Sa 11. Jun 2016, 20:53
Ein winziges Lächeln war um seine Mundwinkel zu erkennen, das jedoch nicht die Augen erreichte. „Sollte ich tatsächlich Freund und Feind gleichermaßen überraschen, sehe ich das als Kompliment aus eurem Mund, Lilliana. Es mag immer gut sein die Feinde mit Unvorhersehbarem zu verwirren und in unserer Existenz ist es nicht immer leicht Feind von Freund zu unterscheiden, nicht wahr?“ Er ging durch die dicht gedrängte Straße. Händler schrien laut um ihre Tuche, Brote, süßes Gebäck, Gewürze, Klingen und was immer sie feil bieten wollten, an den Mann zu bringen, Knappen liefen vor ihren Rittern in schimmernder Rüstung auf gigantischen Schlachtrössern daher, die man mit bunten Tüchern und adeligen Wappen behängt hatte. Alles, was Lilliana erkannte verriet ihr, dass dies eine vergangene Zeit war. Sie erkannte den Kleidungsstil, die Produktionsweise, konnte aber nicht näher bestimmen, wann und wo sie all dies bereits gesehen hatte.
Sebastian setzte seine leise Unterhaltung fort. „Nein, dieses Mal dürfte es sich nicht um eine große Angelegenheit handeln. So vermute ich zumindest. Ein Freund…“ Seine Miene verdüsterte sich kurz. „… hat mich gebeten mich einer Sache anzunehmen und ich musste ihm diesen Gefallen gewähren.“
Lilliana ließ sich von ihm führen, die Gerüche des süßen Gebäckes waren lockend, aber leider nicht mehr für sie gemacht. Kurz wollte sie ihm etwas erwidern, unterließ es dann jedoch, aber ihre Augen blickten in die seinen, als wollten sie einen Teil seiner Seele ergründen, ehe sich Lilliana wieder davon abhielt. "Und so spaziert ihr mit mir nun in eurem Traum, weil euer Freund einen Gefallen von euch einforderte." sie ließ den Satz für ihn stehen, ihre Miene war nicht mehr ganz so ernst, wie zu Beginn, aber es schwang ein leiser fragender Unterton mit. "Und wenn es mein Wunsch ist diesen Traum zu verlassen, dann werdet ihr mich nicht aufhalten?"
Der braunhaarige Mann schüttelte den Kopf. „Mit Gewissheit nicht. Ich hätte meinen Dienst meiner Zusage entsprechend, ausgeführt und Kontakt zu jemandem aufgenommen, der meinem Freund möglicherweise in dieser Angelegenheit helfen könnte. Wenn diese Person ablehnt… nun… vielleicht wäre das für die ganze Angelegenheit sogar besser…“
Er machte eine kurze Pause an einem der Stände, zog eine Münze hervor und erstand bei der Händlerin zwei goldbraun gebackene Pasteten von denen er eine an Lilliana weiter reichte.
Er biss hinein und Lilliana roch Käse, Gewürze und saftigen Speck. Mittlerweile waren sie wieder aus den Toren der Stadt hinaus gewandert und Sebastian hielt kurz inne um die Szenerie, die sich ihnen bot, zu mustern. Lilliana erkannte in einigen hundert Metern Entfernung das Ufer des breiten Flusses, überall waren Stände aufgebaut und zu ihrer Rechten war eine große Fläche abgesteckt und bebaut worden, die wohl für Wettkämpfe im Rahmen eines Turnieres dienen konnten. Auch die entsprechenden Geräusche ließen darauf schließen.
"Noch ist es nicht entschieden. "Etwas überrascht, aber nicht ablehnend nahm sie die Pastete in die Hand. Sie war noch warm und neben dem Geruch hatte sie noch ein gutes entsprechendes Äußeres. Sie bedankte sich bei dem edlen Spender der Nahrung, nur um dann einen Moment in Richtung der Geräuschquelle zu blicken. "Kenne ich die Wappen, welche sich dort versammeln um zu reiten und sich ehrerbietig zu beweisen?"
Sebastian sah zum Turnierplatz. „Babenberger, Lothringer, die Staufer… Alles, was Rang und Namen hat ist dort versammelt. Ihr seid eine Frau adeliger Herkunft. Ich bin mir sicher, ihr kennt die Wappen.“ Er nickte.
Lilliana brach einen kleinen Teil der Pastete ab, während sie das größere Stück einem Jungen gab, der am Wegrand in Richtung des Platzes kauerte. Es war das alltägliche Bild, das wohl nie vollständig verschwinden würde. Wo Licht ist, da ist auch die Dunkelheit. Aber man vermag mit einer Kerze die Dunkelheit zu vertreiben. Erst nachdem der kleine Junge versorgt war stand sie wieder bei ihm und sah einen Moment wieder länger in die Richtung des Turniers. Auch wenn es schon Jahrzehnte, wenn nicht gar Jahrhunderte zurücklag, als sie als Sterbliche an einem Turnier teilgenommen hatte, ihre Erinnerung an das bunte Treiben, die edlen Rüstungen waren da. Jetzt hatte sie gemischte Gefühle an damals. Sicher, war es ein Spiel und kein Krieg aber gerade beim Tjosten gab es hin und wieder Unfälle mit Toten. Ihr fröstelte. "Dann sprecht nun Sebastian von Augsburg."
Sebastian beobachtete wie Lilliana die Pastete an den Jungen weiterreichte und schwieg dazu. Erst einige Augenblicke später, nachdem er selbst fertig gespeist hatte, sah er sie wieder an. „Das hier ist nichts weiter als ein Traum, eine schöne Erinnerung in die ich mich beizeiten gerne zurück ziehe. Das Schicksal dieses Bettelkindes hat sich vor Jahrzehnten entschieden und es weilt mit Sicherheit nicht mehr unter den Lebenden. Er schmunzelte. „Wenn ihr hier Gutes tun wollt, dann geschieht das für euer eigenes Seelenheil und nicht für das Wohl des Kindes.“
Sebastian beachtete den Turnierplatz nicht weiter, sondern ging mit ihr nach Links in Richtung Ufer des Stromes. Er hielt auf eine Gruppe Eichen zu, die ihre Wurzeln in das langsam dahin fließenden Wasser streckten.
Ohne lang inne zu halten nahm er auf einer der dickeren Wurzeln Platz und lehnte den Rücken an den mächtigen Stamm. Mit einer einladenden Geste deutete er auf die anderen Wurzeln, die mit dem dichten weichen Moosbewuchs wie zum Sitzen geschaffen schienen.
"An mein Seelenheil denke ich nicht und auch wenn ich weiß, dass es ein Traum ist und dieser Junge seit Jahren tot, so muss es ihm doch nicht in eurem Traum schlecht ergehen, nicht wahr?" Ihr Ton hatte die Entschlossenheit inne, die man von ihr gewohnt war, wenn man sie länger kannte. Etwas verwundert nahm sie den von ihm eingeschlagenen Weg zu den Bäumen hin und setzte sich seitlich auf eine der etwas dickeren Wurzeln, deren Ende bereits im Wasser nicht mehr zu erkennen waren. "Dann ist dies wohl euer Lieblingsplatz in eurem Traum?"
Sebastian lachte kurz auf und musterte sie amüsiert mit seinen dunklen Augen. „Mein Lieblingsplatz? Nein. Mein Lieblingsplatz in dieser Erinnerung ist ein anderer. Aber dieser Ort hier ist schön und für ein ungestörtes Gespräch bestens geeignet. Es ist annähernd unmöglich für einen Fremden uneingeladen in einen Traum zu gelangen, aber ‚annähernd‘ beinhaltet doch immer nicht die ganze Sicherheit… Egal. Hier können wir offen sprechen.“ Er nickte bestätigend. „Nun denn: Derjenige, dem ich diesen Gefallen tue, macht sich Gedanken um einen Mann, den ihr in Augsburg kennen lernen konntet: Lux. Ihr suchtet ihn vor einigen Jahren auf, da er euer Mündel Marie entführt hatte, wenn mich nicht alles täuscht?“
"Sehr schade" kam es noch von Lilliana, ehe sie ihm aufmerksam zuhörte. Ein Nicken in seine Richtung, als der Name fiel und ein Bild, das sich vor ihren Augen auftat. Es war schon länger her und sie hatte nur noch verschwommene Erinnerung daran. "Es war ein Missverständnis und Marie ist freiwillig mitgegangen, aber ja, ihr habt Recht und für mein Eintreffen in eurer Stadt habt ihr mich ja auch angemessen bezahlen lassen." Sie lachte kurz und auf, was sich allerdings nicht in den Augen wiederfand. "Weswegen macht sich dieser Mann Gedanken um Lux von Augsburg?"
„Was hätten die Obersten meines Clans von mir gedacht, wenn ich es nicht getan hätte?“ Seine Mundwinkel verzogen sich eine Spur nach oben. „Brügge war und ist für viele meines Clans ein rotes Tuch. Da muss auch ich mitunter den Schein wahren. Ich habe gemeinsam mit einigen ähnlich Denkenden ziemliche Anstrengungen unternehmen müssen um andere meines Clans davon abzuhalten ihren Einfluss wirken zu lassen und bei den entsprechend mächtigen Kainiten sich die Mittel zu holen euch zu vernichten… Bislang hattet ihr Ruhe und ich denke, dass das auch in Zukunft so bleiben wird. Schon seit Jahrzehnten habt ihr eure kleine ‚Tremerejagd‘ auf Eis gelegt und auch Kainiten vergessen und vergeben mit der Zeit.“ Er lachte kurz auf. „Mein Freund, der Lux um einiges näher steht als ich, ist beunruhigt. Der junge Kainit schien in letzter Zeit verwirrt. Wahnträume suchten ihn heim, die er Visionen nennt. Er konzentriert sich mehr auf die Welt der Träume als auf die Realität, fastet, geht der Jagd nicht mehr nach und suchte nach etwas, das er nur im Traum zu finden glaubte. Im letzten Gespräch der beiden, dass in einen heftigen Streit ausartete, fielen von Lux Seite die Worte „Flandern“ und „Marie“. Mein Freund suchte mich entgegen meiner ausdrücklichen Empfehlung auf und wollte aus diesem Grund, dass ich mich an euch wenden sollte.“
Lilliana hatte die Augen geschlossen, aber er konnte sehen, dass sie immer weiter angespannt wirkte und ihm konzentriert zuhörte. Irgendwann sprach sie aber doch. Die Stimme beherrscht und neutral, die Augen blieben geschlossen "Marie ist nicht mehr mein Mündel, sie ist verlobt, der Heiratstermin steht und bald wird Hochzeit gefeiert, aber es kann durchaus sein, dass es Menschen gibt, die sie benutzen möchten, ebenso wie es Kainiten gibt, die mich benutzen möchten." Lilliana machte eine Pause, während sie die Augen wieder öffnete und die Finger wie zum Gebet zusammentat. "Was ist das Anliegen? Soll ich mich mit Lux von Augsburg treffen um nähere Informationen zu bekommen oder ihn dazu bringen, dass er sein Fasten bricht, weil er ansonsten Menschen in Gefahr bringen könnte? Ich kann dies tun und vielleicht sein Leid mildern, aber was die Visionen angeht, Sebastian. Diese kann ihm keiner nehmen. Sie sind Gottes Geschenk an ihn und ihr solltet vorsichtig sein, Sebastian, genau wie Lux, wem ihr sein Geheimnis anvertraut.“
Sebastian betrachtete sie lange und schien abzuwägen. Dann nickte er. ‚Ihr mögt recht haben, dass sie Gottes Geschenk oder das des Teufels sein mögen und dass es nichts ist, dass man in der Öffentlichkeit kund tun sollte, wenn man nicht gerade dem Clan des Mondes angehört und stolz darauf ist. Ich habe Lux in letzter Zeit nicht gesehen, aber mein Freund hat dringende Vermutungen geäußert, dass Lux dabei ist sein Wesen zu ändern. Diesen Verdacht teilte er ihm persönlich mit, woraufhin der Streit ausbrach. Egal ob göttliche Fügung, Geschenk oder Strafe Kains… Mein Freund wollte, dass ich euch diese Nachricht überbringe damit ihr selbst urteilen könnt ob ihr der Sache weiter nachgehen wollt.“
Er sah über das Wasser des Stromes, zum anderen Ufer und dann zu einer Gruppe spielender Jungen in einiger Entfernung, die Kiesel über die teilweise spiegelglatte Oberfläche des Wassers hüpfen ließen. Der Jüngere lachte laut über das Spiel.
Lilliana blieb noch eine Weile etwas bewegungslos in ihrer jetzigen Haltung am Baum sitzen. Sie war in sich gekehrt, irgendwann nickte sie mehr zu sich selbst leicht und öffnete dann den Mund. "Ich werde es versuchen. Ich habe zwar Lux von Augsburg nicht sehr intensiv kennen lernen dürfen, aber es scheint, als würde sein Freund ernsthaft besorgt um ihn sein, wenn er euch um den Gefallen bittet." Sie erhob sich von ihrer Sitzstatt und nahm Augenkontakt zu ihm auf. "Ich werde nun zurückgehen, man wird mich schon erwarten und ich möchte dieser Person nicht Kummer bereiten. Ihr habt mein Wort, dass ich danach aufbrechen werde, um Lux einen Besuch abzustatten." Ein kurzes Schmunzeln ergriff ihre ansonsten neutrale Miene, als sie die weiteren Wörter sprach. "Ein Bote mit einem förmlichen Ersuchen eure Stadt zu betreten wird vor mir eintreffen, damit der Anstand gewahr bleibt." Sie ging erneut in die leichte Referenz. "Habt Dank für eure Einladung Sebastian von Augsburg, ich werde mich nun zurückziehen."
Sebastian zog fragend eine Augenbraue in die Höhe. „Ihr scheint es sehr eilig zu haben, Herrin von Erzhausen…? In einem Traum vergeht die Zeit wie im Flug, während sie draußen annähernd stillsteht. Das ist euch mit Sicherheit bekannt. Macht euch also keine Gedanken um die Geschehnisse, die dort vielleicht passieren würden. Lux ist vor einigen Wochen aus Augsburg aufgebrochen, habe ich mir sagen lassen. Sein Ziel nannte er nicht, aber anhand der Bemerkungen über Flandern und euer ehemaliges Mündel konnte mein Freund die entsprechenden Schlüsse ziehen.“
Lilliana kam aus der Referenz wieder hoch und nickte leicht verstehend. "Es hat seine Schwierigkeiten ein Gespräch mit euch zu führen. Wie ich bereits erwähnt habe, zu Beginn von diesem, haltet ihr noch immer eine Überraschung bereit." sie drehte sich etwas seitlich, richtete ihre Füße wieder in die Richtung aus der beide gekommen waren und lächelte ihn dabei wieder an. "Wenn Lux nach Flandern kommt um Marie zu sehen, dann werde ich ihn erwarten und euch einen Boten schicken ob seines Standortes, damit sein Freund beruhigt sein kann. Sollte er jedoch wieder in Augsburg gesehen werden, so schickt mir einen Boten, damit ich nach ihm sehen kann." Lilliana setzte ihre Beine in Bewegung und drehte sich von ihm weg, dann jedoch drehte sie noch einmal ihren Kopf. "Vielleicht zeigt ihr mir beim nächsten Mal euren Lieblingsplatz. Ich wäre sehr enttäuscht, wenn er nur halb so schön ist, wie dieser hier."
Sebastian deutete mit dem Kinn in die Richtung der spielenden Jungen. „Mein Lieblingsplatz in dieser Erinnerung war der dort drüben.“ Der Knabe warf einen Stein, der fünf mal aufschlug bevor er unterging und jubelte laut „Sebastian! Hast du das gesehen? Fünf mal! Ich bin besser als du!“ Der Knabe grinste breit als der ältere, ein Heranwachsender von wohl achtzehn Jahren, die Herausforderung annahm und ebenfalls zum Wurf ausholte.
„Nach allem, was ich in Erfahrung bringen konnte, dürfte sich Lux in Gent aufhalten. Da ich mich derzeit in Köln aufhalte und in einigen Wochen meine Clansschwester Iris in Gent aufsuchen wollte, könnte ich die Reise vorverlegen und euch dort treffen.“
Lilliana lächelte, als sie den heranwachsenden Burschen musterte. Dieses Unbekümmerte hatte der erwachsene Sebastian irgendwann abgelegt. Doch hinter der Fassade... Sie blieb noch einmal stehen und drehte sich wieder um zu ihm. "Ich stimme eurem Plan zu, auch wenn es mich doch verwundert, dass er in Gent weilen soll. Aber sagt ihr mir noch, bevor ich gehe, was ihr mit Lux verbindet? Er scheint euch auch nicht egal zu sein, obwohl er nicht von eurem Clan stammt."
„Was mich mit Lux verbindet?“ Sebastian strich mit den Fingern über das Moos und überlegte. „Ich habe über einige Jahre stellvertretend um die Belange von Augsburg gekümmert und Lux ist einer dessen Bewohner. Mich verbindet wohl nicht mehr und nicht weniger mit ihm als das, was mich den meisten Kainiten dort verbindet.“ Er sah sie an und schien auf weitere Fragen zu warten.
Lilliana schüttelte leicht den Kopf und seufzte, dann drehte sie sich um und ging endgültig weiter. "Ich werde Madam Borluut schreiben, am besten ist es wir treffen uns wie schon vor einiger Zeit, bei ihr. Ich habe sowieso etwas mit ihr zu besprechen. Bis zu unserem Wiedersehen, wünsche ich euch noch eine geruhsame Nacht und...etwas mehr eures früheren Selbst, Sebastian."
Sie konnte sehen, dass der Hexer nach einem kurzen Zögern dabei war die Lippen zu öffnen um etwas zu erwidern, aber Lillianas Entschlossenheit war so stark, dass sie mit unvorstellbarer Geschwindigkeit aus dem Traum herausgezogen wurde. Eigentlich war sie es selbst, die sich zog.
Sie erwachte erneut kurz nach Sonnenuntergang in dem gemütlichen Schlafzimmer in Kent.
Lilliana öffnete erneut die Augen und drehte sich hinüber zu Will. Ihn zu sehen beruhigte sie und sie wappnete sich um ihn zu unterrichten, dass ihr Ausflug hierher nach England zumindest für einen von ihnen beiden beendet werden musste, eine Fortsetzung war aber nicht ausgeschlossen.