So 19. Feb 2017, 21:09
Die Miene des ‚Torwächters‘ war grimmig. „Meister Ludwig empfängt keine Besucher zu dieser Nachtzeit. Zieht von dannen.“ Er zögerte einen Moment als er den leblosen Körper auf dem Rücken des Pferdes bemerkte. Seine Stimme wurde zu einem Grummeln. „Nun gut. Ich werde ihn fragen, ob er euch empfangen mag. Aber wenn er ablehnt, wandert ihr weiter!“ Er verschwand in den Schatten der Feste und ließ die beiden Männer in der Kälte der Nacht allein. Minute um Minute verstrich ohne dass ein einziger Ton zu hören war. Dann jedoch wurde die Zugbrücke mit einer beinahe beschaulichen Langsamkeit, die kaum ein Geräusch verursachte herunter gelassen und das Tor dahinter geöffnet.
Statt des Mannes von eben erkannte Leif einen hochgewachsenen Jungen von wohl 15 Jahren, der beide etwas misstrauisch ansah, dann jedoch mit raschen Schritten auf Leif zugestapft kam.
„Wenn ihr hier draußen auf Bodo warten wollt, bis er wieder hier ist, dann ist euer Freund bis dahin Futter für die Würmer. Meister Ludwig ist bis Mitternacht in seine Meditation vertieft und so lange wird Bodo geduldig wie der treue Diener, der er nun mal ist, vor seiner Tür stehen und warten.“ Er sah den blutüberströmten Leif an und öffnete entsetzt den Mund. „Was um alle Welt ist da draußen geschehen?“ Er wartete nicht auf eine Antwort, sondern begann sofort nach dem Verletzten zu sehen. Mit einigen gekonnten Griffen, das erkannte der medizinisch versierte Leif sofort, überprüfte er dessen Bewusstsein. Ein kurzer Griff seiner kräftigen Finger ging zur Halsschlagader des Verwundeten und er schluckte kurz. Dann jedoch sah er Leif fragend an und die Stimme wurde leiser. „Er atmet nicht und ebenso hat das Herz aufgehört zu schlagen… Besteht für euren Freund dennoch Hoffnung?“
Wie sehr Leif unbeholfene, langsame und dumme Diener verabscheute wurde ihm erst wieder in diesem Moment klar. Er war dem Jungen, der sie eingelassen hatte, daher mehr als nur dankbar, dass er diese elende Scharade mit Bodo abgekürzt hatte. Er führte das Pferd langsam über die heruntergelassene Brücke und lächelte dem jungen Mann schwach, aber dankbar zu. “Wir wurden überfallen, überrascht und mussten uns mit allerlei Problemen rumschlagen.” Dann wurde er ernster und schaute zu Matthias. “Er ist schwach, aber ich glaube er hat noch eine Chance wenn er schnell Hilfe bekommt. Der Mann ist zäh und sein Herzschlag ist auch wenn er wach ist kaum wahrzunehmen.” Leif hoffte, dass seine Worte dem anderen Mann genug verrieten um eventuelle Fragen über ihre Natur zu beantworten, oder falls er doch kein Eingeweihter war, zumindest halfen, seine Verwirrung über den Kainiten zu zerstreuen. Beides war ihm recht.
Schließlich schaute sich der Nordmann im Inneren der Burg um und wandte sich wieder an ihren Begleiter. “Ich würde es zu schätzen wissen, wenn ihr uns nach drinnen führen könntet. Vielleicht habt ihr ein wenig Wasser, Licht und sauberes Leinen damit ich mir die Wunde anschauen kann solange wir darauf warten, dass Meister Ludwig seine Meditation beendet. “Verzeiht die mangelnde Höflichkeit. Mein Name ist Leif. Wie ist der eure?”
Der Junge griff noch auf dem Weg ins Innere wie selbstverständlich nach den Zügeln des Pferdes. Ganz offensichtlich musste er eine ganze Zeit lang als Stallbursche gedient haben. „Ich bringe euch hinein. Das bringt mir zwar später eine ordentliche Tracht Prügel von Bodo ein, aber damit werd‘ ich wohl leben können. Im Gegensatz zu eurem Freund, wenn er nicht bald medizinische Versorgung erhält. Wir haben einiges da, und ich hoffe, es wird auch was dabei sein, dass jemandem wie ihm helfen mag.“ Er ging neben Leif her über die Zugbrücke ins Innere der Feste.
Burg Kahlstein musste einst eine bedeutende, prächtige Festung gewesen sein, aber vom ehemaligen Ruhm war außer den breiten, fast uneinnehmbaren Mauern nichts mehr geblieben. Das Mauerwerk bröckelte an vielen Stellen, ganze Wände waren eingestürzt und die Dächer löchrig. Einige Gebäude waren noch ganz gut in Schuss, wie Leif feststellte. Er hörte das Quieken von Schweinen, das Muhen von Kühen, aus einem Ferch äugten ein paar verängstigte Rehe zu ihnen hinüber.
„Ihr könnt mich Locus nennen, wenn ihr wollt.“ Er deutete auf einen größeren Gebäudekomplex, der wohl das Haupthaus darstellte und aus dessen Schornsteinen Rauch empor stieg. „Bringt euren Freund die Treppe hinauf und in den ersten Stock. Gleich zur Rechten beginnt die große Halle. Dort ist es warm und ihr findet Leinen und heißes Wasser dort. Ich bringe euer Tier in den Stall und folge euch dann sofort.“
Der Salubri hörte Locus aufmerksam zu und prägte sich die Anweisungen ein, während er mit seinen Blicken an dem Zustand der Burg hängen blieb. Die Feste schien zwar tatsächlich ihre besten Jahre hinter sich gelassen zu haben, allerdings hatte er nicht das Gefühl, dass seine Bewohner bereits am Hungertuch nagten. Wie auch immer es hier weitergehen würde, Leif hoffte, dass Trajan bald auftauchen würde und er diesen trostlosen Ort hinter sich lassen konnte. Er verabschiedete sich von dem Jungen im Moment und ohne viele weitere Worte zog er Matthias vom Pferd und begann mit ihm den Aufstieg in die inneren Räume des Haupthauses. Es wurde Zeit sich diese Wunde einmal anzusehen, auch wenn Leif übles schwante. Eine nicht verheilende Wunde, geschlagen von einem magischen Feuer, heiß wie nichts was man zuvor gesehen hatte...Das klang nicht sonderlich vielversprechend, auch wenn Leif die Hoffnung noch nicht aufgegeben hatte.
Die Hall von der Locus geredet hatte war nicht groß, aber warm. Über einem Feuer briet ein Schwein und man hatte einen großen Waschzuber in die Nähe der Flammen gerückt, damit sich das Wasser erhitzte. Eine alte, gebeugte Dienerin saß am Feuer und rupfte ein Huhn.
Als die sie beiden Männer erblickte, sprang sie mit einer für ihr Alter unerwarteten Behändigkeit auf und verließ verängstigt ohne Huhn den Raum. Es gelang Leif den leblosen Körper auf einem leeren Tisch in der Nähe der wärmenden Feuerstelle abzulegen und ihm die Rüstung abzunehmen. Der Junge war mittlerweile wieder erschienen und half Leif indem er die Rüstungsteile vorsichtig entgegen nahm und abstellte. Ein entsetztes Kopfschütteln von Seiten des Jungen folgte als Leif die Hose mit einem Messer aufschlitze um die Wunden freizulegen.
Das ganze Bein war mit schwarzen, verkohlten Streifen übersäht, die sich in die Tiefe fraßen und dabei Muskel und Knochen zerkochten. Nach wie vor waren die seltsamen zerstörerischen Kräfte am Werk, denn er konnte erkennen, wie sich die Ausläufer der Wunde langsam Richtung Bauch und zum anderen Bein hin fraßen.
Wie er vermutete hatte. Die Wunde sah nicht nur besorgniserregend aus, sondern regelrecht tödlich. Sogar für einen Kainiten und das machte ihm Sorgen. Er brauchte jetzt Ruhe und ließ sich nicht von dem jungen Mann ablenken. Dann versuchte er mit der Hilfe seiner Blutskräfte mehr über die Verwundung herauszufinden.
Die Wunde, das konnte Leif anhand der Berührung von Matthias kalter Haut spüren, musste durch ein durch Magie verstärktes Feuer ausgelöst worden sein. Mochte sie zu Beginn vielleicht noch klein gewesen sein, so fraß sie sich doch kontinuierlich weiter. Matthias musste in den letzten Tagen alle Kraft, die er hatte aufbringen können, dafür eingesetzt haben, das Fortschreiten der Verbrennung aufzuhalten. Durch die Starre, in der er sich jedoch jetzt befand, war der Weg für das vernichtende Werk frei.
Locus neben ihm schüttelte nach wie vor ungläubig den Kopf, dann zog sich seine Stirn in nachdenkliche Furchen. Er war so in Gedanken vertieft, dass er nicht mitbekam, wie hinter ihnen die Tür aufgerissen wurde und der Diener, den der Junge am Tor Bodo genannt hatte, kam herein gestürzt. Ein Blick auf die Beteiligten und ihm war klar, wer die Reisenden hereingelassen haben musste. Wütend kam er auf den Jungen zu und ballte die Fäuste. „Wie kannst du es wagen, du nichtsnutziger Trottel, Fremde in unsere Mauern zu lassen? Dafür setzt es Prügel, das schwör ich dir!“
Der Junge drehte sich um und reckte trotzig das Kinn nach vorne.
„Wenn dir der Sinn danach steht, kannst du mich gerne später als Sack zum Reinschlagen missbrauchen! Jetzt haben wir Wichtigeres zu tun.“
Bodo warf einen Blick auf den leblosen Körper. „Der ist doch eh schon tot. Das sieht doch jedes Kind. Warte nur, bis Meister Ludwig davon erfährt!“ Wütend stapfte er wieder davon.
Locus atmete schwer ein. Es schien ihm nicht leicht zu fallen sich zusammen zu reißen. Dann fixierte er den Salubri. „Es gibt hier eine Bibliothek. Ich glaube, ich habe dort einmal etwas über eine solche Wunde gelesen. In den Schriften von Meister Ludwig. Ich werde danach suchen. Viel Glück mit eurem Freund.“ Er nickte noch ein letztes Mal zu Leif, dann verschwand auch er aus der schweren Eichenholzpforte.
Leif wich nicht direkt zurück, aber er wusste nicht ob er dem anderen Salubri bei einer magischen Wunde dieser Art noch auf irgendeine Weise helfen konnte. Ein Gedanke, der vielleicht genauso bitter wie grausam war durchfuhr ihn als er sich das so ansah. Vielleicht war dieses Ende ja die gerechte Strafe, die sein Clansbruder erhielt, da er sich mit Thaumaturgie eingelassen hatte. Das Schicksal hatte immer höchst interessante Wege auf einen zurückzukommen. Welch törichte Ideen er doch manchmal hatte, dachte sich Leif im Stillen und besah sich weiter das tote und geschwärzte Fleisch, während er versuchte sich daran zu erinnern ob er von solchen Verletzungen schon einmal gelesen hatte.
Während Leif die Wunde studierte und das, was er von Matthias gehört hatte mit dem verglich, was er in der Zeit seiner Existenz erlebt hatte, wurde ihm eines plötzlich bewusst. Das Heimtückische an der Art und Weise wie diese Wunde arbeitete war ihre Beharrlichkeit. Es half nichts sie zu unterdrücken, sie zurück zu drängen oder anzuhalten. Eine Verletzung dieser Art konnte man nur dann heilen, wenn das innerhalb von kürzester Zeit geschah: in dem man sie aus dem Körper drängte und keine Wunde zurückließ. Aber das war Leif klar, konnte bei einem Verletzten wie Matthias nur mit kainitischem Blut in hoher Dosis und Potenz geschehen.
Seine Gedanken überschlugen sich. Er könnte dem Verletzten vielleicht mit einem Teil von Saulots But helfen, aber etwas in ihm begehrte gegen diesen Gedanken auf. Es war noch immer unklar welche Rolle Matthias mit seinen thaumaturgischen Gaben wirklich in all dem spielte und es erschien ihm falsch auch nur einen Bruchteil vom Blut ihres Vorsintflutlichen für jemanden wie ihn zu verwenden. Zwei Stimmen stritten in Leifs Kopf für das für und wider aber letztendlich wandte er sich von dem Gedanken ab. Es musste bewahrt werden, aber genauso sollte es den Interessen des Clans zugutekommen. Er konnte diese Entscheidung nicht ohne Trajan, den eigentlichen Besitzer dieses unbezahlbaren Artefakts treffen, weshalb er den Mantel über den Verletzten zog und sich umdrehte. Das Blut Saulots war keine Lösung, es hatte ihn auf eine Visionsqueste geschickt und für eine solche hatte er im Moment mit Matthias keine Zeit. Im Gegenteil es war sogar gefährlich noch mehr Aufmerksamkeit auf sie zu ziehen.
Er konnte nichts für ihn tun und seine einzige Chance schien es zu sein durchzuhalten bis Trajan auftauchte. Vielleicht wusste dieser einen Rat, falls - und selbst der pure Gedanke schmerzte Leif - falls dieser den Angriff der Tremere überstanden hatte. Er seufzte und wandte sich dem Waschzuber zu. Es gab niemanden den er fragen konnte, aber Leif entschied sich trotzdem ein wenig des heißen Wassers zu nutzen um sich das Blut Sleipnirs abzuwaschen. Er konnte es nicht. Er konnte niemandem Hilfe verweigern, wenn es in seiner Macht stand diesem vielleicht zu helfen. Er ging wieder mit schnellen Schritten auf Matthias zu und vergewisserte sich in dem Raum alleine zu sein. Trajan hatte das Blut Saulots bereits an ihn verschwendet und wenn er dieser Gabe mit all seinen Sünden und Verbrechen würdig war, dann spielten auch Matthias Thaumaturgie keine Rolle. Trajan würde es verstehen. Leif holte die kleine Phiole hervor und kratzte mit einem kleinen Werkzeug einen winzigen Bruchteil ab um es in den Mund des Verletzten zu geben. Jetzt konnte er nur noch warten was geschehen würde und er hoffte sehr gerade nicht etwas ausgesprochen Törichtes getan zu haben.
Es geschah gar nichts. Während Leif wartete wurde ihm klar, dass es Matthias in Starre nicht gelingen würde die Kraft des Blutes in sich aufzunehmen. Mit einer ungewöhnlichen Leichtigkeit, die ihm das Blut von Saulot selbst vor wenigen Tagen verliehen hatte und die nach wie vor in ihm ruhte, aktivierte er ohne dass es in irgendeiner Weise an ihm zehrte Valeren. Diese Fähigkeit war die ureigenste Kraft seines Clans und mit der Quintessenz seines Seins bis ins kleinste verbunden. Es dauerte nur einen Sekundenbruchteil bis sie zu wirken begann. Die leblose Hülle vor ihm auf dem Tisch rührte sich nach wie vor nicht, doch konnte er erkennen wie sich die schwarzen, verderblichen Ausläufer der Wunde langsam zurück zu ziehen begannen. Das verkohlte Fleisch nahm eine bleiche rosane Farbe an und drängte die verkohlten Striemen nach und nach zurück. Matthias Finger zuckten kaum merklich während sein Körper das glühende Gift bekämpfte und vernichtete. Mit einem Ruck schoß sein Oberkörper in die Höhe und er sog in einem einzigen heftigen Atemzug tief die feuchte nach Schweinebraten riechende Luft der Halle ein. Mit geweiteten Augen sah er sich um, sah zu Leif, ungläubig zu seinem Bein, dann wieder zu dem dunkelblonden Nordmann. „Was um alles in der Welt habt ihr gemacht? Was habt ihr mir gegeben?“ Seine Stimme war leise und er wirkte nach wie vor irritiert.
Leif verengte nur die Augen und seufzte dann. Auch wenn er froh war, dass er Matthias helfen konnte, änderte das nichts an seinem Misstrauen und seiner Ablehnung. "Medizin." Er sagte nichts weiter. Zumindest die Offenbarung, dass er einen Tropfen vom Blute Saulots bei sich führte, lag bei Trajan. Was überhaupt gerade geschehen war, war Leif nicht gänzlich klar, aber es hatte ganz sicher mit der mächtigen Vitae zu tun. "Ihr solltet euch sammeln, Matthias. Wir sind in der Burg Ludwigs und wir sollten nicht mehr Aufmerksamkeit auf uns ziehen als irgendwie nötig."
Matthias schloss die Augen und rieb sich durch den Haaransatz. „Bei den alten Göttern und dem Neuen…“, murmelte er kaum hörbar. Dann sah er Leif fest an und griff kurz nach seinem Arm. „Leif? Was auch immer du getan hast… Die Tatsache, dass ich jetzt hier in diesen Mauern auf meinen eigenen Beinen stehe, verdanke ich dir und Trajan. Und solche Taten vergesse ich nicht. Hab Dank!“ Er nickte bekräftigend.
"Ihr schuldet mir nichts. Wir gehören zur selben Familie, und ich vermeide es mit Blutmagiern, die ich nicht kenne irgendeine engere Verbindung zu schmieden." Er ließ die Worte im Raum stehen und wandte sich schließlich wirklich von dem anderen ab und dem Waschzuber zu. "Entschuldigt mich, aber werde die Gelegenheit nutzen mich etwas zu säubern."
Matthias Augen verengten sich für einen Moment fragend, dann schien er zu begreifen worauf Leif hinaus wollte. Er überlegte einige Sekunden bevor er antwortete. „Bevor ich mich da draußen wie dieses Schwein am Spieß von der Sonne brutzeln lasse, bin ich bereit so einiges zu tun. Und auf der anderen Seite: So mancher Hexer da draußen will mich endgültig tot sehen. Mir gefällt der Gedanke ihnen mit ihren eigenen vermaledeiten Kräften einen Strich durch diese Rechnung zu machen.“ Er folgte Leifs Beispiel, griff nach einem schmierigen Lappen, den die alte Vettel neben dem Huhn liegen gelassen hatte und rieb sich den Schlamm in dem er gelegen hatte von Gesicht und Armen. Sein Blick ging fragend zu dem von oben bis unten mit Blut besudelten Leif. Er schwieg abwartend.
Leif wusch sich langsam das Blut aus Haaren, Gesicht und Händen und schluckte ein paar Worte, die er für Matthias hatte, hinunter. Stattdessen bemühte er sich so neutral wie möglich zu klingen. Allerdings sprach er sehr leise: "Es gibt eine ganze Menge anderer Waffen dort draußen, die man gegen die Tremere nutzen kann ohne ihr Blut zu trinken um ein paar Kunststücke zu erlernen oder sich in die Schuld der Schinder zu begeben." Wahrscheinlich tat er Matthias mit seiner Ablehnung Unrecht. Das schien sogar ziemlich sicher, aber Leif war zu sehr an seine eigene Geschichte erinnert um keine Meinung zu all dem zu haben. Er wandte sich ab und schrubbte seine Arme mit einem Lappen. "Am Ende bezahlt man nur sehr viel mehr als der Preis gekostet hat, aber ich bin mir sicher das all eure kleine Tricks es in euren Augen wert sind."
Während Leif seine Worte sprach, hielt der andere Salubri inne und sah ihn stumm an. Es schien ihn Überwindung zu kosten den Lappen zu nehmen, ihn auszuwaschen und sich über den anderen Arm zu reiben. „Ihr urteilt schnell. Und auch wenn ihr mir vielleicht nicht glauben mögt, ihr schätzt mich nicht recht ein, wenn ihr mich für jemanden haltet, der sich für ein paar kleine Zaubertricks in die Schuld eines Usurpatoren begibt.“ Er warf den ausgewrungenen Lappen zurück neben das gerupfte Huhn und griff nach den Teilen seiner Rüstung. Er kleidete sich wieder komplett an, griff nach seinem Schwert und hielt es mit beiden Händen fest.
"Ich mag vielleicht schnell urteilen, aber diese Einstellung kommt nicht aus der leeren Luft." Leif war innerlich so wütend, dass es ihn zum Teil selbst erschreckte wie sehr der Hass auf Sebastian sich in seinem Leben festgesetzt hatte. Dieses unlöschbare Gefühl verzehrte ihn wie die Wunde seinen Clansbruder zuvor, nur von innen, sehr viel langsamer und ohne erkennbare Medizin. Trotzdem drehte er sich um und schaute Matthias noch einmal an nur um einen Teil von sich selber in dem anderen Salubri zu erkennen. Er schüttelte den Kopf. "Ich bin nicht hier euch zu überzeugen, daran liegt mir nichts. Aber glaubt mir in diesem Fall oder nicht aber ihr habt wahrscheinlich noch nicht einmal im Ansatz herausgefunden, was euch dieser kleine Handel wirklich gekostet hat." Dann wandte er sich ab und wusch die letzten Reste seines alten Freundes von sich. Leif fühlte sich leer und alleine. Im Moment würde er beinahe alles dafür geben wieder in Brügge zu sein, den regelmäßigen Schlägen aus Brunhilds Schmiede zu lauschen und die zehrende Wahrheit um Schuld, Sühne, Salubri und Tremere einfach für einen Moment zu vergessen.
Matthias hatte offensichtlich mit sich selbst gerungen, war dann jedoch ein paar Schritte näher getreten. „Wir alle haben unsere Gründe, warum wir so oder so urteilen, in die eine oder andere Richtung handeln. Ich möchte jedoch, dass ihr eines wisst: Ich bin weder ein Spion der Tremere, noch ein leichtgläubiger Narr und in keinster Weise ein Feind von euch oder irgendeinem Salubri da draußen. Der Kampf, der seit Jahrzehnten tobt, die sinnlose Vernichtung, die um uns herum geschieht: Ob wir wollen oder nicht: das ist unser Kampf. Und wenn wir nicht zusammen halten, dann wird es wohl auch sonst keiner tun.“
Leif zuckte nur mit den Schultern und sagte nichts mehr. Die Aussage war trotz allem klar zu verstehen. Denkt was ihr wollt, aber ich habe vor langer Zeit eine Entscheidung getroffen an der sich so schnell nichts mehr ändern wird.
Während die beiden Männer sich anschwiegen, öffnete sich leise wieder die Tür. Der Junge von der Zugbrücke, Locus, stand dort und hielt eine Schriftrolle in der Hand. Sein erstaunter Blick ging zu Matthias, der auf beiden Beinen, fest auf den Steinfliesen der großen Halle stand. Dann schob er die Schriftrolle zurück in seine Tasche. Er verbeugte sich in Richtung des zuvor Verwundeten. „Locus ist mein Name. Ich wünsche, dass euch alle Gastfreundschaft der Welt unter diesem Dach widerfährt.“ Er schien einen Moment nicht Recht zu wissen, was er nun als nächstes tun sollte, sammelte sich dann jedoch. „Meister Ludwig empfängt für gewöhnlich keinen Besuch. Diese Worte von Bodo waren korrekt. Aber ich denke, bei euch wird er mit Sicherheit eine Ausnahme machen. Mögt ihr mir folgen?“
Leif nickte dem jungen Mann freundlich zu und erhob sich. "Ich danke euch für eure Dienste, Locus. Ich freue mich darauf euren Meister kennen zu lernen." Es war gut, dass sie endlich ein sicheres Dach über dem Kopf hatten und ihnen ein wenig Freundlichkeit widerfuhr. Die letzten zwei Tage waren ereignisreich genug gewesen.
Der schwarzhaarige Junge ging recht vorsichtig vor ihnen her die Treppe hinab und man konnte an seinen leisen Bewegungen unschwer den Eindruck gewinnen, dass er versuchte so wenig Aufmerksamkeit wie möglich auf sie zu ziehen.
Im Schatten der Gebäude und umggestürzten Mauern gingen sie über den Burghof. Von irgendwoher war der immer wiederkehrende Ruf von Bodo zu hören. „Locus, du vermaledeiter Kerl. Wo zur Hölle steckst du? Warte nur, bis ich dich erwische…“, aber der Junge tat so als habe er ncihts gehört und setzte seinen Weg fort.
Schließlich blieb er am Rand der Burgmauern stehen. Vor ihnen im Nebel erkannten sie die Hügel der Umgebung. Und eine Gestalt, die in der Dunkelheit nur schwerlich auszumachen war.
Leif trat vor und schaute zu Locus. Würde er vorgestellt werden? Trat die Gestalt auf sie zu? Oder sollte er selbst seinen Namen nennen? Alles hier war ein wenig esoterisch und schließlich fasste sich Leif ein Herz. "Herr Ludwig?" Er suchte nach einer Reaktion der Gestalt. "Mein Name ist Leif Thorson und es tut mir leid, dass ich hier auftauche eure Meditation störe, doch ich wollte mich gerne persönlich mit meinem Begleiter bei euch vorstellen." Zur Hölle ob er den anderen bei irgendetwas störte. So oder so war es ein guter Aufhänger.
Die Gestalt rührte sich nicht und Matthias sah fragend zu Leif, dann zu Locus. Der Junge hatte wohl auch gehofft, dass ein Lebenszeichen seines Meister zu erkennen gewesen wäre. Schließlich schenkte er ihnen nur ein aufmunterndes Lächeln. „Ich hoffe, er wird euch wohlwollend empfangen.“ Ein kurzes ängstliches Zweifeln war auf seinen Zügen zu erkennen. Wenn dem nicht so wäre, dann, das war klar, wäre er dran und welche Art der Bestrafung man sich in diesem Landstrich für einen ungehörigen Diener ausdenken mochte, das ließ man am besten nicht in seine Gedanken kommen, wollte man die nächsten Nächte ruhig ruhen.
Matthias schenkte Leif noch einen unschlüssigen Blick, wartete einen Moment auf seinen Clansbruder und trat dann nach vorne, auf die Gestalt zu. Seine Stimme war nur ein Flüstern. „Wollt ihr unsere Vorstellung übernehmen? Meister Ithuriel ist mit euch gereist… und er vertraut euch.“
Leif trat noch einen Schritt nach vorne und begann etwas lauter zu sprechen, wartete aber bis Locus gegangen war. Er räusperte sich. “Meister Gabriel?” Wenn der Mann vor ihnen nicht reagierte musste er schwerere Geschütze auffahren, weshalb er auch kein schlechtes Gewissen verspürte als er den echten Namen des Salubri benutzte. Er hatte durchaus die Möglichkeit gehabt etwas zu sagen, oder zumindest sich wenigstens zu bewegen. “Es tut mir Leid euch in eurer Ruhe und Abgeschiedenheit zu stören, aber ich und mein Begleiter Matthias brauchen eure Hilfe.” Er überlegte und wählte vorsichtig seine nächsten Worte. “Meister Ithuriel meinte wir würden bei euch Zuflucht finden, bis der aktuelle Sturm sich wieder gelegt hat. Es war nie unsere Absicht einzudringen, aber unsere Möglichkeiten sind erschöpft. Daher bitten wir um euren Schutz für die nächsten Tage.”
Der unbekannte Mann drehte sich nach wie vor nicht zu ihnen um. Erst als Leif geendet hatte, folgte eine winzige Reaktion, ein winziges Zucken im Schulterbereich. Dann nach einer gefühlten Ewigkeit wandte sich der Mann um.
E war das Gesicht eines kräftigen Mannes in den besten Jahren, der die Kleidung eines Eremiten trug. Er sah sowohl Leif als auch Matthias viel zu lang an als würde er in deren Inneres blicken wollen. „Ich hatte gehofft, solchen wie euch nicht erneut zu begegnen…“
Leif überlegte, ob er den Mann von irgendwo her kannte, konnte sich aber beim besten Willen nicht daran erinnern. Er drehte sich schließlich kurz zu Matthias um und ließ diesem eine Gelegenheit zu Reaktion um in der zusätzliche Zeit darüber nachzudenken ob er den Mann vielleicht doch irgendwann einmal begegnet war.
Leif war sich recht sicher, dass er den Anderen noch nie zuvor begegnet war. Matthias fiel in eine tiefe Verbeugung. „Verzeiht, dass wir euch in eurer Abgeschiedenheit stören. Es war nicht unsere Absicht.“
Gabriel machte eine wegwischende Handbewegung um ihn zum Schwiegen zu bringen. „Manche Namen sollten nicht genannt, manche Wege vergessen werden. Vergessenheit ist das, was besser schon jetzt geschieht. Eure Schritte führen in all den Nächten, die kommen werden, das Verderben mit sich. Was wollt ihr also hier?“