Leif holte weit aus, berichtete von gemeinsamen Abenteuern und längst vergessen Schlachten, Kämpfen für die alten Götter und gegen die neuen. Schier ewige Fahrten über die weite See zu unbekannten Inseln und gigantischen Städten im Süden.
Knut lag da, lachte manchmal vor sich hin und schien manchmal auch nur zu schlafen. Leif bemerkte die ruhigen Gesichtszüge und den gleichmäßigen Atem.
Irgendwann drehte sich das bärtige zerschnittene Gesicht in seine Richtung: „Weißt du noch damals? Bei diesem echt harten Kampf… Du hast damals all deine Fähigkeiten angewandt und mich wieder zusammen geflickt. Große Leistung! Respekt! Und dabei hatte ich den Met von Walhalla schon fast auf der Zunge… „Ein schiefes Lächeln huschte über seine Züge. „Vielleicht wäre es besser gewesen damals zu sterben? Als Krieger nach einem ehrlichen, gewonnenen Kampf…“
Leif schaute Knut an und verbarg dabei das gequälte Gesicht. "Offensichtlich wollten die Götter noch nicht, dass du es dir in Walhalla gemütlich machst." Er lächelte ihn an. Und seit diesem Tag hast du sehr viel mehr Schlachten geschlagen und bist nie einer Herausforderung ausgewichen. Die Götter haben dir Zeit geschenkt ein wenig mehr von dieser Welt zu genießen und nach deinen Vorstellungen zu formen." Teilweise wusste er gar nicht was er Knut eigentlich erzählte, alles was er wollte war ihm vom Thema Tod abzulenken.
Es gibt vieles, was ich dir gern sagen würde und was mir wichtig ist, Leif: Kümmer’ dich um meine Söhne und herrsche über unser großes Reich bis sie alt und hoffentlich klug genug sind es selbst zu tun. Du wärst ihnen ein guter Lehrer. Steck’ meine Frau in ein Kloster ihres geliebten gekreuzigten Gottes oder seiner unbefleckten Mutter. Sie würde zetern bis Thor seine Blitze in ihre Richtung lenken würde, aber zu guter letzt wäre sie dort wahrscheinlich irgendwann glücklich. Ihre Nonnen selbstverständlich nicht, aber damit könnte ich leben…“ Er grinste. „Sie hat es weder dir noch mir verziehen, dass ich deine Gesellschaft der ihren stets vorgezogen habe.“ Er sah in die dunklen, teilweise geschwärzten Balken der Decke. „Ich würde dir gern sagen: Kümmer’ dich um die Kinder meiner Schwester.“ Ein Blick seiner tiefen Augen ging in Leifs Richtung. „Sie konnte deinem Charme nie widerstehen. Vielleicht hätte man euch verheiraten sollen… hätte einige Probleme weniger bedeutet, oder?“ Er seufzte. „Aber irgendwie hab ich das Gefühl, dass meine Ansprache zu spät kommt, nicht wahr?“
"Der Strom der Zeit wird schneller. Das habe ich im Gefühl und Dinge die wir nie angezweifelt haben, verändern sich und geraten ins wanken. Ich...ich dachte früher einmal man müsste Dämme bauen um diesen Strom kontrollieren zu können aber inzwischen weiß ich das das ein sinnlosen Unterfangen ist und der Strom nur stärker wütet wenn er die Barrikaden zerstört hat...Nein man muss Schiffe bauen und auf dem Strom Segeln mit den Dingen die uns wichtig sind um an neuen Küsten anzukommen. Ich werde...ich werde tun was ich kann um mich um die deinen zu kümmern Knut. Das verspreche ich dir." Leif wandte sich kurz ab und wischte sich eine Träne aus dem Gesicht. Er log nicht, als er Knut dieses Versprechen gerade gab, aber er wusste auch wo es die, die unter seinen Schutz standen letztendlich hinführte.
Knut lachte und er verzog schmerzverzerrt das Gesicht: „Du meinst es ist sinnvoller mit dem Strom zu schwimmen?“ Er überlegte: „Vielleicht. Danke für dein Versprechen. Doch nach wie vor… das erscheint mir alles so lange her.
Er lag einige Minuten reglos. „Eine solltest du wissen, Leif: Die Götter lassen greise senile Männer, die sabbernd in ihrem Bett sterben nicht nach Walhalla.“ Ein bitterer, abfälliger Ton lag in seiner Stimme. „Auch wenn sie vielleicht viele Schlachten in ihrem Leben geschlagen haben mögen. Und auch keine Verwundeten deren Gegner noch frei unter dem Himmel wandeln. Nur wer tapfer und erfolgreich im Kampf stirbt wird von den Walküren zu seinem Ehrenplatz geleitet und speist und trinkt an der Tafel der Götter. Für uns anderen steht nur die Tür zu Hels Reich offen.
"Vielleicht, vielleicht auch nicht...auch die Götter sind bestechlich...Aber das spielt für dich gerade keine Rolle den noch stehst du nicht an Hels Tür oder Odins Tafel. Erzähl mir über die Monster die dich angegriffen haben. An was kannst du dich erinnern?"
Es ist nur eine einzelne Bestie, groß und düster wie Fenris selbst. Hauer scharf wie Messer… mit einem stinkenden verfaulenden Pesthauch, der sie immer und überall umgibt. Dazu der schwere Geruch von Blut. Es scheint, sie ernährt sich nur von diesem einen roten Saft.
Sie kommt des Nachts aus ihrem Wald und reißt Bauern und Tiere, dringt aber auch in die Häuser der Familien ein und vernichtet alles in ihrem Blutdurst. Auch vor Dörfern und Städten macht sie nicht halt. Sie erscheint riesig, das Fell ist dunkel und weißt kahle Stellen auf. Die Klauen dringen tiefer als Schwerter… mein Körper ist Beweis genug. Ich hatte gehofft im fairen Kampf zu sterben. Ich hatte diese eine zweite Chance. Aber Brunhild und Asborn sind wohl die treuesten Gefährten, die man sich an seiner Seite nur vorstellen kann. Und sie halten nicht viel von selbstaufopfernden Heldentaten. Kennst du Geschöpfe wie diese? Du bist weiter gereist als ich.“
"Und die taten Recht daran ihrer Pflicht nachzukommen! Hmm ich habe eine Vermutung um was es sich handelt und wenn diese Vermutung wahr ist, ist es ein wahrlich furchtbares und gefährliches Geschöpf. Dem man beikommen muss...Wo genau ist es euch begegnet und wie hat es euch überrascht? Ist es einfach aufgetaucht?"
"Nein. Es lauert seit vielen Monden in den Wäldern der Umgebung. Wohl 3 Wegstunden südlich von hier. Du bist von hier. Der "Erlenwald"... sollte dir vielleicht was sagen. Brunhild meinte, das Vieh wäre einfach in der tiefe der Erde verschwunden bevor wir es tödlich verletzen konnten. Mein Blick war vom vielen Blut eingeschränkt."
"Ich verstehe. Ich habe noch eine andere Frage an dich Knut" Leif wollte die offensichtliche Klarheit des Königs nutzen. "Die beiden Ärzte die hier waren. Worüber haben sie gesprochen? Kannst du dich an irgendetwas während der Behandlung erinnern?" Leif hatte mehr und mehr das Gefühl das er den beiden nicht trauen konnte, zumindest Arthea hatte sich mehr als merkwürdig verhalten.
Knut seufzte. Auch wenn er während des Gesprächs ein wenig an Farbe gewonnen hatte, erkannte Leif, dass ihn die Worte anstrengten. "Sie waren bereits am Tag des Kampfes hier, haben grob die Wunden verbunden und mir Medizin eingeflößt. Als es nicht besser wurde, hab ich Brunhild und Asborn gebeten, die beiden nach Midgard oder mögen die Götter wissen wohin zu schicken, aber ich fand leider kein Gehör. Irgendwann begannen sie mit dem Aderlass und ich wusste spätestens ab diesem Zeitpunkt, wie es tatsächlich um mich stand. Hels Reich ist wohl erneut mein Schicksal." Er sah mit schicksalergebenem Blick nach draußen in Richtung des aufgehenden Mondes.
Leif hatte einen Gedanken, eine Idee. Es mochte verrückt sein aber in ihm formte sich ein Plan, die Situation war verzweifelt genug. Er wusste es war völlig wahnsinnig, aber vielleicht konnte es gelingen. Er schaute dem König direkt in die Augen und fragte. "Wie sind deine Schmerzen Knut? Glaubst du, du könntest stehen?" Leif war gespannt.
"Was hast du vor, Leif Thorsson?"
"Wir sollten hinaus gehen, in die Nacht. Du wirst nicht gesünder in diesem Loch gekettet an ein Bett."
Knut lächelte. "Ich würde es lieben, und ich wünschte mir, ich könnte es... aber dieser Körper ist für so was leider schon nicht mehr zu gebrauchen. Du bist ein großer Heiler, Leif. Und ein guter Freunde" Leif erinnerte sich an die tiefen Schnitte in den Beinen des großen Mannes...Knut legte erschöpft den Kopf zurück in die Kissen und schloss die Augen.
Hinter sich hörte Leif erneut das Scharren der Tür. Arthea und Achmet, sein Erzeuger traten hinter ihn. „Es wird Zeit für dich zu gehen, Novize. Aber zuvor ist es an der Zeit, dass du dich der Kräfte bedienst, die in dir wohnen.“ Arthea legte ihm erneut die eiskalte Hand auf die Schulter. „Wir sind bereit, es zu tun. Wähle, wer dich dabei unterstützen soll!“
Leif schaute Knut noch einmal an und rückte Die Decke Knuts zurecht und wandte sich dann an die beiden Heiler. "Wovon genau sprecht ihr?"
Arthea sprach erneut mit leiser, flüsternder Stimme. „Du spielst die Rolle eines gewöhnlichen Sterblichen. Aber deine Aura ist die eines Unsterblichen.“ Sie fuhr ihm über das lange geflochtene Haar und es stellte sich unter ihrer Berührung auf. Seine Haut fror.
„Das lebende Blut, das durch deine Adern fließt verhindert die Entfaltung deiner Kräfte. Dein Herz hämmert gegen den Segen der Ewigen und dein Atem vertreibt die übermenschliche Macht. Erst wenn es vergangen ist kannst du das sein, was du wirklich bist. Weißt du das nicht? So ist es doch immer…“ Ihre Stimme war nur ein Hauch.
"Wie immer spricht viel Wahrheit aus eurer Stimme, denn noch immer sind meine Gedanken dabei die Veränderungen zu verarbeiten. Blut das durch meinen Körper fließt und ein Herz das lebendig schlägt. In Symbiose mit einer unsterblichen Aura und einem viel zu alten Geist..." Leif wanderte durch den Raum und schaute sich beide in dem magischen Spiegel an.
Er griff nach dem kühlen silbernen Metall.
Er sah Achmet an und sah die Reflektion unauffällig gespiegelt.
Dann sprach er weiter. "Aber Nein. Ich denke nicht dass ich irgendetwas verändern werde. ich werde so bleiben wie ich bin." Er wartete auf die Reaktion der beiden, vor allem aber Artheas.
"Welch Jammer. Ihr habt großes Potential." Sie leckte sich über die spitzen Schneidezähne.
"Nicht wahr? Ich schätze mein Potential auch sehr, weswegen ich es ungern an den erstbietenden verkaufe. Leif fasst den Spiegel fest und machte sich bereit diesen gegen die Wand zu schlagen und in eine der Scherben zu sehen, so wie Sebastian es ihm gezeigt hatte.
Arthea nickte Achmet zu und wandte sich zum gehen. "Ich hätte euch nichts für euer Blut geboten... " Sie deutete auf Knut und ein schwaches Lächeln glitt über ihren strichförmigen Mund.“Aber eure Patienten vielleicht sehr viel... " Auch der Salubriheiler drehte sich zur Tür um.
Er war wieder alleine in der Kammer. Alles wurde dunkel und diese Situation endete bei weitem nicht wie er sich vorgestellt hatte. Und doch, und doch wusste Leif das er die richtige Entscheidung getroffen hatte. Er sah Knut an und wurde wieder ernst. Arthea hatte in einem Punkt recht...Allerdings gab Knut sich damit nicht zufrieden. Er war hatte hier zwar nicht die übernatürlichen Kräfte der Salubri aber auch der Priester der Götter und Sterbliche Leif war nicht völlig hilflos gewesen. Die Idee kam ihm erst jetzt. Der Spiegel...er war getränkt in den magischen Wassern und von Sebastian verzaubert wurden. Vielleicht ... vielleicht wogte in ihm genügend Kraft um Knut zu heilen - zusammen mit seiner ganz eigenen Gabe dachte dich der Medikus. Schließlich bereitete er sich vor. Er verbrannte ein kleines Büschel getrockneter Kräuter um Eir zu ehren und lehnte den Spiegel an Knuts Seite auf das er Körperkontakt mit diesem hatte. Dann begann er uralte Gebete zu formulieren und legte seine Hände auf Knuts geschunden Körper mit der Bitte an Eir auf den Lippen diesen Mann zu heilen und Hels griff um ihn zu lockern.
Nachdem die heiler gegangen waren, blickte Knut ihn erneut an. „ich glaube, du hast gut daran getan, diesen Gestalten nicht zu trauen. Dein Blut hätte ihnen wahrscheinlich so wie mein eigenes für ihre wissenschaftlichen Experimente gedient.“ Er holte tief Luft. „Trotzdem musst du eines begreifen: Du kommst nicht drum herum mich sterben zu sehen. Du hast dich damals in die Nacht davon geschlichen und ich rechne es dir hoch an, dass du heute hier an meiner Seite wachst wenn Hel mich zu sich ruft.“ Er seufzte. „Es gibt etwas, das du jedoch noch für mich tun kannst: ein letzter Wille und meine letzte Chance, wenn du es so willst… ich habe erneut versagt und bin nicht im Kampf gefallen. Es dauert nicht mehr lange… das weißt du so gut wie ich.“ Er sah Leif an.
„So lange das Monster unter dem Himmel wandelt, wird meine Schmach weiter leben und mir den Weg nach Wallhall verwehren. Ich habe alles auf diese zweite Chance gesetzt und verloren. Wenn das Biest, geschwächt wie es derzeit ist, jedoch vernichtet wird, dann habe ich meine Pflicht erfüllt: ein Krieger, gefallen im Kampf gegen eine übermenschliche Bestie… sollte reichen, oder?“ Er lachte und hustete dabei schwer.
"Ja du hast Recht Knut. Das war bereits mein Gedanke...Ich werde gehen und dieses Monster finden." er schaute ihn an mit einem langen Blick und machte sich dann bereit um die Kammer zu verlassen aber nicht ohne sich vorher noch einmal von Knut zu verabschieden.
„Danke, Leif.“ Knut griff nach der Hand seines Freundes und Leif spürte wie kalt die Finger bereits wurden. „Mit einem jedoch hat die Heilerin recht. Es ist tatsächlich das Blut, das dich schwach macht. Und solange du es nicht anderweitig einzusetzen vermagst, wirst du keinen Erfolg haben mit dem was immer du beabsichtigst. Außerdem brauchst du etwas bevor du aufbrichst.“ Seine klaren Augen blickten ihn durchdringend an. „Du bist bei meinem Tod dabei und ich wohl bei dem deinigen…“ Die Worte standen im Raum. Irreal und unfassbar.
Sein Herz wehrte sich bei dem Gedanken. Dies war sein Blut, seine Kraft und Stärke. Und mit einem Mal wurde ihm bewusst, dass er niemanden brauchte um zum Unsterblichen zu werden. Sein Blut gehörte ihm allein und wenn es tatsächlich jemand gebrauchen würde, dann nur er selbst Er war seid zu vielen Jahrhunderten ein Unsterblicher um daran zu zweifeln. Er war in der Lage es selbst zu tun. Sein eigenes Blut zu saugen, denn er war Leif Thorson, ein Heiler und Krieger der Salubri.
Leif nickte...er verstand nun. Er verstand auch was Arthea sagte und fügte es zu einem größeren Bild zusammen. Natürlich. Die Sterblichkeit lag über ihm wie Algendecke in einem See. Sie erstickte das was darunter lag doch wenn die Algen entfernen würden. Leif ging zum Tisch auf dem die Schüsseln standen und schnappte sich darüber hinaus ein Messer. Fachmännisch schnitt er sich die Arme auf und sah zu wie sein Blut in die Schüssel rann. Es war ein Traum er hatte das bereits fast vergessen. Und was noch viel wichtiger war, es war sein Traum. Leif würde wiedergeboren werden. Leif der Salubri ein Relikt aus alten Zeiten aber auch ein Leuchtfeuer der Hoffnung das Wissen, Geschichte und die mystische Kräfte seines Clans selbst bewahrte. Er kannte seinen Sinn und seinen Zweck nun wieder. Er hatte es aus den Augen verloren. Doch die Klarheit kam zurück.
Leif spürte wie das Leben langsam aus ihm heraus floss. Träge, widerwillig. Mit ihm floss seine Kraft, seine Stärke und trieb in einen roten minimal pulsierenden Teich. Er erkannte sein Spiegelbild und die blassen Gesichtszüge.
Schließlich als genügend Blut geflossen war nahm Leif die Schüssel mit aller Anstrengung und Willenskraft und trank daraus.
Das Blut schmeckte gut. Unvorstellbar gut. Lebendig, warm und mächtig. Es war bereit zu heilen, zu stärken aber noch floss zuviel davon durch seine Adern.
Leif setzte an und trank aus seinen eigenen Venen bis zum letzten Tropfen...
Er spürte wie die Kraft aus ihm heraus ran. Sein Körper wurde schwächer und schwächer, fühlte sich unvorstellbar alt und gebrechlich an. Sein Herz wurde schneller, raste und verlor doch immer mehr an Kraft. Sein Atem wurde langsamer bis er plötzlich inne hielt. Es war still im Raum. Nur das leise Knistern einer Kerze war zu vernehmen. Seine Beine hielten ihn nicht mehr und er brach zusammen