Vampire: Die Maskerade


Eine Welt der Dunkelheit
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 Betreff des Beitrags: Patria est
BeitragVerfasst: Fr 13. Mär 2015, 18:25 
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Alida ging unruhig durch ihr Zimmer, blieb lange beim Bett stehen, starrte ab und an einen Wandteppich auf dem ein Schoner abgebildet war an und ging dann zurück zum Fenster um dort zu verharren und hinaus zu schauen. Der Wind blies durch die leeren Gassen, trug buntes Laub mit sich und wehte es in die Kanäle wo es wie rote, braune und gelbe Schiffchen auf dem dunkelblauen Wasser vor sich hin trieb. Sie atmete tief ein und auch wenn sie seit Jahrhunderten kein Adrenalin mehr in ihrem Körper verspürt hatte bemerkte sie die Nervosität, die von ihr Besitz ergriff. Der goldene Herbstmond erleuchtete die Stadt und ließ die hellen Sternbilder der dritten Jahreszeit verblassen.
Heute war der Tag an dem Frederik nach Hause zurückkehren sollte und obgleich sie wusste, dass sie sich eigentlich freuen sollte, setzte sich doch eine tiefe Beklemmung in ihr fest. Er war seit 10 Jahren fort gewesen. 10 Jahre in denen sie sich nicht gesehen hatten, in denen er bei anderen Meistern in die Lehre gegangen war, die Menschen und Kultur des Südens kennen gelernt hatte. Für einen Kainiten waren 10 Jahre keine lange Zeit doch für einen Menschen entschied sich in dieser Dekade oftmals der Weg, den man für den Rest seiner Existenz zu gehen bereit war.
Sie biss sich auf die Unterlippe und überlegte zum tausendsten Mal ob sie einen Fehler gemacht hatte, als sie damals zuließ dass Frederik nach Florenz aufbrach. Es war seine Entscheidung gewesen und dennoch fraß der Gedanke an ihr wie eine Krankheit. Hatte er sich wirklich aus freien Stücken für das Dasein als Kainit entschlossen?
In ihren Gedanken machten sich Erinnerungen breit, die sie all die Jahre erfolgreich verdrängt hatte. Sie schluckte, verließ das Zimmer und stieg die hölzernen Treppen in den zweiten Stock hinauf. Hier oben befand sich nur ein einzelnes Zimmer: das alte Arbeitszimmer ihres Bruders Christian. Sie wusste, dass es nicht abgeschlossen war, betätigte die Türklinke und knarrend öffnete sich die Pforte. Alida betrat den Raum und roch den Staub und den abgestandenen Geruch von vielen Jahrzehnten. Seit dem Tod ihres Bruders war dieser Raum nicht mehr bewohnt und sie hatte damals entschieden, die Mägde und Familienmitglieder daran zu hindern dieses Zimmer einem anderen Zweck zu zuführen. Alles stand noch genauso an seinem Fleck wie an dem verfluchten Tag im Februar.
Alida hatte damals gewusst wie es um den Gesundheitszustand ihres Bruders bestellt war. Christian hatte den ganzen Winter über gehustet, ab und an wenn keiner hinsah auch Blut gespuckt und die Krankheit hatte zusehends an ihm gezehrt und den hochgewachsenen kräftigen Mann zu einer geschwächten kümmerlichen Gestalt schrumpfen lassen. Christian war erst Anfang 50 aber Alida wusste genau, was geschehen würde. Sie hatte es oft genug gesehen.

An dem entscheidenden Abend saß sie allein an seinem Bett in diesem Arbeitszimmer und hielt seine fiebrige Hand. Er war hellwach und die Schweißperlen glänzten auf seiner Stirn. Ihre Stimme war dünn als sie ihn ansprach.
„Christian? Du weißt genau, dass ich das alles hier beenden kann, oder? Die Qualen und Schmerzen, die du erlebst. Du musst nicht sterben. Ich kann dir von meiner Kraft abgeben. Du kannst für immer leben. Du…“ Ihr Bruder sah sie an und die feuchten blonden Strähnen klebten ihm im Gesicht.
„Nein, Alida. Das ist nicht deine Aufgabe. Gott wird mich von meinen Qualen erlösen.“ Er lächelte sie an.

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„Aber warum?“ Ihre Stimme wurde laut. „Ich will nicht, dass du stirbst. Niemand hier will, dass du stirbst. …Wir brauchen dich.“
Christian schüttelte den Kopf. „Gott hat die Geschicke von uns Menschen so gefügt wie sie sind. Für dich hat er einen anderen Weg vorgesehen und den wirst du gehen, Schwesterchen. Wenn ich nicht mehr hier bin wirst du dich um alles kümmern. Ich weiß, dass du das kannst.“
Sie verneinte mit einem Kopfschütteln, doch Christian insistierte. „Alida, doch. Das hast du schon immer. Du wirst für Frederik und Evelyn, Alida und deren Kinder da sein und vielleicht eines Tages für deren Kinder.“ Er seufzte und wurde von einem Hustenkrampf geschüttelt. Einige Minuten später gelang es ihm erneut zu sprechen „ Vergiss dabei eines nicht: Unser aller Zeit ist begrenzt und eines Tages werden wir beide uns wieder sehen. Auch wenn es Jahrhunderte oder Jahrtausende dauern mag."
Sie spürte, dass sie weinte und sie hasste das Blut, das sie immer daran erinnerte, was sie wirklich war, doch Christian wischte ihr nur mit einer schwachen Hand über die Wange. „Ich möchte Platz machen für die Generationen, die nach uns kommen. Für unsere Kinder…“
Alida sah ihn nicht an als sie leise erwiderte. „Ich werde nie Kinder haben.“
Christian lachte schwach und ein Hauch seines alten Humors lag in seinen Worten. „Du kannst dir jederzeit meine ausleihen. Manchmal können die beiden wirklich eine Plage sein.“
Alida stimmte kurz in sein Lachen ein und Christian sah sie lange mit seinen blauen Augen an. „Aber du hast doch sowas wie ein Kind… Emilian.“
Wieder schüttelte sie den Kopf und ein schwaches Lächeln glitt über ihre Züge bei dem Gedanken an den kleinen Jungen, den sie seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen hatte. „Emilian war vieles für mich.“ Christian nickte nur. „Weißt du, Alida, seine Familie kann man sich manchmal nicht aussuchen, aber trotzdem ist man für alle Zeit mit ihr verbunden. Sie machen einen stolz, lassen einen verzweifeln oder wütend werden, sind manchmal für einen da und manchmal unerreichbar und manchmal möchte man ihnen so lange auf den Hinterkopf hauen, bis sie zur Vernunft kommen..." Wieder lag der schwache Hauch eines Lächelns auf seinen Lippen. "Der Junge ist so sehr Teil dieser Familie wie die Bewohner dieses Hauses. Wahrscheinlich ist er sogar mehr für dich. Vielleicht solltest du eines Tages aufbrechen und ihn suchen? Die Menschen hier in diesem Haus brauchen dich so sehr wie du sie brauchst. Aber ich bin mir sicher, dass der Kleine dich genauso benötigt.“
Alida schluckte. „Ich glaube nicht, dass er noch lebt. Ich… ich habe Erkundigungen angestellt in all den Jahren und nie auch nur ein einiziges Zeichen erhalten, dass Emilian... Ich kann Brügge nicht verlassen. Vor allem nicht, wenn du nicht mehr hier bist.“ Wieder stiegen die Tränen in ihr auf.
Christian griff nach ihrer Hand. „Eines Tages…“
Sie hätte in dieser Nacht alles dafür gegeben, wenn er ihr Angebot angenommen hätte. Sie war mehr als einmal in Versuchung gewesen einfach über seinen Willen hinweg zu entscheiden und ihm den Kuss zu schenken, so wie sie ihn damals selbst erhalten hatte. Sie saß neben ihm, hielt seine Hand, hörte wie sein Atem erst heftiger rasselte und dann schwächer und schwächer wurde. Schließlich ließ sie ihren Bruder ziehen.
Alida verkroch sich in den nächsten Wochen an einem Ort an dem niemand sie zu finden vermochte und als man Frederik schließlich zu Grabe getragen hatte war auch etwas in ihr gestorben. Das alles war vor so vielen Jahren gewesen und Alida hatte alles versucht um die Erinnerungen zu verdrängen.

Nun schritt sie durch das dunkle Zimmer, fuhr mit den Fingern über die dicke Wolldecke in die ihr Bruder an den eisigen Wintertagen eingewickelt gewesen war, über die ausgebleichten, ehemals weißen Kissen und über ein Buch, dessen dünne Seiten bei der bloßen Berührung zerfielen. Sie trat zu dem Fenster und zog die schweren, mottenzerfressenen Vorhänge zur Seite. Schwaches Licht schien von draußen durch die alten Butzeglasscheiben. Mit Mühe öffnete Alida das knarrende Fenster und ließ die frische kühle Herbstluft hereinströmen. Sie lehnte sich nach draußen, schloss die Augen und atmete tief ein.
Dann sah sie den hochgewachsenen Mann, der auf einem Pferd über die Brücke zum Anwesen der Familie geritten kam. Er schien es eilig zu haben, ließ das Pferd am Eingang stehen statt es in den Stall zu führen und trat mit festen Schritten zum Eingangsportal. Wieder spürte Alida die Nervosität und sie lief so schnell sie in der Dunkelheit vermochte die Stufen hinunter und trat in den Flur, der nach draußen führte. Das Eingangstor wurde mit einer heftigen Bewegung aufgerissen und eine in einen dunklen Mantel gehüllte Gestalt trat ein. Der Mann entledigte sich des Mantels den er achtlos auf eine Garderobe warf und Alida erkannte ihren Großneffen. Frederik hatte sich wenig verändert. Er war nach wie vor groß und kräftig, trug das braune Haar jedoch etwas länger und war in elegante italienische Mode gekleidet. Er trat auf sie zu doch statt sie wie gewohnt an sich zu drücken, deutete er eine Verbeugung und einen Handkuss an. Seine Haut war blass, eisig und ein kalter Schauer lief Alida den Rücken hinunter. „Es freut mich, Euch wieder zu sehen, Alida.“ Die blonde Frau schluckte aufgrund der distanzierten Begrüßung. Frederik ließ sie im Flur stehen und wanderte durch die menschenlehren Räume.

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Einem alten Hund, der freudig herbei getrabt kam, strich er kaum merklich über die Ohren und musterte stattdessen die Innenausstattung der Zimmer. „Das Inventar ist gar alt und dunkel. Alida, ihr solltet einmal sehen, welche Meisterwerke, die italienischen Architekten vollbringen. Ich stelle mir da eine Reihe hoher Fenster vor und diese Bücherregale sollten bunten Wandteppichen weichen.“ Alida folgte ihm schweigend durch die Räume und strich dabei mit den Fingern über eines ihrer ledergebundenen Lieblingsbücher. Er trat Richtung Küche. „Die Dielen knarzen. Es ist eine Schande, dass ihr da nicht längst etwas unternommen habt. Und schaut einmal die Fliesen in der Küche. Einige haben gar einen Sprung.“ Entrüstet schüttelte der junge Toreador den Kopf und öffnete die Tür hinaus zum Garten. Draußen blühten die letzten Astern und der Geruch nach reifen Weintrauben lag in der Luft. „Hier sollten wir einen großen Anbau errichten lassen. Für unsere Gäste.“ Er ging mit festen Schritten über den Rasen in Richtung Apfelbäume und zeigte mit einer weiten Geste über die Obstgehölze. „Und die ganzen alten Bäume lassen wir umhauen und legen hier einen mediterranen Garten an. Als erstgeborener Mann bin ich das Familienoberhaupt und übernehme ab jetzt die Geschäfte.“ Alida blieb der Mund offen stehen. Ungläubig schüttelte sie den Kopf.
Dann blickte sie erneut in Frederiks Richtung und vernahm ein unterdrücktes Prusten. Dann konnte der junge Mann nicht mehr an sich halten und er lachte laut und hemmungslos auf. „Mein schauspielerisches Talent konnte ich offensichtlich in Italien perfektionieren. Du hast mir das jetzt wirklich alles abgenommen, Alida?“ Die blonde Frau fühlte sich wie vor den Kopf gestoßen und blieb noch immer wie erstarrt stehen. Frederik trat auf sie zu und drückte sie fest an sich. „Es tut so gut wieder zu Hause zu sein. Wie hat Cicero gesagt: "Patria est, ubicumque est bene" Die Heimat ist dort, wo man sich wohlfühlt. Und für mich ist das hier. Wir sollten gleich Marlene und die anderen zusammen trommeln. Wie freue ich mich die alten Gesichter wieder zu sehen. Ich bin mal gespannt ob ich mein Schwesterchen überhaupt noch erkenne.“ Wieder lachte er laut. „Aber zuvor…“ Er ging zu dem alten steinernen Brunnen, nahm auf der Brunnenwand Platz und deutete mit der Hand neben sich. Alida setzte sich auf die Steine und sah wie er eine dunkle, runde, dickbäuchige Flasche hervorzog. „Erinnerst du dich an das Gebräu, das wir damals in den Tiefen einer unserer Koggen geborgen haben?“ Er entkorkte die Flasche und goss die rote Flüssigkeit vorsichtig in zwei winzige Gläser. „Ich misstrau dem Zeug noch immer aber von diesem Fingerhut wird uns schon nichts geschehen.“ Er hielt die Flasche gegen das Mondlicht, betrachtete kurz die tote Schlange darin und stellte sie schließlich zur Seite.

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"Ich denke ein paar bunte Bilder bei uns zu Hause könnten wirklich nicht schaden. Die Farben von Liliana gelten bei Malern in Florenz als Geheimtipp und ich denke, ich werd' mich demnächst mal mit ihr treffen. Vielleicht können wir helfen sie bekannter zu machen." Er sog tief die Luft ein. "Du? Es gibt doch im zweiten Stock dieses leere, verstaubte Zimmer. Ich denke es wird Zeit, dass wir es wieder nutzen. Eine Schreibstube würde sich da oben mit der Aussicht über die Dächer von Brügge vortrefflich machen. Ist doch traurig, wenn es so unbewohnt bleibt, oder?" Ein breites Grinsen breitete sich auf Alidas Gesicht aus. "Ich bin froh, dass du wieder hier bist." Dann drückte Frederik ihr ein Glas in die Hand. „So Cousinchen. Auf uns, das Unleben, alles was es so für uns bereithält, auf Brügge, seine Bewohner und unsere Familie van de Burse.“ Er grinste und goss das Blut mit einem Zug hinunter. „Prost!

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"Alea iacta est." oder "Die Würfel sind gefallen." - Lateinisches Sprichwort


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