Erik hatte offensichtlich eine kleine Verehrerin gefunden, dachte sich Leif im Stillen und musste ein leichtes Schmunzeln unterdrücken. Aber sicherlich würde jedes Mädchen einen Schwarm für den Mann entwickeln, der sie befreit und seine böse Hexe von Mutter in ihre Schranken weist. Der Salubri schüttelte schließlich den Kopf und wandte sich Brunhild und Erik zu. “Wir haben Thyra. Karl bringt sie gerade zurück in die Stadt.” Leif erwähnte nichts von dem Zusammentreffen oder ihren Verletzungen. All das hatte für später Zeit. “Im Kerker wartet nichts als eine Falle von Jonarta also sollten wir hier so schnell wie möglich verschwinden. “Jetzt wo sie kein Druckmittel mehr gegen uns in der Hand hat können wir sie direkt stellen. Wo ist der Schatten jetzt? Wie viel Zeit haben wir noch?”
Brunhild sah Leif eindringlich an. „Wie geht es den beiden? Brauchen sie Hilfe? Sind sie verletzt?“
Es half niemandem jetzt zu lügen. "Thyra ja. Aber das ist nichts, was ich nicht wieder hinbekomme. Jonarta hat sie gefoltert soweit ich es ausmachen konnte."
Brunhild schluckte schwer und ein sorgenvoller Ausdruck legte sich auf ihre Züge. Erik sah sie fest an. „Geh zu ihnen und versuch sie hier rechtzeitig raus zu bekommen! Bleibt in Brügge bis der nächste Morgen anbricht!“ Er griff Mira fest an den Schultern, sah auch ihr mit einer Bestimmtheit in die Augen, die keinen Widerspruch zulassen wollte. „Und du gehst mit ihnen, Mira. Das hier ist kein Ort für dich.“ Das Mädchen jedoch schob bestimmt seine Hände weg. „Nein, ich kommt mit. Das hier ist nicht allein deine Angelegenheit. Vielleicht braucht ihr mich. Ich weiß genug, was euch vielleicht helfen kann. Und ich bin die einzige, die sie nich verdächtigt.“ Erik seufzte lang. „Bei Loki, muss ich denn tatsächlich nur von sturen Frauen umgeben sein?“ Brunhild wandte sich in Leifs Richtung. „Kannst du mir den Weg zu Karl und Thyra beschreiben? Ich versuch den beiden zu helfen.“
Leif nickte nur. Es war ihm von Anfang an klar gewesen, dass Mira sich weigern würde einfach zu gehen. Den Atem hätte sich Erik wahrlich sparen können. Mit knappen Worten beschrieb er Brunhild den Weg zum Folterkeller. "Wir sollten uns dann auf den Weg zu Jonarta machen. Ich habe das Gefühl die Zeit ist im Moment nicht unbedingt unser Freund."
Brunhild umarmte sowohl Erik als auch Leif noch ein letztes Mal fest. „Kommt in einem Stück wieder zurück. Und wenn’s geht lebendig“ Dann war sie auch schon in der Dunkelheit verschwunden. Mira blickte zu den beiden Männern. „Soll ich euch zu den Gemächern meiner Mutter führen?“
Salubri erwiderte die Umarmung noch einmal und nickte Mira schließlich zu als Brunhild sich in Richtung des alten Kellers bewegte. "Ja, bringt uns zu ihr, Lady Mira." Er überlegte kurz und schaute dann zu Erik und wieder zu Mira. "Eine Sache noch. Ich gebe euch absolut Recht, dass diese Sache auch euch etwas angeht. Allerdings würde ich euch bitten zu Beginn ein wenig im Hintergrund zu bleiben, denn vielleicht brauchen wir euch später noch. Als eine Art Trumpf, denn wenn eure Mutter nicht weiß, dass ihr uns geholfen habt, dann können wir das als einen weiteren Vorteil für uns nutzen."
Das Mädchen nickte nachdenklich. „Dann sollte ich euch zu den Gemächern führen und dann zu meiner Mutter gehen. Wenn ich mit euch gemeinsam ins Zimmer käme, würde das Verdacht erregen. Aber was auch immer sie in den Gemächern für Fallen ausgelegt haben mag, ihr müsst sie allein entdecken… Schafft ihr das?“
"Wir werden sehen. Ich habe zwar wenig Erfahrung mit Hexen, dafür aber mit einer ganzen Menge anderen übernatürlichen Despoten und Wahnsinnigen. In jedem Falle sind wir nicht unvorbereitet und ich habe auch noch den einen oder anderen Trick auf Lager." Leif nickte ihr entschlossen zu.
„Dann kommt.“ Mira ging voraus und wartete auf die beiden Männer. Sie waren leise und das Mädchen wusste genau an welchen Orten Wachen positioniert waren und umging sie geschickt. Sie schlichen von Schatten zu Schatten. Schließlich deutete Mira auf eine große, ausladende Tür, die Richtung See hinaus gingen. „Sie hat vier Zimmer und am liebsten hält sie sich im letzten auf. Ich werde gehen. Seid vorsichtig.“ Ihr Blick ging zu Erik und sie nickte mit einem für ihr Alter ungewöhnlich traurigen Ausdruck. Dann bog sie um eine Ecke.
Erik atmete tief ein und sah zu Leif. „So, du und ich, wir sind übrig. Eine seltsame Begebenheit… Vor einigen Wochen habe ich meine Seele verkauft um dich vernichten zu können. Der Schatten, das warst nicht du, es wäre also vergebens gewesen. Aber dennoch bleibt die Tatsache, dass ich alles in meiner Macht Stehende getan hätte… Und jetzt kämpfe ich Seite an Seite mit dir.“ Er schüttelte den Kopf, scheinbar unfähig das Gesagte wirklich ganz begreifen zu können.
"Ich bin kein Philosoph, Erik. Aber ich glaube durchaus daran das ungewöhnliche Zeiten manchmal ungewöhnliche Maßnahmen erfordern. Der Schatten und Jonarta sind im Moment das dringendere Problem, da sie das bedrohen, was uns beiden wichtig ist." Leif schaute von Erik weg und schien die Tür zu beobachten. "Was passiert, wenn wir das hier überleben, mag auf einem ganz anderen Blatt stehen, aber du solltest nicht zu viel darüber nachdenken denn was vor uns liegt wird sicherlich schwierig genug."
Erik lachte auf und seine Mundwinkel verzogen sich zum Hauch eines Lächelns. „Nein. Du hast Recht: Du bist definitiv kein Philosoph.“ Er deutete mit dem Kopf zur Tür der Gemächer. „Ich bin froh, dass Mira nicht in meiner Nähe ist. Der Schatten hat sie nie als Gefahr betrachtet… aber er wird bald hier sein. Ich habe in der Wirtsstube gesehen, dass du unglaublich gut darin warst ihm zu widerstehen… Ich habe noch nie jemanden gesehen, dem es wie dir gelungen wäre. Das lässt mich hoffen.“
Leif überlegte ein wenig. "Unsterblichkeit ist nicht immer leicht, so blöd sich das anhört. Manchmal wandert der Geist und verfängt sich in Gespinsten aus Vergangenheit, Hoffnungen, Dingen die man bereut und Wahnsinn selbst. Ich habe schon immer versucht meinen Geist zu stählern um so klar und willensstark wie möglich zu bleiben. Ich vermute es sind dieselben Techniken und Übungen die mich gegen den Schatten und seinen den Geist kontrollierenden Kräfte beschützen." Leif beobachtete die Tür, ein wenig angespannt, so als würde er erwarten, dass jede Minute ein Monster daraus hervorspringen könnte. "Was meinst du Erik sollten wir versuchen zu ihr vorzudringen? Ist genug Zeit vergangen?"
Erik nickte grimmig. Dann schloss er die Augen, legte beide Hände auf den Griff seines Schwertes und murmelte kaum hörbar vor sich hin. Leif verstand die Worte dennoch. Er kannte jede einzelne Silbe davon.
Odin, Siegesschenker, weihe mir das Schwert.
Gib mir Kraft, nimm sie dem Feind.
Tyr, Kampfesgott, Führe meinen Arm
In der Schlacht, Für einen gerechten Sieg
Bitte ich hier.
Thor, Donnergott, Vater unsrer Familie,
gib mir Anteil an deiner Kraft.
Leif lächelte innerlich. Ein gutes hatte der wahnsinnige Wunsch nach Rache, den er bei seiner Familie hinterlassen hatte, irgendwie doch. Sie erinnerten sich an die alten Riten und Gebete, die immer mehr aus der Welt verschwanden. Leif selber sprach ebenso kurze Worte an Balder, den Gott des Lichtes, ihm gegen den Schatten beizustehen. Aber er tat das nicht nur wegen dem Schatten, denn er fühlte sich dem Gott am nächsten, auch wenn die Verehrung eines Sonnengottes für einen Vampir sicherlich komisch anmuten mochte.
Der blonde Mann sah Leif fest an. „Auf in den Kampf!“ Dann trat er zur Tür. Er drückte die Klinke hinunter, doch nichts geschah.
"Lass es mich mal versuchen. Vielleicht kriege ich das Schloss auf." Leif fluchte kurz innerlich als ihm einfiel das er seine Dietriche an Karl abgegeben hatte. Nun denn vielleicht ging es ja trotzdem irgendwie.
Erik trat zur Seite und sah zu wie Leif begann das Schloss zu analysieren, wie er die Klinke nach oben und unten drückte um den genauen Mechanismus zu verstehen. Seine Stirn legte sich in Falten. Dann zog er seinen Mantel von den Schultern und griff nach der Gewandnadel seiner Brosche, die den Stoff zusammen gehalten hatte. „Versuch’s mal hiermit.“
"Das könnte gehen." Leif dehnte die Nadel ein wenig um einen langen Draht zustande zu bekommen. Dann machte er sich an die Arbeit.
Er bekam das Schloss mühelos und quasi lautlos auf. Den Mechanismus hatte er schon einmal gesehen. Dann steckte er den Kopf durch die Tür. Der Raum, der dahinter lag war groß und hatte ungemein hohe Decken. Jagdtrophäen hingen an den Wänden.
Ein seltsames Gefühl ließ seine Nackenhaare aufstellen.
Wahrn+Aufm
Leif erkannte Hirschgeweihe, einen ausgestopften Bären zu seiner Rechten, einen präparierten toten Wolf zu seiner Linken, des weiteren einige Vögel auf kleinen Podesten.
Irgendetwas an den Tieren erschien ihm merkwürdig ohne genau definieren zu können, was es war. Aber das Gefühl, das ihn umgab war eindeutig: Gefahr.
"Erik. Sei vorsichtig. Irgendwas ist komisch hier." Leif zog vorsichtshalber seine Axt.
Er hatte keine Ahnung von Tieren. Bis auf Sleipnir beschäftigte er sich für gewöhnlich nicht mit ihnen. Dann fiel ihhm jedoch eine winzige Bewegung auf. Zwei der Vögel, die wie Dekorationsobjekte oben auf dem Balken in drei Metern Höhe saßen, hatten sich bewegt. Alles in diesem Raum war tot, aber die Amsel und die Krähe, die daneben saßen, verhielten sich durchaus lebendig. Leif wusste: ein winziger Mucks und die Tiere wären gewarnt.
Leif sah die Tiere in den Augenwinkel und suchte Eriks Blick. Dann legte er den Finger auf die Lippen um ihm zu zeigen, dass er keinen Mucks machen durfte und zeigte dann hoch zu den Vögeln. Leif überlege, vielleicht könnte man sich an den Biestern vorbeischleichen.
Erik nickte als er erkannt hatte, worauf Leif zeigte. Lautlos holte er seinen Bogen hervor und sah seinen Vorfahren fragen an.
Leif zuckte nur mit den Schultern. Vielleicht würde das ja funktionieren. Leif holte eine kleine Wurfaxt aus seinem Stiefel hervor und zeigte es Erik. Mit den Lippen formulierte er das Wort 'gleichzeitig?'
Wieder folgte Eriks Nicken. Er legte einen Pfeil auf die Sehne, spannte während Leif mit der Axt ausholte. Gleichzeitig schickten beide ihre tödlichen Geschosse los.
Leif zielte, nahm den Vogel ins Visier und ließ die kleine Handaxt in dessen Richtung fliegen. Sie drehte sich ohne erkennbares Geräusch in der Luft und flog schnell auf das gewählte Ziel zu. Beide trafen lautlos ihre Ziele. Wie Trophäen bei der Rebhuhnjagd fielen die Vögel zu Boden und ein winziger Blutfleck breitete sich darum aus. Zeitgleich verschwand das Gefühl der Gefahr.
Leif nickte Erik zu. "Gut gemacht." Seine Stimme war nicht mehr als ein Flüstern. "Wir sollten weitergehen." Im Vorbeigehen zog Leif noch seine Axt aus dem Kadaver und verstaute die Waffe wieder in seinem Stiefel.
Erik griff ebenfalls nach seinem Pfeil und zog ihn aus der Brust der Amsel. Die nächste Tür war nicht verschlossen.
Das Zimmer war bis auf einen seltsamen bläulichen Schimmer in rabenschwarze Finsternis getaucht. Es fiel Leif schwer etwas zu erkennen. Eine schwere Last legte sich auf seine Glieder als er eintrat. Irgendwas hier laugte aus, saugte einem die Energie aus dem Körper, zog an einem…
Es fiel Leif schwer sich aufrechtzuhalten. Er wollte sich einfach nur auf einen der weichen Stühle sinken lassen und ausruhen. Vielleicht ein wenig schlafen… Die Vorstellung von Ruhe und Schlaf war so sanft, so verheißungsvoll. Nur einige wenige Minuten würden gewiss schon ausreichen. Erik schien es ebenso zu gehen. Er stütze sich mit beiden Händen auf einen Schreibtisch, dann rieb er sich fest die Schläfen und verpasste sich selbst eine Ohrfeige. Er schloß sich Leif bei der Durchsuchung des finsteren Raumes an. Hinter einer Ecke, die durch mehrere Bücherregale gebildet wurde erkannte Leif es schließlich: Einen Kreis, den man mit weißer Kalkerde auf den Boden gemalt hatte.
Leif hasste diesen ganzen okkulten Hokus Pokus. Erst die Tremere, Sebastian und jetzt eine ihre Seele verkaufende Hexe. Leif straffte sich und sah sein Ziel. Der Kreis mit dem wahrscheinlich diese abartige Beschwörung aufrechterhalten wurde. Er schaute das Konstrukt hasserfüllt an und begann mit den Füßen die weiße Kalkerde zu verschieben um den Kreis zu zerbrechen.
Im selben Moment in dem er den Kreis durchbrach wurde sein Geist wieder frei und das schwere Gefühl ließ nach. Auch Erik hielt sich gerade und schien freier durchzuatmen. Der Junge griff nach seinem Schwert und fuhr über das kalte Metall. „Ein Schattenraum für einen Schatten… eine Einladung an den Dämon. Wahrscheinlich ebenso wie dieses Ritual. Wir müssen weiter… Das gefällt mir nicht.“
"Sie ist sehr gut vorbereitet! Wir sollten auf alles gefasst sein." Leif gefiel dieser ganze Mist überhaupt nicht. Sie mussten mit allem rechnen.
Trotz der Dunkelheit fanden sie nun ohne Mühe die weiterführende Tür. Sie standen anschließend in einem mehrere Meter langen leeren Flur, der an einer großen mit tausend Ranken und Schnörkeln versehenen Tür endete.
Erik sah Leif an. „Was jetzt?“
Der Flur war leer. Es gab weder Dekorationen, noch Teppiche noch sonst irgendwelche Auffälligkeiten. "Warte kurz hier Erik." Nachdem Leif seinen Verwandten angesprochen hatte machte nach kurzem Zögern einen Schritt in den Flur blieb kurz stehen um seine Umgebung zu beobachten. Dann ging er weiter.
Der Raum groß und voll gestellt mit allen möglichen Möbeln, Gerätschaften unbestimmten Verwendungszwecks, Büchern, Abfall und Dekorationsgegenständen. Obwohl die Hochzeit zwischen Jonarta und Christophe erst vor wenigen Wochen statt gefunden hatte, sah es hier aus als wäre seit Jahren nicht sauber gemacht worden.
Leif sah sich um, sah aber im ersten Moment aufgrund der Unordnung und der flackernden Kerzen keine Menschenseele. Erst bei genauerem Hinschauen erkannte er den Rücken einer Frau, die die hereinkommenden durch einen Spiegel beobachtete. Neben ihr stand ein Mädchen von wohl 12 Jahren, Mira, und flocht ihr die Haare. Die Frau erhob sich, drehte sich auf dem Absatz und warf die langen blonden Haare nach hinten, die die Farbe von glänzendem Stroh hatten.
Sie legte ihrer Tochter bekräftigend die Hand auf die Schulter.
Mira bemühte sich unter der Berührung nicht zu erstarren und sich nichts anmerken zu lassen, doch der Blick, den sie zu Erik warf und den Jonarta nicht sehen konnte, drückte die Angst aus, die sie in diesem Moment empfinden musste.
Jonartas Stimme war hell und klar, freundlich und ganz und gar einer wohlerzogenen Dame entsprechend. „Es freut mich, dass ihr den Weg hierher gefunden habt. Ich musste lange auf euch warten.“ Sie kicherte nach Art der Edelfräulein. „Mein Reisegefährte Erik und …? Wen habt ihr zu eurer Begleitung auserkoren? Vom Äußeren her definitiv ein Verwandter… euer Bruder?“ Ein schiefes Lächeln legte sich auf Eriks grimmige Züge. „Mein Vetter.“ Ein kurzer Blick ging zu Leif.
„So seid denn gegrüßt. Ich muss sagen ich hätte erwartet, dass meinen kleinen Ablenkungsmanövern euch ein wenig… zerstreuen würden.“ Sie gab Mira einen Wink zum Tisch und das Mädchen begann hastig Schminktiegel, Bürsten, Cremes und manch anderes seltsames Zeug fortzuräumen. Leif erkannte Fingerknochen, roch Alraune, den süßlichen Geruch von köchelndem Blut. Immer wieder ging Miras Blick zu den beiden Nordmännern.
Der Tonfall der Frau veränderte sich und ihre Stimme wurde schärfer. „So, ich habe in dieser Nacht noch andere Dinge zu erledigen… kommen wir also zeitnah zum geschäftlichen Teil, wenn es euch nichts ausmacht. Ich habe eine Kleinigkeit, die euch wohl wichtig ist, du, lieber Erik, hast mir etwas gestohlen, das ich gerne wieder hätte.“
Was für ein erbärmliches und gefährliches Weib dachte sich Leif im Stillen. Er hatte das Gefühl sie könnte jeder Malkavianerin mit der Art ihres Auftretens Konkurrenz machen. Leif trat vor und stellte sich zwar nicht vor Erik, versuchte ihn aber trotz allem ein wenig abzuschirmen. "So, ihr wollt also etwas wiederhaben. Nun ja dann macht uns ein Angebot Jonarta. Vielleicht kommen wir ja ins Geschäft." Leif lächelte zufrieden. "Und was das gestohlene Gut angeht kann man sicherlich über den Wahrheitsgehalt dieser Aussage diskutieren. So wie ich es verstanden habe, habt ihr euren dunkeln Begleiter freiwillig abgegeben."
Jonarta musterte Leif als würde sie ihn nun zum ersten Mal sehen. Ihr Blick analysierte ihn, wog ab. Es erinnerte ihn an jemanden, der ein unbekanntes Insekt zum ersten Mal sieht und sich fragt ob es durch seinen Biss vielleicht gefährlich werden konnte, oder ob man es einfach zertreten sollte.
„Ich habe meinen Besitz mitnichten freiwillig abgegeben.“ Wieder erscholl das glockenhelle Lachen. „Aber das habt ihr ja auch nicht.“ Sie stieß mit einem scharfen Ring, dessen Oberseite sie aufklappte so dass ein Dorn zum Vorschein kam in ihren Finger und ließ einen Blutstropfen auf den Frisiertisch fallen. Auch dort erkannte Leif den Kreis einer Rituals. Die Ränder waberten für einen Herzschlag auf, dann lag es wieder still da.
„Um alles ein wenig abzukürzen: Ihr bekommt die Freiheit eurer kleinen, süßen Freundin, … ich den Schatten zurück.“ Für einen kurzen Augenblick loderte Hass in ihrem Blick auf, der jedoch sofort wieder unter ihrem sanften Lächeln verschwand. „Ich werde den Schatten rufen und mich wieder mit ihm vereinen. Damit alles wieder so ist wie es gehört. Eure Schwester, Base, Tochter, Mutter, was auch immer… an eure Seite… mein Freund an der meinigen.“
Leif schüttelte mit dem Kopf. "Wir wollen das Mädchen nicht. Oder sollte ich besser sagen ICH will das Mädchen nicht? Sie mag mit mir verwandt sein, aber wenn ich ehrlich bin ist es mir ziemlich egal ob ihr sie zu Tode foltert oder an einen arabischen Harem verkaufen würdet. Warum sollte ich also auf diesen Handel eingehen?" Leif ging einen Schritt, etwas weiter in den Raum hinein. "Nein ein ganz und gar schlechter Handel, ich bin mir sicher euer Freund ist euch mehr wert als ein kleines Mädchen. Oder täusche ich mich da?"
Sie sah Leif wieder mit dem abwägenden, kalten Blick an. Dann legte sich ein amüsiertes Schmunzeln auf ihre Züge. Sie hob kurz die Schultern. „Was wollt ihr dann hier bei mir, wenn es nicht das Mädchen ist, mein Freund? Etwas Anderes habe ich jemandem wie euch nicht anzubieten.“ Sie deutete auf Erik. „Wenn es der Schatten ist, den ihr wollt, holt ihn euch von eurem Vetter oder schlachtet ihn einfach ab.“
Mira ließ die Gegenstände, die sie in den Händen gehalten hatte fallen und sie kugelten über den Boden. Jonarta schüttelte den Kopf. „Wie ungeschickt, mein Herzchen. Vielleicht solltest du gehen. Das hier ist nicht der richtige Umgang für eine Dame wie dich.“
Miras Stimme war kaum zu vernehmen. „Es ist nichts, Mutter. Verzeiht.“ Sie begann die Tigel und Dosen wieder aufzuheben.
"Eine Frau mit euren Talenten hat sicherlich eine ganze Menge anzubieten. Macht, Einfluss, Zauber...ich könnte mir sicherlich noch eine ganze Reihe anderer Dinge vorstellen." Leif ging noch einen Schritt auf sie zu. "Mit eurem Schatten kann ich recht wenig anfangen, denn die Inquisition ist eine ständige Gefahr in diesen Landen. Bischof Martin von Brüssel scheint besonders von seinem Gott gesegnet. Es gibt nichts was man gegen ihn unternehmen kann, er findet immer alles heraus und weiß von jedem einzelnen Plan den man gegen ihn ausheckt. Vielleicht können wir ja ein Bündnis schließen. Wir haben die gleichen Feinde Gräfin."
Ihre Augen blitzten interessiert auf. „Ihr wollt, dass ich einen Bischof für euch aus dem Weg schaffe? Der Schatten gegen das Leben eines Geistlichen?“
"Vielleicht." Leif ging ein wenig im Raum auf und ab. "Aber ich will den Geistlichen nicht einfach nur töten. Ich will ihn ruinieren, ich will ihn am Boden sehen, er soll darum betteln das man ihn tötet." Etwas blitzte in Leifs Augen aus, etwas recht Grausames. "Die Frage, die ich mir stelle ist natürlich, ob ihr zu einer solchen Tat überhaupt in der Lage wärt Jonarta. Der simple Tod dieses Priesters mag nämlich noch sehr viel mehr Probleme verursachen."
Leif hatte definitiv ihre Aufmerksamkeit erlangt. „Tut mir bitte den Gefallen und hört auf in meinen Gemächern herum zu rennen. Zum einen macht es mich nervös, zum anderen schickt es sich nicht… und drittens…“ Wieder legte sich ein überzeugtes Lächeln auf ihre Züge. „Hier liegen so viele Dinge herum, die ihr mit Gewissheit nicht berühren wollt.“ Sie deutete auf einen Stuhl. „Wenn ihr Platz nehmen wollt, fühlt euch frei das zu tun.“ Sie sah eine lange Zeit zu Leif, dann zu Erik, dann mit einem warmen Lachen zu Mira. „Ich verfüge über einige Fähigkeiten… Folter… jemanden ruinieren, quälen, leiden lassen zählen mitunter auch dazu…“ Sie zuckte mit den Schultern. „Nicht, dass es mir unsagbare Freude machen würde, aber manchmal muss mal halt tun, was getan werden muss! Nicht wahr, Mira?“ Das Mädchen schluckte kaum hörbar und nickte dann. „Ja, Mutter.“
Leif lachte auf. "Lady Jonarta euch sollte inzwischen klar sein, dass es mich nicht sonderlich kümmert, was sich wirklich 'schickt'." Das letzte Wort spie Leif beinahe aus als würde es einen bitteren Nachgeschmack in seinem Mund hinterlassen. Er setzte sich aber auf den angebotenen Stuhl und schlug die Beine übereinander. "Aber das wäre noch nicht alles. Eine Allianz müsste auf etwas aufgebaut werden. Es gibt noch eine ganze Menge, was ich euch geben könnte. Perfekte Gesundheit, die Gedanken und Geheimnisse eurer Feinde sowie ewiges Leben." Leif suchte Jonartas Blick. "Nein ich will auch noch etwas Anderes wenn ihr an einem Handel interessiert seid und zwar eure Tochter." Sein Blick glitt zu Mira.
Sie trat auf Mira zu und strich ihr zärtlich wie einem Hund über das Haar. „Meine süße, kleine Tochter?“ Sie schritt näher an ihn heran. „Was genau stellt ihr euch vor, Herr…?“
Leif lächelte und stand wieder auf. Er ging in Richtung Erik und der Tür die noch immer offen stand. "Eure Tochter scheint klug, hübsch und gehorsam zu sein. Ich brauche jemanden, der mir zuarbeitet und der meine Experimente protokolliert. Einen Lehrling, wenn ihr so wollt. Allerdings glaube ich, dass es vor allem auch noch um etwas anderes geht. Eine kleine Gemeinsamkeit wie eure Tochter würde unsere Allianz nur stärken. Als Austausch hätte ich euch etwas anzubieten an dem ihr bestimmt Freude hättet." Leif lächelte verschlagen und zog dann seinen Dolch mit einer unglaublich schnellen Handbewegung und hielt ihn eng an Eriks Hals. Wenn er sich zu schnell bewegte würde die scharfe Klinge, die zu aller Ironie auch noch von seiner Mutter geschmiedet worden war seine Kehle durchtrennen. "Und zwar den hier!" Leif stieß Erik in das Zimmer in Richtung des Stuhls auf dem er vorher gesessen hatte. "Nur falls ihr euch wundern solltet...ich hatte noch nie sonderlich viel für meine Familie übrig. Das wird er euch dieser hier..." Leif drückte Erik auf den Stuhl. ."...sicher gerne bestätigen."
Erik schluckte, erstarrte und ließ sich dann notgedrungen auf den Stuhl führen. Miras Augen weiteten sich panisch. Sie stand hinter dem Rücken ihrer Mutter und griff nach einem Gegenstand, der sich in der obersten Schublade befunden haben musste: ein Ritualdolch mit filigraner Klinge. Jonarta schien nichts zu bemerken und ließ sich das Angebot durch den Kopf gehen. Dann jedoch fuhr sie mit einer blitzschneller, übermenschlichen Bewegung herum und griff fest nach ihrer Tochter. Jonarta sah sie an, verstärkte noch ihren Griff und Mira ließ die Klinge fallen. Jonarta schob sie mit einer eleganten Bewegung ihres Fußes hinter unter einen Schrank. Ihre Stimme war genauso zärtlich wie noch vor einer Minute. „Hast du geglaubt, ich wüsste nicht, was du planst, mein Herz? Ich war nachlässig bei dir. So wie ich nachlässig bei deinem Vater war. Aber bei dir, meine Hübsche, wollte ich Gewissheit. Die habe ich nun. Mach dir keine Gedanken. Ich nehme dir deinen Verrat nicht übel. Du bist wie ich: Es liegt in unserem Blut.“ Mira versuchte sich loszureißen. Wut glomm in ihren Augen auf. „Ich bin kein bisschen wie du.“
Beschwichtigend schüttelte die blonde Frau das Haupt. „Tse. Es ist nicht schlimm. Auch ich habe damals meine Schwester abgeschlachtet um die einzige Schülerin unserer Mutter sein zu können und damit ihre alleinige Aufmerksamkeit zu erhalten. Du möchtest Macht, du willst meine Kräfte, meine Rituale… die Bücher, die ich dich nicht lesen lasse.“ Sie deutete mit dem Zeigefinger auf Erik. „In wenigen Jahren die uneingeschränkte Herrschaft über jemanden so schmackhaften wie diesen jungen Mann hier. Dafür habe ich Verständnis…“ Sie lachte amüsiert auf.
Mira wand sich in ihrem Griff und schrie sie an. „Nein. Das will ich nicht. Ich will nur, dass dir endlich jemand Einhalt gebietet.“ Obwohl die Worte an Jonarta gerichtet waren sah sie verzweifelt zu Erik, der noch immer den Dolch an seiner Kehle spürte. Es schien ihr nicht mehr wichtig zu sein, was ihre Mutter dachte. Nur das, was Erik für wahr und falsch hielt war für sie in diesem Moment noch von Belang.
Jonarta sah wieder zu Leif. Die ganze Geschichte mit den Familienangehörigen schien sie nur am Rand zu interessieren. „Ich weiß nicht so recht, was ich mit dem jungen Nordmann anfangen soll. Natürlich ist es schön, ihn tot zu sehen, denn ich mag es nicht gern wenn jemand den Moralapostel spielen will und mich von meinem Tun abhält, sich mir in den Weg stellt. Aber das kann ich auch selbst bewerkstelligen… Mira? Hm? Ich kann sie euch als Pfand unseres Bundes überlassen, allerdings werde ich davor noch sicherstellen, dass sie sich in Zukunft mir gegenüber loyal verhalten wird. Wenn ihr wollt, werde ich dafür Sorge tragen, dass es sich bei euch ebenso verhält und ihr ihrer Treue sicher sein könnt. Ich hätte sie aber eigentlich gern noch einige Jahre hier bei mir. Es gibt viel, das ich sie noch lehren kann bis sie soweit ist in meine Fußstapfen zu treten.
Mira wehrte sich erneut heftig. „Das werde ich nie!“ Dann jedoch erstarb jede Kraft und sie erstarrte. Jonarta drückte ihr einen Kuss auf die dunkelblonden Haare. „Doch, mein Herz, das wirst du.“
Leif schaute sich das Schauspiel weiter an und schien zufrieden zu grinsen. Während sich die beiden Frauen unterhielten fesselte er Erik an den Stuhl. "Das euer Töchterchen plant euch zu verraten, hätte ich euch auch noch gesagt. Sie hat geradezu darum gebettelt uns zu helfen wie sie so schön meinte. 'Jemand muss meine Mutter aufhalten.' " Leif äffte die zarte Stimme des Mädchens nach während er seinen Verwandten an den Stuhl fixierte. Dann nachdem er sich sicher was das er gut genug gefesselt war, ließ er von ihm ab und richtet sich auf. "Ich habe noch etwas Anderes, das euch vielleicht interessieren mag. Eine kleine Information. Das Mädchen Thyra ist nicht mehr in eurem Kerker Mira hatte geholfen sie aufzuspüren, geradezu darum gebettelt uns helfen zu dürfen, also beschloss ich das ganze erst einmal mitzuspielen. Gleich zu euch zu gehen hätte sonst Aufmerksamkeit erregt." Leif schaute Jonarta an und seine Stimme klang ernst und erbarmungslos. "Ich will diesen Priester tot sehen. Ich will sehen wie er sich in seinem eigenen Dreck windet und ganz langsam verreckt. Je mehr ich von eurem kleinen Mädchen gehört hatte, desto sicherer wurde ich mir, dass ihr meine Möglichkeit für diesen Triumph seid. Außerdem bin ich im Allgemeines gerne auf der Gewinnerseite. Tut mit eurer Tochter was ihr wollte um ihre Loyalität zu euch zu gewährleisten - mir ist es gleich. Ihr wisst nun was ich will. Alles darüber hinaus interessiert mich im Moment nicht sonderlich. Haben wir einen Deal?" Leif legte Schwert und Axt beiseite und legte eine Hand hinter den Rücken um seine friedlichen Absichten zu zeigen. Dann reichte Jonarta die rechte Hand. Sie war am Zug.
Jonarta lachte herzlich auf. „Den Deal habt ihr. Aber, Leif. Ihr dürft mir mein Naturell nicht verübeln. Eine Hexe macht einen Vertrag, der bindend ist. Ich werde innerhalb des nächsten Jahres dafür sorgen, dass Bischof Martin vergeht, leidet, elendig verreckt, um Erlösung winselt, wahnsinnig wird, was immer ihr wollt. Ihr erhaltet meine Tochter nachdem ich zuvor sichergestellt habe, dass sie mich nicht noch einmal hintergehen wird. Ich erhalte den Schatten zurück, den ich in den letzten Wochen recht schmerzlich vermisst habe. Als kleine Bonusgabe schneidet ihr diesem Jungen hier die Kehle durch? Seid ihr mit diesen Vertragsvoraussetzungen einverstanden?“
Leif schaute noch einmal zu Erik, dann zu Mira und schließlich zu Jonarta und nickte mit dem Kopf. "Ich bin einverstanden mit den Bedingungen sobald der Vertrag besiegelt ist. Bindend, wie ihr so schön sagt. Ich kaufe die Katze ungern im Sack, denn mich hat schon einmal einer von eurer Sorte bei einem Deal betrogen." Leif zog die Hand ein wenig zurück. "Dann sind wir uns einig? Dies sind die Bedingungen des Vertrages? Ohne doppelten Boden und doppelte Meinung von Worten?" Dann hielt er ihr die Hand wieder hin.
Sie lächelte. „Selbstverständlich.“ Sie trat nach hinten an ihren Tisch und zog eine Flasche aus der obersten Schublade. Mira, die nicht mehr festgehalten wurde, war in der zuvor erzwungenen Pose erstarrt und rührte sich nicht. Jonarta ließ einen Blutstropfen aus ihrer Fingerbeere in die Flüssigkeit fallen. Dann trat sie näher an Leif heran. „Einen Blutstropfen von euch in das Gefäß. Dann gebt mir die Flasche zurück.“
Leif Griff nach der Flasche die Jonarta in Erwartung an ihren Pakt in der Hand hielt. Aber der Salubri wusste das er nicht nur nach dem Glasgefäß greifen wollte, sondern auch einen kleinen Teil ihrer Haut berühren wollte. Ein Nagel, eine Fingerspitze wären genug um dann zu versuchen sie in den Schlaf zu schicken. Das Manöver war riskant und er wusste das er im Moment alles auf eine Karte setzte, ja bereits gesetzt hatte. Jetzt oder nie.
Die Finger berührten sich für einen winzigen Moment, doch nichts geschah. Leif stand mit der Flasche in der Hand da, während Jonarta Mira wieder über das Haar strich. Mit dem blutigen Finger fuhr sie die Ränder des seltsamen Rituals auf ihrem Frisiertisch ab.
Leif war es ganz recht das Jonarta sich gerade umdrehte und tat so als würde er einen Tropfen Blut in die Flasche gleiten lassen, nachdem er sich die Fingerspitze seines linken Zeigefingers mit einem seiner Fänge punktiert hatte. Dann gab die Flasche an Jonarta zurück um es noch ein weiteres Mal zu versuchen. Diese Frau schien tatsächlich einen außergewöhnlichen Willen zu haben und Leif begann langsam sich Sorgen zu machen wie das ganze hier wohl enden würde, denn wahrscheinlich hatte die Hexe gerade den Schatten gerufen.
Leif gab ihr die Flasche zurück und berührte dabei noch einmal ihren Finger und setzte erneut seine Kräfte des Valeren ein. Die Disziplin verursachte einen heilsamen Schlaf, aber die Krieger seines Clans benutzen die gleiche Kraft eher dazu gefährliche Feinde auszuschalten. So oder so würde sich Jonarta frisch und erholt fühlen nach ihrem Schlaf, auch wenn er über ihre Stimmung keine Mutmaßung anstellen wollte. Sollte keine Verletzung oder ein lauter Ton sie wecken, solle sie wohl für etwa 5 Stunden ausgeschaltet sein. Die Hexe fiel schließlich einfach um und begann in ruhigen Zügen zu atmen. Gegen Vampire war diese Kraft nutzlos, zum Glück war seine Gegnerin dieses Mal aber kein Kind Kains. Leif dankte den Göttern und stieß einen erleichterten Seufzer aus. Mit einem Schritt war er auch schon bei Erik und schnitt ihm die Fesseln durch. "Es tut mir leid, dass ich dich getäuscht habe." brachte er nur kurz hervor und sah dann zu Mira. "Kümmere dich um sie, Erik, sie braucht jetzt Unterstützung." flüsterte der Salubri seinem Verwandten noch leise zu, nur um dann wieder zum Schminktisch zu eilen und wischte über den seltsamen Ritualkreis um ihn zu unterbrechen.
Erik schloss für mehrere Sekunden die Augen und atmete tief durch. Auch wenn er dem Urteil seiner Mutter vertraute hatte er dennoch mehrere Minuten um die eigene Existenz gebannt. Woher sollte er auch wissen, wie sehr man auch dem Mann vertrauen konnte gegen den die eigene Familie seit Jahrhunderten kämpfte. Er rieb sich die wundgescheuerten Handgelenke, trat dann zu Mira, die plötzlich aus der seltsamen Verrenkung in der sie ausgeharrt hatte, zusammensackte. Sie lag am Boden, kam langsam zu sich. Dann biss sie die Lippen fest aufeinander um die Tränen zurück zu halten. Der blonde Mann beugte sich zu ihr und nahm sie fest in die Arme und flüsterte eindringlich und beruhigend auf sie ein. „Alles wird gut, Mira. Alles wird wieder gut.“
Leif spürte es wie eine bedrohliche Präsenz. Etwas Dunkles, das sich näherte… wie ein Sturm, der einem das Stroh vom Dach blies oder den Blitz, der demnächst in den Dachfirst einschlagen würde. Obwohl einige Kerzen brannten wurde es merklich dunkler. Erik, das zitternde Mädchen noch im Arm sah Leif von unten herab fragend an. Leif wusste genau, was der Blick bedeutete. Was nun?
"Bring Mira hier raus. Sofort! Das ist besser für uns alle, denn je weniger Leute der Schatten übernehmen kann desto besser!" Noch während Leif sprach begann er Jonarta zu fesseln und zu knebeln. Wahrscheinlich würde sie letztendlich davon aufwachen, aber die Stricke und der Knebel sollten auch sie zumindest einschränken.
Erik schüttelte stumm den Kopf, drückte Mira noch einmal fest an sich und ließ sie dann los. Er erhob sich und ein trauriges Lächeln legte sich auf seine Züge. „Der Schatten ist zu guter Letzt immer dort wo sein Träger ist. Weglaufen nützt uns leider nichts mehr.“ Er zog das Schwert, das Brunhild geschmiedet hatte und legte den kalten Stahl in Leifs Hand. „Geben wir Jonarta, was sie will…“ Er nickte wie um seine eigene Entscheidung zu untermauern. „Kannst du es für uns alle hinter uns bringen?“
Leif schüttelte nur kurz mit dem Kopf. "Es muss einen anderen Weg geben als Jonarta zu töten. Sie ist schlecht, grausam, gefährlich und muss bestraft werden. Aber sie zu töten fühlt sich einfach nicht richtig an."
Erik sah ihn eindringlich an, schüttelte dann den Kopf. „Sie oder ich…“ Er verharrte während er die gefesselte Frau ansah, die immer noch schlief. „… ja, du hast Recht. Vielleicht gibt es noch einen anderen Weg: Exil. Wenn ich nur weit genug fort gehe.“ Mira erhob sich langsam, rieb sich die noch immer steifen Arme. „Nein. Es ist ganz egal, wo auf der Welt du bist… Der Schatten wird immer jemanden finden, den er töten kann. Er wandert schneller als jedes Pferd rennen kann.“ Sie streckte Leif die Hand entgegen um die Waffen entgegen zu nehmen. „Wenn ihr es nicht tun wollt, dann gebt mir das Schwert. Meine Mutter hat wahrscheinlich mehr Menschen auf dem Gewissen als ein Jahr Tage.“
Leif sah auf das Messer und dann zu dem Mädchen. Er schüttelte nur den Kopf. "Geh Mira. Ich werde es zu Ende bringen aber ich lasse nicht zu das du die Exekution deiner Mutter mit ansehen musst, egal wer sie war." Leif zeigte zur Tür.
Mira sah ihn fest an, suchte nach dem Wahrheitsgehalt seiner Worte. Dann nickte sie, wandte sich ab und trat sie mit raschen Schritten aus der seltsamen verschnörkelten Tür nach draußen.
Erik sah zu Leif, schien auf irgendetwas zu warten, das nicht eintrat. Dann weiteten sich seine Augen plötzlich als er erneut zur Tür sah. Mira kam auf die beiden Männer zu, den Blick glasig und abgewandt. In ihren Händen hielt sie ein Ritualmesser, dass sie mit Sicherheit im letzten Raum gefunden haben musste. Erik schüttelte den Kopf. Er schrie das Mädchen an um den Dämon, der von ihr Besitz ergriffen hatte zu erreichen. „Das lass ich nicht zu, hörst du!“ Mira begann ein seltsam verschobenes Grinsen zu lächeln, das ihre Züge entstellte. Dann rammte sie sich selbst das Messer in den Bauch.
Der blonde Mann schrie aus purem Entsetzen auf. Dann fasste er sich, sank auf die Knie, beugte sich zu Jonarta hinunter und drückte seine Lippen auf die Ihren.
Für einen kurzen Moment nahm die Helligkeit der Kerzen zu, Mira brach zusammen und ein schmerzverzerrter Laut entrang sich ihrer Kehle. Der Dämon, das war Leif klar, hatte den Besitzer gewechselt. Erik schüttelte einen Moment den Kopf, dann erstarrte er und erhob sich langsam. Seine Augen hatten den gleichen glasigen Ausdruck angenommen wie zuvor die des Mädchens.
Alles ging plötzlich viel zu schnell. Leif fluchte in einer Sprache die schon seit Jahrhunderten niemand mehr in dieser Form sprach und sprang beinahe in Richtung des Mädchens. Leif suchte nach einem Zeichen von Leben in dem kleinen Körper und drückte seine Hände auf die Wunde die sie sich selber zugefügt hatte. "Keine Angst meine Kleine, wir kriegen das schon wieder hin." Leif schaute auf Erik und Jonarta. Er hatte noch nicht ganz begriffen in welchem der beiden Körper der Schatten gerade Zuflucht gefunden hatte. "Aposkiapma! Leif schrie das Wort wie einen Fluch. "Zeig dich! Verlass diese Ebene der Sterblichen wenn du nicht vergehen willst!"
Erik trat näher, fixierte das Ritualmesser, das zu Boden gefallen war und jetzt fast in Greifweite lag. Jonarta, die wenige Augenblicke zuvor noch geschlafen hatte, musterte mit wachen Augen das Schauspiel, das sich ihr bot und setzte sich schließlich auf. Sie sah zu Mira, schüttelte nur den Kopf mit einem Ausdruck, den Erwachsene manchmal verwendeten, wenn sie die Worte aussprachen ‚Ich hab’s dir ja gesagt…‘ Dann griff sie nach der Flasche, in die sie zuvor ihr Blut hatte tropfen lassen und begann den Inhalt über dem Ritualsymbol auszuschütten.
Leif war weiterhin mit Mira beschäftigt und versuchte das bisschen Leben, das in ihr war von neuem zu entfachen. Leif wusste nicht, wie Jonarta sich von ihren Fesseln befreit hatte, aber das war auch egal. Mit einem schnell Reflex hatte er auch schon die Axt aus seinem Stiefel geholt und holte aus um Jonartas Hand zu treffen und sie in ihrer Bewegung, Anrufung oder was auch immer es war zu unterbrechen.
Erik hatte das Messer mit der Linken gegriffen und drehte sich zu Leif um. Wieder war da das schiefe unmenschliche Grinsen als er auf den Salubri zuschritt. Mit wenigen Handgriffen tastete er nach der Wunde des Mädchens. Sie war tief, das sah er sofort. Mit Sicherheit hatte sie sich die Eingeweide zerfetzt und einige Blutgefäße getroffen, aber die Hauptgefäße waren mit Sicherheit nicht verletzt. Mira würde ohne Frage an diesen Verletzungen sterben, aber wenn sie Pech hätte nicht an Blutverlust, sondern langsam und qualvoll daran, dass sich die eigenen verdorbenen Körpersäfte in den Bauchraum entleeren müssten. Leif wusste, es gab kaum einen grausameren Tod.
Jonarta wandte sich zu Leif und diesmal lagen Zorn und Hass in ihrem Blick. „Ich habe endgültig genug von dir, nordischer Bastard.“ Sie hob die Hände und murmelte leise in einer Sprache vor sich hin, die Leif noch nie gehört hatte. Um ihn herum begann die Luft zu wabern, bildete Schleier und eine eisige Kälte breitete sich langsam aus.
So grausam das Schicksal von Mira auch zu sein schien, es war ein Glücksfall. Denn es schenkte Leif Zeit, ein wertvoller Luxus in diesen absurden Momenten. Leif ließ Mira langsam auf den Boden sinken und sprang beinahe in Richtung von Jonarta. "Es ist genug Hexe. Du kannst nicht gewinnen!" Leif ignorierte Erik und stürzte sich auf die Gräfin von Flussfall.
Leif ließ Jonarta nicht aus den Augen und würde sich auch von Erik der sich ihm in den Weg stellte nicht aufhalten lassen. Er schrie in Richtung der Hexe. "Jonarta hör auf mit diesem Wahnsinn! Es gibt noch immer einen Weg zurück, wir können deine Tochter immer noch retten! Das ganze muss nicht in Wahnsinn und Tod enden, aber diese Entscheidung musst du treffen. Aposkiapma! Gib diese Sterbliche frei. Geh zurück aus dem dunklen Loch aus dem du gekrochen bist."
Das Lachen von Jonarta überscholl alles andere Geräusch. „Das alles muss nicht in Tod und Wahnsinn enden… wird es aber… denn dem Dämon verlangt es danach. Danach und nach nichts anderem. Und mir auch. Und vor allem nach deinem Tod. Ich habe doch vorhin schon gesagt, dass ich es hasse, wenn sich mir jemand in den Weg stellt.“ Sie lehnte sich an der Frisierkommode zurück und beobachtete das Schauspiel, dass sie sehr zu erfreuen schien. Aus den Schatten zu Leifs Seiten erhoben sich zwei gewaltige schwarze Gestalten mit fratzenhaften Gesichtern, die mit Händen ähnlich geformt wie Klingen nach ihm zu schlagen versuchten. Erik hieb mit dem Dolch nach ihm und verletzte ihn mit einem Stich am Arm.
Leif hatte langsam genug von dieser wahnsinnigen Gräfin. "Es ist genug Jonarta. Ein für alle Mal!" Er sammelte seine Kräfte und begann loszurennen. Die Schatten zu seinen Seiten hieben nach ihm doch gelang es keinem der dunklen Wesen ihn wirklich zu treffen. Schließlich stand er neben Jonarta und stach mit der Klinge nach ihr. Das Schwert hieb in den blutverschmierten Tisch ohne die Hexe zu treffen.
Leif holte erneut aus ohne Jonarta zu treffen. Die Schatten links und rechts hieben nach ihm, doch er spürte die Schläge kaum. Eriks Messer drang tief in seinen Rücken ein und nur seinen übernatürlichen Fähigkeiten war es geschuldet, dass er nicht sofort leblos zusammenbrach, sondern keine Wunde zurückbehielt. Der zweite Schlag verletzte die Hexe am linken Arm und sie schrie auf. Ihre Rechte Hand berührte mit ihren Fingern seine Wange und sofort spürte Leif, wie etwas begann in sein Innerstes zu fressen um mit ihm Kontakt aufzunehmen. Nur mit Mühe riss er sich zurück und verbannte die seltsame Magie aus seinem Kopf. Wut breitete sich auf Jonartas Zügen aus, dass sie keinen Erfolg mit ihrem Zauber gehabt hatte.
"Ich habe so sehr die Schnauze voll von dir, Hexe!" Wenn Leif noch Speichel produzieren würde, dann hätte er wahrscheinlich Schaum vor seinem Mund. Leif pumpte etwas von seinem übernatürlichen Blut in seinen Körper um seinen Widerstand und seine Reaktionsgeschwindigkeit zu erhöhen. Dann hieb er wieder auf Jonarta ein.
Er verletzte sie diesen Mal am rechten Arm. Der Schatten zu seiner Linken verschwand so plötzlich, wie er gekommen war, doch der Rechte hieb erneut nach ihm. Erik setzte seine tödlichen Schläge mit dem Messer fort und Leif spürte einen brennenden Schnitt an seinem Rücken, der ihm in diesem Moment völlig egal war. Mit aller ihm zur Verfügung stehenden Kraft holte er ein letztes Mal aus und hieb die Klinge so tief und fest in seine Gegnerin, wie er konnte. Ein hoher Schrei, der alles andere als menschlich klang, gellte durch das Zimmer, der ihm bestätigte, dass er endlich richtig getroffen hatte. Jonarta fiel schwer getroffen zu Boden. Blut schoss aus einer Wunde und begann sich fast im gleichen Moment schwarz zu verfärben. Die Schatten des Raumes krochen auf die am Boden Liegende zu, suchten den Weg in ihre Nasenlöcher, die Augen, Gehörgänge, die tiefe Wunde… alles Schwarz konzentrierte sich um die Hexe, waberte wie dicker, dunkler Nebel… Dann war es mit einem Mal vorbei. Der Nebel löste sich auf wie der Dunst auf den Feldern im Herbst wenn die Sonne sich langsam über den Horizont erhebt. Leif warf einen Blick auf die Stelle an der eben noch Jonarta gelegen hatte, doch die Hexe war genauso wie der Schatten verschwunden