland des deutschen Reiches zu verbringen. Sein ganzer Stolz und seine ganze Liebe galten den Pflanzen, Blumen, Kräutern und Bäumen die er mit großer Sorgfalt hegte und pflegte. Aus aller Herren Länder, ließ er sich seltenes und teures Saatgut bringen und zog seine Lieblinge hier in seinem Anwesen in Palermo groß – ein Lustgarten mit üppiger Natur, die man anderswo nicht zu Gesicht bekam. Es wäre laut Aussage der schottischen Hexe, der nächste Ort an dem man den fraglichen Samen sowohl für ihre Pläne bezüglich der Kirche in ihrem Land, als auch die Domäne des Gangrels, so ohne weiteres bekommen könnte. Alles andere käme beinahe schon einer langwierigen und gefährlichen Weltreise gleich.

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Lucien verabschiedete sich bei Jean und trat den Weg zu Pater Lorenzo an, bei dem er sich zunächst vorzustellen gedachte. Er schnupperte ein wenig trügerische, italienische Stadtluft, bevor er an eine kleine Kapelle kam, wo er einen dort betenden Mann nach besagtem Pater fragte. Der verwies ihn auf ein kleines Haus weiter die Straße entlang, wohin Lorenzo sich zurückgezogen hatte.

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Unverzüglich machte er sich auf den Weg und traf unterwegs, erneut auf eine Gruppe heruntergekommener Zigeuner und Vagabunden, die er bereits am Eingang zur Stadt bemerkt hatte. Die Nähe von Zigeunern und anderem Abschaum, zu den Kinder des Blenders und ewigen Feindes seiner Linie; den Ravnos, war weithin bekannt. So spuckte er den Zigeunern vor die Füße und äußerte sich zutiefst abfällig. Nein, die Scharlatane konnte er im Moment überhaupt nicht brauchen. Die kämen ihm hier zu allem Überfluss wohl noch gerade recht – er hatte bereits genug damit zu tun, sich in den Landen der Lasombra aufzuhalten und gerade erste Schritte dahingehend zu unternehmen, im Palast des deutschen Kaisers einzubrechen. Am Haus des Paters angekommen, klopfte der Gangrel und ließ sich von einer zerfurchten, alten Vettel öffnen. Die Frau hatte keinerlei Angst vor ihm sondern scheuchte ihn sogar im Haus umher, gebot ihm die Schuhe auszuziehen und sich gefälligst zu benehmen. Gerade als er kurz davor war ihr den Hals umzudrehen, hörte er die einladende Stimme Lorenzos, der er kurzerhand in den ersten Stock folgte.

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Das Gespräch mit Pater Lorenzo verlief soweit ganz zufriedenstellend und zeichnete sich durch eine prägnante Kürze aus. Er bekäme ein Aufenthaltsrecht für ganze drei Tage, dürfe sich sofern er sich an die gängigen Regeln ihrer Art halte auch von den Sterblichen ernähren und die lauen italienischen Nächte genießen. Von seinem Vorhaben bezüglich des Palastes, erzählte er vorerst nichts, lenkte das Gespräch aber noch kurz auf die Zigeuner vor den Toren der Stadt. Lorenzo gab seufzend zu verstehen, dass er diesen Abschaum ebenfalls am liebsten hinausgeworfen hätte aber höhere Mächte scheinbar bereits Vereinbarungen mit den Almosensammlern getroffen hätten und ihm dahingehend die Hände gebunden wären. Es würde aber hier niemanden stören wenn den leidigen Straßenmusikanten etwas…. Unvorhergesehenes passieren würde. Lucien nickte einsichtig – er hatte den leichten Wink des Lasombra verstanden auch wenn er zu diesem Zeitpunkt nicht einmal in Entferntesten daran gedacht hatte, irgendetwas gegen die Zigeuner unternehmen zu wollen. Wieso auch? Solange sie vor der Stadt blieben und ihn nicht weiter in seinem Tun behinderten, konnten sie seiner Meinung nach allesamt zur Hölle fahren. Er verabschiedete sich knapp von Lorenzo und bedankte sich für das ausgesprochene Gastrecht, bevor er wieder an der alten Vettel vorbei, den Ausgang suchte um sich wieder in Richtung Jean zu begeben.

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Man hatte eine Taverne als Treffpunkt erwählt, an der man auch kurz darauf wieder zusammentraf. Jean hatte sich einen Krug Wein bestellt und eröffnete Lucien, bereits zwei Zimmer für sie beide organisiert zu haben. Die Zimmer seien angemessen und gerade die Räumlichkeiten des Gangrel, zudem einigermaßen sonnendicht. Soweit sollte seine Sicherheit gewährleistet sein auch wenn die Unterbringung selbstredend nicht mit der Kanalisation oder einem fensterlosen Keller vergleichbar wäre. Der Hauptmann der Tagwache, der augenschlich der Zwillingsbruder des Gangrel hätte sein können, gab überdies bekannt, bereits erste Kontakte in Richtung Palast geknüpft zu haben – das Anwesen wäre gut bewacht und nur schwer so ohne weiteres zu überwinden. Hohe Mauern und ständige Wachwechsel erschwerten einem den Zutritt. Er versprach sich noch weiter umzuhören. Kurze Zeit später, begab man sich in die zugewiesenen Zimmer, wo Lucien nur wenig später in einen unruhigen Tagesschlaf verfiel.

Als ob er es geahnt hätte, wurde der Gangrel nicht von tiefster Schwärze sondern blendenden Sonnenlicht geweckt. Das Splittern von Holz riss ihn aus seiner Lethargie, als nacheinander mehrere Äxte auf die hölzernen Fensterläden einschlugen und die todbringenden Sonnenstrahlen das spärlich eingerichtete Zimmer durchdrangen. Ein paar schmutzige Gesichter, kamen zwischen den Rissen im Holz zum Vorschein und Lucien meinte in diesen, einige der Zigeuner des Vorabends wiederzuerkennen. Er schrie nach Jean, welcher seinem Zimmer gegenüber Quartier bezogen hatte und nur Bruchteile später, wurde auch bereits wild auf die hölzerne Tür zu seiner Zuflucht eingeschlagen. Man wollte den Raum gänzlich mit gleißendem Licht füllen und ihn verbrennen. Es ertönte Kampflärm und Jean riss die Tür auf, erfasste in Sekundenschnelle den Ernst der Lage. Lucien, der sich die Lage ihrer beiden Zimmer wenigstens in etwa eingeprägt hatte, sah keinen anderen Ausweg. Zwölf Uhr mittags in Sizilien, wer sollte das überleben? Der Gangrel hechtete durch die geöffnete Tür über den Gang zu Jeans Zimmer und sprang durch die geöffneten Fensterläden, hinaus in das strahlende Licht der prallen Mittagssonne…. und fiel. Jeans Zimmer war nämlich meerseitig gelegen und bildete den Abschluss des Gebäudes, sodass nach nur wenigen Metern außerhalb des Raumes, die steilen Klippen den Ausblick auf die wilde glänzende See frei gaben. Luciens Körper brannte wie das Feuer der Hölle selbst, Rauchschwaden kennzeichneten seinen Fall während sich Knochen, Fett, Gewebe und Blut zischend in schwarze Asche verwandelten. Er jaulte vor Schmerz und biss die Zähne zusammen, während sein brennender Leib nach unten stürzte; dort am Wasser aufschlug und keine Sekunde später reglos in der Tiefe versank.

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Tiefer und tiefer war der Gangrel auf den Meeresgrund gesunken und sein einziges Glück war die scharf abfallende Riffkante gewesen, die genug Tiefe bot um den Strahlen der Sonne zu entkommen. Dort war er reglos gelegen, bis die Nacht sich über Palermo ausbreitete und er sich mühevoll zunächst an die Oberfläche und dann an Land kämpfte. Unterwegs riss er einen einsamen Fischer von seinem Ruderboot und nährte sich von ihm; erschlug zwei weitere an einer klapprigen Bootsanlegestelle und ließ die blutleeren Leichen in das undurchdringliche Schwarz des Meeres sinken. Der Hauptmann war zornig und verletzt. Nicht nur körperlich sondern auch in seinem Stolz. Irgendetwas oder irgendjemand, hatte genau über seine größte Schwäche Bescheid gewusst und diese ohne zu Zögern ausgenutzt. Ganz sicher steckten die Zigeuner dahinter, die vielleicht sogar von einem Ravnos den Auftrag dazu erhalten hatten. Diese Fehde ging schon so lange man denken konnte und im Grunde hätte er sich nicht wundern dürfen. Er hätte vielleicht sogar gleich gehandelt. Jetzt aber musste er zusehen, dass er wieder zu Kräften kam und sich auf die Suche nach Jean machte. Die Angreifer waren sicher überzeugt davon, dass ihn die Sonne verzehrt hätte; diesen Vorteil musste er unbedingt nutzen. Mühselig kämpfte er sich die Klippen nach oben und schlug den Weg zurück zum Gasthaus ein; seine Kleidung würde in der allgegenwärtigen Hitze schon bald wieder getrocknet sein. Zu seiner Überraschung, traf er sein Ebenbild sogar tatsächlich dort an und man umarmte sich überglücklich. Jean konnte ihm zu den Angreifern keine weiteren Auskünfte erteilen, alle waren so schnell wie möglich geflohen, nachdem der Gangrel durch das Fenster entkommen war. Er selbst habe darauf gehofft, dass die Untiefen der See Lucien verbergen mochten und er hatte sich scheinbar nicht geirrt. Indessen war aber auch er nicht untätig gewesen und hatte einen Informanten bezüglich des königlichen Gartens aufgetan. Es handelte sich um einen ehemaligen Bediensteten, den man mit der Pflege des Gewächshauses betraut hatte, welchen man aber beim Stehlen erwischt und daraufhin mit Schimpf und Schande vom Hof gejagt hatte. Der junge Mann wollte keine Belohnung für seine Auskünfte, genoss laut eigener Aussage nur seine verspätete Rache am Königshof, die jetzt Lucien an seiner Statt verüben würde. Er beschrieb den Brügger Reisenden Aussehen und Lage des Palastes als auch der Gartenanlagen und informierte sie über die Wege der Wachpatrouillen und mögliche Zugänge ins Innere des Gebäudes.

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Noch in derselben Nacht, machte man sich auf zu den Gartenanlagen, die von hohen Mauern mit Wehrgängen umgeben waren. Nach einem kurzen Einschätzen der Lage, befand man es für am einfachsten, mittels eines auf einem Pfeil befestigten, abgeschossenen Seiles, die Mauern zu erklimmen.

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Ein gewöhnlicher Schuss wäre wohl ins Leere gegangen aber man konnte einiges an Metern bereits zuvor überwinden, indem man sich auf das Dach eines nahestehenden Gebäudes begab. Von da aus wäre es im Grunde nur noch eine Kleinigkeit auf das schwer bewachte Gelände zu gelangen.

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Gemeinsam kletterten sie auf das Dach eines umliegenden Hauses und hatten somit nur noch ein paar Meter Weg, welche der Pfeil überwinden musste. Jean gab den Schuss ab und blieb zurück um einen eventuellen Rückzug zu sichern. Eine sich nähernde, aufmerksam gewordene Wache, wurde zunächst von Lucien verletzt, dann in einem Akt der Gnade ohnmächtig geschlagen. Der sie noch immer begleitende Gartenbedienstete, kümmerte sich voller Entsetzen um die Wunden des Wachmannes. Lucien hingegen erklomm die Mauern und schlich sich an den Wachleuten vorbei in den prachtvollen Garten, wo er einige leere, herumliegende Säcke an sich nahm, um diese mit dem Saatgut zu füllen.

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Gerade hatte er den Pflanzensamen für die Schottin, als auch seinen eigenen fertig verpackt und verschnürt, da ertönte eine laute Alarmglocke und aufgebrachte Wachmannschaften stürmten den Garten; umzingelten den Gangrel mit ihren Hellebarden. Zunächst dachte der Hauptmann an Verrat seitens des Höflings aber es wurde noch bei weitem verwunderlicher.

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Eben jener schälte sich nun aus dem waffenstarrenden Haufen an Wachleuten und lächelte ihm anerkennend zu – gab sich ihm als Kaiser Friedrich zu erkennen. Zunächst wollte der Brügger ihm nicht recht glauben schenken aber der angebliche Kaiser betonte, dass er es schon immer genossen habe sich unter das einfach Volk zu mischen und Anteil am Leben seiner Untertanen zu nehmen. Mit einer raschen Handbewegung, ließ er die Wachen verschwinden und ging in Begleitung von Lucien, ein paar Schritte in seinem Garten.

Friedrich eröffnete Lucien, das er diesen gleich als Kainiten erkannt hätte, es habe zu viele verräterische Merkmale gegeben außerdem habe seine Familie schon früher mit den Unsterblichen zu tun gehabt. Man schätze sie als wertvolle Berater und großartige Kämpfer und Leibwächter. Als er von der Idee erfahren habe, Saatgut aus seinem Garten zu stehlen, empfand er es als großartige Möglichkeit seinen Palast auf Sicherheitsmängel hin zu testen und wer würde seinen Wachen eine größere Prüfung auferlegen, als jemand wie Lucien Sabatier, der Gangrel? Lächelnd überließ er Lucien das wertvolle Saatgut; schenkte es ihm somit und bedankte sich anschließend. Der Brügger Hauptmann hätte ihm da sehr geholfen und sich den Samen mehr als verdient, zudem offenbarte er Lucien ein verlockendes Angebot. Niemand käme dem Gangrel im Hinblick auf Sicherheitsfragen und Kampfgeschick gleich; jemanden wie ihn könne sich jeder König nur wünschen – Kaiser Friedrich bot ihm mit offenen Armen eine Stelle als sein persönlicher Sicherheitsberater und Leibwächter in den Diensten des deutschen Könighofs an.

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Lucien fühlte sich sehr geschmeichelt, bedankte sich für das Saatgut aber lehnte nach kurzem Nachdenken vorerst ab. Brügge war kein Deutschland aber es war sein Knochen; ungern spielte er den königlichen Beauftragten. Wenn die Zeit aber dereinst einmal reif dafür wäre, würde er es sich diesen aussichtsreichen Posten sogar noch einmal überlegen. Natürlich setzte das eine gewisse Entschädigung für seine Dienste voraus, die ganz sicher nicht in Geld zu entrichten waren. Der Hauptmann hatte bereits zu diesem Zeitpunkt eine Idee diesbezüglich, behielt sie aber vorerst für sich. Man verabschiedete sich voneinander, versprach aber weiterhin den Kontakt aufrecht zu erhalten. Was für ein Treffen. Wer hätte gedacht das Lucien am Ende dieser Reise, den Kaiser des Heiligen römischen Reiches Deutscher Nation treffen würde, der ihm überdies eine Stelle am Hofe anbieten würde? Noch war die Zeit dafür nicht gekommen…

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Dafür aber war die Zeit nunmehr gekommen, die Heimreise anzutreten. Einzig eine Sache gab es noch, die der Gangrel hier zu erledigen hatte: Sich für das wärmende Sonnenbad bei den Zigeunern und allen voran den Ravnos unter ihnen bedanken. So übergab er den Samen an Jean, berichtete ihm über die merkwürdige Szenerie, die sich gerade in den Parkanlagen zugetragen hatte und wies ihn kurz darauf an, bereits noch in dieser Nacht, wieder nach einem geeigneten Schiff für die Überfahrt Ausschau zu halten. Er selbst machte sich auf den Weg zum Lager der Zigeuner vor den Toren, wo er seine Mörder oder zumindest deren Auftraggeber vermutete. Lange beobachtete er aus einer Baumansammlung heraus die bauchigen Karren, die sich um ein prasselndes Feuer versammelt hatten und versucht einen Hinweis auf den möglichen Verbleib des Ravnos zu erhaschen. Es dauerte nicht lange und ein besonders großer, überdachter Wagen zog seine Aufmerksamkeit auf sich, in welchem er sein Ziel vermutete. Um ganz sicher zu gehen, lauerte er einem Zigeuner auf, der sich ein wenig von der Gruppe entfernte um sich zu erleichtern und hielt ihm den Dolch an die Kehle. Zum Glück verstand der Mann ein paar Brocken Latein und so konnte er sich des Aufenthalts seiner Zielperson ein letztes Mal vergewissern. Nachdem er den Mann bewusstlos geschlagen hatte, schlich er sich zu dem Wagen und betrat diesen vorsichtig. In einer unendlichen Ansammlung aus funkelnden Schmuck, Teppichen, Tüchern, Vorhängen und allem anderen möglichen Krimskrams und wertlosen Kleinoden, saß ein grauhaariger Mann mit bräunlicher Hautfarbe hinter einem kleinen Tisch und schien auf Lucien zu warten. Auf Anfrage bestätigte sich der Verdachte des Gangrel: Es war ein Ravnos, der hier mit seiner Herde seine Zelte aufgeschlagen hatte ohne jedoch in die Stadt zu dürfen. Dies gab er auch als Grund an, Lucien seine Häscher auf den Hals geschickt zu haben. Man habe den Gangrel bei Pater Lorenz beobachtet und dann daraus geschlussfolgert, dass dieser ihnen Lucien als Mörder auf den Hals geschickt hätte. Im Grunde wollte man dem Statthalter nur zuvor kommen – es war also keine persönliche Sache. Der Ravnos verwies darauf, dass der Clan Lasombra ihn selbst sowie seine gesamte Sippe in ganz Sizilien genau spüren ließ, wieviel man von ihnen hielt. Sie zu töten aber würde niemand so ohne weiteres wagen und deshalb erweckte das Treffen des Gangrel mit Pater Lorenzo bei ihm den Verdacht einer politischen ‚Notlösung‘.

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Lucien war zuvor schon über alle Maßen erzürnt über diesen Mordversuch gewesen und hatte sich geschworen, falls notwendig jeden einzelnen Zigeuner mitsamt deren Kindern zu töten, um an den eigentlichen Drahtzieher; den Ravnos heranzukommen. Jetzt aber ließ er das Schwert sinken und nickte nur nüchtern. Er sah keinen Bedarf mehr darin sein Gegenüber zu töten. Auch nicht dessen Untergebene oder die direkt Verantwortlichen für sein Sonnenbad. Der Gangrel hatte genug von Sizilien und den Magistern. Sollten sie doch hier alle tot umfallen, das wäre nicht mehr sein Problem. Er verabschiedete sich formlos und verließ den Karren; hielt auf den Hafen zu wo Jean bereits alles für die Abreise arrangiert hatte. In der darauffolgenden Nacht, würde sie ein Schiff wieder zurück nach Genua bringen wo die beiden Brügger dann in weiterer Folge die Heimreise per Pferd antreten konnten.

In Brügge überreichte der Hauptmann dann der schottischen Hexe das Saatgut, welches sie dankend entgegen nahm und im Gegenzug dafür, ein kleines Ritual mit dem für seine Domäne gedachten Samen vollführte. Nachdem er die zehn Sack Pflanzensamen großflächig in seinem Wald verteilt hatte, konnte man bereits förmlich spüren wie die Natur sich zu regenerieren schien. Die zarten Triebe entrissen dem Boden das letzte Gift, reinigten ihn und machten ihn wieder fruchtbar. Aus einem einst verfluchten Land, wurde erneut satter Wald voller Leben. Die merkwürdige Schamanin, verschwand so plötzlich wie sie gekommen war und er bekam sie nie wieder zu Gesicht. Vermutlich widmete sie sich ihrem ganz eigenen Kampf in den zerklüfteten Highlands. Marlene und Hendrik waren ebenfalls gesund und wohlbehalten wieder nach Brügge zurückgekehrt; fast schon mochte man die Wunden an den Armen des Jungen, lediglich als bösen Traum abtun. Der Hauptmann aber kannte die Wahrheit – eine Wahrheit die weitaus weitreichender war als sich die sterblichen Pflegeeltern des Jungen womöglich eingestehen wollten. Hendrik war kein Mensch, er war eine tickende Zeitbombe. Es blieb also nur mehr eines zu tun: Alida eindringlich klar zu machen, worauf man sich bei Hendrik eingelassen hatte. Nicht nur Jean und Marlene sollten Bescheid wissen, sondern insbesondere auch die Tzimisce selbst, deren eigener Ghul die Mutter dieses ‚Dings‘ war.

Schlussendlich blieb dann nur mehr eine winzige Kleinigkeit, die er heute noch zu erledigen hatte: Gerrit beim allabendlichen Kartenspiel abzocken. Wenn nur nicht dauernd Kobalt gewonnen hätte. Der Nosferatu hatte einfach ein unverschämtes Glück jedes Mal…

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Through action, a Man becomes a Hero.
Through death, a Hero becomes a Legend.
Through time, a Legend becomes a Myth.
By learning from Myth, a Man takes action.
~Corazon~


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Verfasst: So 28. Feb 2016, 16:53 


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