Di 26. Jan 2016, 19:10
Alida blieb der Mund offen stehen als Leif sich auszuziehen begann. Sie schluckte deutlich hörbar und es war offensichtlich, dass sie zu sterblichen Zeiten knallrot angelaufen wäre „Ich… äh…“ Die blonde Frau war eindeutig überfordert, schwieg und versuchte schließlich mit Mühe sich zu sammeln. Sie konzentrierte sich auf die Geschäftsbücher und starrte mit eisernem Blick zu den dunklen Regalen.
„Dass sich Alyssa in London aufhält ist nicht als Exil gedacht. Sie hat sich selbst für die englische Stadt entschieden. Ich dachte nur, es wäre nicht gut, wenn sie sich weiterhin in der Nähe von Frederik, Georg oder mir aufhält. Es ist hart vom Blut eines Kainiten weg zu kommen und es sollte nicht schwerer als nötig sein. Außerdem verdient sie ein eigenes Leben ohne unsere Einmischung. Und das wird sie hier in Brügge wohl nie haben…“ Kurz sah sie in Leifs Richtung, der gerade die Hose zusammen schnürte, dann schnell wieder weg.
„ich warte unten im Flur auf dich. Ein Schwert sollte sich bei Andros sicher auftreiben lassen.“ Hastig schloss sie die Zimmertür und Leif konnte hören wie sie die Treppenstufen hinunter eilte.
Leif zuckte nur mit den Schultern und zog sich fertig um. Er griff das angesprochene Thema nicht weiter auf und traf Alida schließlich unten im Flur. "Gut wir sollten gehen."
Wie Alida bereits angekündigt hatte, fanden sich wenige Straßen weiter in einem etwas beengten Stall zwei angebundene Pferde mit dem Brandzeichen der van de Burse. Sie verschwand nach Anklopfen auf das ein großer breitschultriger Mann mit schwarzem Bart öffnete, kurz im Inneren des Hauses und war wenige Minuten später mit einem Reisesack über der Schulter und einem in ein Tuch eingebundenes Schwert wieder da. Sie reichte die Waffe an den Salubri weiter und schwang sich ohne langes Zögern in den Sattel des grauen Pferdes.
Sie verließen die Stadt über das Ostttor und überholten auf ihrer Reise viele bäuerliche Karren, Ochsenpflüge auf dem Nachhauseweg und fröhlich pfeifende Tagelöhner.
Das Leben begann nach dem langen Winter wieder in Flandern einzukehren und die Menschen, den erstarrenden Hauch des Winters noch immer in den Knochen, begannen endgültig zu begreifen, dass das Leben wieder weiter ging: Felder mussten gepflügt und bestellt werden, Dächer gehörten ausgebessert, Obstbäume geschnitten, das Vieh auf die wieder grünen Weiden getrieben. Es war genug Arbeit für alle da.
Leif gemerkte, dass sie Alida immer nach Nordwesten anhielt. Sie ließen die breiten ausgefahrenen Straßen hinter sich, hielten irgendwann sogar Richtung Küste zu. Der Nordmann hörte das Rauschen des Ozeans, das stete An- und Abschwellen. Wasser, das einen bis ans andere Ende der Welt zu tragen vermochte oder einen in die Tiefe zog und für immer verschluckte.
Schließlich, es musste wohl um Mitternacht sein, lenkte Alida ihr Pferd über eine der hohen durch die Winterstürme aufgepeitschten Dünen und Leif erkannte in der Mitte der kleinen Bucht eine Insel. Weit und breit war kein Licht zu erkennen, kein Haus war in diesem Flecken Flanderns erbaut worden mit Ausnahme des dunklen Gebäudes, das vor ihnen lag. Es war wohl ein Leuchtturm, der nächtlich reisenden Schiffen ursprünglich den Weg nach Gent oder Brügge hatte weisen sollen.
Leif beobachtete die Natur um sich herum und verhielt sich grundlegend recht schweigsam. Er sog die frische Luft Flanderns ein und betrachtete ein weiteres Jahr welches sich nun vor ihnen ausbreitete und sie willkommen hieß. "Der Leuchtturm?" Mehr sagte der Salubri nicht und schaute Alida fragend an.
Alida nickte. Sie hielt die Zügel so fest umklammert, dass die Knöchel weiß wurden. „Offensichtlich. Im Schreiben war die Schwarzbucht erwähnt und ich sehe kein anderes Haus. Vor einigen Jahren lebte hier ein Leuchtturmwärter mit seiner Familie. Gent hat dem Mann ab und an etwas Geld zukommen lassen, damit er den Leuchtturm instand gehalten hat.“
Leif sog scharf die Luft ein und schaute besorgt auf den Turm. "Dann hoffe ich inständig, dass er der Familie nicht ein ähnliches Schicksal hat zuteil werden lassen wie zuvor den Dorfbewohnern im Wald." Er schaute abwechselnd zu Alida und dem steinernen Gebäude. "Aber ich vermute wir finden es nur heraus wenn wir es uns ansehen oder? Also dann." Er trat seinem Reittier in die Flanken und lenkte es in Richtung des Meeres.
Es gelang ihnen die kleine Halbinsel über einen Pfad zu erreichen, der sie bei Flut gänzlich vom Land abtrennte. Algen, Schlick und Muschelreste verhinderten, dass sie weiter reiten konnten und so führten sie die Tiere schließlich hinter sich her.
Weit und breit war kein Sterblicher zu sehen und es war still. Nur das immerwährende Geräusch der Wellen war zu hören.
In der Mitte der Insel lag ein großes jedoch ärmliches Haus. Anhand der Netze, die Draußen zum Trocknen aufgehängt waren konnte man schließen, dass sich die Familie den Lebensunterhalt mit Fischen verdiente. Ein winziger Streifen Ackerland neben dem Haus war frisch gepflügt, das Haus zur Hälfte mit Kalk getüncht.
Unschlüssig blieb Alida neben dem hohen, sich schwarz gegen den Nachthimmel abhebenden Leuchtturm stehen. Eine Gestalt löste sich aus den Schatten der Umgebung und trat auf sie zu. Es handelte sich um einen Mann in Lederrüstung mit fettigem Haar, das er streng zu seltsamen Zöpfen geflochten hatte und einem struppigen Bart. Er verbeugte sich mit abfälligem Gesichtsausdruck, der eine gewisse Verachtung beinhaltete und sprach die beiden Neuankömmlinge in einer slawischen Sprache an, die keiner von beiden verstehen konnte.
Er wechselte schließlich in etwas, das wie Russisch klang. „Es freut mich, euch meine Aufwartung machen zu dürfen. Frau van de Burse, nehme ich an? Und euer Begleiter?“
Alida war etwas überrumpelt, schien Schwierigkeiten zu haben, den breiten, nuschelnd vorgetragenen Dialekt zu verstehen.
Leif genoss die raue Gewalt des Meeres. Das Geräusch von sich brechendenden Wellen und die unnachgiebige Kraft der Gezeiten. Er war im Herzen noch immer ein Seemann, eine Wahrheit die im immer wieder bewusst wurde wenn er an der Küste oder auf einem Schiff war. Leif sah schließlich den Mann mit den fettigen Haaren und hatte ebenso wie Alida zuerst Schwierigkeiten den Dialekt zu verstehen. "Alida van de Burse, in der Tat" antwortete er auf Russisch. "Sowie Frederik van de Burse, ihr Begleiter." Es war mehr als komisch sich als Frederik auszugeben und fühlte sich irgendwie falsch an. Dann wiederholte er noch einmal das eben Gesagte auf Flandrisch damit es keine Missverständnisse gab.
Der Mann schien etwas überrascht, hatte er doch erwartete, dass bestenfalls die Frau antworten würde. Der misstrauische Ausdruck nahm ein wenig an Ausprägung ab und so etwas wie Respekt war stattdessen auszumachen.
„Mein Herr erwartet euer Kommen. Ich soll euch zu ihm führen.“ Er ging vor ihnen her ohne sich nach ihnen umzuschauen. Irgendwann pfiff er in die Dunkelheit und Leif konnte zwei Gestalten am Wasserrand ausmachen, die ein großes Bündel an beiden Enden gepackt hatten und es gerade in hohem Bogen im Meer versenkten. Erschrocken wandten sie sich in seine Richtung und nahmen den Befehl entgegen. „Hey! Ihr Idioten. Neuer Auftrag. Wache halten!“
Der Hüne führte sie in das Wohnhaus und riss dazu die Tür so feste auf, dass sie aus den Angeln gehoben wurde. Er lehnte sie einfach dagegen. Mit einer Handbewegung hielt er die beiden Brügger zu warten und trat ein. Wenige Sekunden später war er wieder da und ging weiter ins Zimmer am Ende eines schmalen Flures.
Es handelte sich um ein kleines Wohnzimmer mit schäbigen Möbeln, wohl selbst zusammen gezimmert aus den Gegenständen, die das Meer täglich anspülte. Der einfache Holzboden war abgewetzt, es gab ein paar wenige Stühle, einen winzigen Schrank, sonst nichts außer einem geschlossenen Kamin, in dem am Knistern und an der Wärme, die davon ausging, zu erkennen war, dass man darin ein Feuer entzündet hatte. Ein breiter Schatten drehte sich zu ihnen um und ein milchiger alter Spiegel an der linken Wand reflektierte das Antlitz des Unholdes Andrei.
Der strichförmige Mund verzog sich mit etwas Mühe zu einem herzlichen Lächeln. Mit seinem breiten russischen Dialekt sprach er sie an. „Alida van de Burse. Es ist mir eine große Ehre euch endlich kenne lernen zu dürfen.“ Er nickte ihr zu und dann in die Richtung des braunhaarigen Mannes. „Mit wem habe ich die Freude?“
Leif beobachte seine Umgebung mit Misstrauen und er hatte einen Verdacht was dort gerade im Meer versenkt wurde, der sich wie Eiswasser in seinen Eingeweiden ausbreitete, sagte aber nichts. Schließlich erreichten sie den Unhold. Andrei in seiner ganzen unheiligen Glorie. Leif achtete darauf sich völlig neutral zu verhalten, auch wenn er das ganze so schnell wie möglich hinter sich bringen wollte. Schließlich räusperte er sich und antwortete auf die gestellte Frage. "Frederik van de Burse. Wir hatten damals nur kurz das Vergnügen." Er verbeugte sich leicht.
Die Augen des Mannes aus dem Osten verengten sich leicht. „Ist dem so? Ihr seid mir leider nicht sehr eindrücklich im Gedächtnis geblieben… Verzeiht. Wir hatten damals andere Belange zu bereden, nicht wahr?“ Er deutete auf einen der schiefen Stühle. „So tut mir doch den Gefallen und nehmt Platz. Seid meine Gäste in dieser bescheidenen Behausung!“
"In der Tat. Euer letzter Besuch in Brügge war recht aufregend." Leif schaute immer zu Alida und würde sich dann auf den angebotenen Platz setzen.
Auch Alida trat näher, doch Andrei schüttelte sacht den Kopf. „Frau van de Burse? Ich möchte mich gerne ausführlich mit euch besprechen, aber es gibt jemanden, der euch unbedingt kenne lernen möchte und ich kann ihm diese Bitte nicht länger ausschlagen, da ihr euch nun schon in seiner Nähe befindet. Tut mir doch bitte den Gefallen und macht meinem Schüler kurz die Aufwartung. Er würde sich sehr darüber freuen. Ich versichere euch, ihr seid hier so sicher wie…“ Er überlegte kurz. „… in Abrahams Schoß? Sagt man das nicht im Westen? Darauf habt ihr mein Ehrenwort“ Dann blickte er zu Leif. „Wartet doch kurz mit mir hier und lasst uns ein wenig Konversation betreiben bis eure Verbündete wieder hier ist.“
Leif gefiel die Situation ganz und gar nicht. Die Tatsache, dass er sie trennte, dazu noch in dieser kleinen Häuschen war irgendwie eigenartig aber es gab nichts was er dagegen tun konnte. Sie waren seine Gäste und hatten sich deshalb auch an gewisse Regeln zu halten. Leif schluckte. "Sehr gern, Meister Andrei. Worüber möchtet ihr sprechen? Vielleicht schaffe ich es ja dieses Mal einen bleibenderen Eindruck zu hinterlassen." Der Salubri biss sich auf die Zunge noch in den Moment indem er den letzten Satz ausgesprochen hatte. Er glaubte kaum, dass Frederik es ihm danken würde wenn er einen bleibenden Eindruck bei dem Unhold Andrei für ihn hinterlassen würde - was auch immer das heißen mochte.
Alida schüttelte bei dem Gesagten den Kopf. Man konnte ihr ansehen, dass sie alles andere tun wollte, als einem unbekannten „Guten Tag“ zu sagen, aber sie drehte sich ohne ein Widerwort um und verließ den Raum, dicht gefolgt von dem breitschultrigen Diener.
Andrei rückte seinen Stuhl ein wenig mehr in Leifs Richtung. Er musterte die Gestalt des jungen Mannes eindringlich. Leif kannte den Blick ganz genau. Es war der Blick der Unholde, der immer in ihre Augen trat wenn das Wesen ihres Gegenübers unwichtig wurde und nur das Fleisch noch Bedeutung hatte. Den gleichen Blick, den er bei Alida gesehen hatte, bevor sie das seltsame fleischformerische Werk begann.
„Frederik van de Burse, also? Ich muss schon sagen, ich bin beeindruckt. Nach allem, was ich gehört habe hätte ich nicht erwartet, dass eine Unholdin aus dem Westen ein solches Werk zu Stande bringen mag.“ Mit einem faszinierten Lächeln führte er grübelnd den Finger ans Kinn. „Lasst mich raten? Leif Thorson, nicht wahr? Ihr Kampfgefährte…“