Mi 16. Mär 2016, 19:08
Alida folgte den Männern im Tross. „Glaubst du, wir können ohne die Lampe reisen? Vielleicht reicht das Mondlicht aus?“ Sie besah sich genau den Untergrund. Sie wollte es nicht darauf anlegen eines der Pferde stürzen zu lassen.
Ivan bedeutete den Männern ein wenig langsamer zu reiten und hantierte an der Lampe herum; löschte schlussendlich das Licht. Schwarze Nacht umgab sie doch das Mondlicht schien tatsächlich gerade noch so auszureichen, um den Pfad vor ihnen erkennbar zu machen. Die Pferde der Truppe verfielen in einen leichten Trab und Ivan entfaltete die Karte. Zu Alida gewandt nickte er. „Zumindest hat er, soweit man der Karte hier trauen kann recht gehabt – es gibt dort ein kleines Dörfchen am Rande des Nichts und die Straßen dort sind mit einem Wort: schäbig. Aber wer weiß, vielleicht fallen wir so tatsächlich weniger auf.“ Die Karte verschwand in seinem Wams, dann trieb er sein Pferd zur Eile. Gemeinsam ritt man durch die finstere Nacht und die Gegend schien sich nicht wirklich zu verändern. Gefrorene Äcker, morastige Wiesen – alles lag unter einer Eis- und Schneedecke begraben. Gelegentlich passierten sie ein heruntergefallenes Holzschild, das einen schlammigen Pfad als Zugangsweg zu einem winzigen Dorf anzeigte. Aber der Zustand der Schilder, als auch der genannten Pfade, war mehr als mangelhaft. Vermutlich wohnte in diesen kleinen Dörfchen überhaupt niemand mehr. So ritten sie einige Stunden dahin, es mochte vielleicht Mitternacht sein ohne dass etwas Ungewöhnliches passiert wäre. Nachts trieb sich hier draußen nur selten jemand herum. Wenn dann führte er vermutlich nichts Gutes im Schilde. Man bog gerade um eine Kurve durch ein kleines Wäldchen, dessen Bäume fast alle gefällt worden waren; kam dann aber an eine halbwegs dichte Stelle und sah mehrere Pferdewagen, die unterschiedliche Mängel aufwiesen. Bei einem war die Achse gebrochen, dem andere das Rad zersprungen. Die Planabdeckung hing teilweise nur noch in Streifen auf dem Gefährt. Viele Pferde mussten die Karren einst gezogen haben, jetzt war da nur noch eines und das lag tot am Boden. Ivan und die anderen Russen, blieben auf Abstand. „Wir kommen langsam in die Kriegsgebiete. Das hier ist nur der erste Vorgeschmack. Möchtet ihr es euch näher ansehen Herrin? Vielleicht gibt es noch Vorräte?“
Alida nickte. Vorräte interessierten sie natürlich weniger, aber vielelicht ließ sich rekonstruieren, was vorgefallen war, wer gegen wen gekämpft oder einfach nur marodiert hatte…
Alida sah sich die nähere Umgebung rund um die Fahrzeuge genau an aber es war zu dunkeln um wirklich etwas erkennen zu können, da fehlte die Achse, da war da Rad kaputt. Gebrochen beides, natürlich aber wie und warum? Sie konnte es beim besten Willen nicht sagen und warum ein Pferd tot hier lag und die restlichen nicht, blieb auch ein Rätsel. Um die ganze Sache genauer zu betrachten, müsste sie wohl schon absteigen und mit einer Laterne den Ort des Geschehens inspizieren.
Sie sah die Männer an. „Habt ihr eine Idee, was hier passiert ist?“ Sie sprang vom Pferd und zog vorsichtshalber ihr Schwert.
Ivan und der Rest der Truppe, stieg ebenfalls von den Pferden und hielt die Waffen im Anschlag. Misstrauisch blickten sie sich um aber weder Strazny noch Popov konnte sich das ganze erklären. Einzig allein Ivan fiel etwas auf und er deutete auf die Überreste eines Wagenrads. "Also hier ist das Holz regelrecht geborsten aber es sieht nicht danach aus, als ob das Material nachgegeben hätte. Es ist regelrecht gesplittert. Demnach hat jemand nachgeholfen denke ich." Mehr wusste er wohl nicht recht zu sagen, deutete aber den beiden anderen die Umgebung im Auge zu behalten, während er den hintersten Wagen mit Schwert und Laterne bestieg und sich darin umsah. Alida folgte ihm misstrauisch und sah sich ebenfalls erneut um.
Der Wagen lag leicht schräg in einer schlammigen Mulde, der einzige Grund, warum das Gefährt nicht schon längst umgekippt war. Im Inneren fand man aber nur mehr geöffnete Kisten mit Schlössern, die eine oder andere Bekleidung, rissiges Schuhwerk und ein paar rostige Waffen. Offenbar war hier schon alles mitgenommen worden, was anderswo gute Verwendung finden dürfte.
An der schiefen Oberseite des Karrens, war eine ziemlich zerschlissene Plane die kaum noch ihrem eigentlichen Zweck dienen konnte. Dazu war sie bereits von zu vielen Schnitten überzogen und zerrrissen worden. Es ergab sich im Grunde nichts neues für die blonde Brüggerin allerdings sah sie drei gleichlange und gleichförmige Schnitte in der Plane. Zu ausgefranst für Schwerter und zu präzise, als das man hätte hintereinander folgende Stiche vermuten wollen.
„Vielleicht der Angriff eines Gangrel? Oder eines Voytz?Es gibt keine Leichen… Ich will nicht wissen, was sie mit ihnen gemacht haben. Wir sollten hier weg und unsere Augen und Ohren für den Rest der Nacht besonders offen halten.“ Sie sprang aus dem Wagen und ging zurück zu ihrem Pferd.
„Gangrel wäre möglich“, meinte Ivan unschlüssig. „Aber für einen Voizd ist mir das hier noch zu gut erhalten. Ihr habt doch in Brügge schon mal einen gesehen oder? Wenn hier ein solches Ungetüm gewesen wäre, dann wäre von den Wägen nicht mehr viel übrig.“ Auch er begab sich zu den Pferden zurück und stieg auf; deutete den beiden anderen es ihm gleichzutun. Die beiden anderen Russen, schienen durchaus dankbar darüber hier wieder weg zu können. Was immer hier passiert war, es wurde bereits geplündert und Leichen gab es auch keine mehr. Konnte man nur hoffen, dass ein paar fromme Leute die toten Körper gut verscharrt hatten. Der Ritt ging weiter und den Rest der Nacht, ereignete sich nichts Aufregendes mehr. Die Umgebung änderte sich ebenfalls nur unwesentlich, manchmal war mehr Eis, dann wieder mehr Schnee. In blöden Momenten sogar beides und es hatte zuerst getaut und war dann wieder gefroren.
Alida folgte dem Tross durch die Nacht. Hatte sie zu Beginn noch jeden Schritt des Pferdes genau überwacht, geschaut, dass es den richtigen Pfad einschlug um nicht auf Eis zu geraten oder in einer tieferen Pfütze oder im Unterholz ins Stolpern zu geraten verließ sie sich nach einigen Stunden zusehends auf das Tier.
Der stetige Trott und die eintönige triste Landschaft hatten eine fast hypnotische Wirkung auf die blonde Frau. Wie so oft stellte sie ihr Handeln in Zweifel. Sie hatte ihre Familie, ihre Freunde und Verbündeten hinter sich gelassen… und sie nur mit den nötigsten Informationen versehen. Sie unterdrückte ein Seufzen. Solche Alleingänge waren nicht ihre Art.
Aber das hier betraf nur sie und Emilian… im schlimmsten Fall noch Georg, wenn irgendwann jemand herausbekommen sollte, dass er kein Kind von Frederik und damit Toreador, sondern von ihrem Blut war… alte Familienangelegenheiten… Geschichten, die einen immer wieder einholen würden- bis zum Ende aller Tage. Und wie gut man sich auch versteckte, wohin man vielleicht floh, die Wahrheit war dennoch da. Von ihr über Emilian zu seinem Vater Victor.
Sie dachte an Emilian und spürte die Panik, die in ihr aufkam. War er überhaupt noch am Leben? War er von hinten enthauptet oder in einem Zweikampf niedergestreckt worden? War er diableriert worden?
Sie schloss für einen Moment die Augen um diese Vorstellungen aus ihrem Kopf zu verbannen. Sie vermisste ihn schmerzlich. Das fremdartige, anmutige, gemäldeartige Gesicht, die ungewöhnlichen blutroten Augen, die kalte Haut, das seltene dafür umso herzlichere Lachen, das nur dann zu hören war, wenn er sich sicher fühlte. … und sein Blut. Den vertrauten Geschmack, den sie auf der Zunge liebte, unter ihrer Haut, das berauschende Gefühl wenn er durch ihre Kehle rann und sich in jeder Faser ihres Körpers auszubreiten begann. Die Mischung aus ihrem und seinem Blut, dass sie von seinen Lippen kostete.
Eine Liebe durch ein Blutsband zu festigen war eine heikle Sache. Es stärkte und verband und wenn es plötzlich fehlte war das Verlangen danach fast körperlich zu spüren und schien einem das Herz aus der Brust reißen zu wollen.
Sie hatte ein Mal vor über hundert Jahren gelernt ohne Emilians Blut leben zu müssen. Es war hart gewesen aber in keinster Weise mit dem zu vergleichen, was sie nun empfand. Damals war Emilian gegangen um sein Leben leben zu können so wie es ihm richtig erschien, zu werden, was er sein wollte, um zu verhindern, dass er das zerstörte, was ihm wichtig war.
Vor ihrem inneren Auge erschien das Bild des Jungen im nächtlichen Schneesturm, der damals alles verschluckt hatte.
Warum war er jetzt gegangen? Sie hoffte, sie würde noch eine Möglichkeit haben ihn zu fragen.
Vom Lachenden Mann war die ganze Zeit über nichts zu sehen oder zu hören. Zumindest musste man davon ausgehen, dass er seiner Tätigkeit als Späher nachging. Und wie als ob man ihn gerufen hätte, stand er nach stundenlanger Abwesenheit an der nächsten Kurve bei einem hohen Pflock, an dem man mehrere Wegtafeln angebracht hatte. Unter anderem das Dörfchen, welches die Gesellschaft aufsuchen wollte. Halb im Schatten verborgen, begrüßt er Alida und die anderen. „Ah, da seid ihr ja…. Was hat euch aufgehalten?“
Alida stieg vom Pferd und kam auf die hünenhafte schmale Gestalt zu. Ihr Pferd ließ sie stehen. Bis auf einen kleinen fünfminütigen Aufenthalt bei einem überfallenen Planwagentross, war es wohl das Wetter. Lieblich und lind wie immer hier im Osten.“ Sie zog den Mantel enger um die Schultern. „Ist es nicht eigentlich schon fast April?“ Sie seufzte bevor sie schließlich antwortete. „Und wie ist es euch ergangen?“
„Im Osten ist es immer kalt, das habt ihr richtig bemerkt. Selbst wenn es warm ist, ist es kalt.“ Der lachende Mann grinste sogar noch eine Spur breiter. „Und warum ihr länger gebraucht habt, liegt sicher nicht an einem fünfminütigen Aufenthalt, sondern schlicht daran, dass die Wege noch schlechter sind als ich zunächst annahm. Vielleicht werden wir am Ende doch fünf Tage brauchen aber es wird eine sehr sichere Reise. Was ich so vor uns gesehen habe, ist alles das uns gefährlich werden könnte bereits verhungert oder weitergewandert. Was noch lebt fristet sein Dasein in kleinen Häuseransammlungen. So wie dieses hübsche Nest..“ Er machte eine Bewegung nach hinten über seine Schulter. „Tränkt die Pferde und lasst sie einstallen. Wir werden hier rasten müssen, ansonsten kommen wir morgen nicht weit genug um Schutz zu finden.“ Bevor der lachende Mann sich noch völlig umdrehte, hielt er kurz inne. „Mmh… was war mit den Karren? Ich habe sie nur kurz im Überflug gesehen. Sah zerstört aus. Lässt sich erahnen was da passiert ist?“