Sa 26. Dez 2015, 11:52
Von Tieren und HexernLucien wollte sich das Spektakel rund um Sebastian, Lilliana und Leif nicht weiter ansehen. Es ging ihn nichts an. Im Grunde hatte er sich geistig und mental schon auf den Weg Richtung Jaques de Camarque gemacht aber irgendetwas hinderte den Gangrel daran, einfach das Haus der Boorluts zu verlassen. Es lag nicht an der Tatsache, in weiterer Folge wieder dem altbekannten Ventrue gegenüberzustehen:
Jean war das Problem.
Diese Träume in denen er immer wieder gerufen wurde waren drängender und präsenter geworden, und wenn es nach Lucien ging durfte Gent mitsamt Mann und Maus zur Hölle fahren, mit Fanfaren und Trompeten. Er war für Jean gekommen, im besten Falle noch für Balduin.
Aber alles zu seiner Zeit und eines nach dem anderen…
Lucien schritt an Lilliana vorbei, die noch immer im Gang stand.
"Versuch einmal in deinem Leben nicht allen wie ein Hund hinterherzulaufen. Wir müssen uns nicht immer alle liebhaben, sondern können uns manchmal richtig gut hassen." Er grunzte kurz, ließ sie stehen und hämmerte dann an die Tür des Hexers. "Sebastian. Mit was immer sie dich schon vollgelabert hat, ich bin aus einem anderen Grund hier - es geht um dich und mich. Gib mir fünf Minuten und du bist mich wieder los."
(sorry, das muss sein
)
Die Tür wurde voller Wucht aufgerissen. Das Gesicht, das ihm entgegenblickte war eine Maske aus Zorn.
„Was willst du, Sabatier?“ Er spie die Worte fast aus.
"Dir weder einreden, das du uns irgendetwas schuldig bist, noch an deine Menschlichkeit appellieren. Du kennst mich, Sebastian. Ich sage immer die Wahrheit, brauche keine geschliffene Rhetorik oder fromme Wünsche, ich sage wie es ist und was ich denke. Und ich will dich sprechen, nicht weil Gent zum Teufel geht oder weil angeblich irgendein abtrünniger Hexer hier herumspukt oder komische Nosferatu Herrschaft spielen. Auch nicht weil Leif keine Lust hat irgendwelche Versprechungen zu machen." Er verschränkte die Arme. "Ich bin in diese Stadt gekommen, weil irgendjemand angeblich eine Rechnung mit mir offen hat - ob du das bist kann ich nicht sagen, aber es liegt nahe."
Der braunhaarige Hexer ließ ein überdrüssiges Seufzen folgen. Man konnte seine Gedanken fast an seinem Gesicht ablesen… Dass ihn diese Geschichte ausgerechnet in diesem ungelegenen Moment verfolgen musste… Er blickte über seine Schulter in das von Kerzen erhellte Zimmer, schien zu überlege.
Dann verengten sich die dunklen Augen des Hexers zu misstrauischen Schlitzen. Seine Stimme war ein kaum hörbares wütendes Flüstern. „Ich bin kein Narr, Sabatier. Ich hab nach wie vor dein Wort, dass du mir solange wir in Gent weilen nicht an die Existenz willst? Falls ja, komm rein. Aber wenn das eine Falle werden soll, wenn du mir mit Klauen oder Schwert zu nahe kommst, dann lass dir eins gesagt sein: Im Gegensatz zu meinem Bruder kann ich mich wehren. Und wenn ich kann nehm‘ ich dich mit in die Hölle.“ Ein hartes Grinsen, das nicht die Augen erreichte, erschien auf seinem Gesicht. Dann hielt er dem Gangrel die Tür auf.
Lucien schlüpfte an ihm vorbei. "Wenn wir beide zur Hölle fahren würden, hätte die Nacht sogar noch was Gutes gehabt, zumindest für die Sterblichen. Findest du nicht?" Er lächelte schief. Bei der Bemerkung erkannte er eine kurze Erwiderung des schiefen Lächelns auf den Zügen des Tremere.
„Das hab ich auch schon mal zu jemandem gesagt… Ich denke, da fehlen uns dann noch ein paar auf unserem Weg in die Hölle…“ sprach er mehr zu sich selbst als zu Lucien.
Sobald die Tür hinter ihm ins Schloss viel, wandte Lucien sich zu dem Tremere um. "Ich mach‘s kurz, weil ich weiß, dass du mich nicht riechen kannst und das beruht auf Gegenseitigkeit, keine Sorge. Ich habe in letzter Zeit wieder diese seltsamen Träume. Jean kommt darin vor und in letzter Zeit ruft er nach mir, es klingt wie ein Hilferuf.
Wir dachten alle immer, du wärst der Auslöser für diese hochrealistischen Träume, aber da bin ich mir momentan nicht so sicher." Lucien schüttelte den Kopf. "Irgendjemand in dieser Stadt will mit mir eine Rechnung begleichen und hat das direkt zu Jean gesagt - warst du das? Mir wäre es lieber, du wärst es gewesen, das macht die Sache einfacher."
Bei Luciens Ausführung zog Sebastian nur die Augenbrauen hoch und blickte fragend. „Du erwartest jetzt ernsthaft von mir, dass ich eine Ahnung habe, wovon du redest? Wer ist Jean?“ Er deutete zu einer Sitzgruppe in der Nähe eines geschlossenen Kamins in der Lucien Platz nehmen konnte.
Dann schritt er näher an die Tür heran, biss er sich selbst in den Handrücken und begann mit seinem Blut einen Kreis auf die Tür zu zeichnen.
Der Gangrel beobachtete argwöhnisch die Sitzgruppe, auf die der Tremere gezeigt hatte. Natürlich verabscheute er Magie, natürlich verabscheute er die Hexer aber was blieb ihm anderes übrig? Vermutlich wirkte es und würde die beiden irgendwie... schützen. Wie sagte Liliane? Irgendwo musste Vertrauen anfangen. Widerlich. Hier ging es nicht um Vertrauen sondern um Jean. Das war bei weitem wichtiger. Er nahm Platz.
Lucien erkannte schließlich einen seltsamen Stern aus runden und geraden Strichen mit mehreren Symbolen darin und darum. Ein paar leise gemurmelte Worte begleiteten das seltsame Treiben. Schließlich blickte der Hexer zu seiner Hand, schloss die Wunde und wandte sich wieder dem Gangrel zu.
Er nickte zu dem seltsamen Pentagramm. „Nur eine Vorsichtsmaßnahme… Nach der Aktion von Vorhin hab ich keine Lust auf Eindringlinge. Weder bei Tag noch des Nachts.“ Er trat näher zu Lucien heran und beäugte ihn misstrauisch.
"Jean ist sozusagen mein Mündel, wobei das weit hergeholt ist, denn er ist bereits ein erwachsener Mann, der mir bemerkenswert ähnlich sieht. Geradezu zum Verwechseln ähnlich, fürchte ich." Der Hauptmann von Brügge flegelte sich in dem ledernen Sessel. "Er ist hier in Gent, vermutlich bei der Grafenfamilie und wurde verfolgt. Hat versucht den Spieß umzudrehen und ist leider gescheitert. Aber er ist mir schon einmal im Traum begegnet, diese Art von Traum, in dem wir beide uns auch schon über den Weg gelaufen sind. Diese beinahe realen Traumvarianten. Und in letzter Zeit habe ich tagsüber das Gefühl, er würde nach mir rufen, was verrückt klingt - aber so ist es nun einmal." Er hustete kurz.
"Nun, er wurde von irgendeinem Fremden angesprochen weil dieser ihn für mich hielt. Jean konnte die Sache aufklären, aber der Fremde sprach davon, dass er noch eine Rechnung mit mir offen hätte. Da dachte ich an dich." Er sah ihn lange an. "Warst du bei meinem Doppelgänger wider Willen?"
Ein schmales Lächeln war bei seinem Gegenüber zu erkennen. „Der junge Mann heißt also Jean?“ Sebastian nickte und ließ sich dann am anderen Ende der Sitzgruppe im sicheren zwei Meter Abstand zu dem Gangrel nieder. „Er sieht dir wirklich zum Verwechseln ähnlich… Zufall oder hat da ein befreundeter Drachen nachgeholfen? Es kann mir gleich sein.“ Der braunhaarige Mann schüttelte den Kopf, wie um das schiefe Lächeln und den Gedanken wieder zu vertreiben. „Ja. Ich habe ihn wirklich vor einiger Zeit hier angetroffen und dachte, es würde sich um dich handeln. Aber der Junge hat das Missverständnis ja sogleich aufgeklärt. Hat sich als dein Neffe vorgestellt. Ich hab ihn mir näher angeschaut. Er scheint einen guten Charakter zu haben.“ Eine weitere Bemerkung lag dem Hexer wohl auf der Zunge doch er verkniff sie sich.
Der Hauptmann schüttelte den Kopf. "Er ist natürlich in keinster Weise mit mir verwandt, das dürfte dir klar sein, aber wie immer müssen die Menschen irgendetwas haben, woran sie glauben können. Im Übrigen war kein Drache am Werk, wir haben es eingehend überprüft. Höchstwahrscheinlich entstammt er einfach meiner Familienlinie, so merkwürdig das klingt." Er ließ das Thema wieder fallen, es schien ihn auch nicht wirklich zu stören, Sebastian dies mitzuteilen. Man hätte es ihm als Schwäche auslegen können und offenbar war sie das auch.
Allerdings versuchte er Jean stets aus all den kainitischen Problemen rauszuhalten. Aber manchmal geriet der junge Familienvater auch ganz ohne den Gangrel zwischen irgendwelche Fronten. Da brauchte es gar keine Tremere.
Er nickte Sebastian zu. "Das warst also tatsächlich du? Gut zu wissen, dann hat sich zumindest dieses Rätsel aufgeklärt. Du bist ihm nicht zufällig eine Zeitlang gefolgt ohne dass er dich gefunden hätte? Ein wenig Gespenst gespielt, hm?"
Sebastian schüttelte skeptisch den Kopf. „Warum sollte ich das tun? Ich hab bei weitem besseres mit meiner Zeit anzufangen als jungen sterblichen Ghulen hinter her zu jagen? Die Stadt hier hat genug Probleme…“
"Er ist kein Ghul, du weißt, dass mir so etwas nicht liegt. Ich versklave niemanden. " Und sein Lächeln wurde breit bei jenen Worten. Schließlich nickte er bestätigend. "Also der Verfolger warst nicht du, verstehe. Schade eigentlich, das kann nur bedeuten, dass jemand anderes hinter ihm her war und wenn man sich die aktuelle Situation in Gent besieht, ist dies sogar wahrscheinlicher."
Er zuckte mit den Schultern, offensichtlich nahm er das Sebastian ohne weiteres so ab. "Macht es aber auch zugleich schwieriger, weil wir um dieses Rätsel zu lüften, die aktuellen Probleme angehen müssen und davon gibt's nicht wenige." Seine Hand glitt kurz über den schroffen Dreitagebart. "Also.. du willst die Rechnung begleichen? Was schwebt dir vor, lieber Sebastian? Wie willst du mich um die Ecke bringen?"
Zunächst erschien wieder das schwache Lächeln, dann beugte sich der Hexer nach vorne, stützte die Ellenbogen auf die Knie, faltete die Hände und ließ das Kinn nachdenklich darauf sinken. Die Züge wurden grüblerisch, fast etwas melancholisch.
„Ich wollte dich nie um die Ecke bringen.“ Kurz lachte er tonlos auf und sein folgender Ton war hart und kalt. „Das wäre zu einfach gewesen. Ich wollte Rache. Ich wollte dich bestrafen für all das, was du getan hast. Weil ich der Meinung war, dass ein Monster wie du es verdient zu leiden… lange…“
Er schwieg mehrere Minuten und sein Blick bohrte sich dabei fast in sein gegenüber. „Aber du bist vieles, mit Sicherheit auch ein Monster… aber wir alle tragen diesen Teil in uns…“ Er seufzte traurig und wandte den Blick ab. „Aber was immer geschieht, es macht das, was geschehen ist nicht rückgängig.“ Wieder verging eine Minute. „Ich bin Gretlin einst im Traum begegnet… Sie hält dich für einen ehrbaren Charakter und andere mit denen ich geredet habe kamen zu dem gleichen Schluss…“
"Dann bist du besser über mich informiert, als ich über dich, Sebastian. Ich habe nie wirklich verstanden, was du wolltest. Das einzige was ich immer wieder gesehen habe war, dass du uns auf die eine oder andere Weise übel wolltest. Oder nicht übel... wie soll ich das formulieren?" Er überlegte. "Du hattest einen Plan und der wurde ausgeführt, komme, was da wolle. Wenn du etwas dazu tun musstest, dann hast du es getan. Das kann ich akzeptieren, trotzdem hat uns das nicht gerade zu Freunden gemacht. Aber das macht nichts. Ein ehrlicher Feind ist mir zehnmal lieber als all die falschen Freunde, von denen wir, da bin ich überzeugt, reichlich in- und außerhalb der Stadt haben. Da weiß man woran man ist. Ich habe immer mit offenen Karten gespielt. Viel kann man mir vorwerfen, aber das nicht."
Sebastian sah ihn scharf an. „Ich habe nie etwas getan, das einem Brügger ernstlich geschadet hätte. Dich nehme ich aus dieser Behauptung aus. Dir hätte ich gern den Schmerz zugefügt, den du mir zugefügt hast… Aber das hab ich hinter mir gelassen.“
Luciens Kopf senkte sich etwas auf die Höhe Sebastians herab. "Weißt du was, Sebastian: Töte mich und es wird nichts geschehen. Es macht deinen Bruder nicht wieder lebendig, es ändert nichts daran, dass du untot bist oder dass Leif dich verabscheut. Es ändert nichts an deinem Schmerz oder deinen Problemen. Bestenfalls verändert sich was in der Politik, weil ein Brügger Vollidiot den Löffel abgegeben hat. Ein paar Aasgeier mehr." Er grinste. "Das ist ja das Lächerliche an dem ganzen hier: Was immer wir tun, durch diese Zeitlosigkeit, ist es bestenfalls ein paar Jahre von Wert für uns." Sein Blick wurde ungläubig. "Und seit wann spukst du bei Gretel im Traum herum? Das Mädchen hat genug Verwirrung da oben im Kopf. Es freut mich aber, dass du beschlossen hast von meiner Ermordung abzusehen. Ich habe ebenfalls keinen Bedarf mehr an deinem Kopf. Es ändert nichts. Weder für dich, noch für mich."
Sebastian sah Lucien noch immer abschätzend an. Wieder huschte ein kurzes abwägendes Lächeln über seine Züge. „Beantworte mir doch bitte eine unbedeutende Frage! Wenn ich deinen geliebten ‚Neffen‘ in meiner Gewalt hätte, ihm all die kleinen Grausamkeiten antun würde, die ich all die Jahre für dich vorbereitet hatte, was würdest du mit mir anstellen?“
"Nichts", antwortete er ausdruckslos. "Ich würde es nur schade finden, dass du einem jungen Familienvater das Leben nimmst. Seine Frau ist schwanger und erwartet bald ein Kind. Und sein einziger Fehler war irgendetwas mit mir zu tun zu haben. Deshalb halte ich mich normalerweise auch fern von den Menschen, das ist besser für alle." Er hob die Schultern. "Oder wie Prinzessin Erzhausen es formulieren würde: Am Ende hätten wir beide nur verloren. Vielleicht würde ich Brügge auch verlassen, weil ich mich für seinen Tod verantwortlich fühlen würde. Das wäre dann ohnehin der richtige Zeitpunkt zu gehen. Aber ich habe keine Lust hinter dir herzujagen. Du hast mich Monster genannt: Wenn du das tun würdest bist du nicht besser als ich. Und alles, was man mir vorwirft, wird ad absurdum geführt."
Sebastian nickte. „Ja. Hass und Rache unterhalten sich ewig wie ein Feuer, das nie ausgeht bis alles niedergebrannt ist. Jean, Jakob… wie auch immer die heißen, die uns wichtig sind. Sie kommen alle in diesem Kampf um, den wir Kainiten führen, wenn wir es nicht zu verhindern wissen.“
Lucien nickte knapp. Zu den Worten des Tremere hatte er nicht wirklich viel hinzuzufügen. Vor allem nicht zu dem Feuer das ewig loderte. Es war das Wesen der Kainiten sich bis in alle Ewigkeiten gegenseitig umzubringen.
"Ich betrachte diese Unterredung somit als Waffenstillstand. Von mir aus kannst du auch ruhig Brügge unsicher machen, auch wenn Leif das nicht gefallen würde. Wir sind ja ohnehin früher oder später drauf und dran Bündnisse mit deinem Clan zu schließen. Wir können nicht immer alle hassen. Das ist der Teil am Untod den ich persönlich verabscheue."
Sebastian biss sich nachdenklich auf die Lippen und schüttelte dann den Kopf. „Ich hab den Jungen seit der Nacht vor einigen Tagen nicht mehr gesehen und ich hab auch keine Ahnung, wo er sich aufhält.“ Er setzte sich wieder gerade auf. „Ich bin dir damals vor Jahrzehnten in dem Traumgespinst begegnet. Ich wusste, du würdest irgendwann dort auftauchen. Fast alle mit denen man verbunden ist, tauchen früher oder später dort auf. Der Junge, Jean, er war auch dort, oder?“
Der Gangrel kratzte sich am Kinn. "Jean war damals auch dort, ja, auch wenn er kaum mehr als ein Knabe war, so hat er doch irgendwie ein halbes Leben in diesem Traum verbracht. Es war nicht zuletzt dieser Traum, der uns näher aneinander gerückt hat. Aber er ist frei und erwachsen und vor allem lebendig, jetzt lebt er sein eigenes Leben, macht seine eigenen Fehler und liebt wen er möchte." Sein Blick verfinsterte sich. "Und gerade wird er wieder in etwas Übernatürliches hineingezogen. Und es ist noch nicht mal meine Schuld, er hat nur seinen Dienst getan. Im Traum oder in diesem halbwachen Zustand zwischen Tag und Traum, glaube ich manchmal, dass er mich durch dieses Gespinst ruft. Wir müssen das mit Camarque schnell über die Bühne bringen, ich mache mir Sorgen."
Sebastian schien nachzudenken. „Der Junge hat also gerufen… Und, hast du ihm antworten können? Vielleicht kann er dir im Traum mitteilen, wo er steckt und was los ist. Aber das weißt du sicherlich.“
Er nickte. "Ja, sowohl er als auch ich wissen das Kommunikation über diese Träume möglich ist aber..." Luciens Miene verzog sich grimmig. "Ich konnte ihm nicht antworten. Es war als ob ich nicht zu ihm durch käme, als ob mich etwas... behindern würde, uns absichtlich trennt." Er sah den Hexer an. "Was weißt du über diese Träume? Wer ist der Erschaffer und warum? Und wie ist so etwas überhaupt möglich? Ist der Traummeister hier in Gent?"
Sebastian nickte langsam. „Ich weiß ein wenig…“ Wieder sah er ihn lange an und sein Blick wurde hart. „Aber warum sollte ich dir helfen, Jean wieder zu finden? Noch vor einer knappen halben Stunde hab ich da unten im Verhandlungsraum der Borluuts gesessen und mir wurde mehr als deutlich gemacht, dass mir in der Anwesenheit von dir und deinen Brügger Landsleuten jederzeit der Kopf von den Schultern geschlagen werden kann. Nimm’s mir nicht übel, aber es gibt Zeiten, da hab ich es alles einfach nur so unglaublich satt und der Name Brügge allein ruft in mir eine Übelkeit hervor, bei der ich mich am liebsten übergeben würde.“ Wieder war Wut in seinen Augen zu erkennen. „Ich hab eine Menge für diese vermaledeite Stadt und ihre Bewohner riskiert und sitz hier und weiß nicht mal, ob ich heil aus Gent raus komme nur weil IHR von der guten Frau Borluut eingeladen worden seid euch um die gleichen Probleme zu kümmern wie ich. Sie muss schon sehr verzweifelt sein, sonst wäre sie nicht so unverschämt uns an den gleichen Tisch setzen zu wollen. Jeder Kainit in Flandern weiß, was ihr mit Tremere anstellt, die euch über den Weg laufen…“
"Oh, dir wird schlecht wenn du den Namen Brügge hörst? Dann haben wir schon eine Gemeinsamkeit. Manchmal frage ich mich was den Sauhaufen da drin überhaupt zusammenhält. Vermutlich einfach unsere Sturheit und Glück." Lucien grinste ihn schief an, wie er das immer zu tun pflegte wenn ihm etwas besonders erheiternd vorkam. "Was die gute Madame Brotrinde angeht gebe ich dir recht: Sie versucht alles um die Stadt wieder unter ihre Kontrolle zu bringen, weil ihr nicht mehr viele Alternativen bleiben. Ich glaube ja, dass diese Nosferatu mit magischer Hilfe das erreicht haben, wovor sich jetzt alle so fürchten. Das ist dein Part - die 'unerlaubte' Magie. Wir hacken uns nur durch die Reihen wenn wir den Drahtzieher gefunden haben, wie üblich."
Er legte den Kopf leicht schief. "Ich will nichts zu Jean direkt wissen, sondern zu den Träumen an sich. Ich bin überzeugt davon, dass ich herausbekommen kann wo er sich momentan befindet, allerdings habe ich diese Traumlandschaften nie ganz verstanden. Es geht nicht um Gent sondern um mich, lieber Sebastian. Diese Traumsache ist was Privates."
Der Hexer ließ einige Minuten vergehen bevor er weiter sprach. „Lucien?“ Er deutete mit dem Daumen zu einem unbestimmten Punkt unter sich. Der Hauptmann wusste, dass sich dort das Versammlungszimmer befand. „Ihr seid nicht bereit, mir zu garantieren, dass ich mit heiler Haut wieder aus Gent heraus komme… und dann bittest du mich darum dir zu erklären, wie du im Traum die nötigen Informationen erhalten kannst um dem Jungen zu helfen? Warum sollte ich dir und Jean helfen?“ Ein trauriges Lachen folgte. „Versteh mich nicht falsch, aber ihr Brügger seid ein Haufen von dem man sich fern halten sollte, wenn man als Hexer überleben will.“
"Gent interessiert mich nicht, Sebastian. Du leider auch nicht wirklich obwohl ein Tässchen Tee und ein paar Kekse sicher fantastisch wären, aber da musst du zu Liliane gehen. Im Übrigen nennt sie sich jetzt Aurora. Was für eine tolle Tarnung oder? Hat sie sich ganz alleine ausgedacht, unsere ausgefuchste Toreador. Kein Wunder das Brügge noch immer hochangesehen ist, bei solch formidablen Kainiten." Er lachte kurz auf. "Ein Salubri, der fast gleich viele getötet hat, wie nun von seinem Clan draufgehen. Ein Drache der sich weigert einer zu sein, ein altersschwacher Nosferatu der langsam die Lust am 'regieren spielen' verliert und schließlich der Gangrel, der irgendwo dazwischen herumläuft ohne wirklich zu wissen, was er da eigentlich tut." Lucien streckte ihm die behandschuhte Hand hin. "Wenn du mir sagst, was ich über den Traumerschaffer wissen muss, lasse ich dich völlig unbehelligt aus Gent abziehen sobald diese Sache erledigt ist. Dazu wäre aber nicht einmal diese Unterredung notwendig. Auch wenn du es wohl mittlerweile zu einiger Prominenz in deinem Clan gebracht hast, wirst du dich nicht so dumm anstellen um im hochverehrten Auftrage der Madame Brotrinde von Gent zu versagen oder dich von persönlichen Fehden verwirren lassen. Es bringt mir nichts dich zu töten. Ich hasse deinen Clan und vertraue ihm nicht aber was nützt es wenn ich dich hier einen Kopf kürzer mache? Du bist nicht mehr so wichtig, Sebastian. Du warst es vielleicht einmal aber wir haben schlimmere Feinde, die an unsere Tür klopfen. Du übrigens auch."
Sebastian erhob sich aus seinem Stuhl. „Wenigstens seid ihr Brügger mittlerweile wohl so ehrlich und gebt euer Wort nicht mehr um es später im Anschluss zu brechen. Damit hat sich doch schon viel geändert, nicht wahr?“ Der Sarkasmus war wieder deutlich zu hören. Er deutete auf das Symbol an der Tür. „Ich versuche selbst für meine Sicherheit zu sorgen. Das erscheint mir erfolgsversprechender.“ Sebastian atmete lang ein, schloss die Augen und ließ die Luft wieder entweichen. Er schien sich zu sammeln. „Verzeih mir, aber zu viel hat sich zugetragen und die Dinge sind nun einmal so wie sie sind. Vielleicht solltest du jetzt gehen?“ Er trat einige Schritte auf die Tür mit dem Symbol, das den Raum sicher versiegelte, zu und blieb neben einer Kommode stehen. Der Hexer schien darauf zu warten, dass Lucien sich erhob.
Lucien nickte. "Wenn es sich bei unserem Drahtzieher tatsächlich um einen magisch begabten Kainiten handelt, dann hast du, wie du richtig festgestellt hast, die größten Chancen zu überleben. Du bist mit der Magie vertraut, wir nicht. Das war schon immer dein, als auch der Vorteil deines Clans." Der Gangrel stieß sich kräftig aus dem Sessel und kam wieder auf die Beine, wandte sich zum Gehen. "Es gibt nichts zu verzeihen, denn du hast nichts falsch gemacht. Lediglich eine Entscheidung getroffen, die ich akzeptieren werde. Gehab dich wohl Sebastian von Augsburg. Vielleicht findest du einst das, wonach du dich sehnst. Alles Gute."
Er hielt einen Moment inne. „Du hast mich gefragt, warum du mir helfen solltest, Jean zu finden? Es gibt wohl keinen Grund für dich. Aber Jean und deinen Bruder Jakob verbindet eines: Beide waren uns wichtig und sie haben den einen Fehler gemacht mit uns in Kontakt geraten zu sein, und mit einer Welt, die alles andere als ungefährlich ist.“
Damit wollte er schon den Türgriff umschließen.
Mit einer raschen Bewegung riss Sebastian den Gangrel am Arm zurück, bevor seine Finger die Klinke umfassen konnten. Seine Stimme war leise. „Keine gute Idee…“ Er nickte in die Richtung des Pentagramms. Wieder überlegte er kurz.
Lucien hätte vielleicht überrascht sein müssen, als ihn der Tremere so einfach nach hinten riss, bevor er noch die Türklinke hätte ergreifen können aber irgendwie war er das nicht. Er betrachtete die blutigen Symbole. Ohne Zweifel: Der Hexer hatte dafür gesorgt, dass nichts und niemand so einfach hier herein gelangen konnten. Hatte er solche Türen nicht schon einmal angefasst und dann erschrocken wieder losgelassen, als diese einen brennenden Schmerz durch seinen Arm gejagt hatte? Er glaubte es zumindest.
Der Hexer griff in die oberste Schublade der Kommode und zog etwas hervor. Er sah kurz auf die Gegenstände und drückte sie Lucien ohne langes Zögern in die Hand. Lucien erkannte ein Stück weiße Kreide, eine Bienenwachskerze und drei alte abgegriffene Spielkarten.
„Hier! Für Jean.“ Ein schwaches Lächeln war zu erkennen. „Jakob hätte gewollt, dass ich dir das gebe. Da bin ich mir sicher. Die Welt, der Tod und der Mond...“
Ein zweideutiges Grinsen legte sich auf seine Züge. „Du weißt sicher: Das Heil findet man im Gebet, nicht wahr? Würde Aurora oder Lilliana oder die versammelte Priesterschaft von Brüssel jetzt wohl beteuern… oder vielleicht auch nicht. Wer weiß das schon? Zeichne ein Kreuz, positionier die Kerze in der Mitte, leg die Karten davor aus und bete zu Gott, Odin, Jupiter, Luzifer oder wem auch immer. Ich vermute es geht dabei nur darum den Geist frei zu bekommen. Konzentrier dich auf Jean, auf das erste Mal, als ihr euch im Traum begegnet seid. Dann warte auf die Sonne und geh zu Bett. Ich weiß nicht, ob das der wirklich richtige Weg ist und ein Traummeister wie Achmet der Träumer würde wahrscheinlich vehement widersprechen, aber bei mir hat es, wie du dich ja schon selbst in unserem gemeinsamen Traumgespinst überzeugen durftest, meist funktioniert. Und mehr brauchst du nicht, oder?“
Luciens Blick wanderte auf die Utensilien, die Sebastian ihm überreichte und er hob kurz eine Augenbraue. Beten? Das war wohl nicht ganz sein Ernst oder?
"Danke", sagte er schließlich und verstaute die Gegenstände in einem Tragebeutel. "Was Achmed der teuflische Träumer sagen würde weiß ich nicht, aber solange es funktioniert, tanz ich sogar mit einem Blumenkranz im Haar ein lockeres Maitänzchen dazu und preise den Herrn.“
Sebastian verkniff sich bei der Vorstellung ein Grinsen bevor er wieder ernst wurde „Auch dir viel Glück. Vielleicht sind wir wirklich eines Tages in der Lage, das, was vorgefallen ist, hinter uns zu lassen…?“ Er griff selbst nach der Klinke.
Luciens Blick viel auf die Türklinke, die nunmehr vom Hexer hinabgedrückt wurde. Ja, scheinbar war er der einzige der die Tür gefahrlos öffnen konnte. "Ich habe es bereits hinter mir gelassen, Sebastian. Wäre das nicht so, wärst du schon Asche." Und das klang wieder für jemanden wie Lucien, seltsam logisch und nachvollziehbar.
Wieder zögerte der Hexer kurz. „Eines noch: Wenn du kannst, pass auf Gretlin auf. Ich weiß nicht, ob sie noch Kontakt zu Leif hat, aber falls dem so ist, hab ein Auge auf sie. Das mag besser für sie sein. Leif wird mir das, was vorgefallen ist bis zum Ende aller Tage und Nächte nicht verzeihen und er vermutet, dass es eine Verbindung zwischen ihr und mir gibt. Ich möchte nicht, dass sie leidet für, das, was er mir vorwirft.“ Wieder folgte ein kurzes Seufzen.
Als die Sprache auf Gretlin kam nickte der Gangrel stumm. "Wenn das hier funktioniert, werde ich Gretlin anraten in Bezug auf Leif vorsichtig zu sein. Direkt aufpassen auf sie kann ich nicht, denn das Mädchen bräuchte eine Rundumüberwachung, ähnlich wie Liliane." Er wollte schon an Sebastian vorbeigehen, wandte sich dann aber noch einmal ihm zu. "Sie ist Tremere nicht wahr? Niemand veranstaltet so eine Hetzjagd auf ein dummes Malkavianer Gör. Das war etwas Persönliches, etwas Wichtiges." Lucien sah ihn hart an. "Sie nur zu, dass dein kleines Spiel uns nicht alle ins Verderben reißt. Dein Clan macht auch vor den eigenen Leuten nicht halt." Damit wandte er sich zur Tür.
Wieder schüttelte der Hexer den Kopf. „Es geht nicht um Clanszugehörigkeit. Es geht um das, was sie einmal gewusst, was sie vergessen hat. Die einen wollen dieses Wissen, die anderen fürchten es. Und keiner weiß, ob sie es noch in ihrem Kopf hat.“ Ein schwaches Lächeln erschien auf seinen Lippen und er deutete mit einem Finger an die Stirn. „Ich glaube, dass sie all das noch irgendwo da drin hat. Ich hoffe es.“ Er schien über irgendetwas nachzudenken. „Ich denke, du hättest sie gemocht, damals, als Bücher nur beschriebenes Papier waren, Menschen noch Freunde sein konnten, Ziele erreichbar waren…“ Dann war wieder ein Schatten zu erkennen. „Lange her… und das Schicksal holt uns alle ein… und manche werden dabei überrollt.“
"Du weißt, dass es eine sehr einfach Möglichkeit gibt das Problem zu lösen oder? Wenn das, was sie in ihrem Kopf hat auf die eine oder andere Art gefährlich werden kann, weil es jemand fürchtet und ein anderer haben kann dann...." Er sah ihn ausdruckslos an.
Wieder erschien das Lächeln auf dem Gesicht des hochgewachsenen Mannes. „Haben wir nicht alle das ein oder andere Wissen in unseren Köpfen, das für gewisse Kainiten oder auch Sterbliche tödlich sein könnte?“ Die Anspielung war eindeutig.
Lucien lächelte und nickte anerkennend. Touché. "Ganz ohne Frage, Herr von Augsburg." Er ging durch die Tür. "Die Frage ist nur, ob es dir das alles wert ist. Wir könnten es alle so einfach haben. Leb wohl, Sebastian, und viel Erfolg. Ich werde dir die Kerze, als auch die Karten im Gasthof zum See zwischen Brügge und Gent hinterlegen lassen."
Sebastian schüttelte den Kopf. „Das sind nur ein paar alte Spielkarten und eine Kerze. Mehr nicht. Nichts Mystisches, Geweihtes… Behalt sie. Viel Glück bei der Suche.“ Wieder vergingen einige Sekunden. „Pass auf dich, eure Stadt und deine Leute auf, Sabatier.“ Er nickte Lucien noch ein Mal zu und schloss dann die Tür hinter sich.