Vampire: Die Maskerade


Eine Welt der Dunkelheit
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 Betreff des Beitrags: ...durch Brügge bei Nacht
BeitragVerfasst: Mo 3. Mär 2014, 19:07 
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Brügge

Alida lehnte sich an die hölzerne Umzäunung der Koppel. Anerkennend pfiff sie durch die Zähne. Der dunkelhaarige Mann auf dem rot- braunen Brabanter schien tatsächlich Talent fürs Reiten zu haben auch wenn sie am Anfang stark daran gezweifelt hatte. Seine Bewegungen waren zu grob, zu fahrig, zu ausladend, doch das riesige flämische Kaltblut hatte sich längst alle Bewegungen seines Reiters eingeprägt und folgte auf die kleinsten Gewichtsverlagerungen und Zügelveränderungen just in der Art, die sein Reiter von ihm erwartete. Lucien kam in raschem Galopp auf die blonde Frau zu galoppiert und riss sein Pferd im allerletzten Moment in den Stand, so dass der Staub aufwirbelte und Alida einhüllte. ER schwang sich aus dem Sattel, klopfte dem Pferd kurz anerkennend auf den Hals und sprang eine Sekunde später über den Zaun.
Alida drehte sich zu ihm um. „Ihr macht Fortschritte. Habt ihr geübt?“
„Ich?“ Lucien sah sie schief an. „Nein. Wieso auch? Wenn man sich ein wenig mit dem Pferd unterhält, weiß es doch was man von ihm will und dann geht der Rest von ganz allein. Nicht wahr, Ajax?“ Der Mann zog einen Apfel aus einer Tasche und warf ihn dem flämischen Brabanter zu. Der sah seinen Reiter einen kurzen Moment wissend an und widmete sich dann dem süßen Wurfgeschoss. Alida schüttelte ein wenig ungläubig den Kopf, während sie dem Hauptmann der Stadtwache hinterher sah.
„Wollt Ihr Wurzeln schlagen?“ rief er ihr ohne sich umzusehen zu. Er schritt zu einem großen Lederrucksack, den er an die Steinwand des Stalles gelehnt hatte, und warf ihr ein Bündel zu.
Verdutzt fing sie es auf und sah ein Stück schimmerndes Metall aus einem Stoffballen blitzen.
„Ich hoffe, ihr habt geübt. Mit Worten kommt ihr nämlich in einem Schwertkampf nicht weiter.“ Er grinste breit und entblößte seine spitzen Zähne. „Kommt mit. Könnte lustig werden. Heut zeig ich euch mal „mein“ Brügge.“
Alida folgte ihm schweigend durch die dunklen Gassen der Stadt. Die Sommerhitze lag schwül und drückend über den Dächern und waberte durch die Straßen. Die Sterblichen schwitzten in den stickigen Wänden ihrer Häuser und wälzten sich in ihren Betten von einer Seite zur anderen. Am blauen Abendhimmel türmten sich dunkle Wolkenberge auf und in weiter Ferne war ab und an ein leises Grollen zu vernehmen.
Das Viertel, das Lucien ansteuerte, lag in der Nähe des Hafens und bot ein anderes Bild. Hier reihte sich Gasthaus an Gasthaus, Hurenhaus folgte auf Pfandleihe und Stundenhotel: Die Seemänner ferner Länder wollten versorgt werden. Leicht bekleidete Mädchen rekelten sich erschöpft und so verführerisch es ihnen in der Hitze möglich war an den Mauern der Häuser, in den Wirtshäusern grölten angetrunkene Männer mit fremden Dialekten raue Matrosenlied, irgendwo ging ein Fenster zu Bruch. Lucien zog Alida mit einer raschen Bewegung zur Seite als eine Wirtshaustür direkt vor ihnen aufschwang und zwei sich prügelnde Gesellen ausspie. Ohne auf etwas anderes zu achten kugelten sie sich vor ihnen über die Straße um wild mit den Fäusten aufeinander einzudreschen.
„Na, schön hier, nicht wahr?“ grinste der Kainit an ihrer Seite während er einen der Türsteher im Vorbeigehen grüßte. „Gerrit und ich treffen uns hier ab und an zu einer kleinen Skatrunde. Kann manchmal wirklich lustig werden. Kobalt gewinnt jedoch immer. Ist wohl der hellste Kopf von uns.“ Er nickte ihr zu ohne eine Antwort abzuwarten.
Schließlich war er am Ende des Viertels angekommen. Zwei Gestalten standen auf der Straße und unterhielten sich miteinander. Als die Kainiten näher kamen, verbeugten sie sich unmerklich vor Lucien. „Guten Abend, Meister.“ Das Schmunzeln im Gesicht des blonden Mannes verriet den wohl ansonsten unförmlichen Umgang der Männer miteinander. Irgendwie hatte sie den Eindruck, dass sie das Gesicht damals bei ihrer ersten Begegnung mit der Nachtwache schon einmal gesehen hatte. Ihr gegenüber wurde ebenfalls eine kurze Verbeugung angedeutet.
„Abend.“ kam die Antwort des Gangrel. „Und? Auftrag ausgeführt?“
„Sicher, Meister. Kein Kahn mehr auf dem Kanal unterwegs. Ihr habt eure Ruhe. Die restlichen Leute haben wir auch vertrieben“
Alida zog fragend eine Augenbraue nach oben.
„Danke Männer. Auf euch ist Verlass.“ Er klopfte ihnen kurz auf die Schulter und sein zweideutiges Grinsen ließ Alida in Frage stellen, in welcher Art und Weise wohl die Verlässlichkeit bereits getestet worden war. Die Männer verschwanden in der Nacht Richtung Wirtshäuser.
Mit einer ausschweifenden Geste deutete Lucien Richtung Kanal.
„Nach euch, Alida.“
Sie sah an den Wirtschaftsgebäuden vorbei Richtung Wasser. „Was soll ich da unten?“
„Ihr mögt doch Herausforderungen, oder? Na los!“ Er stieß sie etwas grob nach vorne, so dass sie ins Taumeln geriet und nicht anders konnte als die Treppe hinunter zum Kanal zu steigen.
Hinter sich hörte sie die dunkle Stimme: „Na, Alida. So ganz allein mit dem bösen Wolf. Gefällt euch das?“ Sie drehte sich abrupt um und sah das kurze Aufblitzen von roten Augen. Sie griff nach der Klinge und hielt sie ihm an die Brust.
„Nun ja, wenigstens hab ich ein Schwert, oder?“
„Tse, tse, tse, Alida“, neckte die Stimme, während er mit der Hand in die Schneide der Waffe griff. „Das Schwert ist stumpf. Wir wollen doch nicht, dass Ihr euch weh tut.“
Er deutete mit der Waffe in seiner ausgestreckten Hand auf einen Kahn, der in der Mitte des Kanals an einem Brückenpfeiler befestigt war. „Ich dachte mir, heute üben wir ein wenig Gleichgewichtssinn. Kämpfe werden nicht nur auf festem Boden ausgefochten.“ Er legte seine Habseligkeiten an den Kai, zog das Boot an einer Leine zu sich heran und ließ sie einsteigen. Dann sprang er selbst mit einem kurzen Satz hinterher.

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„Darf ich bitten?“ fragte er ironisch, während er sie in den Stand zog. Vorsichtig versuchte Alida die Balance zu wahren und nahm die ihr entgegengereichte Klinge an sich.
Lucien kontrollierte ihre Haltung, die Schwerthand und den Fußstand bevor er sie aufforderte anzugreifen. Zaghaft versuchte sie die ersten Ausfälle, während der Kahn im Wasser dahin trieb und bedrohlich schaukelte. Mühelos wehrte ihr Lehrer jeden ihrer Hiebe ab, parierte ihre Angriffe und torpedierte sie im Anschluss mit einem Hagel an wuchtigen Schwerthieben, von denen sie die wenigsten abwehren konnte. Sie spürte, wie sich überall an den schmerzhaften getroffenen Stellen blaue Flecke bildeten.
Wenigstens gelang es ihr, das Gleichgewicht zu bewahren.
Minute um Minute floss zäh dahin und schien sich zu Stunden auszuweiten, während langsam über ihnen die Spannung in der Luft zunahm. Wieder versuchte sie einen Angriff, der problemlos abgewehrt wurde und im Anschluss eine eingeübte Hiebfolge, die er nur mit einem Schulterzucken quittierte. Einem Ausfall seinerseits konnte sie durch eine Deckung ausweichen. Nach und nach gewann sie mehr Sicherheit, kämpfte seltener um die Balance und versuchte schnellere und kürzere Attacken. Sie täuschte einen Angriff von Links vor um im letzen Moment das Schwert umzureißen und den Angriff von rechts kommen zu lassen. Für einen Sekundenbruchteil blitze Überraschung in den dunklen Augen Luciens auf, als die stumpfe Klinge seinen Brustkorb traf. Im gleichen Moment stieß er sich abrupt von den Holzdielen des Kahns ab, sprang in die Höhe und brachte damit den Kahn kurz in die Senkrechte und damit ins Schwanken. Alida verlor den Boden unter den Füßen und fiel rücklings in das kühle Wasser. Sie prustete vor Lachen als sie wieder an die Wasseroberfläche kam. Die dunkle Gestalt über ihr auf dem Kahn schien völlig unbeeindruckt von den Bewegungen des Bootes und lachte im sicheren Stand lauthals auf.
„Ihr hättet euer Gesicht sehen sollen…“
Alida ruckte an der Seite des Bootes um es ebenfalls zum Kentern zu bringen, aber wieder balancierte der Kainit geschickt. „Vergesst es, Alida“, triumphierte er.
„Das war unfair. Ich habe euch erwischt“, brachte sie schnaubend hervor.
„Klar war es unfair, aber ein Gegner im Zweikampf wird wahrscheinlich nicht fair mit euch umgehen, wenn er euch den hübschen Kopf von den zarten Schultern trennen will, oder?“ Es gelang ihm das Boot ans Ufer zu steuern. Er zog es an die Kaimauer und vertäute es. Er reichte ihr eine Hand während Alida im triefenden Gewand aus dem Kanal kletterte. Das Wasser lief in Bächen an ihr herab.
„Ihr seid wirklich besser geworden. Ich hätt mir auch nicht vorstellen können, dass ‚ne reiche Bürgerstochter was anderes als ne Nähnadel in der Hand halten kann.“ Wieder breitete sich das unverschämtes Grinsen auf seinem Gesicht aus.“
„Kann ich gut verstehen. Ich war auch komplett überrascht als Ihr das Pferd richtig herum aufgesattelt habt.“ Sie streckte ihm kurz die Zunge heraus.
Sie sah sich um, dann ihn an. „Und jetzt?“
Lucien deutete auf sein Bündel. „Ich hab mit so was gerechnet. Also hab ich Euch was Trockenes mitgebracht.“
„Und wo soll ich das anziehen?“
Lucien zuckte mit den Schultern. Scheinbar machte er sich um solche Kleinigkeiten normalerweise keine Gedanken.
Alida seufzte: „Kommt mit.“ Dann machte sie sich auf den Weg zu ihren Lagerstätten, die sich in der Nähe des Hafens befanden. Ein großer hölzerner Zaun umgab das Gelände. Sobald sie sich dem Kontor näherte, kam ein Rudel Wachhunde angerannt, die anschlagen wollten, jedoch inne hielten, als sie Alida erkannten. Mehrere hundert Meter entfernt hielt heute Sven Allermann Wache, das wusste sie. Und der döste immer und verließ sich auf das Bellen der Hunde.

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Alida kletterte über den Zaun und gab Lucien zu verstehen es ihr gleich zu tun. Der verzog kurz das Gesicht beim Anblick der kräftigen dunklen Kampfhunde, sprang dann jedoch ebenfalls über die Palisade.
„Ihr habt die Viecher gut trainiert“ meinte er anerkennend, während sich das Rudel von dannen trollte.
„Danke. Nun ja, Ihr seid nicht der einzige, der mit Tieren reden kann, Lucien.“ Sie lächelte kurz und steuerte dann auf eines der größten Lagerhäuser in der Nähe des Wassers zu. Über ihnen grollte erneut der Donner und in der Ferne erhellten Blitze den Nachthimmel. Sie zog einen Schlüssel aus den Taschen des nassen Gewands und öffnete ein großes Schloss, das einen Riegel befestigte. Sie glitt in die Dunkelheit des Gebäudes und ließ Lucien folgen. Dann schloss sie die Tür hinter sich. Drinnen war es stockdunkel und staubig. Fremde Gerüche lagen in der Luft und verkündeten von fernen Reisen.
„Lucien?“ Sie blickte sich um, konnte aber in der absoluten Schwärze nichts erkennen. „Wehe, ihr verbessert jetzt eure Sehfähigkeit und „macht eure Augen an“, " warnte sie. Sie entkleidete sich und griff zu dem einfachen braunen Gewand das Lucien mitgebracht hatte.
Vor sich leuchtete ein Licht auf. „Warum sollte ich, wo es hier doch Kerzen gibt?“ hörte sie die ironische Stimme des Gangrel. Lucien wahrte soviel Anstand sich nicht umzudrehen sondern scheinbar interessiert die Papiere auf einem großen Eichentisch zu mustern. Sie stülpte sich das dünne Kleid über und gesellte sich neben ihn.
„Was ist das?“ fragte er und zeigte auf ein großes Pergament mit Linien, Punkten und blauen Flächen für Wasser.
Alida fuhr mit den Fingern über das Leder. „Das ist eine Landkarte von einem Gebiet namens India. Es soll dort einen großen christlichen Priesterkönig namens Johannes geben. Ob das tatsächlich so ist, weiß ich nicht, aber dafür gibt es dort auf jeden Fall tausend anderer wundersamer Dinge.“
Lucien zog interessiert eine Augenbraue nach oben. Alida griff in eine Truhe und brachte mehrere braune Holzstücke zu Tage. Sie hielt sie unter die Nase und bot sie dann dem Hauptmann der Stadtwache an. „Sandelholz und Zimt.“ Die schwarzen vertrockneten Schoten mit süßlichem Aroma präsentierte sie als Vanille und das schwarze würzige Pulver, das ein Brennen im Nasenbereich auslöste als Pfeffer. Sie zog eine braune Zwiebel aus einem Kästchen „Die hier nennt man Tulpe. Sie kommt aus einem fernen Gebiet ganz im Osten unserer Welt. Sie blüht häufig wenn draußen noch der Winter herrscht in den leuchtendsten Farben.
Das ist eines der Dinge, die ich an meiner Arbeit so liebe. Man bekommt Kontakt zu unzähligen unbekannten Schätzen, die fast kein Mensch in Europa je zu Gesicht bekommen hat.“ Sie legte eine weißliche Knolle mit kräftigem Geruch namens Ingwer auf den Schreibtisch und griff dann nach einem ungefähr unterarmlangen tiefschwarzen Holzstück mit gleichmäßiger Maserung und Farbe.
„Das hier ist besonders kostbar. Man nennt es Ebenholz“
Lucien nahm es ihr ab und fuhr anerkennend mit dem Zeigefinger die polierten Ränder des Holzes ab. „Kann ich es haben?“

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Alida zögerte eine Sekunde. Das Stück war sein Gewicht in Silber wert und eine Seltenheit. Dann nickte sie: „Ja, gerne. Aber was wollt ihr damit?“
Die Flamme der Kerze spiegelte sich in seinen grauen Augen. „Schauen, was im Inneren enthalten ist.“ Mit diesen Worten verschwand der Holzklotz in seinem Gewand.
Er sah sie an. „Und? Wollt ihr diese ganzen Kostbarkeiten nicht mal selbst sehen?“ Er griff nach den feinen roten und gelben Fäden des Safrans und ließ sie durch seine Finger auf die Tischplatte rieseln. „Die Blüten, die man pflückt um dieses Zeug hier herzustellen? Oder die Bäume aus denen man Zimt gewinnt?“
Alida seufzte: „Doch, das würde ich gern. Aber ich habe das Gefühl, dass ich Brügge nicht verlassen kann. Ich… könnte vielleicht gebraucht werden.“ Kurz und zögernd fixierte sie seinen Blick. „Ich fühle mich schwach und das Heimweh zerreißt mich fast, wenn ich mal einige Tage nicht in meiner Heimat bin.“
Die grauen Augen musterten sie. Dann bückte er sich, hob etwas vom groben Boden auf und griff nach ihrer Hand. Er legte ihr einen groben Klumpen Lehm in die offene Handfläche. „Dann nehmt Brügge einfach mit.“ Er versuchte ein aufmunterndes Lächeln. „Brügge ist eine starke Stadt, die auch mal ein paar Jahre ohne euch aushält.“
Sie schloss die Hand und drückte sie kurz an die Brust bevor sie den staubigen Lehm in die Luft blies. Sie nickte. „Ja, ihr habt wohl Recht.“
Alida sah ihn an. „Soll ich euch „mein Brügge“ zeigen?“ Mittlerweile hatte der Donner so an Lautstärke zugenommen, dass sie die Stimme erheben musste.
„Euer Brügge? Okay. Hab heute eh nichts mehr vor,“ kam die kurze Antwort des großen Mannes.
„Dann kommt mit.“ Sie nahm die Kerze in die linke Hand und begab sich zum Aufstieg des Dachbodens am anderen Ende der Halle. Sie kletterte die hölzernen Stufen hinauf und fand sich schließlich vor einer Dachluke wieder, die sie aufstieß. Sie blies die Kerze aus, verstaute sie in einer ihrer Taschen und zog sich mit einer geschickten Bewegung aufs Dach. Über ihnen hatten sich die Wolken zu einer Mauer aufgetürmt dessen bleiernes Dunkelgrau von fernen Blitzen angestrahlt wurde. Der Anblick war schier atemberaubend. Auch Lucien sah sich fasziniert um. „Das Gewitter scheint näher zu kommen“
Alida nickte kurz und machte sich dann vorsichtig auf den Weg am Dachfirst entlang. Die Dächer der Gebäude waren flach gehalten, so dass die Gefahr abzustürzen minimiert war. Die blonde Tsimiske schien ihren Weg zu kennen, denn sie wählte nie den Wohnbereich sondern immer nur die unbelebten Teile der Gebäude für den seltsamen Spaziergang aus. Die Häuser waren dicht aneinander gereiht, so dass ein problemloses Fortkommen möglich war. Ab und an schlug ein Hund an, dessen Gebell jedoch im Lärm des Donners unterging während sie von Dach zu Dach sprangen
„Macht ihr das häufiger?“ Luciens Frage klang ein wenig irritiert.
„Lucien, Ihr habt doch selbst in Poitiers verkündet, dass der Vorteil von dieser Art der Fortbewegung derjenige ist, dass einen keiner bemerkt. Menschen sehen immer nur das, was direkt vor ihren Augen liegt, nicht wahr.“ Sie lächelte ihn an, konzentrierte sich dann wieder auf die Holzbalken vor ihr.
Sie zeigte auf das hohe Gebäude vor sich: „Die St. Salvator Kirche. Und dort hinten der Beginen Hof mit den „frommen“ Frauen.“ Ein Hauch von Sarkasmus lag in ihrer Stimme

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Sie deutete in die andere Richtung auf einen hohen Turm mit großer Glocke: „Dort drüben ist der Belfried unserer Markthallen. Ein wirklich mächtiges Gebäude.“

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Sie sprang über eine kurze Straßenschlucht und deutete auf das unter ihnen liegende Geflecht an Kanälen: „Und überall die Wasserwege, die die ganze Stadt wie Adern durchziehen.“

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Sie schwankte leicht doch Lucien griff nach ihrem Arm bevor sie überhaupt ins Straucheln geraten konnte. Dann prasselte der Regen wie eine Sintflut auf sie nieder. Die Blitze um sie herum erleuchteten die Nacht fast taghell. Alida nahm kurz seine Hand und zog ihn hinter sich her. „Kommt mir, sonst sind wir gleich wieder komplett nass.“
„Ich war heute noch nicht nass“, vernahm sie seine spöttische Bemerkung hinter sich.
Sie lief so schnell es auf dem feuchten Untergrund möglich war in Richtung Liebfrauenkirche und stieg durch eines der offenen Fenster in den Kirchturm ein. Die kurze Zeit hatte ausgereicht um sie erneut komplett zu durchnässen.

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Über ihnen schlug die große Glocke mit tiefem bronzenen Klang Mitternacht. Zaghaft blickte sie in die Abgründe des Glockenturm in der Mitte der Wendeltreppe und konnte in der Tiefe im spärlich erhellten Chorraum die Mönche erkennen, die sich zur Mitternachtsmesse versammelten. Die hellen Knabenstimmen der Novizen stimmten einen Choral an, eine uralte Weise, die Alida trotz der Hitze ehrfürchtig erschauern lies. Lucien hatte sich zu ihr gestellt und blickte ebenfalls hinunter. Seine Aufmerksamkeit galt der Tonsur des korpulenten Priesters, der am langen Seil zog um die Glocke in Bewegung zu setzen und dabei immer wieder leicht in die Höhe gezogen wurde.
„Wir könnten dem Kerl auf den Kopf spucken… oder das Seil durchschneiden. Ist eh schon ziemlich abgewetzt“, flüsterte Lucien. Er grinste und entblößte wieder seine scharfen Eckzähne. Im Licht der Blitze sah er jünger aus als sonst. „Wäre bestimmt witzig zuzuschauen, wie er auf seinem dicken Arsch landet.“
„Lucien, Ihr seid unmöglich.“ Sie schnaubte leise und sah ihn von der Seite an.
„Ja? Bin ich das?“ Etwas in seinem Blick lies sie zurückweichen. Er machte einen Schritt auf sie zu. Seine Bewegung wirkte, als würde er zum Sprung ansetzen. Alida stieß mit dem Rücken an die steinerne Wand. Besitzergreifend streckte er die Arme links und rechts, dicht neben ihrem Kopf an die Wand. Sein Gesicht war nur wenige fingerbreit von ihrem entfernt.
„Und Alida? Was tut Ihr jetzt?“
„Was soll ich denn tun?“ Alida blickte ihm herausfordernd in die grauen Augen. Dann spürte sie seine Lippen auf den ihren. Erhitzt von der Glut des Sommergewitters und dennoch kühler als die ihrigen. Er griff nach ihr, küsste sie heftig und gierig und ließ dann seine Lippen an ihrem Hals herabwandern. Als er seine Fänge in ihre Haut schlug, spürte sie wie sich das Tier zu regen begann. Zum ersten Mal nicht hervorgelockt durch bloßen Hunger sondern durch eine leidenschaftliche Gier, die viel tiefer verborgen lag. Sie drückte sich an ihn, fuhr ihm durch das struppige, verfilzte Haar. Schließlich fand sie erneut seine Lippen. Sie schmeckte den winzigen Hauch von ihrem eigenen Blut, wahrscheinlich ein einziger Blutstropfen, der ihr schier den Verstand zu rauben schien. Sie biss in seine Lippen und fuhr mit der Zunge über die winzige rote Stelle während er die Augen schloss. Der Geschmack war unbeschreiblich. Warm, köstlich, erfrischend... Erinnerungen an den allerersten Geschmack von Blut stiegen in ihr auf, aber das hier war um so vieles besser, da kein Schmerz und keine Todesangst darin vermischt lagen. Sie könnte trinken und all ihr Verlangen stillen. Zum ersten Mal trinken ohne zu verletzen, ohne die Gefahr zu töten. Denn dieses Geschöpf hier war ebenso stark und dunkel wie sie. Sie spürte seine Hände, oder waren es Klauen, an ihrem Rücken, die an dem dünnen Stoff rissen und dabei feine Schnitte in ihrer Haut hinterließen.
Ein kurzer erschrockener Schrei aus der Tiefe ließ sie beide inne halten. Lucien war bereits an der Balustrade und spähte vorsichtig nach unten. Vom Boden kamen Stimmen:
„Um Gottes Willen, jetzt ist das Seil doch tatsächlich gerissen. Du, geh nach oben und schau nach, ob mit der Glocke alles in Ordnung ist.“ „Ja, euer Hochwürden.“ folgte die prompte Antwort des dicken Mönchs, der schmerzhaft auf seinem Allerwertesten gelandet war, sich jedoch sogleich keuchend auf den Weg hinauf zur Spitze des Kirchturms machte.
„Verdammt!“ hörte sie Luciens tiefes Brummen. Alida griff nach seiner Hand und zog ihn erneut nach draußen auf das Dach. Der Regen strömte noch immer wie aus Bächen vom Himmel herab. Alida kletterte auf ein niedriges Seitendach und erblickte schließlich einen der Kanäle unter sich.

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„Das hast du dir doch gewünscht, Lucien.“ Konnte sie sich eine spöttische Bemerkung nicht verkneifen. Sie grinste und sprang dann ohne lange zu zögern in das in einigen Metern unter ihr glitzernde dunkle Wasser. Der Gangrel tat es ihr nach und klatschte neben ihr auf der Wasseroberfläche auf. Alida schwamm Richtung Ufer, kletterte eine hölzerne Leiter hinauf und setzte sich an die steinerne Mauer während sich Lucien gekonnt an einem Tau hinaufzog. „Diese verfluchten Priester können nicht mal ein Seil an ihrer Glocke anbringen.“ Hörte sie sein Fluchen. Kurz herrschte Stille. „Hey. Wir sind ja direkt bei dem Anwesen eurer Familie.“ Er deutete auf ein großes Bürgerhaus mit Stallungen in zweihundert Meter Entfernung, dass durch hohe Apfelbäume zu erkennen war.
Sie folgte seiner Handbewegung und nickte. Für einen kurzen Augenblick sah sie ihn durch die Regenwand an und ein melancholischer Ausdruck legte sich über ihr Gesicht bevor sie sagte: „Ich mach mich dann wohl mal auf den Heimweg. Bei dem Wetter macht sich jeder verdächtig, der unten! in den Straßen herumwandelt, oder?“ Sie nickte ihm zu und wandte sich zum Gehen doch der dunkelhaarige Mann hielt sie am Arm zurück.
„Hey, Frau van Brügge. Hier! Ihr habt was vergessen.“ Er drückte ihr einen langen, schweren Gegenstand in die Hand. „Morgen gibt’s eine Revanche. Also fein üben, ja?“ Alida enthüllte die stumpfe Klinge und blickte sich nach Lucien um, der bereits auf dem Absatz kehrt gemacht hatte und in die entgegengesetzte Richtung verschwand.
„21h. Ich werd‘ da sein“, hörte sie seine raue Stimme bevor er mit der Dunkelheit verschmolz. Alida lief über das mittlerweile schlammige Kopfsteinpflaster nach Hause. Sie nahm die Gartenpforte und schlich sich fast lautlos durch die Gänge in ihre Zimmer. Dann verschloss sie leise die Tür, lehnte sich mit dem Rücken dagegen und atmete tief ein. Ungläubig schüttelte sie den Kopf, schloss die blauen Augen und verharrte einige Augenblicke bewegungslos. Dann kämpfte sie sich aus dem enganliegenden triefenden Kleid und warf es achtlos auf den Boden. Sie schritt vorsichtig ans Fenster und spähte durch den Regen nach draußen. Ab und an erhellte noch immer ein fernes Wetterleuchten die Gewitternacht. In der Ferne konnte sie zwei rotglühende Punkte ausmachen, die starr in der Dunkelheit verharrten. Alida schluckte und hatte dennoch noch immer seinen Geschmack auf der Zunge.
Wer hätte je gedacht, dass der Anblick eines Kainiten mit den Augen des Tieres je etwas anderes als Furcht und Unbehagen bei ihr verursachen könnte?


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Der Weg zum Ziel beginnt an dem Tag, an dem du die hundertprozentige Verantwortung für dein Tun übernimms.
Dante Alighieri
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Verfasst: Mo 3. Mär 2014, 19:07 


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