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Re: Die Fesseln der Macht

So 24. Jan 2016, 21:06

Alida hatte sich ohne Zögern durch das alte Gutshaus führen lassen. Selbstverständlich hätte sie den Weg auch allein gefunden, verbrachte sie doch jede freie Nacht, die sie erübrigen konnte in diesem Gebäude, doch tat sie den ihr nach wie vor nicht in allen Belangen vertrauten östlichen Ritualen genüge und lief langsam hinter dem Diener her.
Einige ihrer Familienmitglieder sahen es ungern, dass sie in den letzten Jahren so viel Zeit in Gent verbracht hatte. Christian hatte sie sogar offen gefragt, ob sie nicht die Geschäfte vernachlässige und erst ein Blick in die Firmenbücher hatten den Ghul beruhigen können: Durch die Geschäfte, die die van de Burse mit Belinkov und seinen Kontakten tätigen konnten, profitierte der Fernhandel der Familie. Belinkov verdiente an den Handelsbeziehungen der van de Burse nach Frankreich und in den Norden, sie an den seinigen in den Osten. Ein guter offizieller Grund weiterhin in die größte Stadt Flanderns zu reisen.
Als sie in das Kaminzimmer trat und Girland am Feuer stehen sah, entfuhr ihr ein kaum vernehmbarer Seufzer der Erleichterung. Wenigstens eine Sache schien noch ihren gewohnten Gang zu gehen: der Major domus war wie immer zur Stelle. Sie hatte in all den Jahren, die sie in Genua verbracht hatte, immer wieder versucht, Girland dazu zu überreden sie ohne Höflichkeitsfloskeln einfach nur mit ihrem Vornamen anzureden, hatte aber irgendwann aufgeben müssen. Der Ghul ihres Erzeugers war ausgesprochen hartnäckig. Zu guter Letzt war es egal. Sie hatte den treuen pflichtbewussten Mann immer geschätzt. Und auch wenn er zäh auf seinen Gepflogenheiten beharrte, so hatte beide doch stets gewusst, wie er einander zu nehmen hatten.
Sie sah zu wie er seine Order an das Dienstmädchen gab, wischte sein höfliches Angebot nach einer Erfrischung jedoch mit einer Handbewegung zur Seite. Sie trat näher an den breitschultrigen Mann heran, um in leiserem Ton sprechen zu können.
„Girland? Danke wie immer für eure Freundlichkeit, eure Zuverlässigkeit und eure Gewissenhaftigkeit. Aber ihr wisst ganz genau, warum ich hier bin: Wo ist er?“
Sie sah den Ghul fest an und spürte mit einem Mal die Angst, die sie die ganze Zeit beharrlich verdrängt hatte. Sie hatte ein Mal versagt, hatte Emilian ziehen lassen. Vor mehr als hundert Jahren in einer anderen Nacht, noch kälter als diese. Sie sah die Gestalt vor sich, die ihr nicht mal bis zur Schulter reichte und die langsam von den Schatten der Nacht und dem steten Schneetreiben verschluckt wurde. Sie wollte nicht wieder versagen. Und sie hatte Angst ihn zu verlieren.

So 24. Jan 2016, 21:06

Re: Die Fesseln der Macht

Mi 27. Jan 2016, 18:09

Girland sah sie einen kurzen Moment lang, beinahe mitleidig an. Die Tatsache dass Alida bereits offensichtlich über gewisse Dinge Bescheid wusste, schien ihn regelrecht zu schmerzen und tauchte das raue Gesicht in tiefe Sorge. Gewiss hätte er versuchen können, von Emilians Abwesenheit abzulenken, eine Geschichte zu erfinden oder ihr die Antwort zu verweigern. Stattdessen seufzte er knapp und deutete Alida an sich zu setzen. In der Nähe des Kamins, standen ein kleiner, runder Tisch und zwei bequeme, mit dunklem Leder überspannte Sessel. Das Schachspiel ihres Erzeugers war aufgestellt worden aber offenbar hatten die Spieler ihre Partie vorzeitig beendet. Der schwarze König befand sich in arger Bedrängnis; weiß war deutlich im Vorteil. Girland wartete erst darauf dass sie Platz nahm, dann seufzte er abermals und begann leise zu sprechen.
„Da wir euch nicht erwartet haben, zumindest nicht unter normalen Umständen und ihr dennoch hier seid und mich nach meinem Herrn fragt, muss ich wohl annehmen dass es Anja bis vor die Tore eures Anwesens geschafft hat.“ Der Majordomus nickte sinnierend. „Sie ist ein törichtes und dummes Mädchen aber dass sie ohne große Reiterfahrung und Proviant, mitten im tiefsten Winter bis nach Brügge gekommen ist, macht mich dennoch stolz.“ Sein Gesicht als auch seine Stimme verfinsterten sich plötzlich. „Dennoch hat sie gegen den Willen unseres Herrn verstoßen und wird dementsprechend bestraft werden, auch für den Diebstahl.“ Mit einer Hand griff er langsam in die Innenseite seines Wamses und entzog dieser eine längliche Pfeife, die er langsam stopfte und nachdem er sie entzündet hatte, gemächlich daran zog. Als würde sie ihm Erleichterung verschaffen. „Ihr wisst also das Herr Belinkov fortgeritten ist ja?“ Er schüttelte den Kopf. „Ich hätte wissen müssen dass Anja zu euch gehen würde. Sie hat euch monatelang beobachtet, euch und meinen Herren und war insgeheim eifersüchtig denn sie glaubt sich in Liebe zu ihm das dumme Ding. Aber sie ist nur eine Untere und darum nicht im Ansatz würdig Herrn Belinkov zu lieben…. Ihr schon… das wusste sie wohl…“ Seine Augen fixierten Alida und er lächelte. „Vermutlich war ihre Sorge um unseren Herrn so groß, das sie sogar unter Einsatz ihres nichtsnutzigen Lebens ihre geheime ‚Nebenbuhlerin‘ aufgesucht hat, in der Hoffnung ihr würdet kommen. Und da seid ihr nun….“ Rauch stieg langsam kräuselnd aus Girlands Mund. „Ich kann euch nicht sagen wo er ist Herrin. Es ist eine Anordnung von Herrn Belinkov persönlich.“
Alida nahm in dem Sessel Girland gegenüber Platz. „Was mit Anja geschehen wird sollte derzeit nicht von Belang sein, oder? Im Moment ist sie in Brügge, das ist richtig. Ebenfalls war sie diejenige, die mich informiert hat. Ich bedenke sie vorerst dort zu lassen sofern ihr nicht sofort eine Überstellung anordnet. Aber im Moment ist sie nicht in der Lage zu reisen, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf.“
Sie verschränkte die Finger und massierte die Daumen aneinander. „Liebe hat nichts mit Würde oder Stand zu tun, wenn ihr mich fragt. Solche Dinge ändern sich wie der Wandel der Jahreszeiten oder die Formen der tsimiskischen Körper… Vielleicht sollte sie sich einen Mann suchen. Ihr habt viele gutaussehende, fähige und intelligente Männer in eurer Familie.“ Für einen Augenblick hatte sie Ivan vor Augen. „Da sollte doch auch einer für sie dabei sein, der sie auf andere Gedanken bringen kann…“
Sie schüttelte den Kopf und schob eine Haarsträhne nach hinten, die sich dabei aus dem Zopf gelöst hatte. „Dieses Thema könnt ihr ein anders Mal besprechen… Auch wenn es eine Anordnung war: Girland? Ich möchte wissen, wo er ist. Bitte. Zwingt mich nicht mir die Informationen zu holen…“ Sie sah ihn flehentlich an.
Girland zog an der Pfeife, woraufhin die Glut am unteren Ende des Stückes Holz rötlich-orange zu leuchten begann. Nachdenklich sah er Alida eine Weile an, dann schüttelte er den Kopf. "Wir waren alle einst jung und haben tölpelhaften Liebeleien den Vorzug vor Vernunft gegeben. Gewiss ist die Liebe etwas, die sämtliche Grenzen überschreitet, selbst die Grenzen des Standes oder der guten Sitte. Von der Moral ganz zu schweigen. Aber diese Hürde wird sie nicht überwinden. Leben und Tod finden nicht zueinander, das weiß selbst Anja... und weil es dafür keine Überwindung gibt, ist es dumm und einfältig doch..." Er blies erneut gräulichen Rauch in die Luft. "... doch habt ihr natürlich recht. Anja ist derzeit nur eine Nebensächlichkeit. Wenn sie lebt, dann soll es gut sein. Lasst sie meinetwegen in Brügge, bis sie wieder zu Kräften kommt, ich werde dann nach ihr schicken, wenn ich Nachricht von euch erhalte." Auf eventuelle Heiratsmöglichkeiten, ging der Majordomus gar nicht näher ein. Den einen oder anderen Kandidaten mochte es schon geben aber wie sie selbst gesagt hatte: Liebe konnte man sich nicht aussuchen. Girland klopfte die Pfeife in ein nahestehendes Gefäß ab und verstaute sie wieder, dann sah er Alida an. "Ihr würdet ohne zu Zögern, den langjährigen Diener eures Erzeugers töten um herauszufinden, wohin er gegangen ist? Ihr wisst, das ich es euch nicht sagen darf oder kann, mein Eid und mein Blut binden mich, genau wie das eure. Dennoch..." Er lächelte. "Wenn ihr es darauf anlegt, hätte ich gewiss nicht den Hauch einer Chance und niemandem wäre geholfen. Mein Herr verliert einen Diener und müsste Ersatz finden und ihr würdet eure Antwort nie erfahren. Ich werde euch sagen, wonach ihr zu wissen verlangt aber es wird euch nicht gefallen. Ihr müsst mir versprechen, ihm nicht zu folgen."
Alida lachte kurz auf. Sie sah ihn ungläubig an. „Girland? Ich würde euch nie ein Haar krümmen. Ich schätze euch viel zu sehr. Aber ich benötige nur einen Wimpernschlag um mich in eure Gedanken zu bohren, den Fäden zu folgen, die ich suche und alles, was ihr wisst offen wie eine Karte vor mir auszulegen… Das dürftet ihr doch von eurem Herrn kennen…“ Ihre Stimme war leise. „Deshalb bitte ich euch mir einfach das zu sagen, was ihr wisst. Und ihr seid so klug zu wissen, dass ich kein Versprechen geben kann, dass ich vielleicht nicht halten werde.“
Girland nickte langsam und schien für einen Moment lang sogar sehr bedrückt. "Das könntet ihr. Euer Geist würde mich durchbohren, genau wie euer Schwert. Ich würde euch niemals angreifen, also hättet ihr in einer direkten Konfrontation bereits gewonnen. Doch wenn ich tot wäre..." Der Mann ergriff den Dolch an seiner Seite und zog ihn aus der Scheide, „... könntet ihr meinen Geist nicht mehr brechen und meine Loyalität wäre ungebrochen. Ein unrühmliches Schicksal aber vielleicht ein notwendiges. Ihr wisst, dass ich meinen Herrn noch nie enttäuscht habe, Alida."
„Verdammt, Girland.“ Alida sah ihn mit einer Mischung aus Wut und Verzweiflung an. „Ihr wisst ganz genau, dass ihr ihn in dem Moment in dem ihr eine solche Tat begehen würdet am meisten enttäuschen würdet. Und mir würde er auch nie vergeben, und ich mir ebenso wenig. Seid kein Narr. Ihr wisst ganz genau, was ihr ihm bedeutet: Ihr seid sein Vertrauter, sein Schüler, sein Lehrer und der einzige Freund, den er hat. Euer Verlust wäre ein schwerer Schlag für ihn. Also tut ihm und mir den Gefallen und steckt den Dolch weg.“ Sie griff nach seiner Hand und spürte die warme Haut als krassen Gegensatz zwischen ihnen.
„Er ist mir wichtig. Ich hab einmal vor Ewigkeiten zugelassen, dass er gegangen ist und ich will nicht, dass das noch einmal geschieht. Er hat damals genug kämpfen müssen um jede Nacht aufs Neue seine Haut zu retten und ich war nicht da… Vielleicht hätt‘ ich ihn aus der ganzen Scheiße in der er damals gesteckt hat rausholen können, aber ich hab nicht gewusst wo er war. Girland, vielleicht hab ich diesmal eine Möglichkeit ihm zu helfen, wenn er in Schwierigkeiten ist. Bitte.“

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Er hatte den Dolch bereits gezogen und aus der schmalen Scheide entfernt, doch seine ruhigen und langsamen Bewegungen verrieten ihr, dass das was er in Aussicht gestellt hatte, ihm selbst ebenfalls kein Vergnügen bereitete sondern sichtlich schwer fiel. Loyalität war gut und schön aber was immer man auch behaupten wollte, dafür sein eigenes Leben herzugeben war dennoch nicht einfach. Girland erstarrte, als die kühle Haut ihrer Hand, im Unterschied zu der Wärme seiner eigenen ihn berührte und sah Alida tief in die Augen. Irgendwie hatte die blonde Unholdin das Gefühl, als würden ihre Worte zu ihm durchdringen, als würde das was sie sagte, definitiv der Wahrheit entsprechen. Girland kannte seinen Herren. Emilian war zwar oftmals auch recht fordernd und resolut, nicht nur weil er dies in den Landen des Ostens so gelernt hatte, sondern natürlich auch weil es oftmals eine Frage des Überlebens sein konnte aber etwas derartiges, hätte er sich für seinen treuen Diener dennoch nicht gewünscht. "Ich weiß...", brachte er angespannt hervor und seine Hand senkte sich, verstaute den Dolch wieder in der Scheide. “Und ihr habt recht Herrin Alida", fügte er nickend hinzu. "Dann tut was immer auch nötig ist um ihn zu finden, denn der Kampf den er vor Ewigkeiten gefochten hat und vor dem er sich verstecken musste, unbemerkt zwischen all seinen Feinden, neigt sich dem Ende zu." Girland seufzte. "Es kam ganz unvermittelt; niemand von uns wusste Bescheid aber eines Nachts, erhielten wir unangekündigten Besuch von einem hochgewachsenen Mann, den wir sofort als einen Bojaren oder hohen Adeligen aus dem Osten erkannten. Er hatte einen kleinen Tross bei sich, gut gewappnete Kämpfer die mehrere Kriege hinter sich zu haben schienen. Der Mann verlangte den Herrn zu sprechen und wollte dabei äußerste Diskretion gewahrt wissen, niemand durfte bei dem Gespräch dabei sein - selbst ich nicht. Offenbar handelte es sich um höchst delikate Angelegenheiten." Girland lehnte sich zurück. "Der Mann blieb nur für eine Nacht, doch schon in der nächsten brach Herr Belinkov auf, wies uns an, das Herrenhaus nicht zu verlassen und niemanden zu erzählen wohin er ginge. Zuerst wollte er es mir auch nicht mitteilen aber er wusste wohl, dass..." Girland biss die Zähne zusammen, "... dass es vielleicht sonst niemand erfahren würde und er hatte keine Zeit mehr etwas niederzuschreiben. Irgendjemand hat offenbar mit einflussreichen Größen der Tzimisce gesprochen und einen Handel erwirkt... eine Möglichkeit, sich von Erbschuld seiner Linie reinzuwaschen. Die Sache ging bis zu den höchsten Adeligen und Heerführern des Ostens, wo es schließlich wohl auch Rustovich bzw. seine Getreuen zu Ohren kam. Ein Handel also, ein Auftrag des Ostens für den Herren, nach dessen Beendigung alles vergeben und vergessen wäre, sein Name wiederhergestellt und die Schande aus den Büchern der Geschichte gestrichen. Die Tzimisce vergessen niemals die Verletzung ihrer Ehre aber man gibt immer die Möglichkeit, diese wiederzuerlangen. Mein Herr... " Girland machte eine dramatische Pause. "... willigte in den Handel ein."
Alida lehnte den Kopf fest gegen den weichen Stoff des Sessels und schloss die Augen. Sie zwang sich dazu langsam ein und aus zu atmen. Unnötig, anstrengend und doch irgendwie beruhigend. Sie biss fest die Lippen aufeinander und öffnete mit Mühe wieder die Lider. Sie fixierte den Blick des braunhaarigen Mannes.
„Ein riskantes Unterfangen. Und in keinster Weise vorhersehbar…“ Mit Mühe entspannte sie die Finger, die sich in die Polsterlehne gekrallt hatten. „Warum ist er darauf eingegangen, Girland? Nur um den Namen seiner Vorväter rein zu waschen? Gibt es sonst noch etwas, das du in Erfahrung bringen konntest“
Alida hoffte inständig, dass das einzige, was nie passieren durfte nicht eingetreten war. Emilian hatte sich eine perfekte Deckidentität aufgebaut. Er war in die Haut, in das Leben eines anderen geschlüpft und damit unbemerkt über Jahrhunderte in der Welt der Unholde gewandelt. Wenn es jemandem gelungen war dahinter zu kommen… dann…. Sie zwang sich dazu nicht weiter zu denken
Der Mann ihr gegenüber nickte. "Es geht um diesen verdammten Krieg, den euer Clan gegen die Bluthexer führt. Man ist dabei sie endgültig aus den Ländern eurer Vorväter zu vertreiben, auch wenn sie mithilfe der Blaublütigen, lange Zeit große Gebiete in Ungarn halten konnten und sich ihre Hexenhäuser, überall zu verstecken scheinen. Man munkelt, die Tremere haben den Rückzug angetreten, immer weiter nach Westen aber einzelne Bastionen halten sich noch und scheinen nahezu uneinnehmbar...." Girland schluckte. "Meister Belinkov, euer Erzeuger, wurde mit der ehrenhaften Aufgabe betraut, zusammen mit anderen die Verteidigung einer dieser letzten Bastionen zu brechen und die Bluthexer endgültig auszuräuchern." Der Majordomus ergriff Alidas Hände und sah sie fest an, sein Blick wirkte dennoch abwesend, als ob er gedanklich in weiter Ferne schweifen würde. "Die Kriege im Osten... ihr müsst wissen... ich war da. Was dort auf den Schlachtfeldern passiert ist..... das Blutbad in Brügge wirkt dagegen wie eine heilige Messe. Beide Seiten kämpfen erbarmungslos, dort draußen gibt es keine Gnade. Ganze Landstriche sind verbrannt und verkohlt, kein Gras wird je wieder darauf wachsen. Monster streifen durch die raue Wildnis und andere Abartigkeiten warten auf den unvorbereiteten Wanderer. Diese Kriege sind... die Hölle."


Wieder schloss sie für einen langen Moment die Augen. Sie suchte in ihrem Inneren nach einem Herzschlag, irgendetwas, auf das sie sich konzentrieren konnte, aber da war nichts. Er war gegangen ohne sich zu verabschieden und jeder ahnte, dass Gott allein wusste, ob er je wieder kommen würde. In ihr breitete sich eine totenstille Leere aus. Von allen Orten in dieser Welt war er wohl an dem einzigen, zu dem sie ihm nicht folgen konnte. Sie war keine liebestolle Frau, die ihrem Mann aufs Schlachtfeld hinterher lief und sich und ihn damit der Lächerlichkeit Preis gab. Sie wäre nur eine Belastung und zusätzliche Gefahr für ihn, denn das, was einem etwas bedeutet macht immer verwundbar. Sie wusste genau, wofür man ihn brauchte. Emilian war kein Meister des Schwertes, kein Kriegsfürst und auch wenn er als formidabler Schachspieler fast jedes Spiel gewann, waren Spiel und Krieg doch wohl so verschieden wie Himmel und Hölle. Das, was ihm so schnell kein Unhold nachmachen konnte waren seine Fähigkeiten des Fleischformens, seine Übung in der Herstellung der gewaltigen kainitischen Kriegsmaschinen des Ostens. Dafür und für nichts anderes wollte man ihn…
Und sie war dabei nur ein schwerer Klotz am Bein, ganz zu schweigen von den Folgen, die es für Brügge und ihre Familie haben würde, wenn heraus kam, dass sie sich offen in einen Krieg gegen die Tremere einmischen würde.
Wut breitete sich für einen kurzen Moment in ihr aus. Wut auf Emilian, der einfach gegangen war, der sich nicht einmal verabschiedet hatte, der sie hier allein ließ, unfähig eine einzige sinnvolle Handlung vornehmen zu können. So wie das Feuer langsam im Kamin zu Glut verbrannte ebbte auch die Wut ab. Dann war da nur wieder die traurige Leere.
Sie bemerkte erst jetzt, dass Girland noch immer ihre Hände festgehalten hatte und sie betrachtete kurz die schwieligen kräftiger Finger des Kriegers. „Wo im Osten ist er, Girland?
Girland gab ihre Hände wieder frei und seufzte kurz resignierend. Was immer ihr Erzeuger auch getan haben mochte, es musste eine große Chance, wenn nicht sogar die Chance schlechthin für ihn sein, die alte Erbschuld seiner Linie wieder in Ordnung zu bringen. Auch auf die Gefahr hin, dabei umzukommen und auch ohne sich noch wenigstens vorher bei Alida zu verabschieden. Wahrscheinlich gab es zahlreiche, verschiedene Gründe für sein plötzliches und überraschendes Auftreten, von denen die zu überwindende Distanz, wohl noch der geringste sein mochte. Alida hätte ihn möglicherweise niemals gehen lassen, wenn er ihr seinen Entschluss offenbart hätte. Möglicherweise hatte man auch darauf bestanden, dass er sich sogleich auf den Weg machte oder dieser Umstand, war sogar eine Bedingung des Handels. Wie immer die Wahrheit auch aussehen mochte, Belinkov alias Emilian war ohne großen Aufhebens losgeritten. Der Majordomus kratze sich nachdenklich am Bart. „Er wurde an einen Ort geschickt, den sie Ceoris nennen. Angeblich ist es der Hauptsitz des verhassten Bluthexer-Clans und dessen gefährlichste Trutzburg. Das Herz des Bösen sozusagen. Man will die Überreste der Verteidiger, nun endgültig zerschlagen und benötigt wohl die Hilfe meines Herrn.“ Girland schüttelte den Kopf. „Herr Belinkov soll gewiss mit seinen Künsten für das notwendige Kriegsinstrumentarium sorgen aber auch andere Aufgaben werden wohl seiner harren. Gefährlich ist es allemal ….“ Er blicke Alida lange an. „Es ist nämlich so“, führte er aus, „… das obwohl diese Mission möglicherweise die lang ersehnte Antwort auf all seine Hoffnungen darstellt, sein endgültiger Tod beinahe unausweichlich scheint.“ Der kampferfahrene Girland lehnte sich leicht nach vorne. „Als mein Herr schon aufgebrochen war, sind einige der Begleitwachen des Bojaren noch im Ort geblieben um Vorräte aufzufüllen. Sie würden dann zum Haupttross gen Osten wieder aufschließen. Eine der Mägde hat angeblich gehört, wie der Name unseres Herren fiel.“ Sein Kopf senkte sich ein Stück. „Einer der anderen Tzimisce vor Ort, wird unseren Herren töten, sobald seine Aufgabe vollendet ist. Wenn auch alle anderen seine Schuld als beglichen sehen, es fiel ein Name, den die Magd nicht richtig verstand. Einer der Bojaren, will unserem Herrn übles und die Wirren des Krieges, eignen sich hervorragend für alle möglichen .. Unfälle.“
Alidas blaue Augen weiteten sich vor Entsetzen und Unglaube. Sie versuchte mit aller Mühe ihrer Stimme einen ruhigen Klang zu geben bevor sie weiter sprach. „Was habt ihr bisher unternommen um ihn zu warnen?“
Girland hob die Schultern. "Das einzige was ich machen kann. Ich habe sogleich einen unserer besten Reiter geschickt, ihn zu warnen. Allerdings ist der Rest der Bewachertruppe ebenfalls schon wieder aufgebrochen und falls diese unseren Mann einholen, könnte man eventuell Verdacht schöpfen. Die Sache ist nämlich obendrein die, dass der Bojar der unserem Herrn diesen Handel vorgeschlagen hatte, bei seinem guten Namen versprach, dass Herrn Belinkov nichts geschehen würde. Ein Tzimisce von hohem Stand würde es nicht wagen einen des eigenen Blutes zu belügen, demnach wird sich unser Herr relativ sicher fühlen... wenn auch nur für den Moment. Das kann der Meuchelmörder aber zu seinem Vorteil nutzen."
Alida sog die Unterlippe zwischen die Zähne. „Mit Sicherheit habt ihr dem Boten den Auftrag erteilt ab und zu Kunde von seinem Verbleib zu senden. Ist von ihm schon eine Botschaft eingegangen? Und haben die Mägde in dem Zusammenhang irgendwelche Namen gehört? Oder zumindest den Namen des Bojar?“
Girland schüttelte langsam den Kopf. "Bisher ist leider noch keine Nachricht von unserem Markow eingetroffen, obgleich er den Auftrag hatte sooft es ihm möglich wäre, Kunde über unseren Herren zu schicken. Gewiss dauern die Transportwege von solchen Nachrichten auch ihre Zeit aber mittlerweile sollten wir zumindest einmal etwas von ihm gehört haben. Ich ahne Übles, Herrin, möglicherweise hat er den Herrn gar nicht mehr erreicht?" Auf ihre Frage zu dem Namen schüttelte er nur seufzend den Kopf. "Nein, einen genauen Namen konnten die Mägde nicht vernehmen, es steht aber wohl außer Frage, dass der fragliche Mörder ein Teil der Belagerungsbemühungen sein wird. Anders kann ich es mir nicht erklären. Den Namen des Bojaren, der unserem Herrn diesen Vorschlag zur Wiederherstellung seiner Ehre und seines guten Namens unterbreitet hat, kann ich euch allerdings schon sagen: Er hieß Cunescu. Andrej Lasarew Cunescu. Man erzählt sich, dass er ein enger Vertrauter Rustovichs wäre."
„Andrej?“ Ungläubig sprach sie den Namen des Unholds aus, und innerlich verfluchte sie den überheblichen, unmenschlichen Kainiten und wünschte ihn zur Hölle. „Er hat ihm also dieses Angebot unterbreitet. Dieser besch… Krieg im Osten…“ Sie biss sich auf die Lippen um nicht weiter zu sprechen. Das brachte niemanden hier voran. „Gibt es sonst irgendwelche wichtigen Details, die ich wissen sollte?“ Sie sah ihn eindringlich an und hielt dem Blick der dunklen Augen stand.
Girland nickte und hob abermals die Schultern. "Der Omenkrieg, neigt sich dem Ende zu. Sicherlich wird es hin und wieder das eine oder andere Scharmützel geben aber im Grunde, bereiten sich beide Seiten auf die letzte, unsinnigste aller Schlachten vor. Die Tremere sind geschlagen und der Großteil bereits über die Grenzen nach Ungarn geflohen; man sehnt sich aber natürlich nach der ultimativen Zerstörung von Ceoris, die jahrzehntelang uneinnehmbar war für unsere Heere. Es ist eine Frage der... verletzten Ehre und des Stolzes und für unseren Herrn, eine Frage des Überlebens. Wenn er diese Sache hinter sich bringt, sollte das seiner Linie den lang ersehnten Frieden schenken...." Abermals ertönte ein Seufzen und der Mann ihr gegenüber wirkte beinahe über sich selbst enttäuscht, dass er ihr nicht mehr mitteilen konnte. "Leider nicht, ich weiß nur, das Ceoris in der Nähe der Rumänisch-ungarischen Grenze liegt, hoch oben in den nebelumrankten Bergen, die man die Karpaten nennt. Keiner hat diese Festung je wirklich gesehen, sie scheint aufzutauchen und zu verschwinden, wie ein Geist. Selbst die Zugangswege verändern sich kontinuierlich heißt es. Der Ort ist auf jeden Fall verflucht. Allein das ein Angriff möglich ist, bedeutet das die Tremere maßgeblich geschwächt sind. Vermutlich wird man ein großes Heer versammeln um seinen Siege den nötigen Prunk zu verleihen und den Moment ganz auszukosten. Ihr solltet die Banner schon von weitem sehen können."
Alida seufzte. Dann nickte sie. „Es ist eine weite Reise und ob Markow sein Ziel je erreicht, steht leider in den Sternen. Ich würde gerne noch bis Morgen hier in Gent verweilen und mich dann auf den Weg machen. Ich werde ein paar Vorkehrungen treffen müssen… Könnt ihr vielleicht Ivan entbehren? Einen oder zwei Begleiter sollte ich mitnehmen und ich könnte mir wohl keinen besseren Mann dafür vorstellen. Und ich muss versuchen mehr über die ungefähre Lage dieser Stadt herauszubekommen“
Girland sah sie mit strahlenden Augen an. Beinahe schien es so, als hätte er ein Stück weit gehofft das die Brüggerin sich so entschlossen auf den Weg machte, seinen Herren vor einer potentiell äußerst tödlichen Gefahr zu bewahren oder sogar vor dieser zu beschützen - falls möglich. Er selbst konnte und wollte sich dem Befehl seines Meisters nicht widersetzen, aber ihn einfach sterben lassen, war völlig undenkbar. Beiden war aber klar dass jemand wie Markow und wäre er noch so versiert in den Reitkünsten, nicht gegen eine misstrauische und raubeinige Soldatentruppe bestehen würde können. Entweder hatte man ihn bereits vor der Abreise getötet oder würde ihn auf halbem Wege abpassen. Es schien fraglich ob ein Mann allein zu Emilian durchkommen würde. Alida hingegen, war selbst, obwohl sie eine Frau war nicht nur das Kind seines Herren sondern selbst mit dem unheiligen Blut der Tzimisce gesegnet. Sie konnte sich wehren und auch angreifen falls notwendig; verfügte überdies über den Einfluss, den ihr das Blut der Unholde verschaffte. Die fremden Soldaten, die offenbar nicht nur in den Diensten Andrejs standen sondern obendrein von jemand anderem in Blut und Sold standen, würden es sich gewiss zweimal überlegen sie so ohne weiteres anzugreifen. "Ich werde euch alle Männer mitgeben, die ich entbehren kann. Ivan wird euch natürlich auch begleiten, keiner kennt die Umgebung so gut wie er. Zudem werde ich euch Kartenmaterial erstellen lassen, damit ihr den Weg leichter findet, ebenso einen Karren für euer Überdauern am Tage und Vorräte. Es gibt eine Stadt mit Namen Temeswar, an dessen Ausläufern, der Aufstieg zu den Karpaten beginnt. Dort wäre der beste Ort um den genauen Standpunkt von Ceoris zu ermitteln."
„Mit Karten und einigen fähigen Reitern wäre mir bestens gedient. Mit einem Karren zu reisen ist zwar vorteilhaft, da ich mich damit auch tagsüber fortbewegen kann, aber auch die Männer müssen ausruhen und ich weiß nicht, ob das unter diesen Umständen gelingt. Lieber übernachte ich in einer Herberge oder lass ich mich für die Stunden an denen die Sonne am Himmel ihre Bahnen zieht, unter die Erde schaufeln, denn ich will keine Zeit verlieren.“ Alida erhob sich. „Sucht nur ein paar Männer. Desto weniger desto weniger auffällig, desto weniger Gerüchte…“
Girland tat es ihr gleich und erhob sich. Fast schien er dennoch ein schlechtes Gewissen zu haben. Ihm selbst waren die Hände gebunden; er hatte bereits alles getan, was in seiner Macht stand und das war bedauerlicherweise nicht viel gewesen. Mehr als einen soliden Reiter, hatte er seinem Herrn nicht hinterdrein schicken können und selbst dessen Schicksal war mehr als ungewiss. Er nickte bestimmt und gefasst. "Ich weiß, ihr hättet euch auch ohne mein Zutun zu diesem Schritt entschlossen und es schmerzt mich, euch so einer Gefahr ausgesetzt zu wissen aber dennoch....." Girland verneigte sich tief. "... möchte ich euch aus tiefstem Herzen danken. Herr Belinkov war immer gut zu uns, behandelte uns gerecht wenngleich auch mit strenger Hand. Stets blieb er dabei aber fair und konsequent. Er ist ein guter Mann, vielleicht ein zu guter, um sich mit diesen hohen, politischen Spielchen einzulassen. Obendrein... ist er mir persönlich ein Freund geworden." Er steckte zwei Finger in den Mund und ließ einen lauten Pfiff ertönen, wandte sich dann wieder Alida zu. "Ihr werdet am morgigen Abend alles vorbereitet finden, ich verspreche es euch. Ich werde sogleich alles veranlassen. Bitte erweist uns die Ehre und bezieht doch bis morgen eure Gemächer im Haus, was immer ihr noch benötigt, werden euch die Diener gerne zukommen lassen." Kaum hatte er diese Worte gesprochen, steckte jemand erneut den Kopf durch den Türspalt. Girland fuhr das Mädchen in scharfem Russisch an: "Geh und versammle die Männer, wir haben wichtig Dinge vorzubereiten. Und bring mir Ivan - sofort."
Alida bedankte sich. „Ich weiß, sowohl Belinkov als auch meine Wenigkeit können sich immer auf euch verlassen. Ich bin es, die zu danken hat.“ Sie nickte ihm zu. „Ich werde mich zurückziehen Es gibt noch einiges, was ich zu tun habe. Ich verspreche euch, ich werde mein bestes versuchen…“ Damit verbeugte sie sich ebenfalls ein wenig und verließ das Zimmer. Auch wenn sie gerne noch den jungen meist mürrisch drein blickenden Ghul begrüßt hätte, hatte sie wichtigeres zu erledigen.
Alida begann sich vorzubereiten. Sie konzentrierte sich auf die Dinge, die getan werden mussten, verfasste ein paar Zeilen an die Kainiten und Sterblichen in Brügge, die ihr wirklich etwas bedeuteten und spürte wie sich die Müdigkeit wie eine Krankheit in ihre Knochen und ihren Geist ausbreitete. Erschöpft fiel sie schließlich auf das Bett, zog die Decke über den Kopf und ergab sich dem Schlaf

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Zuletzt geändert von Alida am Sa 30. Jan 2016, 15:15, insgesamt 2-mal geändert.

Re: Die Fesseln der Macht

Fr 29. Jan 2016, 18:23

Die restliche Nacht, würde Alida in ihren und Emilians Privatgemächern verbringen. Dieses Mal allein in ihrem ausladenden Bett, denn ihr Erzeuger, Freund, Vertrauter und Geliebter war in den Osten aufgebrochen, wo man ihn zweifelsohne aufgrund seiner Fähigkeiten rekrutiert und den Ablass all seiner Vergehen am Clan der Unholde in Aussicht gestellt hatte. Tagsüber waren die Vorbereitungen für die lange, ermüdende Reise scheinbar auch ohne ihre Anwesenheit zügig von Statten gegangen, sodass Girland sie in der nächsten Nacht bereits mit einer zusammengefalteten Pergamentrolle begrüßen konnte. „Dies hier ist nicht nur eine Rolle Pergament, sondern gleich fünf an der Zahl. Vor allem die Wege und Pfade im Osten, sind so detailreich verzeichnet und beschrieben, wie es mir nur möglich war. Zwar habt ihr kundige, kampferprobte Recken an eurer Seite doch sollte der Fall des Falles eintreten, sind diese Karten ein nützliches Instrument zu eurer Orientierung.“

Der Majordomus schritt an ihrer Seite die Treppen hinab und geleitete sie auf den mondbeschienen Vorhof des Herrenhauses, wo bereits Ivan und zwei der Widergänger aus Emilians Tross auf sie warteten. Die Pferde waren bereits gesattelt und bestückt worden; in dicken Satteltaschen war wohl das Notwendigste für die Reise untergebracht worden. Der grimmig dreinblickende Ivan, verbeugte sich knapp und seine Kameraden taten es ihm gleich. „Wir werden nicht von eurer Seite weichen Herrin, bis wir Herrn Belinkov in Sicherheit wissen. Es ist uns nicht nur Pflicht sondern zugleich auch Ehre, euch bei eurem Vorhaben unterstützen zu dürfen.“ Girland nickte bestätigend und seine Lippen verzogen sich zu einem amüsierten Lächeln, als Alidas treuester Begleiter den Weg aus den Stallungen auf den Hof gefunden hatte. Er kläffte und winselte, wedelte mit dem Schwanz und schien durchaus aufgeregt seine Herrin begleiten zu dürfen. „Ich denke die Unterstützung eures Hundes, könnte euch noch manches Mal zum Vorteil gereichen, ganz davon abgesehen, dass wir ihm ohnehin nicht verbieten könnten euch zu begleiten“, kommentierte der Russe knapp.

Girland trat ein paar Schritte zurück und verbeugte sich vor Alida, während einer der Stallburschen, ihr den gestärkten Heimdal am Zügel herbeiführte. Der Hengst war bereits gesattelt und schien erneut voller Tatendrang. „Haltet euch an die Wege und an euer Geleit. Möge eurem Unternehmen Erfolg beschieden sein. Wir beten für eure gesunde Widerkehr. Lasst die Verräter für uns bluten Herrin!“ Kaum hatte er diese Worte gesprochen, so würde sich Ivan bereits mit ein paar lauten, russischen Schlachtrufen in Bewegung setzen und über den Vorhof, hinaus auf die Straße galoppieren; dicht gefolgt von seinen Kameraden und Alida. Neben der Formation, lief der breite Schatten von Alidas vierbeinigen Kampfgefährten.

[du kannst noch was tippen, dann beschreibe ich die Reise]

Re: Die Fesseln der Macht

Fr 29. Jan 2016, 20:53

Alida nahm die auf Pergament festgehaltenen Karten entgegen und verstaute sie in ihrer Satteltasche neben dem Säckchen mit der dunklen Brügger Erde. Sie war froh, dass alles ohne große Verzögerung hatte vorbereitete werden können. Sie klopfte dem Pferd kurz auf die Flanke und hoffte, dass das schnelle jedoch wenig ausdauernde Tier den Ritt in den Osten heil überstehen würde. Es war nicht für solche Reisen und solche Witterungen gezüchtet.
Sie schwieg sowohl zu Ivans als auch Girlands Bemerkung. Für sie war es keine Ehre sondern eine große Verantwortung, die sie den jungen Wiedergängern zumutete und die Sorge, dass vielleicht keiner der drei mehr nach Gent zurück kehren würde saß ihr wie eine eiskalte Hand im Nacken.
Sie nickte dem Major domus ein letztes Mal zu. „Passt auf euch und eure Familie auf, Girland.“ Dann gab sie ihrem Pferd das Zeichen zum Aufbruch.

Re: Die Fesseln der Macht

Sa 30. Jan 2016, 17:45

Die Reise zu der Alida in Begleitung des Russen Ivan mitsamt Gefolge aufgebrochen war, gestaltete sich mühsam und anstrengend. Nach wie vor war es kalt in Europa und nach wie vor setzte gelegentlicher Schneefall ein, der ihr Vorankommen erheblich behinderte. Alida selbst genoss allerdings die klimaresistenten Vorzüge des Untodes, und ihre Reisegesellschaft war das kalte Wetter durchaus gewöhnt. Vermutlich verhielt es sich so wie Girland bereits angedeutet hatte: Wer einen russischen Winter überlebt hatte, den konnte so schnell nichts erschüttern.
Ganz abgesehen davon, das egal wohin ihr Weg sie führte, der Winter nach wie vor das gefrorene Land fest in seinen unnachgiebigen Klauen hielt. Schnee wechselte zu Tauwetter, Tauwetter schickte Schneeregen und Schneeregen gefror nur um tagsüber wieder zu schmelzen. Manchmal waren die Straßen spiegelglatt, dann wieder matschig und halbgefroren, dann wieder mit einer dicken Schneeschicht überzogen. Nur selten hatte man das Glück eines durchwegs mühelos passierbaren Pfades. Anstrengend für Reiter und Ross.
Von Brügge aus ritten sie ohne besondere Vorkommnisse weiter ins Heilige römische Reich deutscher Nation, wo man in einer kleinen Stadt namens Ulm, auf einem Fährschiff zusteigen konnte, das einen immer der Donau entlang quer durch das Land der Deutschen bis an die Grenzen Wiens führte. Immer wieder studierte die blonde Frau gemeinsam mit Ivan das Kartenmaterial von Girland und war zu dem Entschluss gekommen, dass die Bootsfahrten nicht nur um einiges entlastender, sondern auch zeitsparender waren. Insgesamt würden sie dennoch einen Monat brauchen, bevor sie in Temeswar ankämen. Viel bekam Alida allerdings nicht auf ihrer Reise zu sehen, konnte sie doch nur immer wieder kurze Blicke auf das vorbeiziehende Umland werfen und die Rast in Ulm, war ebenfalls nur von kurzer Dauer gewesen.
Ivan, der nur schlecht Flandrisch oder Latein sprach, spielte zumeist Karten oder polierte seine Klingen, während die beiden Begleiter sich regelmäßig an einer Art Würfelspiel versuchten und keine Möglichkeit selbst gebrannte Schnäpse zu trinken, ausließen. Schon als Alida die Grenze nach Ungarn passiert hatte, zeigte sich ein gelegentlich ernüchterndes Bild des Königreichs. Manchmal sah man in Lumpen gehüllte Waschweiber, die mit glasigen Augen Wäsche wuschen und wenn sie es nicht besser wüsste, hatte sie sogar einmal in der Nacht herzzerreißendes Wehklagen gehört. In einem winzigen Dörfchen namens Baja, das aus kaum mehr als zehn schlampig gebauten und nur spärlich gedämmten Häusern bestand, ging die Gruppe wieder an Land.

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Es roch nach Pferdedung, verrottenden Obst aus dem Schweinstall und scharf stechender Gülle. In dicke Fellkleidung einpackte Wachleute wärmten sich an einer rostigen Feuerschale an einem ärmlichen Marktplatz, der immerhin über einen Brunnen verfügte. Die Einwohner verbrachten ihre karge Freizeit wohl hauptsächlich damit sich dem Suff hinzugeben und der Brüggerin würde sofort auffallen, dass es hauptsächlich Alte und Gebrechliche waren, die man in Baja antraf. Gelegentlich eine misstrauische junge Mutter, die ihre Kinder zur Mithilfe bei der Hausarbeit antrieb. Verfilzte Hunde an langen Eisenketten nagten an dicken Knochen und streunende Katzen lieferten sich fauchende Gefechte zwischen aufgetürmten Holzscheiten. Ein Einäugiger Mann, dessen Gesicht von dutzenden Narben übersäht war und dem die Hälfte des Schädels fehlte, kniete auf einer Felldecke und jammerte Vorbeiziehende um Kleingeld an.

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Ivan führte die Truppe zu einem nahen Gasthaus, wo er gedachte ein paar Vorräte einzukaufen. Die beiden Russen aus Emilians Tross würden bei Alida bleiben, während dieser sich um die Details mit dem Gutsbesitzer kümmerte. Viel würde hier nicht mitzunehmen sein aber nach wie vor wartete ein 5 Tages Ritt auf sie. Der Einäugige sah Alida flehend an, als sie an ihm vorbeiging und wollte schon nach ihrem Kleid greifen, als Popov ihm einen harten Tritt versetzte und laut auf Russisch fluchte.

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Er drängte Alida unter einen kleinen Unterstand in der Nähe des Gasthauses, wo sich ein paar alte Männer und Frauen versammelt hatten. Eine Frau schöpfte Suppe aus einem dicken Topf, während ein rußverschmierter, grobschlächtiger Kerl gerade dabei war ein Wild auszuweiden. Nacheinander ließ er große Fleischbrocken in den Topf fallen und scherzte dabei laut mit anderen. Popov und Strasny positionierten sich unbeeindruckt von der ganzen Situation neben Alida.

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Alida fühlte sich deutlich unwohl in ihrer Haut. Das Wetter war so kalt wie das ungute Gefühl, das ihr im Nacken saß. Das hier war in keinster Weise mit Flandern zu vergleichen. Diese Landstriche gehörten bereits zu dem, was seit Anbeginn ihrer kainitischen Existenz als Feindesland verschrien gewesen war. Emilian hatte sie, so wie er es von seinem Vater Victor gelernt hatte, stets davor gewarnt sich von den Unsterblichen des Ostens fern zu halten. Eine Regel, die er selbst längst gebrochen hatte, die ihr aber nach wie vor wie eine Doktrin in Fleisch und Blut übergegangen war. Vor denjenigen ihres eigenen Blutes. Blut, das Alida nie gewollt hatte. Und doch hatte sie es ohne Zögern angenommen als sei im Sterben gelegen hatte und wenn sie tief in ihrem Inneren nach einer Antwort auf die Frage suchte, die sie sich selbst nicht zu stellen wagte, dann wusste sie genau, dass sie es wieder tun würde.
Alida fuhr sich mit den Fingern durchs das braun veränderte Haar und strich sich eine Strähne zurück.

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Sie hoffte, dass Ivan schnell und vor allem erfolgreich mit ein paar Vorräten beladen zurück sein würde. Desto eher sie ankommen würden desto weniger Zeit blieb ihr aufzufallen und unnötige Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Sie sah sich den einäugigen Mann näher an. Wie konnte er mit einer solchen Verletzung noch unter den Lebenden sein?
Ihr geschultes Auge zeigte ihr, dass der Mann ziemlich tot war. Offenbar hatte es irgendjemand geschafft, die Hälfte seines Kopfes wieder so zu schließen und Haut darüber wachsen zu lassen, dass er immerhin nicht daran sterben würde. Die Haut war allerdings, dick und runzlig, lederartig und trug nicht ein Haar. Die restlichen Haare auf der anderen Seite, waren dünn und wohl von Läusen zerfressen, klebten dem Einäugigen auf der schorfigen Haut.

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Und je länger sie ihn betrachtete, desto mehr viel ihr auf wie... unbeschreiblich hässlich der Mann eigentlich war. Über alle Maßen hässlich nämlich. So hässlich das er selbst in dieser trostlosen Umgebung aufgefallen wäre. Sie konnte sich denken, dass ein einziges Wort von ihr möglicherweise auch dazu führen konnte, dass er demnächst sehr schnell laufen müsste. Strazny weigerte sich zunächst ihm eine Münze zu geben, murmelte zu Alida nur in sehr stark russischem Akzent etwas wie: "Nicht gut.... ist gefährlich.... wenn sieht Geld dann wissen das ihr Geld habt, dann andere kommen vielleicht..... Räuber und Banditen....." Dennoch ließ er sich dazu herab, dem Mann eine einzige silberne Münze zuzuwerfen, die dieser hastig in seinen Mantel steckte und sich mit nuschelndem Tonfall bedankte.
Ein Nosferatu also. Sie war froh darüber, dass diese Meister der Verdunklung nicht selbst ohne weiteres über die Möglichkeiten verfügten ihre eigene Verheimlichung oder die oberflächliche Masquerade eines anderen Kainiten zu durchschauen. Sie ließ ihre Haut rosiger scheinen um nicht weiter unter den anderen Sterblichen aufzufallen und wartete auf die Rückkehr des Wiedergängers.

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Sie stieß Ivan so dezent wie irgend möglich an und sprach ihn in für Umstehende nicht hörbarer Lautstärke an, dass es sich bei dem Bettler um einen Nosferatu handelte.
Sie wusste nicht genau, wie man sich im Osten für gewöhnlich in der kainitischen Gesellschaft zu verhalten hatte. Mit Mühe rief sie sich alles in Erinnerung, dass ihr Emilian je über den Umgang zu Kainiten untereinander im Osten erklärt hatte.

Ivan winkte einige kräftig aussehende Burschen herbei, die bereits zwei hölzerne Kisten trugen, auf denen alle möglichen Vorräte bereit lagen. Gepökeltes Fleisch, Brot und ein wenig Gemüse gar. Vor allem aber frisch gefüllte Trinkschläuche, ein Zunderkästchen und zusätzliche Decken. Sogar die Pferde hatte er mit zwei Sack Hafer bedacht. Als Alida ihn von der Seite so unauffällig anstieß wie möglich und darüber in Kenntnis setzte, dass sie beobachtet wurden, nickte dieser nur knapp. Er selbst sah gar nicht zu dem Einäugigen hinüber sondern deutete nur Popov und Strazny, die Sachen auf die Pferde aufzuteilen. Popov war wohl gerade damit beschäftigt, einen Lastesel zu erstehen und handelte lautstark mit einem faltigen Händler, der sich auf eine Krücke stützte. "Das wird Gorgo sein", flüsterte Ivan. "Gorgo ist seit jeher in Baja, schon als Mensch war er hier und wird es wohl noch sein, wenn wir alle längst tot sind. Für gewöhnlich verkauft er alles was er weiß an den Meistbietenden, was bedeutet dass er sowohl für die Voivoden, als auch die Hexer arbeitet. Man hat mehrfach versucht ihn zu töten aber er ist wie die Pest. In irgendeinem Loch taucht er stets wieder auf. Wenn ihr wollt, kann ich ihn nach Markov fragen?"
Alida schaute nachdenklich und so unbemerkt wie möglich in die Richtung des Nosferatu. „Das hört sich zwar auf der einen Seite ausgesprochen sinnvoll an, aber in dem Moment in dem wir fragen wird offensichtlich, wohin wir wollen und damit kommt die Frage auf, wer wir sind. Informationen, die der Gute vielleicht nicht verkaufen kann, da er die Antworten nicht kennt, aber vielleicht einfach als kleinen Gefallen verschenkt. Haben wir eine Möglichkeit ihn zu fragen ohne unser Anliegen Preis zu geben?“
Ivan schmunzelte und nickte anerkennend. "Tatsächlich. Gut geschlussfolgert, Herrin. Nun, was dieses kleine Problem mit den Namen und Identitäten angeht, denke ich eine einfache Lösung zu kennen. Wie ihr vielleicht wisst, sind die Tremere auf dem Rückzug, daher wird es nicht mehr viel geben was er flüchtigen Hexern über uns erzählen könnte. Die Voivoden sind natürlich eine andere Sache, da gebe ich euch Recht." Der Russe schielte verstohlen zu dem Einäugigen, sah dann wieder zu Alida. "Er kennt Belinkov und wir werden nicht einmal lügen müssen. Wir sind aus Belinkovs Gefolge und haben den Auftrag unseren Herren zu begleiten. Im Zuge dessen wurde ein Späher vorausgeschickt, der die Sicherheit der Straßen prüfen soll - Markov. Ich denke so müsste es klappen. Wenn wir noch ein paar Münzen drauflegen, wird das keine große Sache werden. Gorgo spart seit Jahren auf ein eigenes Haus müsst ihr wissen." Ivan lächelte schief. "Warum auch immer man hier wohnen möchte. Wartet hier auf mich." Ivan überquerte die Straße und steckte dem Bettler nun seinerseits eine Münze zu, deutete an ihm zu folgen. Gorgo sah sich ein wenig verwundert um, erhob sich dann aber von seiner knienden Position und folgte Ivan in eine schmutzige Seitenstraße, in der ein Schmied gerade die Glut mit einem Blasebalg entfachte. Laut genug um Gespräche zu Gewisper verkommen zu lassen. Nach einiger Zeit kam Ivan zurück und lächelte siegessicher. "Gorgo meinte, er habe Markov gesehen. Er sei in der Schenke eines größeren Gutshofes, nicht weit von hier. Es liegt zudem auf unserem Weg. Allerdings hat er auch Soldaten der Bojaren gesehen, die in diese Richtung unterwegs sind." Ivan pfiff durch die Zähne. "Packt zusammen, wir reiten weiter." An Alida gewandt meinte er nur: "Die Vorräte dürften soweit reichen, damit kommen wir bis nach Temesvar. Wenn wir einem Soldatentrupp begegnen, überlasst mir das Reden."
Alida ließ ein ironisches Auflachen hören. Obwohl sie in all den Wochen versucht hatte ihr Russisch zu verbessern musste sie sich noch immer bemühen dem Gespräch, das meist hastig und in einem rau klingenden Tonfall vorgetragen wurde folgen zu können. Sie würde ausgesprochene Mühe haben sich mit einem Soldatentrupp zu unterhalten.
Sie hoch überrascht eine Augenbraue in die Höhe. Markov war noch am Leben. Sie war erfreut, hätte sie doch nicht mit dieser Nachricht gerechnet. Dann schwang sie sich so rasch sie konnte in den Sattel. Auch wenn das umliegende Gebiet wild und undomestiziert war, erfüllte die Aussicht darauf so schnell als möglich hier fortzukommen sie mit unvermuteter Energie
Der Reisetrupp sattelte die Pferde und Popov hatte es tatsächlich geschafft, dem alten Mann an der Krücke den Esel abzuschwatzen, den er nunmehr mit den restlichen Vorräten beladen hatte. Das gutmütige Tier muckte zwar ein wenig auf als er es über ein Seil an seinem Sattel festmachte und hinter sich her zog aber genügsam wir er war, folgte der Esel dem Tross so gut er konnte. Ihr Weg führte sie aus der ärmlichen Stadt hinaus, vorbei an großen Feldern, die gefroren und verschneit waren. Hie und da sahen sie zusammengefallene Wirtschaftsgebäude und Häuserruinen. Womöglich aufgegebene Bauernhöfe oder Zollstationen. Schlussendlich machte der Weg eine lange Biegung nach links und auf einer großen schneegeräumten Fläche, waren mehrere große Häuser zu sehen, die irgendwie zusammenzugehören schienen. Gerade in der Mitte, konnte man ein großes Wirtschaftsgebäude in solidem Baustil erkennen, in welchem dämmriges Licht brannte. Offenbar gehörte der Großteil des Landes dem ansässigen Großbauern. Der Trupp ritt an einer in etwa hüfthohen Steinmauer vorbei, die sich bis zum Hof der Wirtschaft hinaufschlängelte. Manche Steine waren ausgebrochen oder gesplittert, sodass es hin und wieder Lücken gab. Dahinter standen mehrere Obstbäume, die ob der Jahreszeit weder Früchte noch Blätter trugen. Dafür hing etwas gänzlich anderes an den gefrorenen Ästen: Mehrere Menschen. Manche in blutige Lumpen gehüllt, andere wiederum vollständig nackt. Allessamt, hatte man sie an dicken Stricken aufgehängt. Gelegentlich hing ein hölzernes Schild dabei, das blutige Schriftzeichen trug, die Alida nur schwer lesen konnte. Bei einem Toten war ihr dies aber möglich, da stand geschrieben: "Dieb"

Re: Die Fesseln der Macht

Mo 1. Feb 2016, 16:22

Wieder war es an Alida schwer zu schlucken. Sie zwang sich dazu den Blick abzuwenden und lenkte ihr Pferd in einen schnelleren Trab, doch es gelang ihr nicht. Immer wieder schielten sie die leeren aufgepickten Augenhöhlen der Gehängten an. Ja, dies hier war der Osten mit allem, was dazu gehörte.

Re: Die Fesseln der Macht

So 7. Feb 2016, 22:05

Die kleine Gruppe ritt an den Leichen der Männer vorbei, manche schienen schon eine halbe Ewigkeit dort zu hängen, andere waren erst kürzlich dem Tode überantwortet worden. Allein der Winter zögerte den Verfall des sterblichen Fleisches hinaus. Ob sie schuldig waren, konnte niemand beantworten aber in Zeiten in denen Lebensmittel knapp waren und die Kälte das Land immer noch in der eisigen Klaue hielt, gab es zumindest in diesen Breiten wohl keine Gnade für Diebe. Es ging ums Überleben. Aber das tat es wohl immer. Der große Gasthof, war dumpf erleuchtet aber um einiges größer als Alida zunächst angenommen hatte. Eis und Frost sammelte sich an den Fenstern, genauso wie auf der Straße aber das Innere des Gutshofs, versprach angenehme Wärme. Ihre drei Begleiter stiegen vom Pferd und führten die Gäule einmal linksseitig am Hof vorbei, wo bereits eine lange Schlange aus Reittieren, an einem entrindeten Holzpfosten angebunden war. Eine alte Bäuerin, warf gerade aus einer mit Körner gefüllten Schürze, den Hühner das Abendessen zu. Kurz danach kam der Eingang zu einem großen Stall, in welchem es schon blökte, muhte und grunzte. Ein wackeliger Mann mit zerfranstem Bart kam aus der Nähe des Stalles und hantierte an seiner Hose herum, beinahe wäre er über ein Stück festgefrorenes Eis gestolpert. Er fluchte und schrie imaginäre Leute an, roch stark nach billigem Schnaps. Als er bereits Alida zu nahe zu kommen schien, stellte sich Stansky vor die Brüggerin und stieß den Mann weg. Der grunzte nur matt, ließ sich aber nicht auf einen Kampf ein. Drei waren wohl selbst für diesen Säufer zu viel. Ivan hob die Schultern. „Lange werden wir hier nicht bleiben aber wenn es eine Spur von Markov gibt, dann müssen wir ihr wohl folgen. Selbst wenn die Chancen nur sehr gering sind, er ist ein Mitglied der Familie unseres Herrn. Wollt ihr mich in die Stube begleiten Alida? Oder zieht ihr es vor draußen zu warten?“
Alida antwortete leise und in ihrem noch immer zögerlichen von starkem flandrischen Akzent geprägten Russisch. „Selbstverständlich komme ich mit. Markov hatte den Auftrag nach Belinkov zu suchen, so wie wir das derzeit auch tun. Das hier ist das wenigste, was wir für ihn tun können. Es ist bewundernswert, dass er es allein bis hierher geschafft hat.“ Sie zog den Mantel enger um die schmalen Schultern und folgte Ivan ins Innere

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Ivan schien nicht allzu sehr begeistert von der Idee zu sein, Alida an solch einem Ort zu wissen allerdings war er es gewesen, der sie gefragt hatte. Zugegeben: Wahrscheinlich hatte er angenommen, sie würde hier vor der Tür auf ihn warten; die Kälte würde ihr nichts ausmachen und die beiden anderen Russen würden wohl schon auf sie Acht geben. Da kannte er sie wohl einfach schlecht. Mit einer leicht sorgenvollen Miene nickte er und hielt ihr die Tür auf. „Soweit ich das sehe, ist dieses Loch der letzte Überrest von dem, was in den Krieg geht und von dort wieder zurückkommt. Ihr werdet als das sehen, wonach es Männer, die anderen beim Sterben zusehen mussten, verlangt. Dann wenn alles ohnehin verloren ist. Weib, Wein und Gesang um zu vergessen. Das Töten hat sie roh gemacht und der Schnaps tut sein Übriges, also gebt Acht, Frau van de Burse.“ Ivan hielt ihr die Tür auf und sie betraten den riesigen Raum, der im Grunde nicht mehr war, als ein langgezogener Stall an dem man der Länge nach immer wieder grobgearbeitete Tische und Stühle hingestellt hatte und gräuliche Fetzen als Tischtuch dienten. Eine Vielschar von hässlichen Frauen denen allen der eine oder andere Zahn fehlte und die fettige, schmierige Schürzen trugen, eilten von Tisch zu Tisch um schäumende Bierkrüge aus Holz nachzufüllen oder eine Runde Schnaps zu entkorken. An einer riesigen Feuerstelle briet ein ganzes Schwein, das immer wieder mit dem eigenen Sud übergossen wurde. Aus dem Fleisch wurde gleich daneben, im einem großen Kessel Eintopf dazu verkocht. Es roch nach Rüben und Kohl, Schweiß, Urin, scharfen Schnaps und Tieren. Zu allem Überfluss, hatten sich nämlich manche ‚Gäste‘ bereits in die Strohballen fallen lassen und tranken dort weiter oder schliefen. Lachen, Gejohle, das Klirren von Gläsern und die harte russische Sprache waren allgegenwärtig. Frauen, zumindest halbwegs ansehnliche waren in der Unterzahl. Dominiert wurde der Gasthof von Männern und allesamt schienen sie so gewaffnet und gerüstet, als gehe es demnächst in den Krieg oder aus diesem zurück. Vielen hatten Läuse die Haare weggefressen oder Brandnaben das Gesicht verziert. Hie und da fehlte ein Auge, ein Arm, ein Bein und weiter hinten konnte Alida sogar ein kleines mehr oder minder abgetrenntes Abteil erkennen, indem Verwundete lagen und ihre eitrigen Wunden mit Schnaps löschten und sich ins Delirium tranken. Das vor ihr war wohl das, was von den stattlichen Fahnenträgern und Paradeoffizieren übrig blieb, wenn man 2-3 Monate im tiefsten russischen Winter kämpfte. Ivan ging an die Theke und winkte jemanden herbei.
Alida sah sich zögernd in dem großen Raum um, musterte die Menschen, beziehungsweise, das was von ihnen noch übrig war. Sie schritt hinter Ivan her, wartete sie doch schon auf eine mehr oder weniger anzügliche oder beleidigende Anmache. Sie hielt nach Markov Ausschau, suchte die entstellten Gesichter ab um darin vielleicht so etwas wie Erkennen zu sehen
Während Ivan noch mit dem Mann am Tresen sprach, würde ihr Blick auch unweigerlich um die Ecke des langen Holzkonstrukts gleiten, wo sie den Blick eines jungen Mädchens aufzufangen schien, das die Augen immer wieder zusammenpresste und weinte. Es mochte um die zwanzig sein, und saß auf dem Schoß eines grobschlächtigen Kerls. Die lange Robe des Mannes schien sie einzuhüllen und irgendwie, bewegte sie sich ganz leicht? Bei näherer Betrachtung, musste Alida wohl feststellen, dass es sich um eine Vergewaltigung handelte, denn die dreckige Pranke des Mannes hielt der Frau den Mund zu und ein weiterer Kerl stellte sich nun, grob nach ihren Brüsten greifend vor die Szenerie. Offenbar um damit alles noch ein wenig abzudecken. Was immer das Mädchen von sich hätte geben können, es ging in dem allgemeinen Lärm unter. Alida spürt etwas an ihrem Hintern, ein Greifen, Grabbeln und Grabschen. Ziemlich dreist, ziemlich grob. Sie war hübsch, dessen musste sie sich bewusst sein. Würde sie sich umdrehen so sähe sie einen braunzahnigen Mann mit tiefer Narbe in der Stirn der sie dümmlich angrinste. Er stank bestialisch und wollte ihr schon unter den Umhang fassen. „Wieviel? Wieviel für mich und meine Freunde hm? 5 Mann, machst du uns guten Preis?“ Es war gestammeltes russisch, tief und lallend; sie hätte Mühe überhaupt zu verstehen was er wollte.
Alida ballte für einen Moment die Fäuste, schloss die Augen, sammelte sich und öffnete dann die Hände erneut. Was zu viel war, war zu viel. Sie konnte bei vielem wegschauen, die Augen schließen aber irgendwann war es gut.
Sie drehte auf dem Absatz herum, schob den Mann mit den abgefressenen braunen Zähnen ohne ihn weiter zu beachten aber bestimmt zur Seite und nuschelte. „Verzeiht, mein Herr. Aber nicht heute.“ Sie trat zu den beiden Männern und dem Mädchen.
Sie wusste, mit freundlichem Reden würde sie bei den beiden wohl keine Regung erreichen, aber bevor sie zur Waffe griff musste sie es zumindest versuchen. Sie stieß einen der beiden Männer an der Schulter an und legte so viel Härte in ihre Stimme, wie es ihr möglich war. „Verdammt! Männer! Ihr seid Russen. Sucht euch da draußen oder hier drin eine Dirne, die ihr für ihre Dienste bezahlen könnt und lasst das Kind hier in Ruhe.“
Der Mann mit den faulen Zähnen, war viel zu betrunken und zu überrascht um irgendetwas Gegenteiliges in ihre Richtung zu sagen. Er ließ Alida vorbei, die sich ohne Probleme zu den beiden Russen durchkämpfen konnte. Das Mädchen starrte Alida nur mit hilfesuchenden Augen an, als die Brüggerin näher kam. Beide Männer wirkten überrumpelt, offenbar hatten sie nicht damit gerechnet hier von irgendjemandem bemerkt zu werden, schon gar nicht von…. einer Frau. Einer Frau die… hübsch war, blond. Alidas blondes Haar stach aus der Masse an braunem, schwarzen und grauem Haar sichtbar heraus. Die Kerle stießen das Mädchen von sich und irgendetwas war da in ihren Augen, in ihrem Blick, möglicherweise auch ihrem Aussehen, das die zwei Möchtegern Vergewaltiger erstarren ließ. Sie bekamen auch gar nichts mehr heraus, die Tzimisce hatte ihnen klar gemacht, wie ernst es ihr war. Sie sahen sich kurzerhand an und machten dann dass sie davon kamen; verschwanden über den Hinterausgang zu den Latrinen. Das Mädchen sah Alida beinahe enttäuscht an. „Jetzt hast du sie verjagt. Dabei hatten die gerade noch den letzten Sold bekommen. Das waren sicher 10 Schillinge.“ Es klang bitterlich enttäuscht. „Habt ihr hochwohlgeborenen nichts Besseres zu tun als euch an den Armen zu laben? Ich dachte ihr meidet den Dreck? Aber oh.. verzeiht meine Manieren…..“ Sie machte spöttisch einen Knicks.
Alida zischte sie durch die Zähne böse an. „Dann solltet ihr die Rolle der willigen Dirne besser spielen, Mädchen. Ihr seid noch nicht überzeugend genug. Keine Angst, die edlen Herren warten bestimmt bei den Latrinen auf euch. Viel Spaß.“ Sie beachtete die junge Frau nicht weiter sondern drehte sich wieder um. Bevor sie zurück ging, wanderte sie noch einmal langsam durch die Reihen der Gäste um nach Belinkovs Wiedergänger Ausschau zu halten.
"Seid ihr auf der Suche nach Material?", kam dann unvermittelt eine Frage hinter Alida, noch bevor diese sich davon machen konnte. Ganz ohne Zweifel, handelte es sich um das Mädchen.

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Alida drehte sich wieder um, betrachtete das Mädchen eindrücklich ohne etwas Näheres erkennen zu können. Ihre Gegenfrage quetschte sie zwischen den Zähnen hervor. „Warum denkt ihr, ich wäre auf der Suche nach ‚Material‘?“
Das Mädchen zuckte mit den Schultern; wirkte dabei aber überhaupt nicht verängstigt oder beschämt. "Alle sind in diesen Nächten auf der Suche nach Material. Ihr wirkt nicht so als wärt ihr eine Bestie oder einer von den Reitern hoch zu Ross. Und ihr seid auch keine Kuttenträgerin." Ein breites Lächeln zierte das Gesicht des Mädchens. "Aber die zwei Kerle sind ziemlich schnell vor euch weggerannt, also könnt ihr nur zu den Drachen gehören und die suchen doch immer Material." Sie deutete in Richtung Ivan der noch immer am Tresen mit einem der Ausschankburschen zu diskutieren schien. "Der ist mit euch gekommen... sieht nicht mehr oder weniger gefährlich aus wie der Rest dieser stinkenden Kerle aber er hat da eine kleine Stickerei an der Schwertscheide, ein Symbol gar das ich schon einmal gesehen habe... glaube ich zumindest. Ich heiße Natasha und arbeite für den Lachenden Mann." Sie machte eine Verbeugung.
Alida trat ein wenig näher heran. „Ich bin nicht von hier, aber das wisst ihr. Ich weiß nicht wer die Männer hoch zu Ross sind und auch den lachenden Mann kenne ich nicht. Aber wenn du mir sagen kannst wo du das Symbol schon mal gesehen hast bekommst du 5 Schilling und noch einmal 10 wenn du mir die Informationen geben kannst, auf deren Suche wir uns hierher begeben haben.“
Das Mädchen nickte leicht gelangweilt; ja es war wohl offensichtlich das Alida nicht von hier war. Aber das störte Natasha wohl nicht weiter. Es reichte allein Alidas Stimme, die gerade die auszuzahlende Summe festlegte um ihre Neugier weiter voran zu treiben. "Ich denke, das müsst ihr mit dem lachenden Mann besprechen. Er hat uns immer wieder gesagt, dass er Geschäfte mit eurer Sorte allein regelt. Was schlecht ist, weil ich dann schlechter daran verdiene aber den lachenden Mann, will man nicht verärgern. Ich bin sicher er kann euch sagen was ihr wissen wollt, verehrter Drache. Wollt ihr mir folgen?" Natasha warf sich einen dunkelgrauen Umhang über und drehte sich in Richtung Ausgang. "Es ist nicht weit... euer Freund da kann mitkommen... wenn er will.“
„Damit ihr es wisst: Ich gehöre ganz sicher nicht zu denjenigen, die Material suchen. Ihr könnt mir also gern mitteilen, was ihr über dieses Zeichen wisst. Ansonsten könnt ihr euch auch gern meinem Begleiter anvertrauen.“ Sie deutete mit dem Daumen in Richtung Tresen. „Ich bin nicht wirklich erpicht darauf lachende oder weinende Männer kenne zu lernen. Die, die ich hier drin kennen lernen darf reichen mir völlig.“ Ihr Blick ging zu den Latrinen
Das Mädchen wirkte irritiert. "Kein Material? Hmm, seltsam. Dann stimmen die Gerüchte also doch nicht? Naja, andererseits seid ihr auch nicht von hier. Seid wohl nur gekommen um den ganzen Spaß nicht zu verpassen?" Allesamt wohl rhetorische Fragen, auf die das Mädchen keine wirkliche Antwort wissen wollte. "Ich soll euch sagen was ich weiß ohne das der Lachende Mann von unserem Geschäft etwas mitbekommt ja? Das wird teuer. Wieviel seid ihr bereit zu zahlen?" Ganz offensichtlich reckte Natasha den Kopf schnell nach links und rechts, um sich zu vergewissern das niemand lauschte. Die Lärmkulisse würde ausreichen um etwaige Gespräche zu verdecken aber sie schien sich bei weitem nicht sicher zu sein. Eher verhielt sich die Sache so, dass ihre Nervosität wuchs je mehr Alida sie dazu aufforderte, ihre Informationen zu teilen. Als ob sie etwas verbotenes tat und deswegen gar nicht so selbstsicher war, wie sie sich gab.
Alida überlegte kurz ob sie mit dem Mädchen anfangen sollte zu handeln, aber sie schloss den Mund ohne dem Gedanken weiter nachzugehen. Das Mädchen war bereit seinen Körper zu verkaufen. Da war es nur recht, dass sie wenn sie mal satt wurde. „Nun ja, wenn du mir jetzt noch mitteilst wer welche Gerüchte über uns ausstreut und welchen Spaß es nicht zu verpassen gilt, dann springt noch ein ganzes Huhn und ein Sack Bohnen für dich raus.“
Das Mädchen zog den Kopf etwas ein und wirkte mittlerweile sogar ziemlich ängstlich. Vielleicht war es auch keine wirkliche Angst, sondern eher Unsicherheit. Das was Alida da von sich gab, ließ nicht gerade darauf schließen, dass die Brüggerin auch nur die leiseste Ahnung hatte, was hier in Ungarn passierte. Die andere Möglichkeit war natürlich, das Natasha sich geirrt hatte und Alida gar kein Drache wäre. Das wäre dann, umso schlechter. Demzufolge wurde die Frau etwas misstrauischer und distanzierter, deutete Alida mit ihr hinter dem nächsten Heuballen in Deckung zu gehen. Tatsächlich hockte sich Natasha dorthin und späte kurz über die Oberkante zum Tresen, sah dann wieder zu Alida. "Vielleicht irre ich mich auch und ihr seid kein Drache, so oder so könnt ihr wohl dennoch entweder etwas mit dem was ich euch sage anfangen oder nicht, mir kann es ja völlig egal sein. Die Gerüchte sollten euch doch bekannt sein? Naja wie auch immer...." Ihr Kopf glitt von links nach rechts. "Es ist ja kein Geheimnis, die Drachen sollen die Kuttenmönche endgültig zermalmen wollen und da brauchen sie ausreichend Material... für den Krieg. Der lachende Mann hat das eine oder andere, der Gasthof liefert immer wieder Dummköpfe, die niemand vermisst. Also falls ihr doch noch was wollt, solltet ihr ihn fragen gehen." Es klang gerade so, als wäre sie beinahe gezwungen die Werbung für den Unbekannten zu machen. "Und der Spaß ist die große Schlacht, für die sich hier irgendwie alle vorbereiten... alle die ein bisschen Bescheid wissen, ziehen bereits die Köpfe ein. Drüben in Temesvar brodelt‘ s schon. Das wird wieder eine Menge Tote geben, ganz bestimmt." Eine ihrer Hände, holte ein dunkelbraunes Haarband hervor und sie band sich die Haare zu einem dicken Zopf, währenddessen sprach sie weiter. "Euer Symbol hab ich bei einem Mann gesehen der hier genächtigt hat. Ich glaube es ist eine... Familiensymbolik... Drachensprache, sehr gefährlich. Solche lässt man in Ruhe sagt der Lachende Mann. Auf jeden Fall hat er ein Zimmer genommen, zwei Häuser weiter. Und aus dem hat er sich nicht wegbewegt, glaube ich. Was an und für sich schon komisch ist."
Alida reimte sich aus dem Gesagten ihren Teil zusammen. Dennoch hatte sie noch immer nur einen blassen Schimmer davon wie die Dinge tatsächlich im Osten liefen. „Wo liegt denn dieses Temesvar genau? Damit wir uns davon fernhalten können?“ Sie wartete die Antwort ab und erklärte dann. „Wie ihr sehen konntet hat mein Begleiter das gleiche Symbol an seiner Kleidung. Aus diesem Grund mag es wichtig sein, dass wir mal kurz an die Türen dieses Hauses klopfen. Wir suchen nämlich kein ‚Material‘ sondern einen Mann unseres Gefolges, der schon vorgeritten ist.“ Sie sah nach Ivan und gab ihm ein Zeichen sich zu nähern. Der Wiedergänger mochte besser als sie entscheiden, was mit einem Mädchen zu tun war, das über so viele Informationen verfügte.

Re: Die Fesseln der Macht

Mi 10. Feb 2016, 21:28

Das Mädchen hob die Schultern an, ganz so als ob ihr die ganzen Erzählungen rund um die Stadt, im Grunde herzlich egal sein konnten. „Vielleicht ein vier- fünf Tagesritt, bei guter Wetterlage und wenigen Wegelagerern. Ihr dürft nicht vergessen, dass wir hier immer wieder Auseinandersetzungen zwischen verfeindeten Parteien haben. Eure Freunde im Osten hetzen sich nicht nur ihre Monsterdiener sondern auch die gewöhnlichen Menschen an den Hals. Der Hof hier zum Beispiel…“, sie machte eine knappe Geste, die das johlende, trinkende Volk in der Gaststube einschloss, „gehörte eigentlich jemand anderem aber weil dieser sich weigerte die Kriegssteuern an den örtlichen Voivoden zu zahlen, wurde er enteignet und öffentlich ausgepeitscht. Jetzt hat der dicke Jeremiah hier das sagen und der Hof zehrt im Grunde nur von der Ernte des Vorjahres… und dem selbstgebrannten Schnaps. Oh, und vielleicht noch den gelegentlichen Huren aber ganz ehrlich: alles was aussieht wie eine Frau, ist hier bald eine willkommene Hure. Das hier sind alles Soldaten, die nach Hause zurückgekehrt sind und all ihre Habe und Familien verloren haben. Da bleibt einem nicht mehr viel oder?“

Auf Alidas Wink hin, trat nunmehr Ivan näher der nur verächtlich den Kopf schüttelte. Scheinbar war das Gespräch am Ausschank, in keinster Weise befriedigend für ihn verlaufen. Möglicherweise wollte man ihm nur billigen Fusel verkaufen aber darüber hinaus keine Auskunft erteilen. Missmutig besah er sich das Mädchen vor ihm und hob eine Augenbraue in Richtung Alida. Natasha indessen, schien es nicht weiter zu stören, das Ivan näher an sie herangetreten war. Das kleine beinahe versteckte Wappen an der unteren Seite seines Wappenrocks, war kaum zu sehen und gut versteckt. Man musste schon sehr wachsam sein oder wissen wonach man Ausschau zu halten hatte, wollte man es bemerken. „Kein Material? Wie schade. Ich bin überzeugt davon, der lachende Mann hätte euch ein großzügiges Angebot gemacht. Nicht alle Heimkehrer sind stinkende, versoffene Schweine wisst ihr? Da waren auch ein paar wirklich durchtrainierte Ritter dabei.“ Sie seufzte. Wohl auch einfach deshalb, weil man die Brüggerin nicht zu einem einträglichen Geschäft überreden konnte. „Wenn ihr euren Freund sucht, dann solltet er es über den Hof versuchen. Einfach durch den Nebeneingang hinaus und über den Hof, da seht ihr schon ein großes Wirtschaftsgebäude, das früher einmal dem Gesinde gehörte. Allerdings…“ Natasha schmunzelte. „Mhh.. wie soll ich es sagen… Da drin gibt man sich gerne auch mal privaten Vergnügungen hin, wenn ihr versteht. Das Zimmer bezahlt man hier und dann begibt man sich dorthin und das Haus wird bewacht, vom Horker. Ein ziemlich derber Bursche, ständig besoffen aber Arme wie Vorschlaghämmer. Entweder ihr nehmt ein Zimmer oder ihr überredet Horker euch einzulassen. Ersteres wäre günstiger… kann aber sein das zurzeit alles besetzt ist. Gerade gestern kam ein neuer Schwall Heimkehrer. Oder ihr fragt den lachenden Mann. Der weiß alles, sieht alles und kennt alles.“ Ein erneutes Schulterzucken. Dem Mädchen schien das im Grunde alles ziemlich egal zu sein.

Re: Die Fesseln der Macht

Do 11. Feb 2016, 21:28

Alida hatte dem Mädchen schweigend zugehört und ab und an ihren Blick über das Gesinde des Wirtshauses schweifen lassen. War das hier, was übrig blieb, wenn man alles verloren hatte? Sie wusste es nicht, aber ihr erschien der Gedanke unvorstellbar trostlos. Sie sah Ivan näher an und bewunderte Natashas Wahrnehmung. Kaum jemand hätte das kleine unscheinbare aufgestickte Emblem am Ärmel bemerkt. Eine angedeutete Schachfigur, der König, umgeben von zwei stilisierten Händen. Als die Rede auf den Mann fiel, den das Mädchen vor einigen Tagen mit dem gleichen Emblem gesehen hatte, zog Alida kurz unschlüssig eine Augenbraue in die Höhe. Es erschien ihr untypisch für einen von Emilians Wiedergängern, wenn er sich in ein ‚Freudenhaus‘ zurück zog während sein Herr die Ermordung durch einen unbekannten Feind drohte.
Die blonde Frau aus Flandern nickte dem Mädchen dankbar zu. „Eure Informationen mögen ihren Preis wert sein. Wenn dem so ist, sei euch mein Dank gewiss. Ivan? Sorg dafür, dass Natasha ihre Bezahlung erhält sobald wir ihre Worte überprüft haben.“ Sie nannte dem Wiedergänger den vereinbarten Preis.
Sie wartete einen Moment ab ob Ivan noch etwas hinzuzufügen hatte. Dann ging sie zum Wirt des seltsamen Gasthauses und bestellte ein Zimmer für sich und die drei Männer im Wirtschaftsgebäude. Ihren Begleitern würde eine Rast in einem zwar flohverseuchten, dafür aber nicht ganz so eisigen Zimmer sicher gut tun. Sie griff in eine Tasche und holte eine Silbermünze hervor, die sie unauffällig über den Tresen wandern ließ. Dann fragte sie nach dem Gefolgsmann und beschrieb ihn dem Wirt so gut als möglich.

Re: Die Fesseln der Macht

Di 16. Feb 2016, 22:10

Ivan hatte dem ganzen ganz augenscheinlich nichts mehr hinzu zu fügen; im Gegenteil. Jetzt da man den Aufenthaltsort des verbliebenen Mannes aus Emilians Tross kannte, schien er umso begieriger darauf das Gesindehaus näher zu untersuchen. Man war wirklich gut unterwegs gewesen und hatte Markov sogar noch lebendig vor der Ankunft in Temesvar erreicht. Dazu gehörte schon wahrlich eine große Portion Glück – für ihn, als auch für die eigene Truppe. Sein Blick streifte das Mädchen knapp, sodass er sich ihr Gesicht einprägen würde. Dann nickte er und wandte sich Richtung Tresen. „Lasst mich das Zimmer ordern Herrin. Es wäre… ungewöhnlich für eine Dame in dieser Umgebung ein Zimmer zu mieten, wenn ihr versteht.“ Sollte die Brüggerin dagegen keine Einwände haben, so würde er dann kurz verschwinden um für die gesamte Reisegruppe ein möglichst gutes Zimmer zu ergattern. Nach einigen Minuten kam er wieder zu Alida zurück und zog diese schon im Gehen mit sich. „Das Zimmer ist unser und weil ihr so großzügig gewesen seid, wissen wir jetzt auch welchen Raum Markov bezogen hat.“ Er führte Alida am Arm nach draußen und winkte den anderen beiden zu; deutete ihnen ihm zu folgen. Gemeinsam stapfte man über den matschigen Innenhof, bis hin zum Eingang der Gesindebehausungen. An der soliden Holztür lehnte ein stämmiger Kerl mit hässlicher Schlägervisage, der auf einem Stück gebratenem Fleisch herumkaute. Hie und da spuckte er Knochen und allzu zähe Brocken vor sich aus und rülpste zufrieden. Als er die Gruppe sah wollte er schon an den Gürtel fassen, wo eine lange Holzfälleraxt hing. Bereits beim Näherkommen, zeigte Ivan dem schmuddeligen Kerl ein rundes Stück Holz auf dem ein paar Kerben gemacht worden waren; offenbar der ‚Zimmerschlüssel‘. Daraufhin schien sich Horker wieder zu beruhigen und sich weiter seinem Stück Fleisch zu widmen. Nun, ein anderes Stück Fleisch gefiel ihm da noch um einiges besser: Alida, als sie da so an ihm vorbei ging. Aber nein, Jeremiah würde ihn schrecklich schimpfen wenn er sich an den Nutten der Gäste vergriff – zudem konnte das bis später warten. So grunzte er nur verlegen und ließ die Gruppe eintreten.

Ivan führte die Gruppe durch das spärlich beleuchtete Gebäude, nur etwa alle fünf Meter hing eine Öllaterne. Vor einem Zimmer im Erdgeschoss blieb er stehen; öffnete die Tür. Nacheinander traten alle ein und während die beiden anderen Russen schon den Raum auf seine Sicherheit prüften, trat Ivan an Alida heran. „Markov befindet sich angeblich genau über uns.“ Kaum hatte er das gesagt, hörte man einen erlösenden Schrei der nach den letzten Momenten eines besonders heftigen Stelldicheins klang. Der Anführer der Truppe seufzte. „Und ich kann mir auch nicht erklären, warum er hier übernachten sollte aber er wird schon seine Gründe gehabt haben. Lasst uns nach ihm sehen.“ Würde Alida einwilligen, so würde Ivan Popov im Zimmer positionieren und zusammen mit ihr und Strazny in den oberen Stock gehen. Die Gänge unterschieden sich nicht groß voneinander. Alles war dunkel und abgewohnt. Gelegentlich hörte man stöhnen, lustvolles Schreien oder Quietschen. Sie gingen ein knappes Stück, dann blieben sie vor dem Zimmer stehen, welches angeblich von Markov bezogen war. Ivan klopfte.
Alida ging zwischen den Männern, musterte die leeren Gänge, die schäbigen Räume. In leisem Flandrisch konnte sie sich ihren Kommentar doch nicht verkneifen. „Man könnte doch eigentlich annehmen, dass Menschen, die die Dinge verloren haben, die ihnen wichtig sind anderes zu tun haben als den ganzen Tag rumzuhuren und zu saufen…“ Sie legte ihre Hand auf den Knauf ihres Schwertes und zog die Klinge ein Stück. Das alles war mehr als ungewöhnlich sie konnte sich beim besten Willen keinen Grund ausmalen weswegen Marko hier hätte absteigen sollen ohne vorher seinen Herren aufzusuchen.
Popov hatte das Schwert bereits ebenfalls langsam gezogen und wandte sich wachsam der restlichen Länge des dunklen Ganges zu. Auf seiner Stirn stand der Schweiß, wie so oft wenn er konzentriert war. Mühsam glitt sein Blick durch die Dunkelheit während Ivan mit einer Hand die Türschnalle nach unten drückte. Alida war einen guten Meter hinter Ivan geblieben, ihr treues, flandrisches Breitschwert bereit für alle Eventualitäten gerüstet als ihr Blick kurz nach links den Gang entlang glitt. Es war die Richtung, aus der sie eben noch gekommen waren und für einen knappen Moment, sah sie dort eine Gestalt, die sogleich wieder in der Dunkelheit verschwand.

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Alida zuckte kurz zusammen als sie die Gestalt mit den Klauen erkannte. Sie war genauso schnell verschwunden, wie sie aufgetaucht war. Alida überlegte der Gestalt zu folgen, setzte einen Fuß in die Richtung, entschloss sich dann jedoch dagegen. Ihre Gedanken rasten, gingen Möglichkeiten und Eventualitäten durch. Wahrscheinlich handelte es sich um einen Tzimisce oder einen fleischgeformten Ghul. Was würde geschehen, wenn sie hinter her ging? Bestenfalls würde sie ihm gegenüber stehen und sich lächerlich und verdächtig machen, im schlimmsten Fall wurde sie bedroht und die beiden Männer an ihrer Seite getötet. Sie hatte all die Zeit damit verbracht nicht weiter aufzufallen. Mit der Tat hinter einem Fremden herzugehen würde sie sich mehr als verdächtig machen. Sie wartete ab und ließ Ivan die Tür öffnen.
Ihre beiden Begleiter schienen von all dem nichts mitzubekommen. Ivan konzentrierte sich weiter darauf die nicht verschlossene Tür möglichst leise zu öffnen und Popov sorgte nach wie vor für Rückendeckung. Was immer Alida da gesehen hatte – so schnell es aufgetaucht war, so schnell war es auch wieder verschwunden. Die Türschnalle knarzte als die aufschwingende Tür den Blick auf den vor ihnen liegenden Raum preisgab. Ein äußerst einfacher Raum mit strohunterfütterten Bettlaken und einer schiefen Kommode, wackelige Stühle um einen halbwegs annehmbaren Esstisch. Am Tisch saß Markov vor einer Kerze und starrte in die Leere. Eine Leere, die nur der Tod verursachen konnte. Bei genauerem Betrachten, würde Alida die schwere Dolchspitze auffallen, welche man ihm von hinten in den Rücken gerammt hatte. Jetzt erst sah man im Schatten die Blutpfütze unter seinem Stuhl. Der Russe und Bote, der seinen Herrn vor drohender Gefahr warnen sollte, war tot. Ivan deutete Popov die Tür zu schließen und zu verriegeln. Dieser kam seiner Aufforderung nach und als er keinen Schlüssel fand, klemmte er einen Stuhl unter die Schnalle. Der Anführer der Gruppe ging neben Markov in die Knie und seufzte kurz. „Ich hätte es mir denken können. Wenn tatsächlich ein Attentat auf unseren Herrn geplant ist, wird man keinesfalls zulassen da auch nur ein einziges Wort der Warnung an seine Ohren dringt. Dieser Dolch…“ Er zog das giftige Metall aus der offenen Wunde. „… ist zweifelsfrei von einem der Soldaten die wir in jener Nacht bei unserem Herrn gesehen haben. Ruhe in Frieden Markov, du hast Herrn Belinkov treu gedient.“ Ivan schloss ihm die Augen und sprach ein Gebet auf Russisch.
Auch Alida schlug wie von selbst das Kreuzzeichen. Markov war kein Mann gewesen, mit dem sie viel zu tun gehabt hatte, aber er war einer der Familienmitglieder der Wiedergänger. Sie gab den Männern die wenigen Sekunden, die sie für ihr Gebet benötigten, dann nahm sie den Dolch in die Finger. Sie versuchte, die schwache Aura, die den Dolch noch immer umgab zu lesen.

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Alida berührte die feine, glänzende Klinge und an ihrer Machart allein, war schnell festzustellen dass sie ganz sicher nicht im Westen gefertigt worden war. Die bronzenen Verzierungen und der kunstvoll gearbeitet Bärenkopf machten schnell klar, dass dieser Dolch tatsächlich ein edles Stück war. Möglicherweise das Geschenk eines Fürsten an einen treuen Vasallen. Die Trance in die sie sich begab, beschwor einige starke Gefühle und einprägsame Bilder herauf. Da war viel Stolz und Anerkennung in dem kühlen Metall, zusammen mit einem zügellosen Blutdurst und einer ungebrochenen Loyalität. Ganz sicher hatte dieses Mordinstrument nicht zum ersten Mal getötet und wohl auch nicht zum letzten Mal.
Die zusätzlichen Bilder die sich vor Alidas Augen manifestierten, zeigten einen stolzen, geradezu eingebildeten Mann von mittleren Jahren. Verschiedenste Narben zierten seinen Körper, die er wie Auszeichnungen trug. Manche hatten ihm Feinde zugefügt andere sein Herr und Meister. Schwarze mittellange Haare umrahmten ein schmales, vogelartiges Gesicht und die geschwärzte Rüstung unterstrich seine aristokratisches Erbe. Bleich war er aber doch nicht tot.

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Während Alida so die Bilder der Klinge las, hörte man von draußen plötzlich mehrere, schwere Schritte die Treppe nach oben kommen. Ganz deutlich kamen sie näher. Ivan hatte soeben die Leiche von Markov auf den Boden gelegt und mit einem Laken vom Bett bedeckt, als Popov näher an die Tür ging und lauschte. "Ich glaube das war eine Falle Ivan", meinte er schwer schluckend und griff nach der Kommode um diese zusätzlich vor die Tür zu schieben.
Alida trat zum Fenster des kleinen Zimmers und sah hinaus. Sich einen Mord am eigenen Diener anhängen lassen? Und das hier im Osten wo das Leben eines Gefolgsmannes nichts wert war? Ja, das kam ihr sehr seltsam vor. Nichtsdestotrotz hatte sie keine Lust darauf irgendjemand Rede und Antwort stehen zu müssen.
Sie versuchte heraus zu finden ob es einen Weg nach draußen gab, schob dann noch zusätzlich eines der Möbelstücke vor die Tür um ihnen Zeit zu verschaffen. Dann versuchte sie es in ihrem akzentbehafteten Russisch. „Zum Fenster raus!“
Draußen vor der Tür polterte es bereits und verschiedene, dunkle Männerstimmen sprachen laut und wild miteinander, brüllten und schrien und stachelten sich immer weiter an. Gerade als die Kommode ihren Weg vor die wackelige Tür gefunden hatte, stemmten sich schon die ersten Angreifer dagegen. Immer wieder rammten sie dagegen und fluchten und zeterten aggressiv. Ab und an wurde sogar ein Beil gegen das Holz geschlagen aber weil die Tür so schäbig bearbeitet war, handelte es sich um nichts Weiteres als um ein dickes Brett mit Scharnieren. Es würde eine gute Zeit dauern, bis man die Tür aufbekäme. Allerdings mit genug Elan.... Ivan nickte Alida zu und deutete zum Fenster. Er selbst und Popov drückten sich gegen den Eingang um den Angreifern das Eindringen zu erschweren. Irgendwie wurde klar, dass es an Alida lag den Fluchtweg durchs Fenster vorzubereiten. Und während es draußen krachte und donnerte wurde der Brüggerin irgendwie schlagartig bewusst, dass sie vollkommen recht gehabt hatte. Das Leben eines Dieners war nichts wert im Osten, eine Intrige mochte sich höchstens noch in den Domizilen der Altehrwürdigen abspielen. Hier draußen ging es ums Überleben und Töten. Und wenn sie es nicht besser wusste, dann war es genau dies was man mit ihnen vorhatte. Da brauchte es keine Intrige.
Ivan und Popov sahen einander an als Alida ihnen heiser ihre Befehle auf Russisch zuschrie. Als erstes durchs Fenster springen? Für einen Ehrenmann und getreuen Diener des Herren Belinkov käme so etwas natürlich gewiss nicht in Frage. Das heißt, wäre da nicht die Tatsache gewesen dass sie sich den Befehlen der Brüggerin fügen musste. Es war beiden deutlich anzusehen, dass sie die Tür nur ungern aufgaben. Schlussendlich riss sich Popov los und hechtete zum Fenster; riss die Läden auf und sprang nach kurzem Abschätzen des Terrains nach unten. Die Tür wurde einen Spalt weit geöffnet und die ersten Klingen durchgeschoben. Ivan trat gegen die Kommode und die zufallende Tür quetschte dem Mann den Arm ab; er ließ brüllend die Klinge fallen. Danach lief auch Ivan, Alida mehr als unzufrieden betrachtend den Raum entlang aufs Fenster zu. Sie zwang sie zum 'Rückzug', das war schon allein für die stolze Männlichkeit sehr schmerzlich. Einen Moment später sprang auch Ivan zum Fenster hinaus. Die Kommode rutsche weiter in den Raum und das Hacken auf hartem Holz wurde lauter. Demnächst würde etwas nachgeben - Kommode oder Material.
Alida war es absolut gleichgültig, was nachgeben würde. Sie hatte nicht vor, diesen Moment abzuwarten. So schnell es ihr möglich war, stach sie noch einmal durch den schmalen Spalt um die Angreifer zum Zurückweichen zu zwingen, dann rannte sie zum Fenster und versuchte den Männern zu folgen.
Alida stach mit dem spitzen Ende ihres langen Brügger Schwertes zwischen den klaffenden Spalt, durch den sich bereits die ersten Angreifer zwängten. Draußen auf dem Gang war es bekanntlich dunkel und dennoch konnte Alida im schwachen Lichtschein geschwärzte Rüstungen sehen. Ihr Schwert traf und vor der Tür jaulte jemand schmerzverzerrt auf, bevor sich Alida ebenfalls Richtung Fenster aufmachte und nach kurzem Blick in die Tiefe, das Zimmer verließ. Ihr Sprung stand der einer Athletin aus dem alten Griechenland in nichts nach. Ihre Bewegungen waren so fließend, das sie schon im nächsten Augenblick wieder dabei war zu laufen noch bevor ihre Stiefel richtig den Boden berührten. Irgendwann in ferner Zukunft, würde jemand einen Namen dafür erfinden. Unten angekommen, sah sie ihre zwei Begleiter, die ihr andeuteten ihnen zu folgen. Beide hatten die Schwerter gezückt und schienen auf eine kleine Baumansammlung zuzuhalten; die einzige Deckung, bevor man für viele hundert Meter nur noch gefrorenes Ackerland vorfände. Doch aus dem Gebüsch vor ihnen, sprangen bereits zwei weitere schwarz gerüstete Männer die sofort mit ihren Klingen auf die Flüchtlinge einhieben. Sie wurden zurück zum Haus gedrängt, wo bereits die ersten Schreie über ihnen aus dem Fenster erklangen. Gleich wären sie umzingelt.
Ivan und Popov kämpften ohne Zweifel hervorragend aber die Zeit die es brauchte die Angreifer zurückzudrängen, würde dennoch ausreichen um den Rest aufholen zu lassen. Schlussendlich näherte sich ein Bulk aus 5 Männern in schweren, schwarzen Rüstungen rings um das Haus, die von einem in edle Tuche gekleideten Mann angeführt wurden. Die Brüggerin erkannte ihn sofort: Es war der Mann dem der Dolch gehörte mit dem man Markov erstochen hatte. Der Aristokrat lächelte spöttisch und hob die Hand, wie als wolle er dem Kampfeslärm Einhalt gebieten. "Genug, genug. Wir wollen unseren Gästen ja kein Leid zufügen." Seine Aussprache war klar und deutlich. Latein und beinahe akzentfrei. "Wir bedauern diesen Zwischenfall außerordentlich, edle Dame, aber ihr müsst verstehen, dass es hier um wichtige Dinge geht. Dinge, welche den Verlauf der Schlacht maßgeblich beeinflussen könnten, da darf man nicht zimperlich sein. Jemand wie ihr wird gewiss verstehen, dass manche Schritte leider notwendig sind." Ivan spuckte vor dem Mann aus und hielt sein Schwert bedrohlich kreisend in wechselnde Richtungen. "Ihr habt Markov getötet und uns eine Falle gestellt, wir werden uns sicher nicht so ohne weiteres geschlagen geben." Der süffisant lächelnde Aristokrat hob beschwichtigend eine Hand. "Wir möchten euch kein Leid zufügen. Euren Boten mussten wir töten, dies entspricht der Wahrheit. Doch die reizende Frau van de Burse ist herzlich eingeladen zum Anwesen unseres Herren. Er möchte sie dort als seinen Gast empfangen solange bis die letzte Schlacht geschlagen ist. Wir mussten sicher gehen, dass eurem Markov keine weiteren Abgesandten mehr folgten, nur deshalb sind wir überhaupt noch hier. Wir nahmen nicht an das, Frau van de Burse höchstpersönlich kommen würde." Der Mann verneigte sich ehrfurchtsvoll.
Sie konnte nicht sagen warum aber noch ehe der Mann geendet hatte, zog eine knappe Bewegung über ihr die Aufmerksamkeit auf sich. Sie sah einen schwarzen Schemen der fast nicht auszumachen war. Und er stand in voller Größe auf dem Hausdach der Gesindestuben. Reglos. Wortlos. Beobachtend.

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Alida trat auf Ivan zu und legte ihm beruhigend die Hand auf den Arm. Ihre Worte waren in Flandrisch und leise. „Lass gut sein. Wir können hier im Moment nichts ausrichten. Ihr habt tapfer gekämpft und könnt euch nichts, absolut gar nichts, vorwerfen.“
Dann trat sie dem blassen dunkelhaarigen Mann entgegen. Ihre Stimme war eisig als sie in Latein antwortete. „Nun denn. Wie wunderbar in einer solchen Nacht so nette Bekanntschaften zu machen, nicht wahr? Führ‘ mich zu deinem Herren, damit wir es hinter uns bringen.“

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Ivan sah wutentbrannt in Richtung Alida, dann zu dem bleichen Mann der sich soeben wieder aus seiner Verbeugung erhoben hatte. Nein es gefiel ihm absolut nicht so einfach die Waffen zu strecken. Beinahe hätten sie es geschafft; ein kurzer Schlag des Schicksals, der ungünstig ausgefallen sein mochte aber Alida konnte es doch nicht so ohne weiteres verantworten, die Mörder eines von Belinkovs treuesten Botenreitern und Wiedergängern einfach so ziehen zu lassen. Sie gar noch zu begleiten? Er biss die Zähne zusammen und umfasste den Schwertgriff so fest, dass die Knöchel weiß hervortraten. "Wie ihr wünscht...", brummte er unwillig, fügte sich aber ihrer Entscheidung. Popov tat es ihm gleich und sah finster von einem Mann zum anderen. Wahrscheinlich hätte er sie allesamt am liebsten mit bloßen Händen erwürgt. Der langhaarige Mann lächelte zufrieden. "Wie schön, dass sich ein Blutvergießen vermeiden lässt. Wir sind doch alle vom gleichen Blute und manche von uns sogar von Höherem." Sein Blick viel tatsächlich anerkennend auf die Brüggerin. "Bedauerlicherweise befindet sich unser Herr bereits in Temesvar zu wichtigen Verhandlungen und Schlachtvorbereitungen. Wenn der entscheidende Sieg erst unser ist, wird er euch seine Aufwartung machen. Bis dahin könnt ihr in seinem prachtvollen Anwesen warten, es wird euch an nichts fehlen, werte Dame. Es gibt Diener und Mägde nach jedem Geschmack, große Ländereien auf denen ihr ausreiten könnten und tiefe Keller in denen ihr euch euren Bedürfnissen hingeben könnt." Seine Hand vollführte eine einladende Geste in Richtung des Gasthofes. Wahrscheinlich waren dort die Pferde der Soldaten.
Alilda hatte wunderbare Bilder im Kopf, in denen sie die Klinge zog und auf die Männer einstach, dem dunkelhaarigen was auch immer den Kopf von den Schultern trennte. Aber das waren nur Wunschvorstellungen und sie war klug genug zu wissen, wann ein Kampf aussichtslos war. 7 gegen drei würde ihr vielleicht eine Flicht ermöglichen, aber weder Ivan noch Popov würden mit Gnade rechnen können. Sie wandte den Blick stur geradeaus und folgte den Männern.
"Ihr seid eine kluge und bildhübsche Frau, Mylady", stellte der Langhaarige bewundernd fest. "Verzeiht mir die Umstände aber wir nähern uns einem geschichtlich höchst brisantem Scheidepunkt, der wichtig für jeden hier im Osten ist. Die Weichen für ein freies Ungarn werden soeben gestellt und..." Weiter kam der Aristokrat nicht, denn plötzlich hielten alle Anwesenden inne; drehten die Köpfe verwundert in alle Richtungen. Ein Geräusch wie Zirpen oder Zwitschern, möglicherweise Heuschrecken oder Zikaden. Vögel? Das Geräusch wurde lauter und lauter und irgendwie wurde man den Verdacht nicht los, das diese Klänge nicht von einem Wesen allein verursacht wurden. Die Schwarzgerüsteten hoben ihre Fackeln, zogen die Schwerter und blickten sich ängstlich um. Ivan und Popov taten es ihnen gleich. Dann sahen sie es....

https://www.youtube.com/watch?v=DR0fl5fgTDg

Im Schein der halben Dutzend Fackeln, bewegte sich kein Teppich oder Läufer sondern ein nicht endendes Meer an Ratten auf die Gruppe zu. Sie stiegen aus den gefrorenen Löchern im Boden, aus den Ritzen der Hausmauer, sprangen aus den Bäumen und Hauseingängen, quollen wie ein niemals versiegender Brunnen aus Fell aus dem naheliegenden Pferdestall. Noch niemals zuvor in ihrem Leben hatte Alida so viele Nager auf einem Fleck gesehen. Selbst Gerrit oder Lucien hatten bisher eine solche Anzahl erreichen können - es war überhaupt fraglich, ob in der Kanalisation von Brügge derartige Massen Platz hätten. Es war eine Armee aus Ratten und sie hielten direkt auf den Langhaarigen und seine Truppe zu. Schockerstarrt fixierte man die näherkommende Welle. "Mein Gott...", flüsterte einer der Soldaten neben Alida völlig fassungslos.
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