"Es geht nicht um mich. Ich bin, wer ich bin, aber ihr müsst verstehen, dass mir eure Mutter nicht gefolgt ist." Er lächelte. "Sie trifft ihre Entscheidungen gerne selbst und braucht ganz sicher keinen Mann dafür. Unsere Wege verlaufen im Moment aber auf den gleichen Bahnen und mit einem Weggefährten ist es immer besser in die Zukunft zu schreiten als ohne." Der Salubri schien weitersprechen zu wollen, musste aber nach Worten zu suchen. "Es steht mir nicht zu eure Beziehung zu eurer Mutter in irgendeiner Art und Weise zu kommentieren, aber ich tue es trotzdem. Ihr solltet ihr eine Chance geben. Sie ist eine starke und gutherzige Kämpferin, die versucht das Richtige zu tun. Aber sie auch noch mehr. Sie kreiert lieber als zu zerstören und das trotz ihrer...besonderen Begabungen. Deshalb hat sie sich auch des Schmiedehandwerks angenommen und vielleicht hilft es auch zu verstehen, wieso sie dem Kreuzzug eurer Familie den Rücken gekehrt hat, trotz der Verpflichtungen des Schwurs. Bitte behaltet diese Dinge im Hinterkopf bevor ihr mit ihr ins Gericht geht." Er machte sich nicht viele Hoffnungen Thyras Haltung bezüglich ihrer Mütter zu ändern, aber er musste es wenigstens versuchen
Thyra presste die Zähne aufeinander und ihr Gesicht verfinsterte sich merklich. „Ihr habt Recht. Es steht euch nicht zu! Sie hat sich dazu entschieden ihr eigenes Leben zu führen und uns den Rücken zu kehren. Dann soll sie das auch tun. Ich hindere sie nicht daran.“
Wenn das Mädchen zuvor noch Interesse an ihrem Begleiter gezeigt hatte, so hatte sich dieses im selben Moment gelegt. Eine Windbö fegte durch die Straße und bäumte den Mantel der jungen Kriegerin auf. Sie sah steif nach vorne und schritt weiter ohne sich noch einmal umzusehen.
Die beiden erreichten den Hauptplatz der Stadt, der von dem mächtigen Belfried überthront wurde. Unrat und verwelkte Blätter wurden mit horrender Geschwindigkeit von einem Ende zum nächsten geweht und die vereinzelten nächtlichen Bewohner zogen die Köpfe ein und hasteten nach Hause. Leif konnte in weiter Ferne ein Wetterleuchten erkennen. Thyra sah zum Himmel und fing ein paar Regentropfen mit der Hand auf.
Leif bemerkte einen bärtigen, untersetzen Mann, der mit weit geöffneten Augen auf ihn zutrat. Er hatte die Hand auf einen Dolch an seiner Seite gelegt und ließ seinen Blick in rasender Geschwindigkeit von dem Heiler zu dem Mädchen wandern. „Sagt mir bitte, ihr guten Leute: Wo finde ich die Stadtwache? Schnell.“
"Dort entlang. Aber es sollten überall ein paar Wachmänner zu finden sein." Leif deutete in die Richtung in welcher die Stadtwache lag und räusperte sich. "Guter Mann, warum? Was ist denn vorgefallen?"
Der Mann wandte sich bereits in die angegebene Richtung. „Ein Tumult am Hafen. In der Spelunke ganz im Westen. Ich weiß auch nichts Näheres, aber die Leute sind von dort geflohen und einige waren übel zugerichtet. Ich denk mal, eine Wirtshausschlägerei mit bösem Ausgang…“ Damit rannte er weiter.
Leif schaute interessiert zu Thyra. "Wollen wir da mal vorbeischauen? Ist vielleicht ein guter erster Anhaltspunkt. Außerdem zieht es die meisten Männer nach einem Schiffsaufenthalt in eine Taverne und ins Bordell. Nicht unbedingt in dieser Reihenfolge."
Das Mädchen drehte sich bereits in die Richtung aus der der Passant gekommen war, machte einen Schritt und hielt dann jedoch inne. Sie sah sich weiter in den Straßen um, deutete schließlich nach rechts in eine etwas dunklere Gasse. „Ich habe das Gefühl, wir müssen hier lang.“
In der kleinen Straße wurde ihr Weg nicht von dem heftigen Wind behindert, der jetzt über den Dächern hinwegfegte. Dennoch nahm der leichte Regen zu und durchnässte ihre Kleidung.
Schließlich zeigte sie auf eine breite Tür am Ende einer Sackgasse. „Hier… Das muss es sein.“
Über dem Portal hing ein breites Schild. „Goldblatt Brauerei.“ Jemand hatte mit Kreide in bereits verwaschenen Lettern „Frischgezapftes Aldur Bräu“ an die Wand gepinselt.
Drinnen war es stickig und warm. Es roch nach gebratenem Keiler, deftigem Eintopf und über allem hing der Duft von schwerem, frisch gezapftem Bier.
Das Mädchen drückte sich etwas fester in den Mantel von Brunhild und sah Leif mit einer ungewohnten Unsicherheit an. „Ich spreche das Flandrisch nicht wirklich gut… Könntet ihr euch bitte nach Erik umhören?“
Er nickte. "Bleib am Besten hier." und begab sich an die Theke und hielt nach einer Bedienung Ausschau. "Ein Bier bitte guter Mann." Er legte dem Mann eine kleine Münze hin. "Außerdem suche ich einen...Bekannten von mir. nordischer Typ, jung mit blondem Haar. Hört auf den Namen Erik. Könnt ihr mir da weiterhelfen?" Er legte eine zweite Münze auf die Erste.
Leif konnte nach wenigen Blicken eine Wirtin ausmachen, die am Tresen gigantische Humpen mit Bier füllte, sich noch ein, zwei Teller mit Wildbret zwischen Händen und Ellbogen auflud und dann zu den Gästen schlenderte, denen sie mit herzlichem Gesichtsausdruck das Essen servierte
Sie trug den Kopf hoch und Leif war klar, dass sie entweder ihre Arbeit ausgesprochen gern tat oder eine formidable Schauspielerin abgegeben hätte. Sie schob ihm die Münzen wieder lächelnd zu, deutete auf einen Tisch in der Nähe des Feuers. Ihre Stimme war tief und rauchig. „Hat euch das schaurige Wetter da draußen überrascht? Nehmt nur Platz, wärmt euch und lasst es euch gut gehen. Ich bin gleich bei euch.“
Leif ging wieder zu Thyra und deute mit dem Kopf in Richtung des freien Tisches. "Wir kriegen sicherlich gleich eine Auskunft, aber am Besten setzten wir uns erst einmal."
Thyra wunderte sich ein wenig, folgte Leif aber mit kurzem Zögern an den Tisch. Sie schlug die Kapuze nach hinten und sah sich in der Wirtsstube um.
Sie rutschte ein wenig näher an den Kamin heran während die Wirtsfrau herantrottete.
„Ich wünsche euch einen guten Abend. Frau Hansen ist mein Name.
Die Frau nahm gegenüber von Leif auf einem der Stühle Platz, wischte sich die vom Bier nassen Finger an der Schürze ab und schnaufte erstmal durch. Sie drückte das Kreuz durch, das sofort verdächtig knackte. „Wollt ihr einen Humpen Bier? Oder vielleicht Gewürzwein bei dem Wetter? Was kann ich euch Gutes tun bevor wir zu euren Fragen kommen?“
"Bier ist gut, danke. Immerhin kann man sich keinen guten Humpen Aldur Bräu entgehen lassen." Leif setzte mit seinem falschen Gesicht ein freundliches Lächeln auf. "Danach wären wir für jede Information bezüglich unserem Freund mehr als nur dankbar."
„Zwei Mal Aldurbräu also?“ Etwas mühsam erhob sich die alte Dame um erneut zum Tresen zu gehen. In ihren Augen war Erheiterung zu erkennen.
„Was hat der junge Bursche, von dem ihr redet, denn ausgefressen? Ist es ein Verwandter von euch? Warum sucht ihr ihn denn?
"Wir wollen eigentlich nur sichergehen, dass es ihm gut geht. Er ist in der Tat ein Verwandter und in letzter Zeit haben wir von einer Mordserie gehört die sich am Hafen abspielen soll und da macht man sich als Freund der Familie schon so seine Gedanken."
Sie nickte ihm beruhigend zu. „Na, dann braucht ihr euch mal keine Sorgen machen. Wenn es sich wirklich um den gleichen jungen Mann handelt von dem wir reden, dann geht es ihm gut.“ Sie lächelte ihm verschmitzt zu und ging zum Tresen um das bestellte zu bringen
"Das freut mich ja zu hören. Wo kann ich ihn denn finden? Da könnt ihr mir nicht zufällig weiterhelfen?" Leif verließ sich in diesem Fall nicht auf sein Überredungstalent, sondern würde den Geist der Frau zusätzlich noch mit Auspex durchsuchen.
Es war nicht schwer die Aura der Frau zu lesen. Sie war eine einfache Sterbliche mit dem Herz am rechten Fleck, gutmütiger Natur und mit genug Grips um sich und ihre Familie in jeder Misere über Wasser zu halten.
Frau Hansen stellte die Bierhumpen gemeinsam mit etwas Brot vor den Besuchern ab, warf einen Blick durch die Wirtsstube zu den ungefähr 15 anderen Gästen und entschied, dass alle ausreichend versorgt waren. Wieder nahm sie auf einem der Stühle Platz und sah zu Thyra, die nach dem Bier griff. „Da hat wohl jemand Durst, was? Das Bier hier ist das Beste der Stadt, da könnt ihr euch sicher sein, Kindchen.“
Die Kriegerin wischte sich den Schaum von den Lippen, mühte sich dann mit einigen Brocken Flandrisch ab. „Verzeiht. Ich verstehe nicht gut die Sprache hier.“
Die Wirtin schüttelte nur lächelnd den Kopf. „Macht ja nichts. Kannst du ja lernen. Außerdem hast du ja einen Landsmann bei dir.“ Sie fixierte wieder Leif. „So, ihr sucht also einen guten Freund. Dann beschreibt mir den Jungen doch mal genauer, damit ich weiß, dass es auch der gleiche ist.“
Leif wandte sich an Thyra. "Beschreib einmal bitte deinen Bruder. Ich übersetzte für dich." Er lächelte der alten Frau zu.
Thyra sah zu der Wirtin, dann zu Leif. „Hm, Erik ist so groß wie ich, kurze blonde Haare, oft einen kurzen Bart. Er ist eher nachdenklicher Natur, versteht sich zwar auch aufs Schwert, lässt es aber lieber in der Scheide ruhen.“Leif übersetze die Worte von Thyra so knapp und präzise er konnte und suchte dann im Geist der Frau nach Antworten, die sie nicht ohne wieteres zu geben bereit war.
Im Geist der Frau erkannte er das mit mehreren Wunden versehene Gesicht eines Jugendlichen auf der Schwelle zum Mann
Auf den Zügen sah er noch immer etwas Kindliches und in den Augen lag mehr Zweifel als Zuversicht.
Er saß auf einer Pritsche, beschrieb einen Bogen Papier. Die Wände waren ebenso wie der Fußboden aus einfachen Holzbalken und nirgendwo war ein Fenster zu erkennen.
Die Frau verschränkte die Finger ineinander und näherte sich den Köpfen der Besucher verschwörerisch. „Ich kann mir durchaus vorstellen, dass ich so jemanden schon gesehen habe. Aber ich möchte‘ ehrlich mit euch sein. Denjenigen, den ich meine, der hat mir ziemlich überzeugend mitgeteilt, dass er hier in Brügge niemanden kennt.“