Vampire: Die Maskerade


Eine Welt der Dunkelheit
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 Betreff des Beitrags: Gespräche mit Lucien
BeitragVerfasst: Mi 12. Feb 2014, 15:16 
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Gespräche mit Lucien oder
Rotkäppchen und der böse Wolf

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Teil I: "Warum hast du so große Augen?"


Lucien spaltete mit großer Sorgfalt den knackigen, rotbackigen Apfel, der in seinen Händen das Licht des Mondes widerspiegelte. Mit einer gespielt unterwürfigen Handbewegung überreichte er eine Hälfte des Apfels, dem kleinen Mädchen, das zu dieser schon recht fortgeschrittenen Stunde, mit ihm zusammen auf einem Baum, im beinahe stockdunklen Wald saß und ihn mit leuchtenden Kinderaugen und einem dankbaren Lächeln anstrahlte. „Danke“, quittierte die kleine Marlene von Brügge, Luciens handwerkliches Geschick im Apfelschälen und biss vergnügt in das süß-fruchtige Obst. „Nichts zu danken“, erwiderte der in der Dunkelheit der Nacht beinahe völlig verschwindende Umriss des Hauptmanns von Brügge. Seine Augen beobachteten mit einem beinahe schon nostalgischen Blick, wie das Mädchen ein weiteres Stück abbiss und ihn immer noch anlächelte. Diese Unschuld, diese Reinheit, diese Furchtlosigkeit. Er konnte nicht umhin seine Mundwinkel etwas nach oben zu einem anerkennenden Grinsen zu verziehen. „Wenn du mich weiterhin um diese Zeit im Wald besuchen kommst, wird Alida vielleicht noch misstrauisch. Ich glaube du solltest es in Zukunft sein lassen oder mich zumindest in den sicheren Mauern der Stadt aufsuchen.“ Das Mädchen schüttelte nur abweisend den Kopf. „Nein. Ich mag Brügge aber da ist in der Nacht nichts los, hier gibt es die Tiere und die Vögel und nachts hört man die Eulen und es ist viel spannender und aufregender als in den Gassen und Sträßchen.“ Lucien hob kurz, wie zur Bestätigung die Schultern und lehnte sich dann etwas zurück, Marlene mit fragenden Augen fixierend. „Hast du denn gar keine Angst hier allein im Wald? Tiere gut und schön aber der Wald kann auch sehr gefährlich sein, die Wildnis allgemein ist kein recht sicherer Ort.“ Sie biss erneut in ihren Apfel und ließ die Beine etwas baumeln, dabei kicherte sie etwas verlegen. „Na aber ihr seid doch hier mit mir im Wald, was habe ich schon zu fürchten?“

Dieser Satz schien den dunkel gekleideten Schatten plötzlich unvermittelt laut auflachen zu lassen und unter anderen Umständen hätte dieses Lachen, jeden nahen Beobachter eher verängstigt denn Gewissheit verschafft, das gerade etwas äußerst Amüsantes passiert sein musste. Das Lachen verfehlte aber seine gewohnte Wirkung als Marlene daraufhin nur spielerisch ihre Zunge herausstreckte und eine Grimasse zog. „Ihr macht euch über mich lustig, weil ihr meint ich sei nur ein kleines Mädchen Herr Hauptmann. Aber Tante Alida nimmt mich mit zur Falkenjagd und ich bin die beste Reiterin in der Familie. Niemand ist schneller als ich und einen Dolch hab ich auch schon geschenkt bekommen. Lucien hob beschwichtigend die Hände. „Ich will dir deine Kampfkünste und Fähigkeiten im Reiten nicht absprechen meine kleine Marlene aber ich fürchte diese Welt ist so voller Bosheit, dass nicht einmal ich dich davor beschützen könnte. Aber ja, für den Moment solltest du recht sicher in meiner Gegenwart sein.“ Wie um sich noch einmal zu vergewissern ob er diese Behauptung denn auch einfach so aufstellen konnte wandte der Gangrel seinen Kopf mit den langen, ungepflegt-zottigen, schwarzen Haaren demonstrativ in alle Richtungen. Als sein Blick die Umgebung lange genug abgesucht hatte aber keine Gefahr ausmachen konnte, wandte er sich wieder lächelnd Marlene zu. Beide schwiegen einige Minuten und lauschten den nächtlichen Geräuschen des Waldes.

„Ihr seid recht allein wie mir scheint Herr Hauptmann“, ergriff Marlene dann vorsichtig das Wort. Lucien schüttelte sachte den Kopf, „Die Einsamkeit bin ich gewohnt, ich habe etliche Jahre alleine verbracht, mag sein das es einsam ist aber man lernt dabei, sich nur auf sich selbst zu verlassen und seine eigenen Fähigkeiten im Überleben zu meistern. Jeder Fehler könnte dein letzter sein, also lernt man besser rasch.“ Als er Marlenes etwas verwundertes Gesicht bemerkte fügte er schnell schmunzelnd hinzu: „Aber natürlich bin ich nicht so einsam und alleine wie du dir das vorstellst, ich kann durchaus sagen das ich in Brügge einige Freunde habe, auf die Verlass ist und denen ich ein gewisses Maß an Vertrauen entgegenbringe.“ Marlenes Mundwinkel verzogen sich zu einem erwartungsvollem Lächeln. „Wie meine Tante Alida nicht wahr? Ihr habt, so scheint mir einen recht vertrauten Umgang miteinander.“ Der Gangrel legte den Kopf leicht schief und kratzte sich nachdenklich am unrasierten Kinn. „Deine Tante ja. Ich kenne Alida von Brügge schon eine halbe Ewigkeit und dennoch ist sie immer wieder für eine Überraschung gut. Was die Freundschaft betrifft… „, eine kurze Pause folgte „… wir haben öfters sehr große Meinungsverschiedenheiten betreffend verschiedenster Dinge.“ Marlene ließ nicht locker. „Und doch besucht ihr sie des Öfteren und erhaltet auch Zutritt in ihre Schreibstube, das ist nur wenigen Außenstehenden erlaubt.“ Lucien hob erneut die Schultern und begutachtete das kleine Mädchen mit einem Ausdruck von Sorge und Ratlosigkeit. „Mag sein. Aber sprechen wir nicht mehr über deine Tante Alida. Sie und ich sind vom gleichen Schlag auch wenn sie das manchmal nicht wahrhaben will. Es verläuft nur ein schmaler Grat zwischen dem was sie tut und dem was ich tue, auch wenn sie sich das nie eingestehen wird.“ Das Mädchen senkte auf diese Aussage hin etwas den Blick, offensichtlich hatte sie nicht mit dieser Antwort gerechnet, noch damit, dass Lucien dieses Thema generell unangenehm schien. „Manchmal..“ fuhr sie dann leiser fort „..manchmal habe ich wirklich Angst vor euch. Da ist etwas an euch mein Herr, das ich mir nicht erklären kann. Sooft ich euch auch besuche, diese Beklemmung will nicht weichen und gelegentlich wenn ich euch des Nachts in den Straßen sehe, habt ihr etwas sehr Bedrohliches, Dunkles an euch. Menschen meiden eure Blicke, man umgeht euch oder versucht tunlichst euch zu ignorieren.“ Lucien beugte sich belustigt vor, sodass ein Lichtstrahl des kalten Mondlichtes sein Gesicht traf und es in einen unwirklichen, aber bleichen Glanz hüllte. Es sah wirklich so aus als wäre er gar nicht lebendig sondern schon lange tot.

„Wir alle tragen diese Dunkelheit in uns Marlene, jeder und jede Einzelne. Der entscheidende Punkt ist, die Finsternis in einem selbst zu kennen, auszuloten, zu begreifen und schlussendlich kontrollieren. Sie wird immer da sein, wir können sie nicht loswerden aber wir können sie uns dienstbar machen, sie nutzen anstatt sich von ihr benutzen zu lassen. Wenn wir uns nicht selbst belügen sondern unser wahres Antlitz schauen, dann und nur dann werden wir erkennen wer und was wir sind. Wo viel Licht ist, muss zunächst eine große Dunkelheit gewesen sein, meinst du nicht?“ Marlene nickte zögerlich aber Lucien erschien es nicht so als wäre sie sich der Tragweite seiner Worte wirklich bewusst – wie könnte sie auch? Sie die gerade einmal 12 unscheinbare Jahre alt war, behütet und beschützt in einem wohlhabendem Elternhaus, völlig blind und unschuldig ohne auch nur zu ahnen, wem sie da gegenüber saß. Nicht einmal erahnen konnte sie wohl, wer ihr da einen reifen Apfel reichte und mit ihr die kühle Nachtluft genoss. Er musste ihr wohl dennoch ein recht feines und genaues Gespür zugestehen – schließlich hatte sie gut erkannt wie er sich in der Menschenmenge bewegte und wie die Menschen um ihn, auf seine Erscheinung reagierten. Und sie würde wohl ihre ganz eigenen Schlüsse daraus ziehen, soviel stand fest. Wäre sie eine Bereicherung? Könnte sie es schaffen? Wäre sie diesen ganzen lästigen Ärger und Aufwand überhaupt wert? Und schließlich und endlich: Wäre er bereit dafür sie mit in die Verdammnis zu reißen? Fragen die er sich auch in der angenehm erfrischenden Kälte und Dunkelheit des Waldes zum aktuellen Zeitpunkt kaum beantworten konnte. Sein Blick heftete sich erneut auf das kleine Mädchen das soeben die letzten Reste ihres Apfels vertilgt hatte und sich die Hände, für eine junge Dame ihres Standes ziemlich unziemlich, am Saum ihres kleinen Brokatkleides abwischte.

„Habt ihr schon Menschenleben genommen Lucien?“
Das darauf folgende interessierte Lächeln und die so gar nicht dazu passende Frage, die ihn völlig überrascht und unvorbereitet traf, ließen ihn für einen Moment, die Situation kühl abschätzend, inne halten ohne dass dabei die Verwunderung darüber, in seinem Minenspiel ersichtlich gewesen wäre. Langsam nickte er ernst und versuchte dabei den Gesichtsausdruck des Mädchens zu ergründen. „Ja, gewiss habe ich das.“ – „Viele?“, schoss Marlene ohne auch nur kurz über sein Bekenntnis erschrocken zu sein nach.

„Ja, ich denke schon. Ich zähle nicht, das habe ich nie getan. Manche tötete ich aus Gier andere aus schierer Not, wieder andere weil sie mir selbst nach dem Leben trachteten. Andere waren zur falschen Zeit am falschen Ort oder hatten sich die falsche Seite ausgesucht. So ist das im Leben aber warum fragst du?“ bohrte er durchaus misstrauisch nach und lehnte sich, die Arme auf seine Oberschenkel gestützt nach vorne, Marlene dabei eingehend prüfend. „Tante Alida sagt ihr seid kein Umgang für mich, warum genau hat sie nicht weiter ausgeführt, außer das ihr schlecht seid, verdammenswert und schändlich und dennoch nützlich für Brügge.“ Lucien nickte zustimmend „Und das mag aus ihrem Blickwinkel betrachtet auch durchaus alles zustimmen. Wir sind alle die Herren unserer eigenen kleinen Welten und in ihrer Welt mag ich durchaus den Platz des schrecklichen Monsters einnehmen. Es ist so einfach anderen die eigenen ungeliebten Eigenschaften zuzuschreiben, die man an sich selbst nicht sieht oder besser gesagt, lieber gar nicht sehen will.“ Ein flüchtiger, besorgter Blick des Mädchens traf Lucien und er hatte mit einem mal das Gefühl, das sie just in diesem Augenblick mehr zu begreifen schien als jemals zuvor in ihren nächtlichen Gesprächen.

„Die Dunkelheit?“ erklang es zaghaft von der kleinen, nunmehr etwas eingeschüchterten Gestalt neben ihm. Lucien nickte kurz und knapp. „Ganz recht aber lass dir nicht den Mut nehmen Kind, auch du kannst wie jeder und jede andere lernen es als einen Teil von dir zu akzeptieren, es anzunehmen und schlussendlich zu dominieren. Du kannst deine Schwächen in Stärken verwandeln, du kannst dich anpassen, die entwickeln, dir über dich selbst im Klaren werden. Erst wenn du weißt das du auch ein schändliches, böses, brutales und egoistisches Monster bist, das zerfetzt und zerreißt was immer ihm in den Weg kommt.. wenn du einen Weg findest es zuzulassen ohne die Kontrolle zu verlieren.. dann bist du wahrhaftig frei wie ein Vogel.“ Marlenes Augen wurden größer und sie nickte eifrig und interessiert, lehnte sich dabei näher zu Lucien, ihr Gesicht nun ebenfalls von fahlem Mondlicht erleuchtet. Eine sichtbare Bewunderung ließ sich in ihren kleinen, glänzenden Augen erkennen als sie unsicher und vorsichtig eine ihrer kleinen Hände auf seine legte. „Es ist wie in der Kirche nicht wahr? Wir sind alle Sünder vor Gott und müssen uns der Sünde reinwaschen, Buße tun und dem Teufel abschwören. Könnt ihr mich das lehren Herr Hauptmann?“ Der Gangrel, der sich bei der wärmenden Berührung ihrer kleinen Hand sichtlich anspannte, verzog missbilligend sein Gesicht. So warm, so klein und doch so warm. Er vermochte beinahe den nie versiegenden Strom an köstlichem, warmem Blut durch ihre weiche Haut zu spüren, ein rhythmisches, stetiges Pulsieren. Der Nährbecher des Untodes, süße, junge Vitae. Mit einem entrüstenden Kopfschütteln, zwang er sich selbst dazu, die verführerischen Gedanken, die ihn soeben quälten abzuschütteln, der Stimme aus seinem Inneren nicht nachzugeben. Für einen Moment schien Marlene verwundert über Luciens unerwartetes Benehmen, bemühte sich aber, sich nichts anmerken zu lassen – es gab zu viel Rätselhaftes an dem dunklen, einsamen Hauptmann Brügges der des nachts die verlorenen Gassen und Straßen der Stadt durchschritt.

Sie kniff für eine Sekunde die Augen zusammen, als er erneut das Wort an sie richtete. Für einen Moment hatte es so ausgesehen als ob hinter dem stark verwurzelten Baumstumpf, auf dem es sich der Hauptmann bequem gemacht hatte, eine Art schwarzer Schatten oder aber eine dunkle Dunstwolke bewegt hätte. Als sie die Augen wieder geöffnet hatte, war nichts mehr zu sehen gewesen. Irritiert, tat sie es als einfache Einbildung ihrer Fantasie ab, um diese Uhrzeit im Wald spielte einem die Fantasie schon einmal einen Streich. „Nein und Ja“, erklang dann die gedämpfte Stimme des Brügger Hauptmanns an ihr Ohr. Sie kniff die Augen zusammen und wollte schon zu einer Gegenantwort ansetzen, doch die erhobene Hand Luciens, gemahnte sie inne zuhalten und ihm weiter zuzuhören. „Nein, die Pfade die ich in meinem … „ er stockte kurz, besann sich dann aber abermals „..Leben beschreite sind nicht die der Kirche oder Religion. Meine Art … meine Wege sind älter als dieser neumoderne Unsinn. Das hat rein gar nichts mit Buße oder Selbstgeißelung zu tun, ganz im Gegenteil. Ich trete dafür ein, dass jeder sein eigener Herr und Meister ist und sich auch dementsprechend zu verhalten hat. Ich mache meine Erfolge oder Misserfolge nicht davon abhängig ob mir das Bildnis eines längst verstorbenen Mannes auf einem Holzkreuz seinen Segen erteilt.“ Diese Ausführung verunsicherte Marlene nun doch wieder sehr, unruhig rutschte sie auf ihrer Sitzgelegenheit hin und her. „Blasphemie? Häresie?“, fragte Lucien weiter unerbittlich nach. Bevor das Mädchen auch nur zu einer Antwort fortsetzen konnte fuhr er unbeirrt fort. „Wie immer du es nennen magst, ich nenne es schwächlich und feige sich jemandem zu unterwerfen den man nur aus Büchern kennt die von irgendjemandem, irgendwann dereinst im Taumel der Zeit geschrieben wurden. Einem Menschen wohlgemerkt. Aber um zum Ende zu kommen...“ Er zog diesen letzten Satz wohl bewusst unliebsam in die Länge um sich der Aufmerksamkeit Marlenes, dem Mündel der Alida von Brügge ganz sicher sein zu können. „Schlussendlich, sind meine Art und meine Wege erfolgreicher darin sich der Dunkelheit zu stellen und das wohl schon bevor auch nur jemand den Namen dieses Gottessohns jemals auch nur erwähnt hatte. Ich bin mein eigener Herr und ja, du kannst das auch werden. Du kannst dich über all dies erheben wenn du bereit bist den Preis dafür zu zahlen und um deine zweite Frage zu beantworten: ja, ich könnte es dir zeigen.“

Marlene sprang von ihrer, vom Tau des nahenden Morgens, mittlerweile feucht gewordenen Sitzgelegenheit auf und sortierte hastig ihre mit edlen Stickereien durchwirkten Kleider. Als sie mit zunehmendem Enthusiasmus zu einer, wohl vermutlich länger dauernden Ansprache ausholen wollte, wies sie die dunkle Gestalt, die sich nunmehr ebenfalls erhoben hatte abermals in die Schranken. „Ja ich könnte es dir zeigen aber das ist weder der Ort noch der Zeitpunkt dafür. Vielleicht nicht heute oder morgen, vielleicht nicht in einem Jahr oder fünf aber irgendwann könnte ich es dir zeigen. Aber nun ist es an der Zeit das du nach Hause zurückkehrst Mündel der Alida von Brügge.“

Noch ein wenig perplex betrachtete das Mädchen den dunkel gekleideten Mann, der obgleich er völlig reglos vor ihr stand, beinahe mit den Schatten des dichten Blätterdaches zu verschmelzen schien. Gerade hatten sich die letzten Wolken am finsteren Nachthimmel verflüchtigt und das fahle Mondlicht verliehen dem ohnehin merkwürdig bleichen Antlitz Lucien Sabatiers, einen beinahe unirdischen Glanz. Manchmal fragte sie sich insgeheim ob es nicht ein großer Fehler war, sich des Nachts mit diesem schwer einzuschätzenden, bedrohlich wirkenden Mann zu treffen wenngleich ihre unstillbare Neugier und Abenteuerlust bisher regelmäßig ihre Furcht und Unsicherheit überwogen hatten. Ein kurzes Nicken deutete ihr eher unwilliges Einverständnis an. „Ich muss euch wohl recht geben Herr Hauptmann, vermutlich werden sie schon nach mir suchen“, sprach sie, ein leicht belustigtes Grinsen andeutend bei der Vorstellung wie die Dienerschaft über ihr allzu langes Ausbleiben erneut in hellen Aufruhr verfallen würde. Lucien quittierte ihre zögerliche Folgsamkeit mit einem einschätzenden Blick sowie unterdrückten Schnauben und wandte sich dann plötzlich, als ob er es recht eilig hätte, unvermittelt um, seine in schwere Lederstiefel gehüllten Schritte, weiter in die finstere Schwärze des Brügger Waldes lenkend. Als er sich ungefähr zwei Meter von Marlene entfernt hatte, sorgsam darauf achtend, sich dabei nicht allzu laut durch das Unterholz zu kämpfen, warf er ihr in einer schwungvollen Drehbewegung etwas zu, dass das Mädchen reflexartig, gerade noch aufzufangen vermochte. „Was….“, brachte sie etwas verblüfft hervor und betrachtete den Gegenstand in ihren Händen mit zusammengekniffenen Augen. Offenbar handelte es sich um das restliche Stück des Apfels, den der Hauptmann, wie sie jetzt voller Verwunderung feststellte, nicht gegessen hatte.
„Für den Heimweg kleine Marlene. Oftmals entscheidet etwas so unscheinbares wie ein halber Apfel über Leben und Tod“, erklang die gedämpfte Stimme Luciens, der sich gerade wieder anschickte, seinen so plötzlichen Aufbruch fortzusetzen. Aus weiterer Entfernung erklang das leise Heulen eines Wolfes, ein trauriges, einsames Rufen, das die bisher so stille Nacht, mit einem Mal um einiges lebendiger aber auch bedrohlicher wirken ließ. Ein leichtes Frösteln erfasste Marlene als sie das schaurig-schöne Heulen vernahm und sie erinnerte sich an die gemahnende Worte ihres stets besorgten Vaters, der ihr immer aufs Neue zu verstehen gab, das die nächtliche Wildnis, selbst nur jene rund um die Stadt Brügge, kein rechter Ort für ein kleines Mädchen in ihrem Alter sei.

Als sie sich schon zum Gehen wandte, sah sie dem schattenhaften Schemen Lucien Sabatiers, der im verzweigten Geäst zwischen den dicht stehenden Bäumen und Sträuchern kaum noch auszumachen war, noch ein letztes Mal nach. Sie wunderte sich insgeheim über den eiligen Aufbruch des Hauptmanns aber musste sich mit einem leichten Seufzen eingestehen, das es wohl eine ganze Menge gab worüber man sich bei ihm wundern konnte. Zudem war sie da wohl nicht die einzige. Ob es etwas mit den Wölfen und dem Geheul zu tun hatte? Rasch schüttelte sie den Gedanken wieder ab und fasste all ihren Mut zusammen, um dem Hauptmann noch etwas hinterher zu rufen. „Wohin geht ihr?“, klang ihre Stimme mit einem leicht besorgten Unterton an Luciens Ohr.

Ohne sich auch nur umzudrehen, setzte dieser seinen Weg durch den Brügger Wald, durch seine Domäne die er schon seit hunderten von Jahren hütete fort und kam nicht umhin, die Mundwinkel zu einem leichten Grinsen zu verziehen als er die kleine Marlene, offensichtlich sehr unschlüssig ob sie gehen, bleiben oder folgen sollte, fragend rufen hörte. „Wohin ich will kleine Marlene. Hast du es schon vergessen? Ich bin frei wie ein Vogel“, gab er ihr ebenfalls rufend zur Antwort. Er musste selbst zugeben dass es sich auch für ihn vielleicht ein wenig zu stolz anhörte aber was sollte er auch anderes sagen – mit weniger als der Wahrheit würde sich das aufgeweckte Mädchen niemals zufrieden geben, dessen wurde er sich je öfter die beiden miteinander sprachen, immer mehr gewahr. Vielleicht wäre sie tatsächlich eines Tages dafür bereit die ganze Wahrheit zu erfahren, vielleicht würde er sie vom Kelch der Wahrheit kosten lassen und ihren Durst stillen. Als seine Augen langsam einen rötlich-leuchtenden Glanz annahmen und die Umgebung um ihn herum mit einem Mal taghell wurde, sodass er jeden Regentropfen und auch die kleinste Bewegung in der stockfinsteren Nacht erkennen konnte, wurde ihm bewusst das er so oder so, ihren Hunger nie würde stillen können. Bei diesem dunklen Gedanken, musste er mit einem Mal unvermittelt die scharfen Fänge entblößen. Ein tiefes Grollen entfuhr seiner Kehle das beinahe Ähnlichkeit mit einem Lachen hatte. Das dumpfe Knurren das darauf folgte, hatte kaum etwas Menschliches mehr an sich.

Ein Wolf bleibt ein Wolf, auch wenn er es zeitweilig den Schafen gleichtut.

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Through action, a Man becomes a Hero.
Through death, a Hero becomes a Legend.
Through time, a Legend becomes a Myth.
By learning from Myth, a Man takes action.
~Corazon~


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