Vampire: Die Maskerade


Eine Welt der Dunkelheit
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BeitragVerfasst: So 11. Okt 2015, 09:29 
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Kapitel IX

Wald um Nimes; Zwei Wochen später


Lucien griff nach einem weiteren Holzschaft und fügte mit geübter Hand die Federn ins Ende ein bevor er sie mit einem scharfen Messer kürzte. Dann legte er der Pfeil zurück zu den anderen.


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Er bemerkte, dass eine Gestalt ihm gegenüber Platz genommen hatte und er sah auf.
Merten musterte ihn mit ruhigem Blick. Der alte Wundheiler war in die morgendliche Kälte in dicke Kleidung gehüllt und sein halblanges Haar hing im strähnig ins Gesicht. Obwohl das Haupthaar noch immer dunkel war leuchtete der Bart des Alten bereits grau.


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Die Stimme des alten Mannes war ruhig und ausgesprochen tief. „Schöner Morgen, nicht wahr?“
Lucien zuckte mit den Schultern und sah zu den Baumwipfeln zwischen denen die Sonne im Nebel aufging und zu dem Spiel von Licht und Schatten auf den Blättern und Waldboden. Er hatte bereits seit vielen Stunden nicht mehr schlafen können und wenigstens seine Hände sinnvoll beschäftigen wollen wenn sich seine Gedanken schon all die Zeit sinnlos im Kreis drehten.


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Er griff schweigend zum nächsten Pfeil. Der Alte sah ihn wieder lange an.
„Lucien? Ich kenne dich jetzt schon eine halbe Ewigkeit und so schweigsam warst du noch nie. Ich bin zwar eigentlich kein sentimentaler Narr, aber glaub mir, manchmal werden die Sorgen tatsächlich kleiner, wenn man einem guten Freund davon berichtet…“
Lucien biss die Lippen aufeinander, warf den Pfeil nachdem er ihn fertig befiedert hatte zurück. Nach wie vor war kein Ton zu vernehmen, nur das langsame Atmen der beiden Männer. Schließlich tat es ihm Merten gleich, nahm ebenfalle eines der Geschosse und begann mit der Arbeit. Obwohl er aufgrund der Jahre leicht zitterte war er schneller.
Lucien schluckte. Die Worte lagen ihm auf der Zunge, aber es fiel ihm schwer. „Merten, ich…“ Der junge Mann suchte nach den richtigen Sätzen, die ihm ungemein schwer fielen und mied den Blick des Anderen. „… ich hab ein Mädchen, in Nîmes.“ Tief atmete er die kühle Waldluft ein. „Sie ist schwanger. Ihr Vater wird sie in ein Kloster stecken… oder verheiraten… Was weiß ich…“
Er hatte versucht die Worte so klingen zu lassen, als wäre es eine unwichtige Kleinigkeit, aber es schien ihm nicht zu gelingen.
Wieder fuhren die Finger des Alten über das Pfeilende. Er prüfte die metallene Spitze und befand sie schließlich mit einem Nicken als scharf genug. Der Blick der eindringenden grauen Augen wanderte zu Lucien. Er klang fast ein wenig amüsiert. „Und? Liebst du sie?“
Lucien nickte und schwieg.
„Liebt sie dich?“
Ein winziges Lächeln huschte über das Gesicht des Jungen bevor er leise weiter sprach. „Ich weiß zwar nicht genau warum, aber ja, das tut sie.“
„Dann schnapp dir dein Mädchen, bevor es jemand anders tut und hau mit ihr ab. Die Welt ist groß und weit…“
Lucien seufzte. „Ist sie das? Alles, was ich bisher gesehen habe war…niederschmetternd“ Wieder schwieg er mit düsterem Blick und der Alte tat es ihm gleich.
Mehrere Minuten vergingen. Schließlich lächelte Merten leicht. „Du solltest nach Brügge gehen. Die Stadt liegt in Flandern, weit im Norden von hier.“
Lucien sah auf. Der Name sagte ihm nichts. „Brügge? Wie ist es dort?“
Der Alte lachte leise, dann fing er an zu zitieren:

„Bei Tag ist alles hier Gewöhnlichkeit.
Die Straße klingt vom Holzschuhtritt der Bauern,
Vom Lärm der Weiber, die am Markte kauern.

Allein im milden Glanz der Abendzeit
Erwacht der alten Häuser leises Trauern.
Die Glocke klingt ... Und in den dunkeln Mauern
Erstehn die Träum der Ewigkeit.

Hier sind die Häuser all Paläste,
Der Abend hüllt sie in rosigen Flor,
Die Straßen sind leer wie nach einem Feste,
Wenn sich der Schwarm frohlärmender Gäste
Schon fern in die schweigende Nacht verlor.

Die prunkenden Tore mit blanken Klinken
Sehn aus wie zum Empfang bereit,
Blank und blitzend die Kirchturmzinken,
Die in den Nebel träumend versinken
Wie in das Meer ihrer Ewigkeit.

Und in den Nischen an dunkelnden Wänden,
Da lehnen Engel aus prächtigem Stein,
Und reglos, in heimlichen Wortespenden
Sprechen sie leise die alten Legenden
In die tiefen Wasser der Kanäle hinein ...“

Schließlich lachte er laut. „Verzeih mir mein sentimentales Geschwätz, Lucien. Brügge ist meine Heimatstadt. Ich bin als junger Mann voller Träume und mit leeren Taschen von dort weggegangen… Jetzt sind meine Träume verflogen und meine Taschen nicht viel voller. Brügge ist eine wohlhabende Stadt. Den Menschen dort geht es gut. Das Wasser der Kanäle spült den täglichen Dreck weg, die Straßen sind ein wenig sauberer als bei uns und einen Kerl, wie dich, der anpacken kann und zwei gesunde Hände hat, können sie dort gut gebrauchen. Als Räuber würdest du wahrscheinlich ein Vermögen machen, aber mit deinem Mädchen an der Seite könntest du es auch bei der Stadtwache versuchen. Du bist geschickt mit dem Schwert und weißt worauf es ankommt.“
Lucien hatte ihm aufmerksam zugehört. „Bis Flandern ist es ein weiter, weiter Weg…“
Merten zuckte mit den Schultern und erhob sich. So ist es, junger Wolf. So ist es.“ Dann schlenderte er Richtung Lager davon.
Lucien sah ihm kopfschüttelnd hinterher.

Wenige Minute später hörte er erneut Schritte, die sich ihm näherten. Wieder nahm Merten neben ihm auf dem Baumstamm Platz. Dann landete etwas vor seinen Füßen und Lucien sah auf. Er griff nach dem achtlos hingeworfenen Lederbeutel und blickte den Alten fragend an.
Dieser nickte nur. „Das ist für dich. Ich bin alt und kann es eh nicht mehr gebrauchen. Schnapp dir dein Mädel, brenn mit ihr durch und mach das Beste aus deinem Leben. Auf jeden Fall was Besseres als ich.“ Er grinste und entblößte seine Zähne bei denen bereits einige fehlten.“
Lucien griff hinein und spürte das schwere silberne Metall der Münzen zwischen seinen Fingern. „Merten? Das kann ich nicht annehmen.“
„Aber klar kannst du!“ Wieder nickte er bestimmt. „Geh nach Nîmes, besorg euch, was ihr für die Reise benötigt: Decken, Nahrung, Kleidung. Ihr werdet es alles brauchen.“ Er erhob sich und klopfte Lucien auf die Schulter. „Das Leben ist zu gut um es zu vergeuden."

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Verfasst: So 11. Okt 2015, 09:29 


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BeitragVerfasst: So 11. Okt 2015, 09:32 
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Nîmes; zwei Tage später



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Lucien schritt durch die engen, aus Marktständen gebildeten Gassen des großen Platzes. Er roch den Duft von frisch gebackenem Brot mit Speck und Zwiebeln. Händler in bunten Kleidern boten lautstark ihre Waren feil und fluchten, wenn ein flinker Taschendieb sie bestahl. Hunde bellten lautstark und balgten sich um Abfallrest, irgendwo plätscherte ein Brunnen in einem schattigen Hinterhof. Heute war Markttag und die beste Gelegenheit all das für wenig Geld zu ergattern, was man fürs tägliche Leben gebrauchen konnte.
Er blieb vor einem Stand mit dicker, wollener Kleidung stehen, ließ seine Finger über den straffgewebten Stoff gleiten um die Qualität zu prüfen. Es war gutes Material und zum ersten Mal hatte er nicht die Notwendigkeit zu stehlen: Er hatte genug Geld in den Taschen um ehrlich dafür zu zahlen. Ein ungewohnt gutes Gefühl.
Der Händler begann die Ware zu preisen und, so wie es üblich war bevor das Handeln begann, einen horrenden Preis zu verlangen. Dann hielt er kurz inne. „Kenn ich euch nicht von irgendwoher?“

Blitzschnell ließ Lucien die Raubüberfälle der letzten Monate und Jahre vor seinem inneren Auge Revue passieren. Aber an den dicken Mann mit dem roten buschigen Haar und Bart und dem pockennarbigen Gesicht hätte er sich sicherlich auch nach zehn Jahren noch erinnert.
„Nicht, dass ich wüsste. Ich gebe euch zwei Silberstücke für den Fetzen…“

Sofort war der Geschäftsinstinkt des Mannes wieder geweckt und er vergaß seine Frage. Lautstark setzte er an: „Fetzen? Dies ist beste englische Wolle, in Flandern gewebt und jeden Centime wert…“

Das Handeln begann und Lucien stieg voll Vorfreude ein. Der Mann sollte mal sehen wer hier wen übertölpeln würde…
Plötzlich erscholl eine Fanfare vom anderen Ende des Marktplatzes und die Gesichter der Besucher wandten sich fast gleichzeitig zur Vortreppe der mächtigen Kathedrale vor der sich langsam ein Pulk zu versammeln begann. Offensichtlich bereitete man dort alles für eine Ansprache vor.
Lucien ließ den Händler mit einer kurzen Entschuldigung stehen und trat näher. Er zwängte sich zwischen die anderen Zuhörer und wurde Teil der Menge.
Auf den obersten Stufen der Treppe erkannte der junge Mann den Vogt von Nîmes, Gerard Rifaud, umringt von schwer bewaffneten Männern und zu seiner Rechten eine Gestalt bei deren Anblick er plötzlich das Gefühl hatte, sein Herz müsse stehen bleiben: GILBERT. Was tat sein Kamerad zur Rechten des Vogts? Hatte man ihn gefangen genommen?
Die prächtige Rüstung, in der er steckte belehrte ihn jedoch sofort eines Besseren.

Dann vernahm er über die Köpfe der Leute hinweg die laute, wohl klingende Stimme Rifauds.
„Bürger von Nîmes. Ich spreche heute zu euch, da das Elend, das euch Tag und Nacht heimsucht, ein Ende haben wird. Seit Jahren schon werdet ihr bestohlen und betrogen. Man nimmt euch das, was wertvoll ist und lässt euch mit leeren Händen zurück. Das Werk der Gesetzlosen nimmt unerträgliche Ausmaße an: Man beraubt fromme Pilgerzüge, stiehlt euch das Korn aus den Scheuern, schändet eure Frauen und Töchter, raubt eure Kinder um sie als Sklaven an die Mauren zu verkaufen.“
Lucien schluckte. Wovon, zum Teufel, sprach der Vogt? Er und seine Kameraden beraubten reiche Handelskarawanen, das war richtig, aber all die anderen Verbrechen hatte nie einer begangen. Das wussten die Leute doch. Oder?

Der Edelmann machte eine ausholende Geste. „Die Banditen der Gegend um Nîmes sind eine Plage, die ausgerottet gehört. Lange genug haben sie uns auf der Nase herum getanzt, ihr schändliches Spiel unter unseren Augen getrieben. Damit ist jetzt Schluss. Ich, euer Vogt, werde nicht eher ruhen bis auch der letzte der Räuber am Galgen baumelt oder von einem unserer Schwerter durchbohrt wird. So wahr mir Gott helfe.“ Er machte ein Kreuzzeichen und deutete dann auf seine Männer. „Diese tapferen Recken, seit Jahren ausgezeichnet durch eiserne Disziplin und stählernen Kampf werden sich noch heute auf den Weg machen. Unter der Führung meines erst gestern neu ernannten Hauptmannes, Gilbert, werden sie siegen.
Für Euch! Euren Frieden! Euer Hab und Gut! Für Gerechtigkeit!“

Die Menge begann sofort lautstark zu applaudieren. Lucien schluckte und blinder Hass stieg in ihm auf als er zusah, wie Gilbert von Rifaud ein blankes, im Sonnenlicht glänzendes Schwert überreicht bekam, das ihm offizielle Hoheitsgewalt über die Männer des Vogtes zusicherte.
Langsam drehte er sich um und versuchte in der Menge zu verschwinden. Hier war es zu gefährlich, das Risiko von Gilbert erkannt zu werden zu groß. Er zwängte sich zwischen den Menschen hindurch, schlich sich schließlich hinter einen der Marktstände und atmete tief ein. Er musste zurück in den Wald, zu den anderen, sie warnen solange noch Zeit war. So rasch es ihm möglich war ohne einen Verdacht auf sich zu lenken, schritt er zurück Richtung Osttor.

Dann sah er es plötzlich und blieb wie erstarrt stehen. Sein Blick glitt über die Hauswände der breiten Straßen und er drückte sich mit wachsender Panik in den Schatten einer Hauswand. Er erkannte einen einfachen Knecht, der etwas an der Mauer anschlug: Von überallher prangten ihm Steckbriefe, auf dünnes Papier gedruckt, entgegen. Von jedem von ihnen blickte ihn sein eigenes Gesicht an. Es war nur ein grober Abklatsch. Der Mann darauf wirkte älter als Lucien und trug einen verschlagenen Zug auf dem schiefen Lächeln. Aber das fast schwarze Haar war exakt getroffen und fiel dem Bildnis genauso ins Gesicht wie Luciens schulterlange Mähne. Ihm gefror fast das Blut in den Adern. Oft hatte er ein Bild von Ongar in den Straßen gesehen, ab und an die grobe Karikatur eines anderen Anführers der Truppe und sie hatten laut darüber gelacht, wussten sie doch, dass man sie eh nie fing. Aber nie hatten ihn seine eigenen Züge angeblickt.


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Mühsam, mit der letzten ihm verbliebenen Ruhe fuhr er mit den Händen in das Wasser eines alten Regenfasses und kämmte sich mit den Fingern die nassen Haare zurück, so dass sie eng an seinem Kopf anlagen. Dann schritt er langsam und beherrscht weiter Richtung Tor.
Es würde ihm mit etwas Mühe gelingen dieses eine, letzte Mal aus der Stadt zu gelangen.
Aber was danach geschehen mochte, das wusste Gott allein.

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